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Ibrahim Rüschoff, Paul M. Kaplick (Hrsg.): Islam und Psychologie

Rezensiert von Prof. Dr. Gertrud Hardtmann, 25.10.2018

Cover Ibrahim Rüschoff, Paul M. Kaplick (Hrsg.): Islam und Psychologie ISBN 978-3-8309-3821-7

Ibrahim Rüschoff, Paul M. Kaplick (Hrsg.): Islam und Psychologie. Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2018. 386 Seiten. ISBN 978-3-8309-3821-7. 39,90 EUR.

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Thema

Aufgrund der Bedeutung von Religion und Spiritualität beschäftigen sich seit Ende der 70er Jahre muslimische Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten mit der Idee einer islamischen Psychologie, ihrer Theorie und Praxis auf der Grundlage eines islamischen Menschenbildes. Theoretische und anwendungsorientierte Beiträge werden vorgestellt.

Herausgeber

Paul Kaplick ist nach dem Studium der angewandten Psychologie Leiter der Islam- und Psychologie-Forschungsgruppe in der islamischen Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe. Er hat in Oxford geforscht und war am Max Planck Institut für Psychiatrie und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU in München tätig. In Amsterdam studierte er Hirn- und Kognitionswissenschaft, speziell internationale Stressforschung.

Ibrahim Rüschoff ist nach dem Studium der Pädagogik und Medizin als ärztlicher Psychotherapeut in eigener Praxis tätig und arbeitet überwiegend mit muslimischen Patienten. Er ist Mitglied im Zentralrat der Muslime in Deutschland, sowie der Islamischen Arbeitsgemeinschaft für Sozial- und Erziehungsberufe e.V.

