Insoo Kim Berg, Scott D. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen
Rezensiert von Arnold Schmieder, 16.07.2018
Insoo Kim Berg, Scott D. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein lösungsorientierter Ansatz. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2018. 8. Auflage. 254 Seiten. ISBN 978-3-8497-0235-9. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
In der Tat geht es, wie der Titel des Buches besagt, um Alkoholprobleme und nicht um Alkoholabhängigkeit resp. Sucht. Dass aus ‚Problemen‘ süchtige physische und psychische Abhängigkeit entstehen kann, bleibt davon unbeschadet. Fallbeispiele werden detailliert beschrieben und nicht nur ausführlich interpretiert, sondern es wird gezeigt, wie die TherapeutInnen mit ihrem „lösungsbezogenen Ansatz“ intervenieren, „der in der Tradition der Kurzzeittherapie (steht), die ihrerseits der breiten Kategorie der im allgemeinen an Problemlösung orientierten Psychotherapie-Richtungen zuzuordnen ist.“ Nach Auffassung der AutorInnen ist es für ihre KlientInnen am besten, „wenn sie ihr Leben in der wirklichen Welt leben und nicht in einem Therapiezimmer“ – auch darum, weil „sie lieber früher als später mit der Aufgabe zu leben vorankommen“ sollten. Dabei beruhe ihr Buch auf dem „Glauben, dass alle Klienten über Ressourcen und Stärken verfügen, die sie brauchen, um ihre eigenen Probleme zu lösen, und daß sie wissen und wollen, was für sie gut ist, und ihr Bestes dazu tun.“ (S. 8) Berg und Miller lassen ihre Leserschaft wissen, dass sie ein „praktisches Buch“ vorlegen wollen, „wie das lösungsorientierte Modell bei der Behandlung von Problemtrinkern eingesetzt werden kann.“ TherapeutInnen wollen sie eine „Methode“ mit dem Ziel nahebringen, „das Selbstbewußtsein ihrer Klienten zu stärken“. Dass „Berufskollegen“ ihre Methode mit anderen Behandlungsansätzen kombiniert und je kulturell angepasst haben, bestätige nur ihre „grundsätzliche Überzeugung, daß es viele Lösungswege gibt und daß das lösungsorientierte Modell nur einer davon ist.“ (S. 245 f.)
Aufbau und Inhalt
Nach der Einführung, in der wesentlich eine „atheoretische, nichtnormative, klientenbestimmte Sichtweise“ vorgestellt wird (S. 19) und die VerfasserInnen ihre „Zentrale Philosophie“ eröffnen (S. 32), konturieren sie eine kooperative Klient-Therapeut-Beziehung und primäre Behandlungsziele aus Sicht ihres lösungsorientierten Ansatzes, zeigen über ‚Aushandeln‘ und eben ‚Kooperieren‘ wie man auf Veränderung zielende Interviews führt, um danach pointierter auf vor allem Bestandteile ihrer therapeutischen Intervention einzugehen. Individualisierung als Aufgabe ist darin ein wesentliches Stichwort. Selbstredend geht es auch darum, erreichte Fortschritte aufrechtzuerhalten, und zwar als Basis weiterer Förderung. In den letzten beiden Kapiteln werden Fallbeispiele vorgestellt, welche die Methode des lösungsorientierten Ansatzes deutlich werden lassen sollen.
Man müsse sich als Therapeut die Phasen nutzbar machen, in denen die KlientInnen gesund waren, was heißt, eine ‚geistig-seelische Gesundheit‘ gegenüber der ‚geistig-seelischen Krankheit‘ zu betonen. Es ist das erste von acht basalen Prinzipien. Zu denen gehört, den KlientInnen jene „gesunden Eigenschaften“ zu entlocken, „die zur Lösung des dargebotenen Problems nötig sind.“( S. 16) „Wunderfragen“, sind dabei ein wichtiges therapeutisches Mittel und „wohl die wichtigste Frage unseres Modells. Es orientiert den Klienten auf einen zukünftigen Zustand, in dem das Problem gelöst ist und er anfangen kann, den erfolgreichen Abschluß der Therapie zu genießen.“ Er (oder sie) würde nämlich damit anfangen, „über eine alternative Realität zu träumen und beginnt, für sich Hoffnung zu schöpfen.“ Es wäre eine „bedeutende neue Erfahrung“: „Wenn sich eine Klientin in die Zukunft versetzen und sich vorstellen kann, daß aus ihrem schmerzhaften, verletzten und zerstörten Leben ein kohärenteres, harmonischeres und erfolgreicheres Leben wird, ist das eine Erfahrung, die neue Lebenskraft gibt. Wir meinen, daß Hoffnung und eine Vision dessen, was möglich ist, das wichtigste Geschenk ist, das ein Therapeut einem Klienten machen kann.“ (S. 93 f.) Insofern geht es darum, den „Dialog“ auf das zu fokussieren, „was der Klient ändern will. Dieser Fokus dient dazu, den Klienten weg vom Dialog über das Problem und hin auf eine Diskussion der von ihm gewünschten Ziele zu orientieren“ (S. 189), was in einem Fallbeispiel ausführlich dokumentiert wird.
