Janina Strohmer: Psychologische Grundlagen für Fachkräfte in Kindergarten (...)
Rezensiert von Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff, 27.01.2020
Janina Strohmer: Psychologische Grundlagen für Fachkräfte in Kindergarten, Krippe und Hort. Hogrefe AG (Bern) 2018. 496 Seiten. ISBN 978-3-456-85717-6. 39,95 EUR. CH: 48,50 sFr.
Thema
Das Ziel des hier besprochenen Buches ist es, einen breiten Überblick über bedeutsame Erkenntnisse der Wissenschaft der Psychologie für die Tätigkeit von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen zu bieten. Dabei steht nicht nur die „unmittelbare pädagogische Arbeit mit dem Kind und für das Kind“ (S. 21) im Fokus, sondern darüber hinaus die vielfältigen Aufgaben pädagogischer Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, „wie zum Beispiel die Arbeit im Team, die Arbeit in professionellen Netzwerken, konzeptuelle Arbeiten und Qualitätssicherung oder auch die Zusammenarbeit mit Eltern“ (ebd.). Die Autorin, Professorin für Entwicklungspsychologie und pädagogischePsychologie/​Kindheitspädagogik, beschreibt das Ziel: „Das vorliegende Buch integriert zentrale Inhalte verschiedener psychologischer Disziplinen für die Arbeit in Kindergarten, Krippe und Hort in einem kompakten Gesamtwerk“. In übersichtlichen Kapiteln soll es erste Einblicke und Grundlagenwissen „zu verschiedenen Phänomenen der Psychologie geben.., wobei die pädagogische Relevanz immer wieder hervorgehoben wird“ (ebd.).
Aufbau
Das knapp 500 Seiten umfassende Werk ist in sieben Hauptteile gegliedert; diese entsprechen den klassischen Feldern der Psychologie. Insgesamt finden sich hier 50 Unterkapitel, die jeweils von einzelnen, unterschiedlichen AutorInnen verfasst wurden.
Inhalt
Der erste Teil des Buches ist „zentralen Aspekten der allgemeinen Psychologie“ gewidmet. Hier finden sich die Themen „Lernen und Lerntheorien“, „Wahrnehmen“, „Aufmerksamkeit“, Wissen und Gedächtnis“, „Denken und Problemlösen“, „Emotionen“, „Motivation sowie „Urteilen und Entscheiden“.
Im zweiten Teil werden „zentrale Aspekte der Entwicklungspsychologie“ dargelegt. Nach zwei allgemeineren Kapiteln zu „Entwicklungstheorien und Entwicklungsaufgaben“ (S. 99) sowie zur „Pränatalen Entwicklung und Neugeborenenzeit“ (S. 107) werden einzelne Entwicklungsbereiche, wie Wahrnehmung, Motorik, Aufmerksamkeit, Denken und Gedächtnis, Sprache, Bindung und Beziehung oder sozialer Kompetenz dargelegt, dieses Hauptkapitel schließt mit dem Thema „Übergang ins Jugendalter“ (S. 209).
Nach einem „kleinen Exkurs in die Persönlichkeitspsychologie“ (S. 217) werden im dritten Hauptteil „zentrale Aspekte der Sozialpsychologie“ referiert, hier stehen Themen, wie „Identität und Selbst“ (S. 229) aber auch soziale Wahrnehmung, Kommunikation, Werte und Einstellungen oder „pro- und antisoziales Verhalten“ (S. 275) sowie „Beziehungen, Strukturen und Prozesse in Gruppen“ (S. 283) im Fokus.
Der vierte Teil hat „zentrale Aspekte der pädagogischen Psychologie“ zum Gegenstand. In zwei Einführungskapiteln wird ein Überblick über „Bildung in der Familie“ (S. 295) „Bildung in Kita, Krippe und Hort“ (S. 303) gegeben. Vertiefungen erfolgen zum Beispiel zum „Erwerb von Kenntnissen, Fertigkeiten und Kompetenzen“ (S. 319), zum „Erkennen und Begleiten von Vorläuferfähigkeiten“ (S. 325) oder auch zum Thema „digitalen Medien in der frühen Bildung“ (S. 333).
Der fünfte Hauptteil widmet sich „zentralen Aspekten der psychologischen Diagnostik“. Auch hier erfolgt ein erster Überblick über „Diagnostik als das Sammeln wissenschaftlicher Informationen“ (S. 341). Anschließend werden unterschiedliche Formen diagnostischen Vorgehens – wie Beobachten, Befragen (Interview) und Testen – vorgestellt. Ein Kapitel befasst sich explizit mit „Beobachten und Dokumentieren in elementarpädagogischen Handlungsfeldern“ (S. 369).
Im sechsten Hauptteil werden „zentrale Aspekte der Gesundheitspsychologie und der klinischen Psychologie“ behandelt. Nach einer Beschreibung von „Gesundheit und Gesundheitsförderung“ (S. 387) liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels auf psychischen Störungen und ansprechenden klassischen psychologischen, beziehungsweise psychotherapeutischen Begegnungsmöglichkeiten. Unterkapitel sind hier bspw. „Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern“ (S. 407), „Chronische Erkrankungen und Behinderung im Kindes- und Jugendalter“ (S. 417) und „“Entwicklungsförderung und psychotherapeutische Ansätze bei psychischen Störungen, Behinderung und chronischer Krankheit“ (S. 423).
