Eberhard von Einem: Wohnungen für Flüchtlinge
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Domes, 28.05.2018

Eberhard von Einem: Wohnungen für Flüchtlinge. Aktuelle sozial- und integrationspolitische Herausforderungen in Deutschland.
Springer VS
(Wiesbaden) 2017.
41 Seiten.
ISBN 978-3-658-17859-8.
D: 9,99 EUR,
A: 10,27 EUR,
CH: 10,50 sFr.
Reihe: Essentials.
Thema
Von Einem geht der Frage nach, wie es gelingen kann, Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland in bezahlbaren Wohnungen unterzubringen. Sein Fokus liegt auf den wohnungspolitischen Herausforderungen abseits von Notunterkünften, „(…) denn ohne feste Wohnungen kann die gesellschaftliche Integration nicht beginnen, geschweige denn gelingen“ (Klappentext des Buches). Dabei wird insbesondere das Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft in den Blick genommen.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist in der Reihe essentials erschienen. Die Reihe liefert lt. Verlagsangaben Wissen in konzentrierter Form. Sie dient als Einführung und Einstieg in ein aktuelles Thema.
Zielgruppen
Als Zielgruppen werden genannt: Studierende und Lehrende (Soziologie; Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft; Architektur); Praktiker*innen in Politik und Verwaltung; Mieterinitiativen, Flüchtlingshelfer*innen und Zivilgesellschaft.
Autor
Prof. Dr. Eberhard von Einem ist Gastwissenschaftler für Stadt- und Regionalökonomie am Center for Metropolitan Studies der Technischen Universität Berlin. Seine Schwerpunkte sind u.a. wirtschaftlicher Strukturwandel in Städten und Regionen, Regionalforschung und Wohnungs-, Büro- und Gewerberaummarkt.
Aufbau
Das Buch ist in sechs Kapitel und ein Literaturverzeichnis gegliedert.
- Angekommen
- Überforderung?
- Engpässe des Wohnungsmarktes
- Was ist zu tun?
- Dezentralisierung
- Integration: Zusammenwirken von Kommunalpolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft
Inhalt
Das erste Kapitel Angekommen beginnt mit der Darstellung des Fallbeispiels einer afghanischen Großfamilie, die 2015 nach Hessen kommt, und deren gelungener (Integrations-)Erfahrungen. Daraufhin kommt von Einem auf die sich 2016 veränderte Anerkennungspraxis afghanischer Asylanträge zu besprechen. Er stellt fest: „Die Abschiebung in das kriegszerstörte und umkämpfte Afghanistan ist keinesfalls sicher und verstößt gegen die Menschenrechte“ (S. 3).
Kapitel 2 Überforderung? thematisiert die durch die 2015 stark angestiegene Zahl von Menschen mit Fluchterfahrung kritische Situation auf dem Wohnungsmarkt. Von Einem identifiziert folgende Herausforderungen: Unterbringung in angemessenen und bezahlbaren Wohnungen (Fokus der Publikation), Beschulung, Sprachunterricht, Berufsausbildung, Krankenversorgung und Öffnung des Arbeitsmarktes.
Es folgt ein kurzer historischer Abriss der verschiedenen Flüchtlings-/Migrationsbewegungen nach Ende des Zweiten Weltkriegs sowie der demografischen Entwicklung innerhalb Deutschlands. Der Autor betont die Verpflichtung (humanitär, rechtsstaatlich und christlich) der „reichen Bundesrepublik“ (S. 8), im Sinne des Grundgesetzes und der Menschenrechtscharta Fremden Asyl zu gewähren, „ganz abgesehen davon, dass Zuwandernde aus anderen Ländern langfristig ein Gewinn sind“ (S. 8). Am Ende des Kapitels folgt eine Überleitung zu den Herausforderungen der Verwaltungen in Bezug auf die Unterbringung der Menschen mit Fluchterfahrung.
