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Sonja Engelage: Migration und Berufsbildung in der Schweiz

Rezensiert von Dr. Miryam Eser Davolio, 21.05.2019

Cover Sonja Engelage: Migration und Berufsbildung in der Schweiz ISBN 978-3-03777-189-1

Sonja Engelage: Migration und Berufsbildung in der Schweiz. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen AG (Zürich) 2018. 240 Seiten. ISBN 978-3-03777-189-1. D: 33,00 EUR, A: 33,00 EUR, CH: 38,00 sFr.

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Thema

Die Sammelpublikation von Sonja Engelage dreht sich um aktuelle Fragen hinsichtlich der Bildungs- und Erwerbsbeteiligung sowie des Bildungserfolgs von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz und versucht diesbezüglich einen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zu geben. Dabei werden sowohl strukturelle Rahmenbedingungen des Bildungserfolgs als auch individuelle Faktoren, wie Bildungswege und Berufswahl sowie der Eintritt in den Arbeitsmarkt analysiert. Einen Schwerpunkt bilden hier vulnerable Gruppen, wie junge und ältere Flüchtlinge und ihr Integrationsverlauf ins Berufsleben vor dem Hintergrund aktueller berufspolitischer Entwicklungen auf Ebene der Kantone.

Die Publikation richtet sich an ein breites Publikum, welches sich für bildungssoziologische, berufsbildnerische und migrationsspezifische Hintergrundanalysen interessiert und leistet einen Beitrag zum Verständnis von Wechselwirkungen zwischen Migration, sozialer Herkunft und Berufsbildung. Sie eignet sich sowohl für akademisch Interessierte als auch für Fachleute aus der Praxis, welche in der Arbeitsagogik, oder im Bildungs- und Integrationsbereich mit der Thematik zu tun haben.

Herausgeberin

Die Herausgeberin Sonja Engelage ist Bildungssoziologin und am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB in Bern zuständig für die Koordination der nationalen Forschungstätigkeiten. Ihre Themengebiete sind Bildungs- und Berufskarrieren, Gender und Migration sowie Governance und Bildungssysteme in der Schweiz sowie im internationalen Vergleich.

Aufbau

Die Publikation gliedert sich nach der Einführung in die beiden Hauptteile «Herausforderungen» und «Chancen», deren einzelne Beiträge sich wiederum folgenden Unterthemen zuordnen lassen:

  1. Sprache, Lernprozesse und Integration
  2. Heterogenität und Ungleichheiten im Übergang zur Berufsbildung
  3. Berufliche Integration von Flüchtlingen
  4. Anerkennung von Kompetenzen im Berufsbildungssystem

Die insgesamt elf Beiträge behandeln jeweils ihre spezifische Fragestellung und sind nicht aufeinander abgestimmt, doch geben sie vielseitige Einblicke in unterschiedliche Dimensionen und Ebenen der Herausforderungen und Chancen von Migrantinnen und Migranten im Schweizer Berufsbildungssystem.

Ausgewählte Inhalte

Die Publikationsbeiträge bewegen sich auf recht unterschiedlichen Ebenen und es würde den Umfang dieser Rezension sprengen, sie hier alle, wenn auch nur kurz, wiedergeben zu wollen. Deshalb seien ein paar Highlights der im Sammelband dargestellten Findings und Analysen ausgewählt, welche Anlass zu weiterführenden Reflexionen geben können.

So zeigt etwa der Beitrag von David Glauser zum Übergang in eine nachobligatorische Ausbildung der Sekundarstufe II auf, wie insbesondere für Jugendliche aus dem Cluster „Balkanstaaten, Portugal, Türkei“ migrationsspezifische Nachteile – in Überschneidung mit sozioökonomischen Benachteiligungen – bestehen, denn sie sind in den unteren Bildungsniveaus übervertreten. Die Auswertungen der DAB Panelstudie zeigen, dass einer der Hauptgründe für das schlechte Abschneiden dieser Gruppe von Jugendlichen in der Selektion beim Übertritt von der Primarstufe in die Sekundarstufe I besteht, weshalb die Bildungsteilhabe nur mit integrativen Massnahmen, welche während der gesamten obligatorischen Schulzeit allenfalls zu greifen vermögen, verbessert werden könnten. Sein Hauptfinding ist aber, dass sich Übervertretungen bzw. Untervertretungen aller Clusters in allen untersuchten Kategorien wesentlich auf die soziale Herkunft zurückführen lassen.

Der Beitrag von Mi-Cha Flubacher widmet sich der soziolinguistische Annäherung an «Sprache», Integration und Arbeit und zeigt die Wechselwirkungsprozesse von sprachlichem Repertoire und sozialer Zugehörigkeit auf bis hin zu materiellen Konsequenzen, wenn es um Vorstellungsgespräche, Interviews im Asylverfahren oder um Übertrittsverfahren in der Ausbildung geht. Dabei kritisiert sie das Weiterbestehen des monolingualen Habitus und der ungenügenden respektive ausbleibenden Wertschätzung und Anerkennung des mehrsprachlichen Repertoires von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund sowie das Downgrading bei der Arbeitsintegration erwachsener Migrierenden durch Nicht-Berücksichtigung von Ausbildungsdiplomen, Berufserfahrungen und kulturellen Ressourcen, welche im Herkunftsland erworben wurden. Deshalb fordert die engagierte Autorin Anpassungen und Optimierungen im Anerkennungsverfahren ausländischer Diplome.

