Stefan Groß: Moderationskompetenzen
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 23.08.2018
Stefan Groß: Moderationskompetenzen. Kommunikationsprozesse in Gruppen zielführend begleiten. Springer Gabler (Wiesbaden) 2018. 183 Seiten. ISBN 978-3-658-16904-6. D: 29,99 EUR, A: 30,83 EUR, CH: 31,00 sFr.
Autor
Dr. Stefan Groß (*1978) ist Diplom-Pädagoge. Seine Promotion an der Universität Würzburg in Erziehungswissenschaft (2010) diskutiert «die Sache der Emanzipation» bei Klaus Mollenhauer. Groß ist systemischer Berater, Coach und Moderator sowie MBTI®-Trainer und arbeitet für einen bekannten Anbieter für Moderationsseminare, Prozessbegleitungen und Beratungen. Weiter lehrt er als Gastdozent an Fach- und Hochschulen im deutschsprachigen Raum und weiteren Ausland.
Thema
«Moderationskompetenzen» versteht sich als «theoretisch reflektiertes Praxisbuch», das «eine zeitgemäße Handreichung für die zahlreichen Herausforderungen von dynamischer Moderation im 21. Jahrhundert» bietet, also Instruktion, Nachschlagewerk und Lernbuch für Moderatoren. Damit reiht es sich ein in eine bereits existierende Große Zahl von Fach- und Lehrbüchern, die Moderation in verschiedenen Kontexten – von der Selbsthilfegruppe bis zum Strategieworkshop – instruieren. Die Endnote-Recherche brachte ca. 40 Neuerscheinungen seit 2000 zum Thema Moderation, warum also ein weiteres und was macht es besonders?
Der Verlagstext verspricht die kompakte und fundierte Vermittlung von Moderationskompetenz für alle, die Besprechungen, Meetings, Workshops oder Projektrunden erfolgreich leiten wollen. Der Anspruch des Buchs wird formuliert als «weg von Tools und Methodenfeuerwerk, hin zu einem umfassenden Kompetenzverständnis, das hilft, reflexiv zu moderieren, Komplexität handhabbar und Veranstaltungen effektiv und effizient zu machen.
Aufbau und Inhalt
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Das Geleitwort von Beiderwellen zu Beginn schlägt eine schwerfällige und abstrakt-systemtheoretische Tonalität an – System, Oszillation, Viabilität, Komplexität(sreduktion und -erhöhung), Wirklichkeit als Konstruktionsleistung von Gehirnen usw., ein systemtheoretisches Verständnis erscheint zu Beginn also Basis zu sein. Allerdings geht der Vorspann an der darauffolgenden theoretischen Offenheit und Praxisnähe deutlich vorbei und fokussiert eher willkürlich auf ausgewählte Aspekte, die Beiderwellen offensichtlich gefielen. Dem Buch wird das nur unzureichend gerecht, man lasse sich vom Geleitwort nicht irritieren.
Kapitel 1 «Wozu Moderation» beschreibt die Komplexität, Beschleunigung und Dynamik in modernen Organisationen, die nach Groß neue Formen von Führung, Kooperation, Problemlösung und Entscheidung erfordern – meist jenseits von klassischen Hierarchien in projekt- und netzwerkartigen Organisationsformen und unter starker Zunahme von Kooperation und Kommunikation in Gruppen. Beteiligung und Kooperation (der relevanten Akteure) sieht er als Antwort auf diese organisationalen Herausforderungen, wobei der Ruf nach Moderation dann zwangsläufig ist. Wozu also Moderation? Für zielorientierte, effektive und effiziente Kommunikationsprozesse in Gruppen. Groß sieht durchaus, dass Gruppen nicht schon effektiver sind als Einzelpersonen, dennoch findet sich zu Beginn ein Bild von Teams und Gruppen, das leicht euphorisch wirkt.
Kapitel 2 beantwortet die Frage «Was zeichnet gute Moderation aus».
Der Autor geht auf relevante Dimensionen (Sache-Beziehung, Gruppe-Thema-Moderator, Prozessgestaltung, Interaktionsbegleitung und Informationssteuerung) von Moderation ein. Er erläutert sein Kompetenzverständnis («weg vom Methodenfeuerwerk hin zu umfassend verstandener Moderationskompetenz») und beschreibt das nötige Wissen und Können, Wahrnehmen und Handeln, um hilfreiche Interventionen setzen zu können. Hier klingt einiges aus dem Nähkästchen geplaudert, der Autor zeigt wie im ganzen Buch große Erfahrung und gibt viele praktische Empfehlungen.
