Charlotte Hanisch, Stefanie Richard et al.: Schulbasiertes Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten (SCEP)
Rezensiert von Dr. Torsten Mergen, 11.10.2018

Charlotte Hanisch, Stefanie Richard, Ilka Eichelberger, Lisa Greimel, Manfred Döpfner: Schulbasiertes Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten (SCEP). Handbuch zum Coaching von Lehrkräften. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG (Göttingen) 2018. 134 Seiten. ISBN 978-3-8017-2813-7. 59,95 EUR.
Thema
In dem praxisorientierten Handbuch, das auf Forschungsarbeiten und Studien im Bereich verhaltenstherapeutischer Maßnahmen beruht, wird ein Programm für Schulcoaching vorgestellt, um Lehrkräfte, vorrangig an Grundschulen, gezielt auf die Arbeit mit sog. expansiv-auffälligen Schülerinnen und Schülern vorzubereiten. Zu dieser Schülergruppe rechnen die Verfasserinnen und Verfasser des Handbuchs Kinder mit aggressivem, oppositionellem, unaufmerksamem und hyperaktivem Verhalten. Durch ein gezieltes Fortbildungsprogramm einerseits und durch Einzelcoaching andererseits sollen Lehrkräfte besser mit den Herausforderungen umgehen können, wozu das Handbuch die entsprechenden Materialien und Fortbildungskonzepte darstellt.
AutorInnen
- Prof. Dr. Charlotte Hanisch, Jahrgang 1974, ist Diplom-Psychologin und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Von 2007 bis 2016 arbeitete sie als Professorin für Klinische Psychologie an der Hochschule Düsseldorf, seit 2016 ist sie Professorin für Psychologie und Psychotherapie in der Heilpädagogik und Rehabilitation an der Universität Köln sowie Leiterin der Hochschulambulanz für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
- Dr. Stefanie Richard, Jahrgang 1984, arbeitet seit 2016 als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Lehrstuhl für Psychologie und Psychotherapie in der Heilpädagogik und Rehabilitation an der Universität Köln.
- Dr. Ilka Eichelberger, Jahrgang 1977, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Köln.
- Lisa Greimel, Jahrgang 1985, arbeitet als Diplom-Pädagogin an der Universität Köln.
- Prof. Dr. Manfred Döpfner, Jahrgang 1955, ist leitender Psychologe der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsklinik zu Köln, dort seit 1999 als Professor für Psychotherapie sowie Ausbildungsleiter des Ausbildungsinstitutes für Kinder- und Jugendpsychotherapie am Klinikum der Universität zu Köln (AKIP) tätig.
Entstehungshintergrund
Das Buch basiert auf einem Forschungsprojekt, das an den Universitäten Köln und Düsseldorf von 2013 bis 2016 mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durchgeführt wurde. Das Projekt erforschte die Fragestellung, wie Lehrercoaching von Grundschullehrkräften gestaltet sein sollte, um mit expansivem Problemverhalten von Schülerinnen und Schülern in der Grundschule professionell umzugehen.
Aufbau
Das Handbuch ist in zwei Abschnitte aufgeteilt:
„Grundlagen“ und
„Einzelcoachingmanual“.
Zu I. Grundlagen
Im knappen Grundlagen-Teil gehen die Autorinnen und Autoren in drei Schritten vor:
- Einführung
- Konzeption des Schulcoachings
- Trainingsdurchführung
Sie definieren im ersten Kapitel die Zielgruppe ihrer Darstellung: „Trotz sehr unterschiedlicher Prävalenzzahlen kann davon ausgegangen werden, dass expansives Problemverhalten – unabhängig vom Schweregrad – im Grundschulalter weit verbreitet ist“ (S. 9), was nicht zuletzt durch eine „Zunahme in der Wahrnehmung expansiver Verhaltensprobleme“ (S. 9) seitens der Lehrkräfte in den letzten Jahren zu einem echten Problem für pädagogisch Tätige geworden sei. Stress und Burnout bei Lehrkräften seien daher nicht zuletzt auf den „Anstieg der Lehrpersonenbelastung“ (S. 10) zurückzuführen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, plädieren sie für ein strukturiertes Fortbildungsprogramm und Einzelcoaching-Maßnahmen. Ferner erläutern sie die theoretischen Grundlagen ihres Projektes, das auf verschiedene empirische, in der Psychologie verortete Modelle (u.a. Verhaltens- und Bedingungsanalyse mit Fokus auf funktionelle Verhaltensanalyse, Lerntheorie, multimodaler Ansatz) zurückgreift. Im Ergebnis favorisieren sie „ein fallbezogenes, individualisiertes Vorgehen“ (S. 14), das zugleich einer objektiven Evaluation unterzogen wird. Sie können zeigen, dass das gewählte Interventionsverfahren bei Problemschülern zu einer Verhaltensverbesserung geführt hat mit der Folge, dass die Freude am Lehren bei den Lehrkräften gestiegen ist.
