Paul Hüster, Hans Hobelsberger et al. (Hrsg.): Christliche Organisationskultur prägen
Rezensiert von Prof. Dr. Ralf Hoburg, 31.01.2019

Paul Hüster, Hans Hobelsberger, Andreas Hellwig (Hrsg.): Christliche Organisationskultur prägen. Ansätze im kirchlichen Gesundheitswesen. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2016. 153 Seiten. ISBN 978-3-7841-2880-1. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 24,00 sFr.
Entstehungshintergrund und Thema
Die Gretchen-Frage im Bereich der Dienstleistungserbringung sozialer Unternehmen wird schon seit ca. zehn Jahren an der Unterscheidbarkeit festgemacht. Zugespitzt heißt das: Worin unterscheiden sich die christlichen Träger sozialer Dienstleistungen von der nicht-konfessionellen Wohlfahrtspflege? Lange Zeit wurde die Differenz durch die Art der Dienstleistung und ihrer Qualität versucht zu beantworten. Mittlerweile wird in etlichen Publikationen die spezifische Unternehmenskultur hierfür argumentativ angeführt.
An diesen Strang wissenschaftlicher Reflexion knüpft die hier vorliegende Untersuchung an, die die Ergebnisse einer empirischen Studie darstellt, die mehrere Beiträge zusammenführt. Auf S. 12 der Studie benennt der Herausgeber diesen Aspekt explizit, indem er die ethische Prägekraft als „Gretchenfrage“ zur Existenzberechtigung für kirchliche Einrichtungen erklärt. Die Identität und das Unternehmensprofil zwischen Sendungsauftrag der Kirche und sozialstaatlichem Versorgungsauftrag werden in der Untersuchung zum Gegenstand für die Untersuchung des institutionalisierten Wertediskurses zur Grundlage von innerer Zustimmung der Mitarbeitenden und der aktiven Mitgestaltung einer „christlich geprägten Institutionskultur“ gemacht. (S. 17)
Die Untersuchung, die sich in mehreren Beiträgen auf verschiedene empirische Analysen im Feld einer katholischer Wohlfahrtstätigkeiten bezieht, will auf der Basis von Kulturanthropologie und der Organisationstheorie von Edgar E. Schein einerseits kirchliche Organisationskultur beschreiben und andererseits zum kulturellen Lernen in katholischen Organisationen anleiten und damit einen konkreten Beitrag zur Gestaltung der Praxis als „Kulturarbeit“ leisten.
Aufbau und Inhalt
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Den theoretischen Rahmen des vorliegenden Bandes liefert das, von der Theorie der Organisationskultur aus argumentierende erste Kapitel (S. 9-48) des Verfassers Paul Hüster. Hierbei wird weniger von einer dezidierten Begründung der konfessionellen Wohlfahrtstätigkeit entsprechend caritas- oder diakoniewissenscahftlicher Begründung ausgegangen, sondern vom Postulat des kirchlichen Sendungsauftrages des päpstlichen Schreibens „deus caritas est“ (S. 14). Basis der Argumentation bildet das Faktum, dass Referenten katholischer Krankenhäuser im Rheinland gefordert waren, die „geistlichen Grundlagen der Trägerorden als prägenden Bestandteil der Unternehmenskultur“ einer größeren Organisation zu beschreiben. (S. 19) Zur theoretischen Fundierung dient dem Autor dann das Modell von Edgar E. Schein, das der „Unternehmenskultur“ einen besonderen Wert zuschreibt. Auf verschiedenen Ebenen wird dann im Folgenden die Mehrstufigkeit einer „Inkulturation“ beschrieben, die vom Autor als „Inkulturation von unten“ beschrieben wird, die Mitarbeitende, Patienten und Einrichtungsleitung umfassen soll. Es wird davon ausgegangen, dass die Unternehmenskultur durch das Management gesteuert werden kann. Hierfür ist die Fixierung gemeinsamer „Grundannahmen und Haltungen der Mitarbeitenden“ zentral. ( S. 37) Für diese Inkulturation von unten führt der Verfasser im weiteren Verlauf Beispiele an: So wurde von einerseits von Studierenden der Kath. FH NRW ein qualitatives Forschungsprojekt mit leitfadengestützten Interviews durchgeführt und andererseits benennt der Verfasser auf S. 41 im Rahmen eines Fusionsprojektes die Methodik der Kulturanalyse und Kulturdialoge im Anschluss an E. Schein. Im Folgenden werden verschiedene Methoden benannt, die im Rahmen der Comittment-Forschung geeignet sind, das Phänomen der Inkulturation näher zu beschreiben.