Im Weiteren führt Groß ein in die sechs Kompetenzfelder, die in den folgenden Kapiteln detailliert beschrieben werden:
- Methoden (richtig einsetzen),
- Gruppenprozesse (steuern),
- Themen und Anlässe (unterscheiden),
- Organisation und Kontext (einbeziehen),
- Beziehung und Kontakt (herstellen),
- Rolle und Selbstverständnis (klären).
Kapitel 3 beschreibt, was es braucht, damit Moderatoren «Methoden richtig einsetzen». Das Kapitel stellt eine Art Meta-Anleitung zur methodischen Gestaltung dar, der Autor empfiehlt, die Moderationsklassiker zu nutzen und nicht jeder Methodenmode hinterherzulaufen, Methoden nutzenstiftend einzusetzen, die Reife der Gruppe zu berücksichtigen, methodisch zu variieren und in allem ein professionell-handwerkliches Verständnis zu entwickeln: «Meisterschaft», wissen, was man tut, Qualitätsansprüche an sich selbst. Der Autor verzichtet auf die Darstellung von Moderations-Tools, die Hinweise dazu finden sich dann im Literaturverzeichnis, das jedem Kapitel angefügt ist.
Kapitel 4 instruiert zum «Gruppenprozesse steuern» mit vier zentralen Werkzeugen – die Moderation entlang von Prozessabläufen (mit der Balance von Struktur und Flexibilität), die Gestaltung von Settings (in denen Menschen die Möglichkeit haben, an dem zu arbeiten, was sie wirklich bewegt), das Strukturieren und Ordnen von Themen (also Aufräumen von Gedanken, Fragen, Argumenten und Ergebnissen) und die Arbeit mit Regeln (wenn möglich gemeinsam mit den Teilnehmern erarbeitet).
Kapitel 5 «Themen und Anlässe unterscheiden» legt nahe, vier Typen von moderierten Veranstaltungen zu unterscheiden:
- «Problemlösung»,
- «Entscheidung»,
- «Konfliktklärung/Mediation» und
- «kreativ-ergebnisoffenes Arbeiten» bei «Innovationsvorhaben».
Groß geht im Folgenden auf die Konsequenzen für die Prozessgestaltung und Moderation dieser vier Anlasstypen ein und gibt hilfreiche Anregungen zu spezifischen Dynamiken, zu Fallen und Risiken und zur effektiven Bewältigung der Anlassformen. Natürlich sind acht Seiten zu Mediation/Konfliktklärung oder sechs Seiten zu Design Thinking inhaltlich limitiert, aber die Anregungen sind wertvoll und treffen den Kern der Arbeit in den jeweiligen Anlassformen.
Ich erlaube mir, die Kapitel zu den folgenden vier Kompetenzfeldern abzukürzen, sie führen in ähnlich praktischer, theoretisch fundierter Art und reflexiver Grundhaltung in die weiteren Bereiche ein.
Kapitel 6 «Organisation und Kontext einbeziehen» gibt Hinweise dazu, organisationale Einflussfaktoren zu berücksichtigen, ohne die keine Veranstaltung erfolgreich sein kann. Weiter werden Empfehlungen zum Transfer und der Sicherung von Anschlussmöglichkeiten gegeben.
Kapitel 7 «Beziehung und Kontakt herstellen» beschreibt das immer vorhandene Dreiecksverhältnis von Auftraggeber, Teilnehmer und Moderator, die Dynamiken in diesem Dreieck und das, was nötig ist, um es konstruktiv zu gestalten. Weiter wird auf das Kernthema Nähe und Distanz eingegangen.
Kapitel 8 unterstützt die Entwicklung von «Rollenklarheit und Selbstverständnis» des Moderators. Dabei wird die systemtheoretisch für jede Beratung geforderte Neutralität und Allparteilichkeit wohltuend damit kontrastiert, dass Moderatoren sich häufig nicht verstecken können, sondern auch Position beziehen können müssen. Groß versteht Moderatoren als «Facilitators», die eine unterstützende Haltung einnehmen und mit Maß und Leichtigkeit Ermöglicher sein sollten, aber auch gelegentlich in ihrer Expertenrolle gefragt sind. Den Kern des Rollenverständnisses sieht Groß in der Verantwortung für den Prozess der Gruppe, zu dem er fünf Ankerpunkte beschreibt: Transparenz herstellen, das Aktivieren und das Integrieren von Themen und Menschen, das Verfolgen eines roten Fadens und Strukturieren und Organisieren.
