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Eike-Christian Hornig: Mythos direkte Demokratie

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 04.06.2018

Cover Eike-Christian Hornig: Mythos direkte Demokratie ISBN 978-3-8474-2134-4

Eike-Christian Hornig: Mythos direkte Demokratie. Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. 169 Seiten. ISBN 978-3-8474-2134-4. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.

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Thema

Unsichere Zeiten sind goldene Zeiten für Populisten. Die irritierenden, demokratieskeptischen, -feindlichen, gedankenlosen, lokalen und globalen Tendenzen, die Werte und Errungenschaften der Demokratie als Herrschaft des Volkes zu negieren, müssen die Demokratinnen und Demokraten in der Gesellschaft auf den Plan rufen ( Yascha Mounk, Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24188.php). Der wissenschaftlich-politische Demokratiediskurs wird u.a. dadurch geführt, dass die Demokratie als freiheitliche Lebensform von anderen Macht- und Regierungsformen unterschieden und als die beste der möglichen, kollektiven Ordnungssysteme erkannt wird. Der traditionellen, indirekten, parlamentarischen Demokratie wird die direkte Demokratie gegenüber gestellt; und es werden an sie Erwartungen geknüpft, die die scheinbar oder auch tatsächlich vorhandenen nachteiligen oder einschränkenden demokratischen (Volks-)Beteiligungen bei der indirekten Demokratieform ausgleichen oder aufheben zu können. Diese Möglichkeit wird kontrovers diskutiert (Ursula Münch / Uwe Kranenpohl / Eike-Christian Hornig, Hrsg., Direkte Demokratie. Analysen im internationalen Vergleich, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/19779.php). Politik- und Demokratiebewusstsein ist eine Bildungsanforderung. Das ist erneut ein Ergebnis, dass das ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität ermittelt hat; „Wer rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien präferiert, ist im Durchschnitt verbitterter als Anhänger anderer Parteien“..

Autor und Inhalt

Der Juniorprofessor für Demokratie- und Demokratisierungsforschung an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, Eike-Christian Hornig, nimmt die demokratieskeptischen und -feindlichen, populistischen, lokalen und globalen Entwicklungen zum Anlass, danach zu fragen, ob die direkte Volksbeteiligung, wie sie in der Form der direkten Demokratie tatsächlich oder auch nur als Defizit empfunden wird, eine Alternative zur indirekten Demokratie darstellt, und ob die Erwartungshaltungen, dass die tatsächlichen oder gefühlten Unzulänglichkeiten der repräsentativen Politik durch eine direkte, aktive politische Teilhabe aufgehoben werden können. Der Autor will mit seinem Essay der zunehmenden Mythologisierung der direkten Demokratie entgegentreten, zu einer sprachlichen Versachlichung beitragen und vor einer allzu missverständlichen, alltäglichen Wahrnehmung warnen.

Das Buch wird, neben der Einführung und dem abschließenden Appell für eine demokratische Beteiligung, in drei Kapitel gegliedert.

  1. Im ersten Kapitel werden „Mythos und Gegenmythos in Zeiten des Populismus“ thematisiert;
  2. im zweiten wird die „Praxis repräsentativer und direkter Demokratie“ reflektiert; und
  3. im dritten Kapitel werden Beispiele von „direkt (r) Demokratie auf Bundesebene“ vorgestellt und damit deutlich gemacht, wann, wo und wie eine direkte politische Teilhabe und Mitbestimmung funktionieren kann.

