Felix Brauner: Mentalisieren und Fremdenfeindlichkeit
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 22.03.2019

Felix Brauner: Mentalisieren und Fremdenfeindlichkeit. Psychoanalyse und Kritische Theorie im Paradigma der Intersubjektivität. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2018. 313 Seiten. ISBN 978-3-8379-2770-2. D: 36,90 EUR, A: 38,00 EUR.
Autor
Als studierter Psychologe fokussiert Felix Brauner in seiner Dissertation, an der er z. Z. arbeitet, das Thema Fremdenfeindlichkeit. Zusätzlich absolviert er eine Ausbildung zum analytischen Psychotherapeuten.
Thema
Der Autor möchte mit diesem Buch das psychoanalytisch geprägte Denken fördern, das durch das genuin gesellschaftskritische Potenzial geprägt ist. Brauner zielt auf die „Neuaufnahme“ der Gesellschaftskritik, die die moderne Psychoanalyse (mit all ihren Neuerungen) integriert.
Aufbau
Der Autor unterteilt seine wissenschaftliche Abhandlung nach der Danksagung sowie dem Vorwort in sechs Hautteile, denen abschließend das Literaturverzeichnis folgt.
- Allgemeine Einleitung
- Die Mentalisierungstheorie innerhalb der Gegenwartspsychoanalyse
- Ausgewählte Einblicke in die Kritische Theorie
- „Das Unbehagen der Kultur“ heute
- Hintergründe der Fremdenfeindlichkeit
- Abschließende Diskussion: Fremdenfeindlichkeit aus Sicht von Mentalisierungtheorie und aktueller Kritischer Theorie
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Brauner erinnert im Vorwort an die Tradition der psychoanalytisch geprägten Gesellschaftskritik. Neben einem groben Überblick zum theoretischen Hintergrund begründet der Autor sein Ziel: die Zusammenführung der Mentalisierungstheorie mit der Anerkennungstheorie.
Im Kapitel 1 verdeutlicht der Verfasser das Ziel seines Buches, die Facetten der modernen Psychoanalyse auf das Phänomen der Fremdenfeindlichkeit anzuwenden. Wobei der Bezug zu den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen durch die Einbeziehung der sogenannten „Kritischen Theorie“ erfolgt.
Der Ausgangspunkt des 2. Kapitel ist die „Modernisierung der Psychoanalyse im Sinne der Intersubjektivität“ (S. 27). Brauner stellt das Konzept des Mentalisierens vor und zieht die Verbindungslinien zur Psychoanalyse nach. Mit dem Blick auf „Die Entwicklungslinie des Mentalisierens“ (S. 39) wird die (früh) kindliche Entwicklung näher betrachtet.
Um rassistische Haltung nachvollziehen zu können, wird im 3. Kapitel die Verbindung zur 1. Generation der Kritischen Theorie, mit den Studien zum „Autoritäre Charakter“, vertieft. Konkret stützt sich der Autor auf die Gesellschaftskritik von Honneth. Honneth präferiert die Einbeziehung objektbeziehungstheoretischer Konzepte in seine Kritik und Brauner nutzt die Verknüpfung mit der Mentalisierungstheorie um rassistische Haltungen zu erklären. Insgesamt geht der Autor den diversen Aspekten der 3 Generationen der Kritischen Theorie auf den Grund um zu klären, inwiefern „Autoritäre Charaktere“ auch in der Gegenwart Fremdenfeindlichkeit begünstigen.
Aufbauend auf Kapitel 4 wendet sich der Autor Freuds Kulturtheorie zu. Zentrale Themen werden auf die Gegenwart transferiert. Brauner arbeitet bezogen auf die Kulturtheorie die zentralen Themen der Spätmoderne heraus: die Fähigkeit zur Emotionsregulation sowie der Anspruch auf Bildung performativer Identitäten.
