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Monika Krause: Das gute Projekt (Humanitäre Hilfs­organisationen)

Rezensiert von Prof. Dr. Georg Auernheimer, 11.07.2018

Cover Monika Krause: Das gute Projekt (Humanitäre Hilfs­organisationen) ISBN 978-3-86854-314-8

Monika Krause: Das gute Projekt. Humanitäre Hilfsorganisationen und die Fragmentierung der Vernunft. Hamburger Edition (Hamburg) 2017. 268 Seiten. ISBN 978-3-86854-314-8. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.

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Thema

Hilfsorganisationen müssen, selbst wenn sie von selbstloser Ethik getragen sind, entscheiden, wem, wo am ehesten geholfen werden soll. Solche Entscheidungsprozesse beleuchtet die Autorin, die dabei Marktmechanismen entdeckt. Gegenstand ihrer Untersuchung sind außerdem Reformen und Managementstrategien von humanitären Hilfsorganisationen.

Autorin

Monika Krause, PhD, lehrt Soziologie an der London School of Economics and Political Science. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören politische Soziologie, Organisationssoziologie und Menschenrechte.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst sechs Kapitel, gerahmt von der Einleitung und dem Schluss und ergänzt um einen methodischen Anhang. Den Untersuchungsgegenstand bildet humanitäres Handeln „als eine von anderen Praxisfeldern unterschiedene Sphäre“, die historisch relativ jungen Datums ist (14). Die Verf. stützt sich bei ihrer Studie auf das Studium von Archivquellen, Beobachtungen in Schulungsveranstaltungen, Hintergrundinterviews und halbstandardisierte Experteninterviews mit 50 Länderreferenten und Programmleitern von humanitären Hilfsorganisationen (16). Bei der Auswertung ließ sich die Verf. unter anderem von der Feldtheorie von Pierre Bourdieu, der Diskurstheorie von Michel Foucault und der Systemtheorie leiten.

In den ersten Kapiteln geht es um die weithin geteilten Routinen und Prozeduren bei der Auswahl und „Produktion“ von Projekten. Das Projekt stellt „die grundlegende Einheit der Produktion“ dar; „die Summe der Projekte einer Organisation ist ihr ‚Programm‘“ (36). Im ersten Kapitel geht die Verf. der Frage nach, wie Ideen und Interessen sich zueinander verhalten und wie sie praktisch umgesetzt werden, wobei sie auf Marktmechanismen stößt. „Viele Ressourcen werden ganz offen nach Kaufkraft über Märkte verteilt“ (39).

Das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Wahrnehmung der Hilfsbedürftigen, was im zweiten Kapitel „Hilfeempfänger als Ware“ behandelt wird. Humanitäre Hilfe stellt sich für die Forscherin als „ein Tausch unter Bedingungen der Konkurrenz und Ungleichheit“ dar (79). Denn die Hilfeempfänger und vor allem Helfer*innen vor Ort arbeiten für das jeweilige Projekt. Sie sind innerhalb einer weltweiten Konkurrenz in den Genuss von Hilfe gekommen (82). Und den NGOs erlaubt die Hilfe, „Geld und Status zu sammeln“ (ebd.).

Im dritten Kapitel „Der Logframe und die Geschichte des Marktes für Hilfsprojekte“ untersucht die Verf., wie sich die neue „Logical Framework Matrix“ auf die Managementpraktiken und auf die Außendarstellung von Hilfsorganisationen auf dem „Projektmarkt“ (103) auswirkt.

Im vierten Kapitel über „Die Geschichte der humanitären Autorität und die Ausdifferenzierung des humanitären Feldes“ will die Verf. nach dem Hinweis auf ideengeschichtliche und nationale Unterschiede zeigen, „dass sich die Hilfswerke darüber hinaus wechselseitig aneinander orientieren und aktiv darum bemüht sind, sich innerhalb des globalen Feldes der humanitären Hilfs-NGOs voneinander abzugrenzen“ (124). Für die Selbstzuordnung spielt das Verhältnis zu Religion, Politik und Menschenrechten eine Rolle, aber auch die „jeweilige Kombination von Ressourcen“, die genutzt werden (148).

Thema des fünften Kapitels sind Reformmaßnahmen aus jüngster Zeit, mit denen verbindliche Maßstäbe für humanitäre Hilfe aufgestellt werden sollen. Speziell zwei Initiativen, mit denen eine Charta und darauf basierende Standards vorgelegt wurden, finden die Aufmerksamkeit der Autorin. Sie diskutiert, ob es hier um Professionalität oder Produktstandards geht.

Im sechsten Kapitel geht die Verf. der Frage nach, welche Bedeutung die Menschenrechte für die praktische Arbeit von Hilfsorganisationen haben und haben können.

Am Schluss versichert die Autorin, dass sie keine Bürokratiekritik im Namen der Hilfebedürftigen vorlegen wollte, sondern nur „einen speziellen problematischen Mechanismus“ in den Fokus gerückt hat. Sie deutet an, dass Produktmärkte generell mit dem Rückzug des Staates in Zusammenhang stehen, und „dass es Wege zur Organisation von Versorgung gibt, die sich fundamental vom Markt für Projekte unterscheiden“ (228).

Diskussion und Fazit

Der Rezensent vermisst an der zweifellos gescheiten Studie eine gesellschaftstheoretische Einbettung. Die Untersuchung ist einem soziologischen Ansatz verpflichtet, der auf historische Konkretion verzichtet. Historische Aspekte beschränken sich auf feldspezifische Entwicklungen.

Das Buch ist primär für Soziolog*innen, speziell Organisationssoziolog*innen, von Interesse. Man kann es außerdem als Reflexionsangebot für die Mitarbeiter*innen in humanitären Hilfsorganisationen betrachten, wobei der soziologische Beobachterstandpunkt eine gewisse Herausforderung darstellen dürfte, weil die Analyse der Autorin entgegen ihrer Versicherung allzu leicht als Entlarvung oder Anschuldigung gelesen werden könnte.

Rezension von
Prof. Dr. Georg Auernheimer
Lehrte Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Interkulturelle Pädagogik, in Marburg und Köln.
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Es gibt 92 Rezensionen von Georg Auernheimer.

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ISSN 2190-9245