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Jürg Kollbrunner: Psychosoziale Beratung in Therapieberufen

Rezensiert von Dr. Wolfgang Rechtien, 25.06.2018

Cover Jürg Kollbrunner: Psychosoziale Beratung in Therapieberufen ISBN 978-3-8248-1215-8

Jürg Kollbrunner: Psychosoziale Beratung in Therapieberufen. Schulz-Kirchner Verlag (Idstein) 2017. 104 Seiten. ISBN 978-3-8248-1215-8. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR.
Reihe: VARIO Wissen.

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Autor

Dr. phil. Jürg Kollbrunner arbeitete bis 2013 als Psychotherapeut, Klinischer Psychologe und Psychoonkologe an der HNO-Klinik der Universität Bern.

Thema

Das Buch wendet sich an in Therapieberufen tätige Fachleute, insbesondere der Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie, Ernährungsberatung, Mütter- und Väterberatung, und ebenso an Ärzte, Pflegefachleute, Psychomotoriktherapeuten, Heilpädagogen, Früherzieher, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter. Basierend auf einem weit gefassten Verständnis von Beratung soll diesen grundlegendes Wissen zur psychosozialen Beratung und insbesondere praktische Fertigkeiten zur Gesprächsführung vermittelt werden.

Aufbau und Inhalt

Nach einem Vorwort (von Prof. Stiefel, Chef de Service, Service de Psychiatrie de Liaison, CHUV, Lausanne) und einer Einleitung finden sich dreizehn inhaltliche Kapitel; anschließend gibt es Hinweise zu Weiterbildungsmöglichkeiten, einen Selbsttest, Buchempfehlungen und ein Literaturverzeichnis.

Die subjektive Erfahrung, krank zu sein – so das Vorwort (S. 9-10), wird nicht nur durch das körperliche Erleben, sondern auch durch psychische und soziale Faktoren bestimmt und kann nicht objektiv gemessen, aber in einem einfühlenden Gespräch erfahren werden. Stiefel hebt das Plädoyer des Autors hervor, die strikte Trennung zwischen Psychotherapie und Beratung aufzuheben und Beratern eine psychotherapeutische Haltung zu empfehlen, sowie standardisierte Gesprächsführung und allgemeingültige Ratschläge abzulehnen.

In der Einleitung (S. 11-15) konstatiert Kollbrunner ein weitgehendes Defizit an Beratungskonzepten für Angehörige von therapeutischen Gesundheitsberufen. Er benennt Gemeinsamkeiten von Psychotherapie und Beratung, verdeutlicht aber auch deren Unterschiede.

Das Kapitel Psychosoziale Erfahrungen im Beratungsalltag ( S. 16) benennt eine Anzahl von Situationen, in denen Therapeuten auf besondere psychosoziale Zusammenhänge aufmerksam werden.

Das Zögern vieler Beratender (S. 17-18) in emotional schwierigen Situationen erklärt Kollbrunner mit zur quälenden Instanz erstarrtem Verantwortungsgefühl, mit der Befürchtung, Ausgelöstes nicht auffangen zu können, und der Befürchtung, mit eigenen (ungelösten) Lebenssituationen konfrontiert zu werden.

Psychosoziale Beratung als Notwendigkeit (S. 19-22) ergibt sich für Kollbrunner aus der Tatsache, dass psychosoziale Einflüsse (Interventionen) zwischen Therapeuten und Klienten nicht vermieden werden können, häufig aber unbewusst und mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen stattfinden. Dabei wird auch auf das Problem der Komorbidität eingegangen.

Hilfreiche Einsichten (S. 23-33) für ihre beratende Tätigkeit können Therapeuten aus der Kenntnis einiger grundlegender psychosozialer Zusammenhänge gewinnen. Kurz angerissen werden: Denken in Beziehungen, Mehrgenerationen-Perspektive, Verhältnis von Harmonie und Aggressivität, Persönlichkeitsstile, Abwehr- und Bewältigungsstrategien und Krankheitsgewinn.

Nach einem – ebenfalls knappen – Kapitel über Haltungen und Verhaltensweisen (S. 34-38) mit Hinweisen auf die von Rogers begründete „patientenzentrierte oder nicht-direktive Beratung“ (die übrigens heute i.a.R. personzentriert genannt wird!) und deren Grundelemente Echtheit, Empathie und Wertschätzung folgt das eigentlich zentrale Kapitel Gesprächstechniken (S. 39-53). Es findet sich ein Beispiel zum aktiven Zuhören in der Physiotherapie sowie eines zum Einsatz von Humor in der Ernährungsberatung. Kurz erläutert werden das Zeigen von Aufmerksamkeit, Paraphrasieren und Verbalisieren, Inhalts-, Beziehungs-, Selbstdarstellungs- und Appell-Aspekt des Sprechens sowie die Gefahr von Missverständnissen auf Grund der Verwechselung von denotativer (lexikalischer) und konnotativer (individueller, auch emotional geprägter ) Wortbedeutung. Weiter gibt es eine tabellarische Aufstellung von Fragen-Typen und eine zu Gesprächstechniken. Im Abschnitt über technische Hilfsmittel werden Familiensoziogramm und Genogramm, weiter der Einsatz von Video- und Fotoaufnahmen genannt.