Im 5. Kapitel rückt das Thema der Fremdenfeindlichkeit in den Focus der Betrachtungen. Der Bezug der zu Grunde liegenden psychischen Struktur wird erneut aufgegriffen. Mit dem Hintergrund zur Sozialstruktur der BRD wird unter soziologischer Sicht die Fremdenfeindlichkeit in der BRD analysiert. In der sich anschließenden Diskussion geht Brauner der Frage nach, inwieweit Konzepte der aktuellen Kritischen Theorie sowie der Gegenwartsanalyse einen hohen Erklärungswert für die erlebte Fremdenfeindlichkeit haben.
Dank der Erkenntnisse der Mentalisierungstheorie kann eine kausale Beziehung maladaptiver Bindungsbeziehungen in der (früh)kindlichen Entwicklung zur Herausbildung psychischen Strukturen aufgezeigt werden, die fremdenfeindliche Vorurteile begünstigen können. Gleichzeitig identifiziert der Autor die Verbindung der Überidentifizierung mit der eigenen Ethnie mit der Wahrnehmung der Bedrohung durch „Fremde“.
So schließt Brauner Kapitel 6 mit der, von der Mentalisierungstheorie getragenen, Diskussion um eine mögliche Verstärkung der fremdenfeindlichen Ressentiments durch die Blockierung psychischer Kreativität.
Diskussion und Fazit
Der Autor nähert sich dem hochaktuellen Thema der Fremdenfeindlichkeit. Dafür bringt Brauner Konzepte und Theorien der modernen Psychoanalyse mit Ideen der Kritischen Theorie zusammen. Im Focus steht die Mentalisierungstheorie. Als Kern des Problems der Fremdenfeindlichkeit identifiziert der Verfasser schlussendlich die Überidentifizierung mit der ethnischen bzw. nationalen Eigengruppe, die ursächlich auf frühkindliche Erfahrungen zurückzuführen ist. Mit dieser Studie werden u.a. soziologische, ökonomische und vor allem populistische Erklärungen zur Fremdenfeindlichkeit ergänzt bzw. ab absurdem geführt. Die zugrundeliegenden Ansätze der Kritischen Theorie seit deren Anfänge sowie die intersubjektive Psychoanalyse werden ergänzt von Forschungsergebnissen aus den Nachbarwissenschaften. Dank der Fußnoten und verschiedenen Exkursen werden die theoretischen Ausführungen ergänzt. Trotzdem stehen LeserInnen mitunter vor der Herausforderung, sich in diverse Theorien einzuarbeiten, z. Bsp. der Annäherungstheorie, um die inhaltlichen Ableitungen des Autors vollständig zu verstehen. Auch aufgrund des Schreibstils (zeilenlange Schachtelsätze) und der Spezifik der Studie wird dieses Fachbuch eher von Professionellen und Studierenden gelesen werden. Doch für diese ist es eine wahre Schatzgrube an Wissen und Erkenntnissen!
F. Brauner legt ein ausgesprochen anspruchsvolles Fachbuch vor. PsychotherapeutInnen, SozialwissenschaftlerInnen und PraktikerInnen finden Antworten auf Fragen zur Fremdenfeindlichkeit (in der BRD). Der Rückgriff auf die Kritische Theorie in Verbindung mit der modernen Psychoanalyse erweitert zwar aktuelle theoretische Diskurse, erfordert gleichzeitig von den RezipientInnen ein gewisses Maß an Vorkenntnissen in diesen Wissenschaftszweigen. Wissenschaftliche Erklärungen für Fremdenfeindlichkeit bilden jedoch nur den Beginn der praxisorientierten Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Die kreative Umsetzung der Erkenntnisse dieses Fachbuches ist wohl die größte Herausforderung für die LeserInnen. „Mentalisieren und Fremdenfeinlichkeit“ ist ein sehr tiefgreifendes Werk, das Psyche sowie Gesellschaft zusammenbringt und den LeserInnen die Freiheit lässt, das Wissen um Fremdenfeindlichkeit in deren (Berufs) Alltag zu integrieren.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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