Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze et al. (Hrsg.): Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland
Rezensiert von Dr. Anael Labigne, 23.07.2018
Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze, Stefan Nährlich (Hrsg.): Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland. Ein Kompendium zur Erschließung eines sich entwickelnden Themenfeldes.
Springer VS
(Wiesbaden) 2018.
385 Seiten.
ISBN 978-3-658-02584-7.
D: 19,99 EUR,
A: 20,55 EUR,
CH: 25,00 sFr.
Reihe: Lehrbuch.
Thema
Die Herausgeber möchten zu drei Themenfeldern einen akademischen Zugang bieten:
- Corporate Social Responsibility (CSR),
- Corporate Citizenship (CC) und
- gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen.
Denn diese Begriffe gehen auf gesellschaftliche Veränderungen sowie auf die veränderte gesellschaftliche Rolle von Unternehmen ein, und verweisen somit auf die wechselseitige Durchdringung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Herausgeber
- Dr. Holger Backhaus-Maul ist Soziologe und Verwaltungswissenschaftler. An der Martin- Luther- Universität Halle- Wittenberg ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Fachgebiete Recht, Verwaltung und Organisation tätig.
- Martin Kunze ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Christian- Albrechts- Universität zu Kiel.
- Dr. Stefan Nährlich ist Wirtschaftswissenschaftler und Geschäftsführer der Stiftung Aktive Bürgerschaft (Berlin).
Entstehungshintergrund
Beim Thema Unternehmensverantwortung gibt es wenige gesicherte und in der Fachwelt geteilte Erkenntnisse. Das Lehrbuch „Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland“ ist eine im ersten Quartal 2018 veröffentlichte Gesamtschau zu dieser Thematik, die über die Springer VS Lehrbuch-Reihe publiziert wurde.
Aufbau
Das knapp 400 Seiten starke Werk wurde mit ca. 30 verschiedenen Autoren und untergliedert in fünf Kapitel, die insgesamt 21 Beiträge beinhalten, erarbeitet.
- Der Einleitung folgt das zweite Kapitel mit dem Titel „Gesellschaftspolitische Verortung“,
- das Kapitel drei mit dem Titel „Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Zugänge“ sowie
- das Kapitel vier mit dem Titel „Gesellschafts- und unternehmensbezogene Handlungsfelder“.
- Schließlich finden sich in Kapitel fünf ausgiebige Informationen über die Autoren, die überwiegend – aber nicht ausschließlich – einen wissenschaftlichen Hintergrund haben, oftmals als Professoren oder Dozenten deutscher Universitäten.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Ausgewählte Inhalte
Der Untertitel des Buches lautet „ein Kompendium zur Erschließung eines sich entwickelnden Themenfeldes“ und dieser Untertitel trifft den Nagel auf den Punkt: Die Herausgeber möchten zu den drei Themenfeldern Corporate Social Responsibility (CSR), Corporate Citizenship (CC) und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen einen akademischen Zugang bieten. Das Themenfeld ist bisher vor allem durch das konkrete Handeln der Praktiker definiert. Praktiker, etwa CSR-Manager, ziehen gleichzeitig bisher nur begrenzt Rückschlüsse für ihre Arbeit aus der Forschung in diesem Themenfeld.
Die Herausgeber haben vor interdisziplinären und heterogenen Perspektiven nicht Halt gemacht, sicher auch um die Thematik in ihrer deutschen Pfadabhängigkeit zu kontextualisieren.
So wird in den ersten Kapiteln, etwa im Beitrag von Dr. Alexander Lorsch, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft als Gesellschaft und Wirtschaftsordnung besprochen. Wir lesen über die Bezüge der Themenfeldentwicklung nicht nur bei Ludwig Erhard, sondern auch über die Rolle von Alfred Müller-Armack, Walter Eucken und anderer Vertreter der sogenannten Freiburger Schule. Kurz, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland kann ohne ein grundlegendes Verständnis der Idee der sozialen Marktwirtschaft und des Ordoliberalismus gar nicht erst in seinen Ansätzen verstanden werden. Gerade für Studierende eine wichtige Erkenntnis im Kontext einer angelsächsisch geprägten Debatte um CSR.
Ein zweites Beispiel, das belegt, dass die Herausgeber und Autoren das Thema in Deutschland untersuchen und entsprechend lokalisieren möchten, ist etwa der Beitrag von Prof. Dr. Michael Hüther, in dem das für Deutschland typische „Familienunternehmen mit Eigentümerführung“ der „Publikumsgesellschaft (Kapitalgesellschaften) mit Managementführung“ entgegengestellt wird (Seite 36). Familienunternehmen spielen zwar in vielen Ländern eine wichtige Rolle, doch in Deutschland in besonderem Maße und mit besonderer ökonomischer Relevanz. In anderen Worten, nicht nur auf der gesellschaftlichen Makro-Ebene, vielmehr auch auf der Meso-Ebene konkreter Unternehmen gibt es einige Grundlegungen, die zu beachten sind, bevor über die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland sinnvoll weiter gesprochen werden kann, etwa die Eigentümerstruktur.
