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Theres Bausch-Walther: Pflege von betagten Menschen mit Verhaltens­auffälligkeiten

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 15.11.2018

Cover Theres Bausch-Walther: Pflege von betagten Menschen mit Verhaltens­auffälligkeiten ISBN 978-3-17-033800-5

Theres Bausch-Walther: Pflege von betagten Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2018. 153 Seiten. ISBN 978-3-17-033800-5. 18,00 EUR.

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Thema

Verhaltensauffälligkeiten zeigen alte Menschen oft, wenn sie demenziell erkrankt sind und die inneren und äußeren Reize nicht mehr angemessen bewältigen können. Wenn die Umwelt, die Pflegenden und das Milieu fremd und bedrohlich wirken, dann reagieren die Betroffenen meist mit einem stressbezogenen Überforderungsverhalten. Unruhe, Furcht, aber auch verbale und tätliche Aggression sind dann typische Reaktionen. Aber auch Wahn und Halluzinationen nebst raumzeitlicher Desorientierung als Realitätsverluste und Realitätsverzerrungen belasten die Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium und machen sie extrem hilflos.

In der Demenzpflege sind in den letzten Jahrzehnten viele, teils wirksame und oft auch unwirksame Umgangsstrategie für diese Patientengruppe entwickelt worden. Überwiegend handelt es sich dabei um pflegerische, betreuerische und milieubezogene Kompensations- und Anpassungsleistungen an die kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Defizite der Erkrankten. Die vorliegende Arbeit kann in diese Rubrik eingeordnet werden.

Autorin

Theres Bausch-Walther ist Krankenschwester für psychiatrische Pflege und arbeitete als Stationsleitung in einem psychiatrischen Krankenheim in der Schweiz. Anschließend gab sie Kurse und Praxisbegleitungen zum Themenbereich „Betagte Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten“.

Aufbau und Inhalt

Das Buch besteht aus dreizehn Kapiteln. Die Deutschen Nationalbibliothek zeigt das vollständige Inhaltsverzeichnis.

In den ersten drei eher einleitenden und hinführenden Kapiteln werden kurz Begriffe und Grundsätze der Autorin zu diesem Thema erläutert.

Im zentralen Kapitel 4 (die 12 Schwerpunkte der Emp-Pflege, Seite 24 – 124) werden die Kernelemente des Konzeptes u.a. anhand von konkreten Fallbeispielen beschrieben:

  • Empathischer Kontakt
  • Wahrnehmen der Stimmung
  • Pflege zu zweit
  • Führung übernehmen
  • Sich verbünden
  • Mehrdeutige Antworten
  • Anerkennen, Nachfragen
  • Einladen statt anleiten
  • Auf Äußerungen eingehen
  • Drei-Sekunden-Verzögerung
  • Konzentrierte Zuwendung
  • Alleinsein überbrücken

Es handelt sich bei diesen Schwerpunkten überwiegend um Empfehlungen bezüglich der verbalen und nonverbalen Kommunikation bei der Grundpflege meist demenzkranker Pflegeheimbewohner, die für die Pflegenden mit Problemen im konkreten Umgang verbunden sind. Zentrale Problemlagen sind dabei überwiegend die Pflegeverweigerung bez. Ablehnung der Pflege seitens der Erkrankten. In den meisten Fällen sind es Verhaltensweisen der Überforderung, denn die Betroffenen können weder kognitiv noch emotional den Pflegeprozess mit all seinen Facetten erfassen und damit auch bewältigen. Verbale und tätliche Aggressionen bei der Pflege sind hierbei Symptome eines extrem hohen Stressniveaus, das wiederum die Pflegenden meist überfordert.

In den folgenden Kapiteln werden knapp auf wenigen Seiten die ergänzenden Aspekte des Pflegemodells angeführt: Schwerpunktsetzung in der Kommunikation bei der Pflege, die Grenzen der Emp-Pflege, Austausch über Pflegeerfolge in der Pflegegruppe, Berücksichtigung der Willensäußerungen der Heimbewohner, Optimierung des Medikamenteneinsatzes, Empfehlungen für die Bildung eines so genannten „Emp-Teams“ im Heim nebst weitergehenden Erfordernissen wie z.B. Literatur und Weiterbildung. Den Abschluss bildet der Verweis auf die fünf Altenpflegeheime in der Schweiz, in denen das Pflegemodell der Autorin bereits angewendet wurde.