Auch sollen die „Experten“ (TherapeutInnen) ihre Rolle „zugunsten der Rolle des Studierenden oder des Lehrlings“ aufgeben. Durchaus verzichtbar sei ein starres Festhalten an den Dogmen von Behandlungsmodellen, was zu Fehldeutungen führen könnte; demgegenüber sei ein Mehr an therapeutischer Flexibilität erheischt, „um sich den Bedürfnissen der Klientin anzupassen.“ (S. 20) „Sparsamkeit“ ist ein weiteres Stichwort, was meint, man müsse die „Beschwerde des Klienten, so wie er sie vorbringt“, akzeptieren „und die einfachste, am wenigsten eingreifende Behandlungsoption wählen.“ (S. 23) Betont wird, dass generell im Leben gilt: „Veränderung ist unvermeidlich“. Folglich soll Therapie auch dazu da sein, was den lösungsorientierten Ansatz auszeichne, „einfach jene natürlich auftretenden Veränderungen als solche zu erkennen und sie dann für das Zustandebringen einer Lösung nutzbar zu machen.“ (S. 25) Und da es nicht so sehr darauf ankomme, die Vergangenheit auszuforschen, müsste der „gegenwärtigen und zukünftigen Anpassung von Klienten (…) Vorrang vor ihrer Anpassung in der Vergangenheit eingeräumt“ werden. (S. 6) Nicht Konfrontation sei im therapeutischen Prozess zu favorisieren (wie es vielfach geschähe), sondern Kooperation als eine „Gesamthaltung“, die „den lösungs-orientierten Ansatz durchzieht.“ (S. 29) Und schließlich gehöre zu den Basics, was die „zentrale Philosophie“ dieses Ansatzes umgreift: „1. Wenn etwas nicht kaputt ist, mache es nicht ganz! 2. Wenn du einmal weißt, was funktioniert, mache mehr vom Selben! 3. Wenn es nicht funktioniert, laß es sein, mache etwas anderes!“ (S. 32) Ziele müssten und sollten im Lebenskontext realistisch und erreichbar sein; ersichtlich wären Klienten dann auch bereit gewesen, „ein anderes, realistischeres Ziel auszuhandeln, wenn wir uns ihre Notlage schildern ließen und ihnen dabei aufmerksam und emphatisch zuhörten.“ (S. 65)
Allerdings hätten KlientInnen oftmals auch schon den so genannten ‚ersten Schritt‘ selbst gemacht, sie hätten nämlich „ihre bestehenden Problemmuster schon geändert (…), bevor sie zur ersten Sitzung kamen.“ (S. 84) Ansonsten sei zu prüfen, „was für die Klientin am wichtigsten ist und inwieweit die Klientin bereit ist, den ersten kleinen, aber entscheidenden Schritt zu machen, um das Problem zu lösen“; dann ließe sich „relativ leicht einschätzen, welches der erste Schritt sein sollte.“ (S. 113) Unverzichtbar sei vor allem auch eine „Stärkung des Selbstbewußtseins“ des Klienten, man müsse dem folgen, was ihm „wichtig ist“ und eben seine „Entscheidung über das, was ihm wichtig ist“, respektieren. Eben kooperativ müssten dann „Klient und Therapeut zusammenarbeiten, um die vom Klienten festgelegten Ziele zu erreichen.“ Das „Recht der Klientin auf Selbstbestimmung“ sei zu wahren, was impliziere anzuerkennen, „daß sie für ihr Problem die Expertin ist, die vielleicht schon Lösungen gefunden hat.“ (S. 125) Das heißt im Sinne des lösungsorientierten Ansatzes auch, „daß man den Wünschen des Klienten möglichst entspricht und ihm nicht die des Therapeuten aufzwingt.“ (S. 156) – Wie diese Desiderate in therapeutische Praxis mit ProblemtrinkerInnen eingelöst werden, immer prominent mit dem „Ziel, das Selbstbewußtsein ihrer Klienten zu stärken“ (s.o.), wird durch die Aufzeichnung etlicher Fallbeispiele illustriert, die im Buch großen Raum einnehmen.