Diskussion
So tief greifend und wichtig diese und weitere Befunde der Autoren auch sind, aus der Perspektive von Studentinnen und Studenten funktioniert die Zusammenschau – explizit als Lehrbuch – doch nur begrenzt. Denn trotz des abschwächenden Untertitels, der auf ein Kompendium verweist, ist nicht nur die Erscheinung in der Springer Lehrbuchreihe, sondern auch der Absatz zur „Anlage des Lehrbuchs“ (Seite 7) Ausdruck eines Anspruchs, der schwerlich erfüllt werden kann: tatsächlich herrschende Lehrmeinung zum Thema „gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland“ in einem Buch darstellen.
Struktur des Buches
Die Struktur des Buches spiegelt wieder, dass sich das Themenfeld stark entwickelt. Es stellt sich die Frage, ob das Werk als Lehrbuch zu uneinheitlich ist. Teilweise wird eine Untergliederung nach Disziplinen gewählt: Unternehmensverantwortung aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive (Prof. Dr. Thomas Beschorner und Dr. Christop Schank) wird etwa einer politikwissenschaftlichen Perspektive (Dr. Rudolf Speth) entgegengestellt. Doch diese Struktur wird nicht durchgehalten. So widmen sich einzelne Kapitel dem „aktuellen Stand der empirischen Forschung“ (Judith Polterauer) oder der „gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen aus Neo-institutioneller Perspektive“ (Dr. Stephan Bohn), obwohl empirische Zusammenstellungen, zumeist mit Bezug auf den ersten Engagementbericht 2012, in ganz verschiedenen Kapiteln vorkommen und auch neoinstitutionelle Perspektiven an ganz unterschiedlichen Stellen des Lehrbuches eine Rolle spielen. Aus Sicht des Studierenden, ist diese Struktur unübersichtlich. Auch als Dozent kann das vorliegende Lehrbuch in dieser Fassung schwerlich zur Klausurvorbereitung aus dem Regal genommen werden, um daraus abzufragende Wissensbestände herauszugreifen.
Für ein Lehrbuch würde es sich anbieten am Ende der Kapitel zusammenzufassen, was der Studierende in jedem Fall nach dem Studium des jeweiligen Kapitels zu wissen hat. Dazu sind überprüfende Fragen sowie zusammenfassende Grafiken von großer Hilfe und für erfolgreiche Lehrbücher ein etablierter Erfahrungswert. Typologien etwa werden besonders gut gemerkt, wenn sie nicht nur verschriftlicht beschrieben werden, sondern außerdem als zusammenfassende Grafik dargestellt sind. Studierende können sich etwa an einer Grafik wie der von Daniel Kindermann zusammengestellten Statistik zur Anzahl der Unternehmen, die verschiedene CSR-Frameworks anwenden, gut orientieren (Seite 103). Für solch ein Buch ist es von zentraler Bedeutung neben grundlegenden Konzepten wie der sozialen Marktwirtschaft von konkreten und aktuellen Wissensbeständen über United Nations Global Compact (UNGC) oder der Global Reporting Initiative (GRI) zu lernen. Dieser Überblick wird gegeben, aber eben in Beiträgen einer Reihe von Autoren, die sich wenig überraschend dann nicht nur ergänzen, sondern auch wiederholen.
Untersuchungsgegenstand
Die Herausforderung als Lehrbuch zu funktionieren, liegt an der thematischen Breite des Untersuchungsgegenstandes. „Unternehmen in Deutschland“ ist ein heterogener Untersuchungsgegenstand. Und wenn Dorothea Baur über die politische Macht, die Unternehmen ausüben, schreibt, bezieht sich die Aussage auf einen quantitativ gesehen sehr kleinen Teil von Unternehmen. Das macht die Frage „wer oder was sie [die Unternehmen] zu politischem Engagement berechtigt oder gar verpflichtet und wer sie dafür nötigenfalls zur Verantwortung ziehen soll“ (Seite 90), nicht weniger interessant. Doch für das typische deutsche Unternehmen mit seinen 1–9 Mitarbeitern sind diese Legitimationsproblematiken weit weg. Der Eindruck, dass die überwiegende Anzahl der Autoren vor allem größere Unternehmen im Hinterkopf hat, wenn sie ihre Fragestellungen und Reflexionen formulieren, zieht sich durch verschiedene Beiträge. So auch bei Stefan Bohn, wenn er schreibt das „Corporate Social Responsibility (CSR) bzw. gesellschaftliche Verantwortung von keinem Unternehmen ignoriert werden kann“ (Seite 257). Mit Blick auf die gesamte Breite der deutschen Unternehmenslandschaft, die eben von dem kleineren Mittelstand geprägt ist, scheint diese Aussage als gesicherter Wissensbestand sehr fraglich. Gerade die sozialen Erwartungen der Gesellschaft, die neben den formalen Erwartungen des Staates und den wirtschaftlichen Erwartungen des Marktes aus soziologischer Perspektive von Andrea Maurer herausgearbeitet werden, scheinen sich doch vor allem auf markenstarke Unternehmen zu beziehen, die überhaupt eine zu schützenden Marke haben. Oder sind mit den sozialen Erwartungen auch soziale Erwartungen an das lokale Handwerksunternehmen gemeint und müssen auch diese sich mit Blick auf ihre Verantwortung kritische Fragen ihrer „Stakeholder“ gefallen lassen? Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie all diese Prämissen strukturiert dargestellt werden könnten, ohne das Lehrbuch noch komplexer zu machen.