Autorinnen und Autoren

  • Fatimah Abdullah promovierte nach dem Master in Philosophie am Internationalen Institut für islamisches Gedankengut und Zivilisation und publizierte zu Familienmanagement, Erziehung und zu Wissenschaft und Fundamente der Religion. Sie ist z.Zt. a.o. Professorin für komparative Religion an der internationalen islamischen Universität Malaysia.
  • Hisham Abu-Raiya promovierte nach dem Studium der Psychologie und Soziologie in Jerusalem und in den USA und ist als klinischer Psychologe an der Bob Shapell Schule für Sozialarbeit der Universität Tel Aviv tätig.
  • Shafiq F. Alawneh studierte englische Sprache und Literatur und unterrichtete nach der Promotion 1992–1996 an der Universität Bahrain und war seit 1999 Professor für Beratung und pädagogische Psychologie an der Universität in Irbid/Jordanien und ist seit 2014 Professor für pädagogische Psychologie an der Universität in Amman/Jordanien.
  • Rania Awaad ist nach dem Studium des Koran und islamischen Rechts Professorin für islamisches Recht am Zaytuna College. Nach dem Medizinstudium arbeitet sie als Psychiaterin und klinische Instrukteurin an der medizinischen Fakultät der Stanford Universität.
  • Malik Badri war nach dem Studium und der Promotion als Dekan an der Fakultät für Erziehung an der Universität Khartoum tätig und am Institut für islamisches Gedankengut und Zivilisation der internationalen islamischen Universität Malaysia. Aktuell ist er Professor für klinische Psychologie an der Universität in Omdurman/Sudan.
  • Khosrow Bagheri promovierte in Australien und ist Professor für Bildungstheorie, Religionspädagogik und Philosophie an der Universität Teheran und Präsident der Gesellschaft für Philosophie der Erziehung.
  • Rabia Dasti ist nach dem Master in klinischer Psychologie Dozentin am Zentrum für klinische Psychologie der Universität Punjab.
  • Rashid Hamid – keine Informationen.
  • Amber Haque war Professor für Psychologie an der islamischen Universität Malaysia/Kuala Lumpur und lehrt z.Zt. an der Universität der Vereinigten Arabischen Emirate.
  • Hooman Keshavarzi arbeitet nach dem Studium der klinischen Psychologie und der traditionellen islamischen Theologie als Professor an der Argosy Universität Chicago, am American Islamic College und dem Hartford Seminar und als Dozent für Psychologie an der Islamic Online Universität.
  • Fahad Khan promovierte nach dem Studium in Biomedizin in klinischer Psychologie und ist stellvertretender Direktor des Khalil Center und Dozent an der Concordia Universität Chicago und am College DuPage.
  • S.H. Khan war Professor für Psychologie an der Universität Jaipur/Indien.
  • Zohré Koshravi promovierte in Psychologie an der Universität New South Wales/Australien und ist Professorin für klinische Psychologie an der Al-Zahra Universität in Teheran.
  • Stephen Abdullah Maynard hat einen Bachelor in Psychologie, einen Master in Social Policy und ein Diplom in humanistischer Beratung; er ist Begründer von Stephen Maynard & Associates und des Lateef Projekts.
  • Yasien Mohamed promovierte nach dem Master in islamischer Psychologie zum Thema islamische Ethik in Frankfurt/Main und ist Professor für arabische Sprache und islamische Philosophie an der Universität in Kapstadt/Südafrika.
  • Fouad Moughrabi war Professor für politische Wissenschaften an der Universität Tennessee in Chattanooga/USA und Direktor des Center for Educational Research and Development von 1999–2005.
  • Sebastian Murken ist Psychologe und Psychoanalytiker und habilitiert in Religionswissenschaft. Er ist Honorarprofessor für Religionspsychologie an der Universität Marburg und hat Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Ausbildungsinstituten.
  • Abdallah E. Rothman ist licenzierter Berater und Kunsttherapeut. Nach dem Master in Psychologie promoviert er an der Kingston Universität/London und ist assoziierter Direktor von Spiritual Life & Intercultural Education an der New York Universität Abu Dhabi.
  • Ashiq Ali Shah promovierte in Psychologie an der Technischen Universität Berlin und war Professor am nationalen Institut für Psychologie der Quaid-i-Azam Universität in Islamabad/Pakistan. Von 1996 – 2004 hatte er eine Professur an der Kwantlen Polytechnic Universität in Surrey/Kanada.
  • Aisha Sitwat ist nach dem Master in Psychologie Assistenzprofessorin am Zentrum für klinische Psychologie der Universität Punjab/Lahore.
  • Rasjid Skinner studierte Anthropologie und Psychologie und wurde in Analytischer Psychologie ausgebildet. Von 1990 – 2016 war er leitender Psychologe am Lynfield Mount Hospital in Bradford/UK und hatte außerdem Lehraufträge für klinische Psychologie in Leeds und Sheffield und für islamische Psychologie am Cambridge Muslim College und eine Gastprofessur in klinischer Psychologie in Karachi/Pakistan. Er ist Gründer von Ihsaan, einem islamisch-psychologischen Therapiedienst in Bradford.
  • Ahmed Musliar Abdul Vahab war nach dem Master in Arabischer Sprache und Literatur und koranischer Psychologie Professor an der Calicut Universität in Kerala/Indien.

Entstehungshintergrund

Die Herausgeber und AutorInnen wollen einen Überblick über die Entwicklung in den letzten 40 Jahren und über zentrale Aspekte der gegenwärtigen Diskussion zur islamischen Psychologie, ihrer Geschichte, Theorie und Anwendung geben.

Aufbau

Historische Aspekte, metaphysische und epistemologische Grundlagentexte werden vorgestellt. Dann folgt eine Einführung in den Gegenstand: Persönlichkeitstheorien, Allgemeine Psychologie, Entwicklungstheorien, Schlüsselkonzepte und ein Überblick über die Anwendung in der islamischen Psychotherapie und Beratungspraxis und eine Untersuchung zur psychischen Gesundheit von Muslimen, gefolgt von einem Glossar und einer Kurzbiographien der Herausgeber und Autoren.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

1. Einleitung (9 Seiten).

Themen sind: Religion und Spiritualität in der Therapie, die Arbeiten zeitgenössischer muslimischer Psychologen – größtenteils englische und arabische Texte –, ein modernes Curriculum eines Psychologiestudiums und Einordnung dieses Sammelbandes in bereits vorhandene Literatur.