Diskussion
Was Berg und Miller als ihre „Zentrale Philosophie“ (s.o.) ausgeben und in drei wesentliche „Komponenten“ untergliedern, könnte man zum einen als inflationären (und nicht unüblichen) Gebrauch des Terminus ‚Philosophie‘ abtun, was nicht dadurch geheilt wird, dass sie ihren Kapiteln Merksätze von Philosophen, Wissenschaftlern, Literaten voranstellen; zum anderen könnte man es als inhaltliche Banalität bezeichnen, was aber nicht bedeutet, dass damit nicht doch problematische alltägliche Verhaltensweisen auf den Punkt gebracht sind. Sicherlich kann man von solch einem Buch nicht verlangen, das auch diesen Anspruch nicht erhebt, dass die Ursachen gang und gäbe Verhaltens, Denkens und Fühlens analysiert und erhellt werden, wie sie im Alltagsleben erscheinen und u.a. im ‚Problemtrinken‘ zum – dysfunktionalen und desintegrierten – Ausdruck kommen.
Der ‚Glaube‘ der AutorInnen an „Ressourcen und Stärken“ (s.o.), an die Kraft und Bereitschaft der KlientInnen, ihre ‚Probleme‘ und eben eingelagert ein Problem im Umgang mit Alkohol und auch anderen Drogen in den Griff bekommen zu wollen und zu können, mag als Grundannahme da tragfähig sein, wo (noch) keine manifeste Suchterkrankung vorliegt. Da müssen diese „Ressourcen“ erst noch über oft schmerzhafte Geburtswehen entwickelt werden. Was die AutorInnen jedoch mit ihrem lösungsorientierten Ansatz anvisieren, unterscheidet sich zur Seite der Problemlagen und ebenfalls der Ziele (auf dem Weg zur i.d.R. abstinenten Lebensweise) nicht so sehr von anderen Ansätzen in der Alkoholismustherapie bei manifest Abhängigen, auch dort sind therapeutischen Stolpersteine auszumachen, die im lösungsorientierten Ansatz mit und für ProblemtrinkerInnen vielleicht wohl einfacher aus dem Weg zu räumen sind. Auch AlkoholikerInnen brauchen bspw. eine „Stärkung des Selbstbewußtseins“ (s.o.); was Freud in Bezug auf das Gewissen sagte, kann man wohl auch auf das Selbstbewusstsein wenden – es ist in Alkohol „löslich“ und dann gibt es erst einmal nicht mehr, was zu stärken wäre. Das kann oder könnte bei ProblemtrinkerInnen anders gelagert sein. Und ‚Experten‘ für ihr Problem sind AlkoholikerInnen auch: Sie wissen, wie sie an ihre Droge kommen können, und dies mit Verhaltensweisen, in denen normal-alltägliches Verhalten überspitzt ist – mit Lügen, Betrügen, so ‚tun als ob‘ und indem sie Andere instrumentalisieren. ProblemtrinkerInnen siedeln, scheint es nach Darstellung von Berg und Miller, erst noch in deren Nähe. Was irritiert, ist jene „alternative Realität“ (s.o.), die zu imaginieren ist, wozu „Wunderfragen“ (s.o.) provozieren sollen. Sicherlich kann man sein Leben ändern und auch äußere Lebensbedingungen verändern oder meiden – allerdings nicht in toto. Wenn die AutorInnen ein „kohärenteres“ etc. (nicht: kohärentes) Leben in Aussicht stellen, meinen sie wahrscheinlich ein ‚Innenleben‘, das sich in äußeren Bedingungen einzurichten, damit abzufinden hat – wo eigentlich, in einer Vielzahl der Fälle zumindest, das Alkohol- und Drogenproblem begonnen hat.
Fazit
Solche Diskussionspunkte im Hinblick auf den lösungsorientierten Ansatz für „Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen“ stellen nicht in Abrede, dass die Hinweise von Berg und Miller sinnvoll sind, vor allem im Hinblick darauf, wie man als hier im weitesten Sinne Mitbetroffene/r anders auf ProblemtrinkerInnen eingehen kann und sollte, als es üblich (vulgo ‚normal‘) ist. In Interaktionen ist man dann allerdings ‚neben der Spur‘, was in der Tat hilfreich sein kann (und nicht nur im Falle von Alkoholauffälligkeit gilt). Die hohe Auflage des Buches spricht dafür, dass die Botschaften der AutorInnen größere Akzeptanz gefunden haben. Was sie anmahnen, dürfte insbesondere in Selbsthilfegruppen von Alkoholabhängigen (und Abhängigen von anderen Drogen) und Co-Abhängigen bzw. Mitbetroffenen Anlass zur Selbstreflexion geben.
Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 16.07.2018 zu:
Insoo Kim Berg, Scott D. Miller: Kurzzeittherapie bei Alkoholproblemen. Ein lösungsorientierter Ansatz. Carl Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2018. 8. Auflage.
ISBN 978-3-8497-0235-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24463.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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