In einem zweiten größeren Beitrag (ab S. 49) beschreibt Hans Hobelsberger das Verfahren und die Ergebnisse des von Paul Hüster benannten Forschungsprojektes der Studierenden der KathFH NRW. Hierbei geht es zunächst um die Überprüfung der Annahme, dass die Wirksamkeit von Leitbildern vor allem durch das Alltagshandeln von Mitarbeitenden abhängt. (S. 50) Für die Prägung der christlichen Unternehmenskultur spielen die Wertekonzepte der Mitarbeitenden eine zentrale Rolle. Ziel des Projektes war die Erhebung der Selbstdeutung der Arbeit durch die Mitarbeitenden. Es ging um die Frage, wie Mitarbeitende ihren Beruf verstehen und ihn in das Wertekonzept eines christlichen Unternehmens einordnen. Auf der Grundlage der qualitativen Interviews wurden verschiedene Ergebnisse erkennbar, die in dem Beitrag benannt werden und eine Affinität von persönlichem Wertekonzept und Unternehmenskultur aufzeigen. Hierzu zählt etwa, dass die Arbeit als Ausdruck einer Identitätsentfaltung gewertet wird (S. 55). Gleichzeitig steht in Übereinstimmung mit der christlichen Wertekultur das zentrale Motiv „Menschen zu helfen“ im Vordergrund. (S. 56f) Es sind vor allem die Werte von Patientenorientierung und die „vertrauens- und respektvolle Kommunikation“ mit den Patienten, die die Arbeitsauffassung und damit die Unternehmenskultur prägen. Der Patient ist Hilfesuchender und nicht Kunde (S. 68). Dem herrschenden ökonomischen Druck begegnen die Mitarbeitenden laut Selbstbild der Interviews durch drei Strategien:
- pragmatische Anpassung;
- Escape-Strategie z.B. durch Weiterbildung;
- innere Kündigung.
Am Ende kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Ausgangsthese von der Orientierungskraft der Leitbilder durch die beruflichen Selbstbilder und Selbstdeutungen der Mitarbeitenden gedeckt wird.
Die beiden Kapitel drei und vier dokumentieren eher übersichtsartig als Praxisberichte die Ergebnisse von Praxisbeispielen über die Qualitätsentwicklung des Katholischen Klinikums Bochum (Kap. 3: Andreas Hellwig/Regina Glathe) und einer Wertekampagne der St. Augustinus-Kliniken (Kap. 4: Paul Hüster/ Thorsten Arens/ Thomas Suermann de Nocker). Hier geht es um die nachhaltige Umsetzung des Leitbildes sowie um Traditionssicherung anhand eines sog. „Werte-Controllings“ (S. 107) im Rahmen von Organisationsentwicklung. Ausgegangen wird hierbei von der Erkenntnis, dass das „Beziehungsgeschehen in helfenden Berufen […] mehr ist als ein Kundenservice.“ (S. 109) In den Praxisprojekten werden die Ausgangsparameter der gesamten Studie, d.h. die Mitarbeiterorien-tierung und die Kulturdiagnose praxisnah erprobt. Der Lesende gewinnt hier vor allem Einblicke in die Prozesshaftigkeit der Organisationsberatung und kann für die eigene Praxis Rückschlüsse ziehen. Der Wert der Darstellung liegt hier vor allem auf der Praxisrelevanz und dem Ablauf der Kampagnen. (ab S. 118) Als Ergebnis halten die Autoren fest, dass die Arbeit an den Leitbildern und der Wertekampagne deutlich macht, dass der „Austausch über Werte“ (S. 132) auf der Ebene der Mitarbeitenden generell als wichtig erachtet wird. Am Ende steht fest: Die Praxis zeigt, dass ein institutionalisierter Wertediskurs den Unternehmen eine „erlebbare christliche Prägung“ gibt (S. 134)
In den Kapiteln fünf und sechs befasst sich der Hauptherausgeber Paul Hüster zusammenfassend nochmals mit dem Instrument des „Kulturdialogs“ als Methode der die Ebene der Leitbilder ergänzenden Form zur Schaffung einer Unternehmenskultur und beschreibt darin die Zielsetzungen, die Ebenen des Nutzens und das Verfahren. Das Ziel dieses Kulturdialogs sieht der Autor einerseits in der „stärkenorientierenden Bestandsaufnahme der gelebten Einrichtungskultur (Kulturanalyse).“(S. 136) Diese orientiert sich an den Mitarbeitenden. Andererseits dient dies der Fortentwicklung eines christlichen Profils. Als Ergebnis stellt der Verfasser die für ihn evidente Korrelation auf, dass sich die Werteorientierung „positiv auf die Qualität der Dienstleistung“ auswirkt (S. 137). Am Ende des gesamten Bandes steht die Erkenntnis fest, dass die Entwicklung eines christlichen Profils von „alternativloser Wichtigkeit für das Überleben von konfessionellen Einrichtungen“ ist (S. 152).