Im zweiten Kapitel stellen sie die Konzeption des Schulcoachings als Fortbildungsmaßnahme dar: „Der Schwerpunkt der Fortbildung liegt dabei u.a. auf der Organismusvariable, also den Merkmalen der Schülerinnen und Schüler, die das Problemverhalten mitbedingen. (…) Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Situationsvariable, also den schulischen Rahmenbedingungen“ (S. 16). Ferner beschreiben sie die Bausteine des Einzelcoachings für einzelne Lehrkräfte:
- Die Basis schaffen
- Den Rahmen verändern
- Das Lehrpersonenverhalten verändern
- Die Selbstmanagementstrategien von Schülerinnen und Schülern verändern
- Die Kooperation mit Eltern ermöglichen
Eine genauere Darstellung ist der Rolle des Coaches im Einzelcoaching-Prozess gewidmet, was in personalisierter Form geschieht, wenn in direkter Anrede empfohlen wird: „Achten Sie insgesamt darauf, das Einzelcoaching als Kooperation zwischen Ihnen als Experte für die Inhalte des Schulcoachings und ihre jeweilige Profession und der Lehrperson als Expertin für ihren Schulalltag zu gestalten.“ (S. 17)
Das dritte Kapitel beschreibt die allgemeinen Aspekte des Einzelcoachings für Lehrkräfte, indem es wesentliche Planungselemente genauer erläutert:
- Auswahl der Schülerin oder des Schülers
- Aufbau und Gestaltung des Schulcoachings
- Rahmenbedingungen
In diesem Kapitel betonen die Autorinnen und Autoren die Beachtung der Bedürfnisse der Lehrkräfte als zentrale Gelingensbedingung. Zugleich beschreiben sie die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Verlauf, u.a. geeignete Räumlichkeiten oder Formen der Reflexion.
Zu II. Einzelcoachingmanual
Im umfangreichen zweiten Teil, dem „Einzelcoachingmanual“ werden detailliert die Verfahrensabläufe und Bausteine des Coachingsprozesses beschrieben sowie zahlreiche Arbeits- und Kopiermaterialien für die Beteiligten vorgestellt, die zugleich auch auf einer beigefügten CD-ROM enthalten sind. Hier zeigt sich der Charakter als Praxishandbuch, da insgesamt folgende Bereiche thematisiert und jeweils ausführlich kommentiert werden:
4. Die Basis schaffen
- 4.1 Baustein 1: Wissen zu expansivem Problemverhalten
- 4.2 Baustein 2: Bedingungsmodell/Problem- und Zieldefinition
5. Den schulischen Rahmen verändern
- 5.1 Baustein 3: Lernumgebung
- 5.2 Baustein 4: Routinen und strukturierte Arbeitsabläufe
- 5.3 Baustein 5: Beziehung
- 5.4 Baustein 6: Stress
6. Das Lehrpersonenverhalten verändern
- 6.1 Baustein 7: Regeln und wirkungsvolle Aufforderungen
- 6.2 Baustein 8: Positive und negative Konsequenzen
- 6.3 Baustein 9: Verstärker- und Verstärkerentzugssystem
7. Selbstmanagementstrategien von Schülerinnen und Schülern verändern
- 7.1 Baustein 10: Wenn-Dann-Plan
- 7.2 Baustein 11: Selbstbeobachtung
8. Kooperation mit Eltern ermöglichen
- 8.1 Baustein 12: Elterngespräche und weiterführende Hilfen
9. Herausforderungen im Coachingprozess
- 9.1 Umgang mit allgemeinen Herausforderungen
- 9.1.1 Umgang mit Widerstand
- 9.1.2 Umgang mit Misserfolg
- 9.1.3 Umgang mit übermäßigem Reden
9.2 Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen der Lehrpersonen
Abgerundet wird der Band durch ein komprimiertes und auf das Notwendige fokussierte Literaturverzeichnis und einen Anhang, der die Arbeitsmaterialien, die sich digital auf der beiliegenden CD-ROM befinden, tabellarisch auflistet.
