Jörg Middendorf: Lösungsorientiertes Coaching
Rezensiert von Peter Schröder, 11.07.2018

Jörg Middendorf: Lösungsorientiertes Coaching. Kurzzeit-Coaching für die Praxis.
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
(Wiesbaden) 2018.
64 Seiten.
ISBN 978-3-658-19195-5.
D: 9,99 EUR,
A: 10,27 EUR,
CH: 10,50 sFr.
Reihe: Essentials.
Thema
Coaching nutzt in hohem Maße die Konzepte psychotherapeutischer Schulen. Besonders NLP, Verhaltenstherapie und die Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie haben sich dabei bewährt. Letztere stellt Middendorf in der Springer-Reihe „essentials“ vor. Die Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie wurde in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von Steve de Shazer und seiner Frau Insoo Kim Berg entwickelt. Häufig wirkt sie so, als müsse man nur einer Art „Manual“ folgen und der Coachingerfolg sei beinahe garantiert. Die Fragen wirken einfach, der Ablauf leicht, die Perspektiven kreativ. Zudem lenkt die Lösungsfokussierung den Blick weg vom Problem hin zur Lösung, das wird als entlastend erlebt – nicht nur von Klienten, sondern auch von Coaches.
Gleichzeitig basiert diese Therapieform auf grundlegenden philosophischen Einsichten: de Shazer war ein hervorragender Kenner der Philosophie Ludwig Wittgensteins. So gründet dieses Konzept beispielsweise auf dem Gedanken der Unabhängigkeit von Lösung und Problem, auf der Unterscheidung von Wunsch und Willen und nicht zuletzt auf dem Satz Wittgensteins, „die Welt des Glücklichen sei eine andere als die Welt des Unglücklichen“ (Tractatus 6.43). Wer diesen Hintergrund nicht mitbedenkt, wird auf Dauer vermutlich nicht gut mit dem lösungsfokussierten Ansatz arbeiten können. Auch Middendorf weist auf diesen Hintergrund hin, kann ihn aber natürlich im Rahmen eines „essential“-Bandes nicht darstellen.
Die Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie ist, mit einem Wort de Shazers, „simple but not easy“.
Autor
Jörg Middendorf ist Diplomspychologe, Senior Coach (DBVC) und leitet das BCO Büro für Coaching und Organisationsberatung in Frechen. Seit einigen Jahren veröffentlicht er regelmäßig Coachingumfragen, um empirische Daten über das Feld des Coachings zu erheben. Im Jahr 2018 erschien die 16. Umfrage. Am BCO bietet er außerdem Coachingweiterbildungen an, deren Schwerpunkt auf dem lösungsfokussierten Arbeiten liegt.
Aufbau und Inhalt
Der schmale Band enthält vier Kapitel:
- Einleitung
- Lösungsfokussierung
- Ablauf des lösungsfokussierten Coachings
- Handwerkszeug.
Ein Literaturverzeichnis beschließt den Band. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Die Einleitung beschreibt die Entstehungssituation und den Grundgedanken der Lösungsfokussierten Kurztherapie sowie die Geschichte, die der Autor mit diesem Konzept hat und was ihn daran begeistert.
Das zweite Kapitel schildert die Arbeitsweise von de Shazer und Kim Berg am BFTC (Brief Familiy Therapy Center) in Milwaukee. Es folgen dann acht Grund-Lehrsätze der lösungsfokussierten Arbeit:
- „Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren“,
- „Das, was funktioniert, sollte man häufiger tun“,
- „Wenn etwas nicht funktioniert, sollt man etwas anderes probieren“,
- „Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen“,
- „Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen“,
- „Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zu Problembeschreibung notwendig ist“,
- „Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können“ und
- „Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares“.
Eine Skizze der einzelnen Phasen des lösungsfokussierten Gesprächs beschließt das Kapitel.
Das dritte Kapitel zeigt den Ablauf eines lösungsfokussierten Coachings: Kontext und Joining (Aufbau der Arbeitsbeziehung und ggf. Überweisungskontext), Lösungsentwurf („Das Ergebnis definieren und differenzieren“), Ressourcen erkennen und entwickeln (mit verschiedenen Listen von möglichen Fragen), ein Konzept für die Folgesitzung (mit weiteren Fragen) und die drei Typen von Beratungsbeziehungen nach de Shazer.
Das vierte Kapitel bietet „Handwerkszeug“, nämlich „Klassiker“ wie die Wunderfrage, Skalenarbeit, First Session Formula Task und anderes.