Das Kapitel über Die Beratung im zeitlichen Ablauf (S. 54-63) behandelt Erwartungen, „was mit dem neuen Patienten auf den Berater zukommen wird“, Vorbereitung auf und Eindrücke während des Erstgesprächs sowie die Selektion von Gesprächsthemen, den Gesprächsabschluss, die Bedeutung von „Rahmensituationen“ mit einem Beispiel für ein „Drei-Minuten-Türrahmengespräch“ und schließlich eine tabellarische Aufstellung von Fragen zur Selbstreflexion des Beraters.

Angesichts der Bedeutung der Themen sind die folgenden Kapitel über Schwierige Situationen ( d.i. Emotionen des Patienten, S. 64 -68), Anspruchsvolle Konstellationen (schlechte Nachrichten, Patienten aus anderen Kulturräumen, Kritik, Therapieende, S. 69-72) und Widerstände und Grenzen (S. 73-75) sehr knapp ausgefallen.

Ausführlicher geraten ist Die Elternberatung (S. 76-85). Es gibt tabellarische Aufstellungen zu Elternstilen, zu Bindungserfahrungen und Kindheitsrollen, einen Abschnitt zum „Elterngespräch“ (über das Kind bzw. die Kinder), einen über „das Gespräch mit beiden Eltern“ (u.a. Streit zwischen Eltern, Geheimnisse, paar- und familiendynamische Konflikte, Stützen der Eltern).

Das Buch schließt mit Kapiteln über Psychohygiene der Beratenden (S. 86–89, enthält tabellarisch aufgeführte Tipps und Hinweise zu Symptomen für Burnout-Gefahr), über Intervision und Supervision (S. 90-91), über Weiterbildungsmöglichkeiten (S. 92-93) und mit einem Selbsttest (Sind Sie eine gute Therapeutin, ein guter Therapeut? S. 94-95), mit Buchempfehlungen und dem Literaturverzeichnis.

Diskussion und Fazit

Das Buch trägt einen anspruchsvollen Begriff im Titel, immerhin ist Psychosoziale Beratung im Diskurs um die Bestimmung und Präzisierung des Beratungsbegriffes und um die Eigenständigkeit dieser Form sozialer Unterstützung – auch in Abgrenzung zur Psychotherapie – ein etablierter Begriff (vgl. z.B. Rechien, 2018). Daher lässt sich mit gewisser Berechtigung erwarten, dass es um mehr geht als um Ratschläge zur Gestaltung von einfühlsamen Gesprächen. Zentrale Bestimmungsgröße Psychosozialer Beratung ist – neben den Abgrenzungs- und Professionalisierungsbemühungen (dazu Hoff, Zwicker-Pelzer, 2015, Rechtien, 2009a, 2009b, Seel, 2009) – die Differenzierung und das Zusammenwirken von transitiver und reflexiver Beratung (Seel, 2014). Das findet in diesem Buch allerdings keinen Niederschlag. Insofern kann der Titel unzutreffende Erwartungen wecken: es geht letztendlich nicht um psychosoziale Beratung, sondern um Hinweise zu therapiebegleitender einfühlsamer Gesprächsführung.

Literatur

  • Hoff, T., Zwicker-Pelzer, R. (2015), Gegenwärtige Entwicklungen in der Profession und Wissenschaft von Beratung, in: Hoff, T., Zwicker-Pelzer, R. (Hrsg), Beratung und Beratungswissenschaft. Baden-Baden: Nomos. S. 13-28
  • Lüsebrink, H.-J. (2012), Interkulturelle Kommunikation. Interaktion, Fremdwahrnehmung, Kulturtransfer. Stuttgart: Metzler
  • Rechtien, W., Beratung. socialnet Lexikon. Bonn: socialnet, 2018 [online]. www.socialnet.de/lexikon/Beratung
  • Rechtien, W. (2009a), Beratung auf dem Weg vom Beruf zur Profession, in: W. Rechtien, J. Waldhecker, H. E. Lück, G. Sewz (Hrsg), Personzentrierte Beratung. Beiträge zur Fundierung professioneller Praxis. Köln: GwG-Verlag. S. 345-353
  • Rechtien, W. (2009b), Professionalisierung des Beratungswesens – die Ausbildung, in: Journal für Psychologie, 16,1, [online] www.journal.fuer-psychologie.de/index.php/jfp/issue/view/23
  • Seel, H.-J. (2014), Beratung: Reflexivität als Profession. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht
  • Seel, J., ( 2009) Professionalisierung von Beratung – Fragen und Thesen, in: Journal für Psychologie, 16,1, [online] www.journal.fuer-psychologie.de/jfp-1-2009-02.html

Rezension von
Dr. Wolfgang Rechtien
Bis 2009 Vorstandsmitglied und Geschäftsführer des Kurt Lewin Institutes für Psychologie der FernUniversität sowie Ausbildungsleiter für Psychologische Psychotherapie.
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Es gibt 38 Rezensionen von Wolfgang Rechtien.

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Zitiervorschlag
Wolfgang Rechtien. Rezension vom 25.06.2018 zu: Jürg Kollbrunner: Psychosoziale Beratung in Therapieberufen. Schulz-Kirchner Verlag (Idstein) 2017. ISBN 978-3-8248-1215-8. Reihe: VARIO Wissen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24336.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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