2. Islam und Psychologie – Gegenstand und Geschichte (Paul M. Kaplick, Ibrahim Rüschoff, 60 Seiten).

Nach einem historischen Abriss über frühe/traditionelle muslimische Gelehrte und muslimische Psychologen in der Gegenwart, beschäftigen sich die Autoren mit dem gegenwärtig wachsenden Interesse an islamischer Psychologie und der Motivation (z.B. Identitätsfindung). Islamische Quelltexte hätten eine Bedeutung für eine grundlagenwissenschaftlich-orientierte Literatur, dabei spiele auch die Auseinandersetzung mit der ‚westlichen‘ Psychologie eine Rolle, um eine Brücke zwischen islamischem Gedankengut und psychologischem Wissen (Filteransatz nach Badri 1979, Psychologieansatz nach Skinner 1989 und Vergleichansatz nach S. Hussain 1984) zu bauen. Aufgezeigt werden Theorie- und Themenstränge und anwendungsorientierte Schlüsselkonzepte (Therapieformen und Beratungspraxis, religiöse und kultursensible Ansätze, psychische Gesundheit von Muslimen und die Praxis der Ausbildung an den Universitäten, insbesondere auch in Deutschland). Kritisch werden unter wissenschaftstheoretischen Aspekten islamische Quelltexte als Axiome verstanden und dass die islamischer Psychologie größtenteils von den Interessen und der Ausbildung der Autoren und nicht von einer einheitlichen Methodik bestimmt ist. Sie sei eher anwendungsorientiert, und weniger an Fachterminologie, und bemüht um Grenzziehung zur ‚westlichen‘ (mitunter als ‚materialistisch‘ verketzerten) Psychologie. Die Herausgeber haben deshalb das Buch in einen konzeptuellen und strukturellen Teil und in einen Teil, der sich mit langfristigen Zielen und Strömungen der islamischen Psychologie befasst, unterteilt.

3. Psychologie aus islamischer Perspektive. Beiträge der frühen muslimischen Gelehrten und Herausforderungen für zeitgenössische muslimische Psychologen (Amber Haque, 25 Seiten). Die muslimische Gelehrsamkeit habe sich unter dem Schirm der Philosophie – fokussiert auf menschliche und göttliche Dinge – entwickelt, wobei muslimisches Denken stark vom Griechischen (Versöhnung von Religion und Philosophie) beeinflusst war; speziell islamische Beiträge fehlten hingegen über Jahrhunderte, obwohl sie bei frühen islamischen Gelehrten (es folgt ein Abriss von 16 Beispielen) vorhanden waren. Die westliche Psychologie habe im Zuge der Säkularisierung moralische und spirituelle Probleme vernachlässigt und deterministische Konzepte auf Kosten der Selbststeuerung, und damit im Widerspruch zum Koran, entwickelt. Indigene Psychologie und indigene Kulturen hätten Vorteile gegenüber der westlichen Psychologie.

Islam und Psychologie (Fouad Moughrabi, 4 Seiten). In den 1980er und 1990er Jahren habe eine klare Distanzierung gegenüber der westlichen Psychologie stattgefunden. Die Seele, Gegenstand der Psychologie, sei dem göttlichen Ursprung am nächsten, aber der Mensch könne sich durch animalische Instinkte (Essen, Trinken, Sex, Gewalt, Gier, Emotionen u.a.) von diesem entfernen, was zu Krankheiten (Depression, Drogen) führe. Das islamische Modell der Heilung sei kommunitaristisch, insofern das Individuum durch Rituale in eine Glaubensgemeinschaft eingebunden sei und damit die Einigkeit des Profanen und des Heiligen (Denken und Handeln) gegeben sei.