Diskussion
Bereits die psychologische Fachterminologie des Bandes verdeutlicht, aus welcher Perspektive hier Schule, Schüler bzw. Schülerverhalten betrachtet wurde: Die Autorinnen und Autoren verstehen unter expansiven Auffälligkeiten vorrangig aggressives, oppositionelles, unaufmerksames, impulsives und hyperaktives Verhalten, welches die Leistung der betroffenen Schülerinnen und Schüler beeinträchtige. Somit gehen sie von einem defizitorientierten und psychotherapeutischen Verständnis aus, um eine Praxishilfe auf Basis gesicherter verhaltenspsychologischer Erkenntnisse zu bieten. Erkenntnisleitende Perspektive ist es, daraus erwachsene Herausforderungen für die Lehrkräfte professionell und zielgerichtet zu meistern. Die dargestellten Bausteine überzeugen durch die hohe Sach- und Methodenkenntnis des Autorenteams, da das Schulbasierte Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten (SCEP) auf der Basis verhaltenstherapeutischer Methoden entwickelt und hinsichtlich seiner Wirksamkeit überprüft bzw. evaluiert wurde.
Besonders überzeugend wirkt der modulare Aufbau des Konzeptes, das mit zwölf Bausteinen bzw. Sitzungen die Möglichkeit bietet, den Interessen und Bedürfnissen der betroffenen Lehrkräfte im besonderen Maße gerecht zu werden: sei es durch die Auswahl der Inhalte oder die Reihenfolge der Bausteine oder die Dauer des Coachings.
Für Praktiker hilfreich ist ferner, dass sich alle Materialien für die Fortbildung (u.a. Power-Point-Folien, Handouts) und für das Einzelcoaching (u.a. Arbeitsbücher und Arbeitsblätter) auf einer beiliegenden CD-ROM befinden, sodass sich der Nutzwert des Handbuchs im Alltag deutlich erhöht.
Fazit
Das Handbuch zum „Schulbasierten Coaching bei Kindern mit expansivem Problemverhalten“ (SCEP) liefert aus der Perspektive der Verhaltenspsychologie bzw. -therapie wissenschaftlich fundierte Empfehlungen dafür, wie sich Fachkräfte, vor allem Lehrpersonen und sonstige pädagogisch Tätige, im Umgang mit expansiv-auffälligen Schülerinnen und Schülern, vorrangig an Grundschulen, verhalten sollen. Ferner thematisiert es die Potenziale von Fortbildungsmaßnahmen, um sich auf die Problematik professionell einzustellen.
Der Schwerpunkt der Darstellung besteht aus zwei Herangehensweisen: Das Schulcoaching-Handbuch enthält einerseits Materialien für eine eintägige Fortbildung. Diese ist als Präventionsveranstaltung für ein Kollegium mit etwa 25 Personen konzipiert. Andererseits beschreibt das Handbuch ausführlich ein Einzelcoaching für circa 12 Wochen. Dadurch sollen sich ein bis zwei Lehrkräfte einer Schule individuell weiterbilden. Diese Intensivfortbildung wurde für die fallbezogene Anwendung auf ein konkretes Kind mit expansivem Problemverhalten konzipiert. Insofern kennzeichnen den Band ein hoher Praxisbezug und eine erkennbare Relevanz für pädagogische Interventionen.
Rezension von
Dr. Torsten Mergen
Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.1
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