Einige Autoren, so etwa Christoph Schank und Thomas Beschorner versuchen durchaus eine herrschende Lehrmeinung zu etablieren. Das ist der Versuch, Komplexität zu reduzieren: „der Grundstein der Entwicklung hin zu einem modernen Verständnis von gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung legte Howard Bowen 1953 mit seiner klassischen Schrift ‚Social Responsibility of the Businessman‘ und seinen ‚lines of actions which are desirable in terms of the objectives and values of our society‘“ (Seite 181). Es scheine durchaus legitim Howard Bowen als Vater der modernen Unternehmensverantwortung zu benennen. Das Problem aus Sicht des Studierenden ist, dass wir einige Kapitel zuvor sowohl über andere Gründungsväter gelesen haben, wie auch in den soziologischen Artikeln vor allem eine Botschaft stark gemacht wurde: die angestrebten Ziele und Werte, die für eine positive Entwicklung von Gesellschaft gelten sollen, sind umkämpft. Die Fachbegriffe Corporate Responsibility (CR), Corporate Social Responsibility (CSR) und Corporate Citizenship (CC) sind deshalb wissenschaftlich gesehen „contested concepts“. Nicht zuletzt aus diesem Grund existieren eine ganze Reihe von CSR-Frameworks, die versuchen, eine normative Richtung oder zumindest einen groben Rahmen mit zu gestalten und Praktikern somit richtungsweisende Orientierung an die Hand zu geben.
Fazit
Diese potentiellen Widersprüche machen das Buch zu einem akademischen Sammelwerk – im besten Sinne des Wortes: Anstelle dem Studierenden herrschende Lehrmeinungen zu suggerieren, wird in einer Vielzahl von Perspektiven ein Themenfeld erschlossen. Statt dass ein das ganze wissenschaftliche Feld überblickender Professor aus seiner Perspektive möglichst objektiv, aus einer Denkschule kommend zusammenfasst, wie der Stand der Forschung ist, wird in etwa 30 Artikeln ein anspruchsvoller Blick in verschiedenen Fragestellungen rund um das Thema Unternehmensverantwortung gegeben. Das Buch überzeugt deshalb als „Kompendium eines sich entwickelnden Themenfeldes“ (siehe Untertitel). Es lässt sich aber durchaus fragen, inwiefern eine neue Auflage als Lehrbuch im klassischen Sinne der strukturierten Wissensvermittlung im Kontext akademischer Ausbildung neu geordnet und formatiert werden könnte.
Das Buch gehört in die Regale der CSR-Abteilung größerer Unternehmen, da es Kontext- und Orientierungswissen für praktische Arbeit bietet. Anstelle einer allzu schnellen Kopie angelsächsischer Diskurse lernen wir, wie das Thema Unternehmensverantwortung bei Denkern von Marx bis Weber über die Freiburger Schule und modernen CSR Frameworks diskutiert und debattiert wird. Auch etwa die wissenschaftlichen Mitarbeiter von Unternehmensverbänden profitieren davon. Das Buch gehört auch in jede sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Bibliothek, da die Studierenden lernen werden, die nach jedem Kapitel angegebene weiterführende Literatur zu nutzen, um für sich selbst zu entscheiden, inwiefern grundsätzliche Fragestellungen oder aktuellere managementorientierte Fragestellungen tiefergehend verfolgt werden. Diese selbstständige Arbeit wird sich lohnen und kritisches Hinterfragen lehren. Und vielleicht ist auch das „typisch deutsch“.
Rezension von
Dr. Anael Labigne
Leiter Unternehmensengagement und Prokurist
ZiviZ - Zivilgesellschaft in Zahlen im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.,
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Zitiervorschlag
Anael Labigne. Rezension vom 23.07.2018 zu:
Holger Backhaus-Maul, Martin Kunze, Stefan Nährlich (Hrsg.): Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen in Deutschland. Ein Kompendium zur Erschließung eines sich entwickelnden Themenfeldes. Springer VS
(Wiesbaden) 2018.
ISBN 978-3-658-02584-7.
Reihe: Lehrbuch.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24646.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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