Diskussion
Mit Middendorf teile ich uneingeschränkt die Begeisterung für die Lösungsfokussierte Kurztherapie und deren Anwendung im Coaching. Ich arbeite mit diesem Konzept und vermittle es als einen Schwerpunkt in Coachingweiterbildungen. Deshalb bin ich höchst dankbar für dieses „essential“: So kurz, prägnant und treffend habe ich das lösungsfokussierte Arbeiten noch nirgends gefunden, das hat Lehrbuchqualitäten. Und die Literaturliste lädt zum intensiven Weiterarbeiten ein.
Einige Anmerkungen gleichwohl: Es ist eine selbstverständliche Phase im Coaching, eine Arbeitsbeziehung zum Klienten aufzubauen („Joining“). Es müssen formale Dinge abgesprochen werden, ganz besonders dann, wenn Dreiecksverträge vorliegen. Middendorf führt auf:
- Benennung der Vertragsparteien,
- geplanter Umfang der Coachingmaßnahme,
- Honorarvereinbarung,
- Stornierungsregelungen,
- Vertraulichkeit.
Das sind Absprachen, die in jedem Coaching erforderlich sind. Die eigentliche erste Phase eines „lösungsfokussierten Interviews“ ist allerdings etwas anderes, nämlich das „Installieren eines Ressourcenzustandes“, in dem über Ressourcen des Klienten gesprochen wird: über das, was ihm Freude macht in seinem Beruf oder auch im Privatleben, was er gut kann, was andere gern mit ihm gemeinsam tun usw. Und was die Arbeitsbeziehung betrifft: Steve de Shazer ist in einem Seminar gefragt worden, wie er es schaffe, einen so besonders guten Rapport herzustellen. Er antwortete (wortreich wie immer): „Don't disturb it!“
Gut, dass die Wunderfrage nicht so oberflächlich behandelt wird wie in manchen anderen Schilderungen. Sie ist kein „Tool“ wie andere, sondern, wie Middendorf betont, „eher ein Dialog zwischen Klient und Berater“ (S. 49), und ich füge hinzu: … das mit einer Tranceinduction beginnt und durchgängig in einer „Lösungstrance“ geführt wird, sodass kein „problem talk“ mehr aufkommen kann. De Shazer hat immer betont, dass es „die Wunderfrage“ nicht gebe, sondern lediglich den Prozess, sie zu stellen. Insofern sei es immer wieder eine andere und neue Frage. (Ich halte übrigens die Formulierung „Das Wunder ist, dass das Problem gelöst ist“ (S. 50) für ungünstig, schon deshalb, weil das Wort „Problem“ vorkommt – eine Einladung zu Re-fokussierung auf den Problemzustand. Vielleicht ist es besser zu fragen: „…und das, was Sie hierhergeführt hat, ist gelöst“.)
Und ein drittes, das allerdings ebenfalls in die Kategorie „(fast) überflüssige Besserwisserei“ gehört: Middendorf schwankt zwischen Skalen von 0 bis 10 und von 1 bis 10, entscheidet sich dann aber für die zweite Variante mit der Begründung: „Die 0 an sich scheint mir als Bild zu negativ“. Ich habe dem lange keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, bis ich in der Arbeit eines Beratungslehrers las, dass er seine Schüler fragte, wieviel „Bock“ auf einer Skala von 1 bis 10 sie gegenwärtig auf Schule haben… Und die Logik der Skalenarbeit ist ja, dass jede Zahl, die genannt wird, positiv konnotiert wird: „Sie sind bei 0? Aha, das ist erstaunlich, bei dem, was Sie mir berichtet haben, hatte ich mir einen schlimmeren Wert vorgestellt. Wie haben Sie es geschafft, dass Sie nicht im Minus gelandet sind?“ Es ist immer schon etwas geschafft – eine Grundannahme des lösungsfokussierten Arbeitens.
Fazit
Ich bin, wie gesagt, dankbar für dieses Buch und werde es in Weiterbildungen gern empfehlen und einsetzen. Es ist eine fundierte und gleichzeitig knappe Einführung in ein „wunder-bares“ Konzept. Middendorf selbst gibt als Adressaten des Bandes Coaches und Berater an, dann aber auch Führungskräfte bzw. Personalverantwortliche. Auch denen sei dieses Konzept ans Herz gelegt.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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