4. Grundlagenwissenschaftliche Beiträge: Das theoretische Fundament (insgesamt 165 Seiten).

4.1 Metaphysische und epistemologische Grundlagen (18 Seiten).

Naturalistische und islamische Ansätze zur Psychologie, Psychotherapie und Religion: metaphysische Annahmen und Methodologie (Sebastian Murken, Ashiq Ali Shah, 18 Seiten). Im Gespräch: Nach Murken habe in der westlichen Erkenntnistheorie die Religion keine privilegierte Stellung, da sie sich in umfassendem Sinn als wahr oder falsch erweisen könne. Erkenntnistheoretischer Fundamentalismus suche hingegen nach unrelativierenden und unkorrigierbaren Annahmen. Psychische Gesundheit könne sich aber nicht nur auf eine einzige Variable, z.B. die Religion, beziehen. Dem entgegnet Shah, dass er der Gegenüberstellung von Murken zustimme, aber zu der Schlussfolgerung komme, dass die psychologischen Variablen (Depression, Motivation, Angst, Phobie, Emotionen und Geselligkeit u.a.) in der westlichen Psychologie nicht die minimalsten wissenschaftlichen Kriterien erfüllen. Hingegen könnten alte islamische Paradigmen wieder aktuell, einige sogar unwiderlegbar sein. Der islamische Referenzrahmen sei der Koran, die Worte des Propheten, der Konsens unter frommen Muslimen und innerhalb des islamischen Rechts. Aus dieser Sicht seien schwule und lesbische Ehen, ältere Menschen in Altenheime, vorehelicher Sex, Kinder mit unverheirateten Eltern, Unterdrückung der Armen und Ausbeutung inakzeptabel und eine moralische Verschlechterung. In westlichen Gesellschaften sei Religion nur eine Praxis von Ritualen, im Islam aber ein Lebenskodex. Islam bedeute den Glauben an einen einzigen Gott als ein Schutz vor Angst und Furcht mit der Verpflichtung Notleidenden zu helfen, Alkohol zu meiden, zu Wohltätigkeit und Verbot von Lüge, Betrug und Wucher (letzterer als Gipfel der Übertretung). Für diese universellen Wahrheiten brauche man keine Theorie. Westliche Studien seien ethnozentrisch-reduktionistisch, durch die Flucht ins Labor verdecke man die Angst vor Begegnungen mit Menschen. Im Koran seien etwa 1000 Verse, die wissenschaftliche Entdeckungen unserer Zeit betreffen. Kann es auf dieser Grundlage überhaupt gemeinsame Forschungsprojekte geben? Shah sieht kein Problem in einer Zusammenarbeit. Murken hingegen betont, dass auch Menschen, die ein religiöses Leben führen, psychische Probleme haben können, die Shah allerdings auf einen Konflikt zwischen Individuum und kollektiven Interessen zurückführt. Schuld, Angst, Scham, Sexualität hätten in der westlichen Psychologie andere Konnotationen als im Islam (als eine Aufforderung zur Korrektur). Der Islam habe den Frauen gleiche Rechte, auch in der Bildung, gegeben, selbst wenn diese aufgrund von lokalen Traditionen nicht immer eingehalten würden. Die Mehrzahl der malaysischen Studierenden seien Frauen. Murken stimmt Shah darin zu, dass der Arbeit von Therapeuten grundsätzlich ein Verständnis der menschlichen Natur zugrunde liege.

4.2 Einführung in den Gegenstand (40 Seiten).

Grundwissen für Fachleute für seelische Gesundheit bei Muslimen: Eine islamische Psychologie (Rashid Hamid, 10 Seiten). Eine islamische Psychologie sei keine reduktionistisch-orientierte Verhaltenswissenschaft. Sie sehe den Menschen auch nicht im Widerspruch zu seiner – wahren göttlichen – Natur und gründe auf intuitivem und erfahrungsbasiertem Wissen; sie sei theistisch. Der Therapeut sei in erster Linie ein Diener Gottes und ermutige den Klienten ein moralischer und spiritueller Selbstkontrolleur zu werden. Die Anleitung dazu folge aus dem Koran und dem Leben des Propheten Muhammad.