Diskussion und Fazit

Über den Umgang mit Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium ist in den letzten Jahren eine kaum noch übersehbare Fülle an Modellen, Konzepten und theoretischen Konstrukten in Form von Büchern und Aufsätzen publiziert worden. Zum Leidwesen der Leser oft von Autoren, die weder über die einschlägigen wissenschaftlichen Grundlagen noch über eine ausreichende praktische Erfahrung in der Pflege und Betreuung in diesem Arbeitsfeld verfügen. Die Autorin der vorliegenden Publikation hingegen hat in der Pflege gearbeitet, wie aus den vielen Fallbeispielen, die fast mehr als die Hälfte des Inhalts ausmachen, deutlich zu erkennen ist. Ein Praxisbezug zur Demenzpflege scheint also in Ansätzen hier vorzuliegen.

Der Autorin wird nun seitens des Rezensenten der Vorwurf gemacht, dass für die Fundierung eines neuen Pflegemodells, die so genannte „Emp-Pflege“ („Emp“ steht für Empathie), ihre praktischen Erfahrungen und ihr Wissensstand nicht ausreichend sind. U. a. folgende Belege werden für diese Einschätzung angeführt:

  • Bezugs- bzw. Gruppenpflege ist ein entscheidendes Kernelement der Demenzpflege, wie es die Praxis und auch die Forschung belegen (Athlin, E. & Norberg, A. 1987). Die Autorin hingegen propagiert an mehreren Stellen den Wechsel der Pflegenden bei der Grundpflege ohne hierbei auf den entscheidenden Faktor gegenseitiger Vertrautheit bei der Pflege zu verweisen.
  • Kritisiert wird auch ihre Einschätzung, dass stereotype Verhaltensautomatismen willentlich praktiziert werden, um etwas „Sinnvolles“ tun zu wollen (Seite 96). Es handelt sich jedoch hierbei um unkontrolliertes Verhalten auf der Grundlage prozeduraler Langzeitgedächtnisinhalte (Disinhibitionen) und nicht um bewusste Willensakte.
  • Der Hauptvorwurf besteht aus dem Tatbestand, dass alle „Schwerpunkte der Emp-Pflege“ mehr oder weniger ausführlich bereits vor vielen Jahren in Fachpublikationen veröffentlicht wurden (siehe u. a. folgende Rezensionen: www.socialnet.de/rezensionen/413.php und www.socialnet.de/rezensionen/6389.php, Sachweh 2000). Wenn nun altbekannte Wissensstände als ein neues Konzept offeriert werden, kann zweierlei vermutet werden. Der Autorin ist die einschlägige Fachliteratur nicht bekannt. Das lässt auf unzureichendes Fachwissen schließen. Oder die Autorin neigt zum Abschreiben (Plagiat). Der Rezensent vermutet, dass fehlende Fachkenntnisse der Grund für diesen Sachverhalt darstellt, denn es fehlt überraschenderweise ein Literaturverzeichnis. Es bedarf hier des Hinweises, dass die Entwicklung eines neuen Konzeptes in der Regel auf der Grundlage der bereits bestehenden Strategien und Modelle vorgenommen wird, indem hierbei vor allem das Weiterführende und auch Abgrenzende zu dem Bestehenden herausgearbeitet und begründet wird.

Es bleibt somit das Fazit zu ziehen, dass die vorliegende Publikation keine neuen Impulse für die Pflege und Betreuung Demenzkranker enthält.

Literatur

  • Athlin, E. & Norberg, A. (1987) Caregivers attitudes to and interpretations of the behaviour of severely demented during feeding in a patient assignement care system. International Journal of Nursing Studies, 24 (2): 145–153.
  • Sachweh, S. (2000) «Schätzle hinsitze!». Kommunikation in der Altenpflege (2., durchgesehene Auflage), Frankfurt am Main: Peter Lang.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 15.11.2018 zu: Theres Bausch-Walther: Pflege von betagten Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2018. ISBN 978-3-17-033800-5. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24635.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.


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