Kapitel 3 wirft einen Blick auf die Engpässe des Wohnungsmarktes. Von Einem stellt eine Spaltung des Wohnungsmarktes seit den 2000er Jahren fest: Zu wenig Wohnungsneubau (wenn, dann vor allem hochpreisige Miet- und Eigentumswohnungen), steigende Mieten, so gut wie keine neuen Sozialwohnungen. „Der Zustrom an Flüchtlingen“ (S. 13) verschärft diese Situation. Der Autor konstatiert „Ratlosigkeit sowohl in den Ministerien und Kommunalverwaltungen, als auch bei Wohnungsunternehmen und den Verbänden (…)“ (S. 13). Notunterkünfte dürfen nicht Dauereinrichtungen werden. Vielmehr benötigen Menschen mit Fluchterfahrung, deren Asylanträge angenommen wurden oder die als Geduldete eine Bleibeperspektive erhalten, auch eine „dauerhafte Bleibe im preisgünstigen Segment des geschichteten Wohnungsmarktes“ (S. 14).
Um die Dimension der Problematik aufzuzeigen, skizziert der Autor in Kapitel 4 Was ist zu tun? verschiedene Hemmnisse, die als Probleme bezeichnet werden, u.a. Mietrecht, Abschaffung der Objektförderung, Bauen ist teuer, zu wenig öffentliche Förderung, fehlende Anreizwirkungen, Planen und Bauen braucht Zeit. Auch wenn es mittlerweile Maßnahmen gibt, diese Hemmnisse anzugehen, hält es von Einem für „unrealistisch zu erwarten, dass damit die aktuellen Engpässe schnell zu beseitigen sind“ (S. 22).
Als möglichen Ansatzpunkt plädiert der Autor in Kapitel 5 für eine Dezentralisierung. „Im Sinne schneller Lösungen ist es deshalb zwingend erforderlich, leere Wohnungen dort zu mobilisieren, wo es sie gibt: in strukturschwachen, schrumpfenden Städten sowie im ländlichen Raum, denn dort finden sie (Menschen mit Fluchterfahrungen) schneller Platz zum Wohnen“ (S. 27). Dies erfordert allerdings einen übergreifenden politischen Ansatz, der verschiedene Aspekte beinhaltet: Sozialpolitische Konzepte der Gewaltprävention, Initiativen der sozialen und psychischen Betreuung und arbeitsmarktpolitische Konzepte.
Dieser Ansatz wird im letzten Kapitel Integration: Zusammenwirken von Kommunalpolitik, Verwaltung und Zivilgesellschaft skizziert. Dies kann im ländlichen Raum oder in Quartieren mittlerer Städte lt. von Einem besser funktionieren, als durch eine zentrale top-down Rundumverwaltung durch Großstadtverwaltungen. „Integration setzt soziale Nähe voraus“ (S. 32). Er hebt die positive Funktion der Integration von Kindern und Jugendlichen im schulischen Bereich (Schulen als Brückenbauer), aber auch der ehrenamtlich tätigen Vor-Ort-Initiativen (Partner der Verwaltung) hervor. Konkrete Nachbarschaften (persönliche Begegnungen und Beziehungen) begünstigen „das Entstehen lokaler Milieus der sozialen Anerkennung“ (S. 33). Das Kapitel schließt mit einer vierfachen Aufgabe für lokale Politiker*innen: Aktivierung von leeren Wohnungen zu erschwinglichen Mieten, Ermutigung zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen und Leerstellen bei gleichzeitiger Erschließung von Fördermitteln, Förderung präventiver sozialpolitischer Maßnahmen (Soziale Stadt, Soziales Dorf) sowie Einbindung und Unterstützung freiwilliger Helfer*innen der Zivilgesellschaft.
Diskussion und Fazit
Die Thematik des Buches ist hochaktuell. So titelt eine Pressemitteilung/Stellungnahme des DBSH Berlin vom 8. März 2018: Wohnkosten für arbeitende Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften zu hoch (DBSH/ Landesverband Berlin 2018). Insofern war der Rezensent gespannt, welche Beiträge/Impulse die Publikation „Wohnungen für Flüchtlinge“ zur Debatte beisteuert.