Eine Einführung in die islamische Psychologie (Ahmed Musliar Abdul Vahab, 19 Seiten). Die islamische Psychologie setze sich aus Islam (Unterwerfung, Gehorsam gegenüber Allah), Psyche (Seele) und Logos (Lehre) zusammen. Der Begriff Nafs sei verbunden mit Seele, Herz, Intellekt, Denken, Idee, Verhalten und Benehmen. Der Koran behandele die Eigenschaften Allahs und das Verhalten von Menschen, Tieren, Pflanzen, der Sonne, dem Mond, der Sterne, der Berge, des Regens, Windes und Feuers. Er enthalte universale normative Gesetze und Prinzipien und sei seiner Natur nach wissenschaftlich. Das umfasse Vererbung, Umwelteinflüsse, Instinkte, Motivation, Emotion, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denken, Lernen, Gedächtnis, Erinnerung, Intelligenz und Persönlichkeit. Der Koran definiere Normalität und Abnormalität, den Einfluss der Gesellschaft und der Kultur auf die Persönlichkeit, die biologischen und physiologischen Grundlagen des Verhaltens, befasse sich aber auch mit Inspiration, Offenbarung, Träumen, Tod und Auferstehung und bergünde eine transpersonale Psychologie (die Einwände gegen Glaubensinhalte beschwichtige). Angewandt werde sie in der Pädagogik, Psychotherapie, Kriminal- und Rechtspsychologie, in der Politik, beim Militär, in der Ökonomie und im Gebet (die Essenz des Gottesdienstes). Monotheismus und Eschatologie befähigten zu einem rechtschaffenen Leben und zu einem Einklang mit der Natur. Es folgt ein Überblick über die Geschichte der islamischen Psychologie (beginnend mit Adam und Eva), die verschiedenen menschlichen Entwicklungsstufen, die Wahrung gesellschaftlicher und individueller Interessen, die öffentliche Bestrafung krimineller Handlungen als Lektion, strikte monotheistische Ideale, eschatologische Vorstellungen, Traumanalysen, Umgang mit Motivationen, Verhaltensmuster von Gläubigen und Ungläubigen, Umgang mit Geisteskranken, Offenbarung, Inspiration und Bekenntnis. Es werden dann sechs islamische Gelehrte vorgestellt und ihre Methoden (Inspektion, Beobachtung, auch unter genetischem Aspekt, Experiment, Klinik) erläutert.

Die Islamisierung des Wissens am Beispiel der islamischen Psychologie (Sharafat Hussain Khan, 10 Seiten). Wissen definiert als Unterwerfung aller Kenntnisse unter die Offenbarung und Ordnung des Islam im Gegensatz Darwins Evolutionstheorie und zur Psychologie des Mainstream (westlicher Industriestaaten) und generative Staaten (Entwicklungs- und Drittländer). Erstere vernachlässige die Persönlichkeit des Wissenschaftlers, seine ideologische Voreingenommenheit und unzulässige Verallgemeinerungen. Die Psychologie sei aber keine wertfreie Wissenschaft und deshalb auch nicht verallgemeinerbar. Die islamische Psychologie gehe davon aus, dass Allah über alles Wissen verfügt und bereits den ersten Menschen, Adam, gelehrt habe. Die Scharia sei die Norm, und das Wissen eine gottesdienstliche Handlung zum Wohl des Menschen und der Gesellschaft (Gebote und Verbote). Psychologie habe die Aufgabe, menschliches Verhalten zu regulieren in Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen und innerhalb der islamischen Grundsätze. Die Geltung der islamischen Psychologie umfasse alle Anwendungsbereiche mit den zwei Komponenten von Prävention und Intervention. Sie sei der einzige Trost und die Hoffnung für die Menschheit und verpflichte zu alternativen (nicht westlichen) Lösungen.