Diskussion
Interessanter Weise scheint sich die katholische Begründung von Seiten der Caritas in Bezug auf die Relevanz des Unterscheidenden in der Unternehmenskultur und der Ebene eines christlichen Werte- und Kulturverständnisses hier ausnahmsweise mal mit der evangelischen Linie der Diakonie einig zu sein, wie einer der Literaturverweise auf S. 16 der Studie zeigt. Wohlfahrtsunternehmen in christlicher Trägerschaft sind demnach kirchliche Einrichtungen – die Rechtssprechung des EuGH zur konfessionellen Bindung von Mitarbeitenden spricht hier indes eine andere Sprache. Hier setzt auch teilweise eine mögliche Kritik an der gesamten Studie an, die sich primär auf den katholischen Binnenhorizont bezieht. Der Lesende wünscht sich gerade bei den empirischen Teilen der Studie wissenschaftliches Vergleichsmaterial. So erwecken die empirischen Ergebnisse zunächst den Eindruck eines weitgehenden Konsenses zwischen der Normativität christlicher Leitbildkultur und der Selbstdeutung von Mitarbeitenden. Die Realität innerhalb der kirchlichen Wohlfahrtsverbände und vor allem der durchaus auch erkennbare Dissens zwischen den offener und pluraler gewordenen Wertvorstellungen der Mitarbeitenden – einschließlich der Frage muslimischer Mitarbeitenden – und dem Träger Kirche werden somit eher in der gesamten Studie ausgeblendet. Wie lassen sich die normativen Konflikte von Mitarbeitenden in Bezug auf Vorstellungen von Kirchlichkeit und Religiosität in ein „Commitment-Konzept“ integrieren?
Fazit
Es liegt mit der Studie ein weiterer Diskussionsbeitrag zu der Frage eines Zusammenhanges von Werteeinstellung von Mitarbeitenden und christlicher Unternehmenskultur vor (vgl. auch die socialnet Rezension). Damit kann inzwischen innerhalb der Forschung davon ausgegangen werden, dass neben der Normativität von Leitbildern die spezifische Organisationskultur geprägt wird von den Wertvorstellungen und Selbstbildern der Mitarbeitenden. Christliche Organisationskulturen bleiben damit auf die christliche Wertorientierung ihrer Mitarbeitenden angewiesen. Offen bleibt für mich als Impuls für weitere Forschung die Frage nach der produktiven Bearbeitung der Ebene möglicher normativer Konflikte durch die Organisation selbst: Was nämlich, wenn die Wertvorstellungen der Mitarbeitenden sich allmählich durch zunehmende Säkularisierung oder normative Transformation innerhalb der Gesellschaft von der vorausgesetzten christlichen Werteebene entfernen? Das Konzept: christliche Mitarbeitende in christlichen Unternehmen garantieren christliche Wertestabilität trägt für mich eher organisationssoziologisch einen hermetischen Zug.
Als Fazit heißt das für mich: Wir benötigen auf diesem Feld von Unternehmenskulturen vor allem eine vergleichende Wohlfahrtsforschung, die konfessionelle und nicht-konfessionelle Wohlfahrtspflege auf dem normativen Feld untersucht.
Rezension von
Prof. Dr. Ralf Hoburg
Hochschule Hannover, Lehrgebiet Sozialwirtschaft und Theorie des Sozialstaats
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