Die einzelnen Kapitel sind knapp und verdichtet, dabei trotzdem gut lesbar geschrieben. Es handelt sich ja auch um ein essential. Der Stil ist zum Teil essayistisch. Leider wurde im Buch nicht erwähnt, ob die Kapitel als Texte bereits in einem anderen Kontext publiziert wurden. Zugleich bleiben dadurch auch immer wieder Inhalte an der Oberfläche; Inhalte, hinter denen komplexe Diskurse stehen, werden sehr verkürzt dargestellt. Die Einordnung in einen größeren, differenzierten Kontext kann (und muss) allerdings natürlich auch Aufgabe der Leser*innen sein. Die Publikation ist als Einstieg in das Thema konzipiert.
Problematisch sieht der Rezensent die Verwendung bestimmter Begrifflichkeiten der Publikation. So wird immer wieder von Flüchtlingen, der Flüchtlingswelle oder auch dem Zustrom von Flüchtlingen gesprochen – ohne einen Hinweis auf die den Begriffen inhärente problematische Konnotation bzw. den kontroversen Diskurs dahinter (Zum Diskurs hierüber vgl. zum Beispiel Polzin 2016). Dies mag der Form des Textes geschuldet sein oder auch beabsichtigt im Sinne einer Irritation, hätte aber in einer wie auch immer gewählten Art und Weise eine Erklärung erfordert – gerade auch, weil von Einem durchgängig für eine veränderte, sich an den Menschenrechten orientierende Praxis sowie Sozial- und Integrationspolitik plädiert. „Eine Umkehr der Perspektive ist angesagt“ (S. 28).
Das Buch liefert Impulse für eine weitergehende Auseinandersetzung und lädt zum kritischen Diskutieren ein, beispielweise in einem Seminar mit Studierenden. Es kann als erster Einstieg in die Thematik dienen. Als Vertreter der Disziplin und Profession Sozialer Arbeit empfiehlt der Rezensent aber ausdrücklich die Verknüpfung der Inhalte mit weiteren, vertiefenden Publikationen zum Thema (zum Beispiel Bröse & Faas & Stauber 2018; Prasad 2018; Kunz & Ottersbach 2017; Ghaderi & Eppenstein 2017; Schirilla 2016). Dies könnte dann auch eine Erweiterung der Perspektive im Sinne interdisziplinärer Zugänge für die vom Verlag angegebene Zielgruppe von Studierenden und Lehrenden der Soziologie, Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaft und Architektur darstellen.
Literatur
- Bröse, J. & Fass, S. & Stauber, B. (Hrsg.) (2018): Flucht. Herausforderungen für die Soziale Arbeit, Wiesbaden: Springer VS. (Rezension in Arbeit)
- DBSH/Landesverband Berlin (Hrsg.) (2018): Pressemitteilung/Stellungnahme. DBSH Berlin: Wohnkosten für arbeitende Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften zu hoch. Verfügbar unter: www.dbsh.de (11.05.2018).
- Ghaderi, C. & Eppenstein, T. (Hrsg.) (2017): Flüchtlinge. Multiperspektivische Zugänge, Wiesbaden: Springer VS. Vgl. die Rezension.
- Kunz, T. & Ottersbach, M. (Hrsg.) (2017): Flucht und Asyl als Herausforderung und Chance der Sozialen Arbeit, 1. Sonderheft 2017 Migration und Soziale Arbeit, Weinheim: Beltz Juventa. Vgl. die Rezension.
- Polzin, K. (2016): „Flüchtling“ – Annäherung an eine wirkmächtige Bezeichnung. In: FORUM für Kinder- und Jugendarbeit 3/2016, 41–45.
- Prasad, N. (Hrsg.) (2018): Soziale Arbeit mit Geflüchteten. Rassismuskritisch, professionell, menschenrechtsorientiert, Opladen: Budrich. (Rezension in Arbeit)
- Schirilla, N. (2016): Migration und Flucht. Orientierungswissen für Soziale Arbeit, Stuttgart: Kohlhammer. Vgl. die Rezension.
Rezension von
Prof. Dr. Michael Domes
Diplom-Sozialpädagoge, Professor für Theorien und Handlungslehre in der Sozialen Arbeit, TH Nürnberg Georg Simon Ohm
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