Der letzte und siebte Hauptteil befasst sich mit „zentralen Aspekten der Arbeits- und Organisationspsychologie„; Themen sind hier zum Beispiel „Arbeitsmotivation, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsbelastung“ (S. 435), „Teamleistung, -stimmung und -führung“ (S. 455) aber auch das „Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen“ (S. 467).
In jedem der einzelnen Kapitel werden die thematisch zentralen Aspekte im Sinne eines Überblicks auf sechs bis zehn Seiten abgehandelt. Nach größeren Abschnitten wird der jeweilige Inhalt in „Essentials“ noch einmal zusammengefasst; die meisten Kapitel haben zudem eine Gesamtzusammenfassung. Zum Teil werden weiterführende Literaturhinweise gegeben – dies erfolgt bedauerlicherweise nicht in jedem der 50 Unterkapitel.
Diskussion
Grundsätzlich ist positiv anzusehen, dass mit dem Herausgeberband ein Überblick über das breite Feld psychologischer Erkenntnisse und den aktuellen Forschungsstand für den institutionell gefassten Altersbereich von null bis etwa sechs Jahren gegeben wird und hierbei in den meisten Kapiteln auch Bezug genommen wird auf institutionelle und pädagogische Besonderheiten der Tageseinrichtungen für Kinder.
Zugleich besteht in der starken Komprimierung der Inhalte auch ein Nachteil: Vereinzelt können Themen nur relativ oberflächlich betrachtet werden und es kommt zu einer nebeneinanderstehenden Sammlung ohne weitere Querverbindungen oder Querverweise. Zum Teil können dadurch auch kritische Aspekte nur rudimentär abgehandelt werden: So gibt es zum Beispiel im Bereich der Bindungsforschung und -theorie einen deutlichen kritischen Diskurs um die Kulturspezifik der bisherigen Forschung; diese Thematik hätte man angesichts großer Vielfalt in den Kindertageseinrichtungen aufgreifen müssen.
Die Kapitel unterscheiden sich stark daran, wie sehr ein Bezug hergestellt wird zum Alltag des Handelns in Kindertageseinrichtungen. So wird teilweise eher ein Grundlagenüberblick gegeben – ein typisches Beispiel ist hier das Kapitel 30 „Beziehungen, Strukturen und Prozesse in Gruppen“ (S. 283), wo Bezüge zur alltäglichen Gruppenpädagogik in der Kita nicht hergestellt werden und damit keine Unterstützung für praktisch tätige Fachkräfte gegeben wird. Gleiches gilt beispielsweise auch für das Kapitel 46 („Entwicklungsförderung und psychotherapeutische Ansätze bei psychischen Störungen, Behinderungen und chronischer Krankheit“, S. 423) – hier hätten deutlicher Hinweise für Vernetzungsmöglichkeiten aber auch das Handeln im pädagogischen Alltag erwähnt werden können. Auf der anderen Seite gibt es wiederum Kapitel, die explizit Bezug nehmen zur pädagogischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Beispiele hierfür sind das Kapitel zur „Entwicklung von Bindung und Beziehungen“, S. 155 Kapitel 16; das Kapitel zur „Werteerziehung“, Kapitel 28, S. 265; das Kapitel 40, „Beobachten und Dokumentieren in elementarpädagogischen Handlungsfeldern“ (S. 369) – hier ist bspw. explizit ein Bezug zu den gängigen Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren in Kindertageseinrichtungen in Form einer guten Übersichtstabelle (S. 374) hergestellt worden).
Etwas schlecht nachvollziehbar ist, warum renommierte Autor*innen, die sich aus ihrer Disziplin heraus spezifisch mit den Themen des Buches befasst haben – z.B. A. Richter-Kornweitz zur Gesundheitsförderung in Kitas oder P. Strehmel zur Team- und Organisationsentwicklung nicht repräsentiert sind.
Fazit
Insgesamt ist das Buch aus einer stark akademisch geprägten psychologischen Perspektive verfasst worden und es ist fraglich, ob aufgrund der Komprimierung und dem oftmals fehlenden Bezug zur konkreten Praxis hier eine Hilfe und Unterstützung für Fachkräfte in Kindergraten, Krippe und Hort gegeben wird, wie dies beansprucht wird. Allerdings bietet das Buch eine sehr gute Grundlage für Fachkräfte, die in Ausbildung (in Fachschulen/​Fachakademien und/oder Bachelorstudiengängen), aber auch der Weiterbildungen tätig sind. Hierfür steht ein breites und weitestgehend sorgfältig recherchiertes Kompendium zu relevanten psychologischen Themen mit Bezug zum Feld der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung zur Verfügung.
Rezension von
Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff
Ehem. hauptamtlicher Dozent für Klinische Psychologie und Entwicklungspsychologie an der EH Freiburg. Approbation als Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut. Abgeschlossene Ausbildungen in Psychoanalyse (DGIP, DGPT), Personzentrierter Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen (GwG), Gesprächspsychotherapie (GwG). Supervisor bzw. Dozent/Ausbilder bei verschiedenen Psychotherapie-Ausbildungsstätten. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dörte Weltzien und Prof. Dr. Maike Rönnau-Böse Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung an der EH Freiburg; Forschung im Bereich Jugendhilfe, Pädagogik der Kindheit, Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen.
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