Thematisch folgerichtig an diese Downgrading-Kritik schliesst sich die Studie von Alexandra Felder zur Perspektive von Asylsuchenden bezüglich ihrer Integration durch Bildung und Erwerbsarbeit an. Sie befragte Asylsuchende im Raum Genf. Ihre Analyse, illustriert mit Interviewausschnitten, zeigt eindrücklich, wie gross der Schock bei den Betroffenen ist, wenn sie einsehen müssen, wie wenig ihr Bildungsrucksack in der Schweiz wert ist und dass sie wieder von vorne anfangen müssen. Deshalb plädiert Felder für eine Tätigkeitsbilanz (Bestandsaufnahme der vorhandenen Kompetenzen) und der Möglichkeit von Tätigkeitsaufnahmen, welche eine Verbindung zur vergangenen Berufstätigkeit haben.

Ebenfalls einen ressourcenorientierten Ansatz verwendet Jakob Kost in seinem empirischen Beitrag, der sich mit individuellen, familiären und ausbildungsbezogenen Aspekten von erfolgreichen Migrierenden im Berufsbildungssystem beschäftigt. Im Hinblick auf eine Überbewertung schulischer Leistungen plädiert er für einen Perspektivenwechsel hin zu Entwicklungspotenzialen und rät zu Förderung von individuellen Faktoren wie positives Selbstwertgefühls, die Fähigkeit zur Selbstorganisation, Beharrungsvermögen, die den Erfolg der untersuchten Migrantinnen und Migranten im Berufsbildungssystem begründen.

Last but not least bietet Denise Efionayi-Mäder klärende Hinweise in ihrem kompakten Überblick über die Migrationsgeschichte der Schweiz. Ein informativer, lohnender Text, der hilft, sowohl die verschiedenen Beiträge des Bandes, wie auch weitere Migrationsdiskurse sinnvoll einzuordnen.

Diskussion

Die vorliegende Publikation leistet einen relevanten Beitrag zu einem aktuellen Thema und bietet sachkundigen Lesenden informative Einblicke in Aspekte des Schweizer Berufsbildungssystems in Bezug auf die Chancen und Herausforderungen bezüglich der Integration von Migrantinnen und Migranten, speziell auch der vulnerablen Gruppe der Flüchtlinge. Neben Forschungsergebnissen werden auch konzeptionelle Überlegungen zu neuen Förderinstrumenten oder Lehr- bzw. Lernsettings dargelegt.

Bei der Mehrheit der Beiträge richtet sich die Darstellung von Kontextbedingungen, z.B. in Bezug auf Migrationsphänomene oder Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen an ein Publikum, welches wenig diesbezügliches Vorwissen mitbringt. Es werden viele Abkürzungen von Fachstellen, Programmen und Organisationen verwendet, welche die Lesbarkeit die einzelnen Beiträge in ihrer Dichte unnötig erschweren – zumal ein Abkürzungsverzeichnis in der Publikation fehlt und das Suchen der ausgeschriebenen Bezeichnungen im Lauftext etwas mühsam ist.

Zudem gibt es einzelne Beiträge, die einen Abriss der aktuellen Situation, wie etwa bezüglich der Integrationsvorlehre, aufzeigen und womöglich in ein paar Jahren bereits überholt sind. Solche Artikel sollten m.E. mit grösserem Gewinn als Zeitschriftenbeiträge für das jeweilige Fachpublikum veröffentlicht werden. Somit fehlt es der Sammelpublikation etwas an Stringenz und Analyse, was durch eine Selektion der Beiträge hätte vermieden werden können. So hätten die gehaltvollen Beiträge zur Bildungsungleichheit durch eine Kombination mit weiteren analytischen Arbeiten eine erweiterte Resonanz erreichen können. Hier ist zu vermuten, dass die institutionelle Anbindung der Autorinnen und Autoren für deren Einbindung in die Publikation ausschlaggebender gewesen sein dürfte als deren forschungsorientierte Relevanz. Mit den lokalspezifischen und deskriptiven Artikeln ist zudem eine Sammelpublikation entstanden, welche Lesenden ausserhalb der Schweiz wenig Anregungen und «Inhaltsmehrwert» bieten.

Für das Zielpublikum der direkt involvierten Fachpersonen im Bildungs- und Integrationsbereich hingegen bietet die Publikation durchaus interessante Einblicke und Forschungsergebnisse, welche zu einer Weiterentwicklung des Bereichs beitragen können.

Fazit

Eine informative Publikation zu Migration und Berufsbildung in der Schweiz, welche den Interessierten einen vielfältigen Überblick über aktuelle Entwicklungen in diesem Feld verschafft.

Rezension von
Dr. Miryam Eser Davolio
Dozentin am Departement Soziale Arbeit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), forscht und lehrt in den Themenbereichen Extremismus und Jugendgewalt, Migration und Integration sowie zu Fragen der Sozialen Arbeit.
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Es gibt 11 Rezensionen von Miryam Eser Davolio.

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Zitiervorschlag
Miryam Eser Davolio. Rezension vom 21.05.2019 zu: Sonja Engelage: Migration und Berufsbildung in der Schweiz. Seismo-Verlag Sozialwissenschaften und Gesellschaftsfragen AG (Zürich) 2018. ISBN 978-3-03777-189-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24552.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.


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