Kapitel 9 gibt Anregungen, wie Moderatoren während des Prozesses «Visualisierung wirkungsvoll einsetzen» können. Die Funktionen und Wirkungsweise von Visualisierungen werden erläutert und einige handwerkliche Hinweise gegeben.
Kapitel 10 gibt Anregungen dazu, wie Novizen «Moderation lernen» können. Groß versteht Expertise in Moderation sowohl als Handwerk und Kunst. Diese verortet er in sieben Lern- und Transferräumen, die er
- «Vordenken»,
- «Lagern»,
- «Spielen»,
- «Machen»,
- «Austauschen»,
- «Teilnehmen» und
- «Entspannen»
nennt und in der Folge beschreibt. Gerahmt ist dieses Bild von Lernen mit einem an Peter Bieri – «Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst» – orientiertem Bildungsverständnis (Bieri 2005), dass formelle, informelle und selbstgesteuerte Lern- und Transferprozesse integriert – und im bekannten Sinne «deliberate practice» (Ericsson 2006; Ericsson et al. 2015) fordert.
Diskussion
Das Buch arbeitet Moderationskompetenzen auf konsequente Art durch und gibt so für Novizen eine grundlegende – und besonders wichtig – reflexive Orientierung. Es gibt aber auch für erfahrenere Moderatoren interessante Anregungen. Das Buch durchzieht ein in der Haltung durchgetragener partizipativer Ansatz (unaufdringlich systemisch, unaufdringlich emanzipatorisch): Demokratisierung, Grundhaltung Beteiligung, Partizipation, Dezentralisierung wirken gelebt – und werden dabei nicht verwechselbar mit basisdemokratischer Dogmatik. Groß hat eine erhebliche Menge anregende Literatur verarbeitet, dabei das Buch nicht systemtheoretisch enggeführt, sondern breit und offen in den Anregungen zur persönlichen Vertiefung gestaltet.
Dazu liefert es wertvolle theorie- und erfahrungsgeleitete Empfehlungen, aus denen sich Landkarten bilden können und die zu reflexiver Moderation anleiten, aber auch Fragen und Fragemuster, die zu guten Vorüberlegungen und kritischer Beobachtung und Intervention einladen. Die Graphiken sind hilfreich gesetzt und geben gute Übersichten. Wohltuend ist auch der Verzicht aufs Bedienen der beim Publikum häufigen Toolversessenheit.
Die Zitate zu Beginn der Kapitel am Anfang sind hübsch, animierend und passend. Am Ende jedes Kapitels findet sich die Literatur, hilfreich zur Vertiefung. Einzige Kritik: Groß singt das Loblied von Beteiligung und Kooperation, gelegentlich wirkt das ein wenig wie die Wiederkehr der 1990er «Team-über-alles»-Euphorie, auch wenn dies teils relativiert wird.
Fazit
Das Buch ist eine Einladung zur vertieften und reflexiven Entwicklung der eigenen Rolle, Funktion und reflexiven Handlungskompetenz als Moderator – so gesehen eher ein Begleiter für langfristige Lernprozesse (die berühmten „10.000 Stunden Praxis“) als für schnellen Konsum – empfohlen allen, die sich vertieft mit Moderationskompetenzen auseinandersetzen möchten oder schon dabei sind. Für die Moderatorenausbildung könnte es ein „Framework“ sein, mit dem sich dann handwerklich-methodische, tool-orientierte Bücher gut ergänzen.
Literatur
- Bieri, Peter (2005). Wie wäre es, gebildet zu sein? Festrede an der Pädagogischen Hochschule Bern vom 4.11.2005. In: Neue Zürcher Sonntagszeitung.
- Ericsson, Karl Anders (2006). The Cambridge handbook of expertise and expert performance. Cambridge: Cambridge University Press.
- Ericsson, Karl Anders/Pool, Robert & Gockel, Gabriele (2015). Top: die neue Wissenschaft vom bewussten Lernen. München: Pattloch-Verlag.
- Groß, Stefan (2010). Zwischen Politik und Kultur: pädagogische Studien zur Sache der Emanzipation bei Klaus Mollenhauer. Würzburg: Königshausen & Neumann.
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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Zitiervorschlag
Wolfgang Widulle. Rezension vom 23.08.2018 zu:
Stefan Groß: Moderationskompetenzen. Kommunikationsprozesse in Gruppen zielführend begleiten. Springer Gabler
(Wiesbaden) 2018.
ISBN 978-3-658-16904-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24364.php, Datum des Zugriffs 09.11.2024.
Urheberrecht
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