Die populistischen, wohlfeilen, auf allzu vereinfachenden Fragen und Antworten basierenden Einstellungen gründen auf trennenden und nicht gemeinschaftsbildenden Annahmen von den Eliten und Bevorzugten da oben, und den Benachteiligten da unten. Es wird also von vornherein die Konfrontation und nicht die gesellschaftliche Einigung gesucht. Die Ankündigung der AfD beim Einzug in den Bundestag – „Wir werden sie jagen!“ – kann als Exempel für eine Politik verstanden werden, nicht im Kompromiss und im kommunikativen und fairen Ringen politische Entscheidungen durchzusetzen, sondern mit der provozierenden Konfrontation und Fake News Anhänger und Gefolgsleute zu gewinnen. Diese Methoden benutzen nicht nur die deutschen, rechtsradikalen, nationalistischen, rassistischen, ego- und ethnozentrierten Populisten, sondern auch diejenigen in anderen europäischen Ländern, in den USA und weltweit: „Insgesamt wird ein Zerrbild von der repräsentativen Demokratie gezeichnet, bei dem sich die Merkmale des politischen Populismus… wiederfinden lassen“. Es sind auch die hochgelobten, wirklichkeitsfernen und fantastischen (Heils-) Erwartungen an die Instrumente der direkten Demokratie, wie Volksabstimmung und Gesetzesselbstbestimmung, die sich in einem Mischmasch von Wutbürgern, ratlosen und verunsicherten Parteien und komplizierten, vom Bürger nur schwer zu durchschauenden, politischen Entscheidungs- und Abstimmungsverfahren wiederfinden.

Die allenthalben beklagte Parteienkrise, die egoistischen und unaufgeklärten Ohne-mich-Einstellungen, Neidkomplexe und traditionalistische, rassistische und Höherwertigkeitseinstellungen, werden von den Populisten genutzt. Auch Vergleiche mit (funktionierenden) direktdemokratischen Systemen in anderen Gesellschaften, etwa in der Schweiz, taugen wenig, um direktdemokratische Strukturen in Deutschland einzuführen.

Der Autor betont immer wieder, dass es nicht darum gehen kann, das eine, indirekte demokratische System als Allheilmittel oder als Höllenfahrt zu deklarieren, wie das andere, direkte Teilhabe-Instrument in gleicher Weise zu mythologisieren; vielmehr kann es nur darum gehen, im Verständnis und Diskurs zur Praktizierung und Verteidigung der Demokratie als Lebensform danach Ausschau zu halten, wie die tatsächlichen, störenden, demokratisches Denken und Handeln behinderten Defizite im gesellschaftspolitischen, fairen, menschenwürdigen und humanen Miteinander korrigiert und behoben werden können. Aus diesen Überlegungen konstruiert der Autor den Vorschlag, ein obligatorisches Referendum auf Bundesebene einzuführen: „Das obligatorische Referendum soll in zwei Varianten der parteipolitisch motivierten Blockade über den Bundesrat entgegenwirken und politische Entscheidungen zusätzlich demokratisch legitimieren“. Mit diesen obligatorischen Referenden soll zum einen ein vom Volk entschiedenes Korrektiv bei der regulären Gesetzgebung, zum anderen bei der Verfassungsgesetzgebung und -änderungen wirksam werden. Damit könnte es gelingen, in der Gesellschaft das politisch-aktive Bewusstsein zu stärken.

Fazit

Die vielfachen Argumentationen, Begründungen und Defizithinweise bei der Betrachtung der beiden wichtigsten Demokratieformen, der indirekten, parlamentarischen und der direkten (Basis-) Demokratie, gründen auf der Überzeugung, dass die Demokratie als Lebensform unverzichtbar für ein menschenwürdiges, humanes Dasein für alle Menschen auf der Erde ist. Wenn der Autor versucht, in seinem Essay „nicht nur eine Richtigstellung dessen, was direkte Demokratie ist und sein kann, sondern auch (klärt), was politische Parteien sind, sein können oder sein müssen“, dann begibt er sich auf das notwendige Feld, zur Bildung eines Demokratiebewusstseins beizutragen.

Diese lesenswerten und (allgemein)verständlichen Argumentationen sollten in der schulischen, universitären und Erwachsenenbildung herangezogen werden!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 04.06.2018 zu: Eike-Christian Hornig: Mythos direkte Demokratie. Praxis und Potentiale in Zeiten des Populismus. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2017. ISBN 978-3-8474-2134-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24371.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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