4.3 Persönlichkeitstheorien (34 Seiten).

Traditionen, Paradigma und grundlegende Konzepte in der islamischen Psychologie (Rasjid Skinner, 10 Seiten). Skinner beschreibt sein Unbehagen, dass er trotz der Erfolge in seiner therapeutischen Arbeit mit muslimischen Patienten in den bekannten westlichen psychologischen Theorien keine überzeugende Erklärungen dafür fand. Er entwickelte deshalb ‚ein Arbeitsmodell des Selbst auf der Grundlage der frühen islamischen Gelehrsamkeit‘. Qalb sei die Landenge, die das Selbst mit dem Geist (Ruh) verbinde; in diesem Teil residiere Allah und das Verständnis von richtig und falsch. Das Zentrum des Denkens (Aql) beherrsche und kontrolliere die triebhaften Anteile (Nafs) im Bild von Ross und Reiter. Psychische Gesundheit beruhe auf einer Harmonie mit sich selbst und dem Gottesbewusstsein. Das Gewissen (Dhameer) reguliere die verschiedenen Einflüsse, wecke Reue, Scham- und Schuldgefühle. Therapeutisch könne man mit Medikamenten und Nahrungskontrolle die primäre Angst des Triebhaften (Nafs) schwächen oder mit einem behavioralen Ansatz trainieren. Tiefenanalyse und kognitive Methoden könnten dysfunktionales Denken beheben und für Gottesfurcht öffnen, während gottesdienstliche Handlungen hingegen die Herzen öffne. Grundlegend in seiner Arbeit sei ein Verständnis des islamischen Selbst.

Auf dem Weg zu einer systematischen qur'anischen Theorie der Persönlichkeit (em>Hisham Abu-Raiya, 24 Seiten). Auf der Grundlage einer hermeneutischen Interpretation des Koran (zurückgehend auf die Schöpfungsgeschichte) und theoretischer Anregungen durch den muslimischen Denker Al-Ghazali wird eine Persönlichkeitstheorie vorgestellt. Bausteine seien die Psyche (Nafs), die böse Seele (Al-Nafs Al-Ammarah), die vorwurfsvolle Seele (Al-Nafs Al-Lawammah), der Geist (Ruh), der Intellekt (Aql), das Herz (Qalb), die beruhigte Seele (Al-Nafs al-Mutmainnah), die kranke Psyche (Al-Nafs AlMarid'a). Die koranische Theorie der Persönlichkeit sei spirituell, strukturell, dynamisch, topographisch, ganzheitlich bei einer weitgehend negativen Sicht auf die menschliche Natur.

4.4 Theorien der allgemeinen Psychologie (20 Seiten).

Menschliche Motivation: Eine islamische Perspektive (Shafiq Falah Alawneh, 20 Seiten). Motivation als Erklärung für menschliches Verhalten leite sich im Islam ab vom Wissen über die menschliche Herkunft von Allah, und die Beziehung zwischen Mensch, Allah und der Welt. Wissen und freier Wille seien wichtig für die Motivation, aber am grundlegendsten sei der Glaube (Iman), da er alle Formen der Motivation beeinflusse. Motivationen würden geweckt und unterstützt im Verhältnis Schüler-Lehrer (Inspiration, Neugier, Respekt, Wunsch nach Wissen z.B.) und durch klare Ziele (z.B. die Annahme Allahs), das eigene Wohlergehen und ein gesunder Realismus. Belohnung und Strafe werden als Anreize verstanden.

4.5 Entwicklungstheorien (18 Seiten).

Menschliches Verhalten aus islamischer Perspektive. Zur Interaktion von Anlage, Umwelt und spirituelle Dimension (Fatimah Abdullah, 18 Seiten). Abdullah beklagt den ethischen Relativismus in der ‚westlichen‘ Psychologie, der vom Islam und den meisten Religionen beklagt werde. Im Gegensatz zum säkularen Denken werde im Islam sowohl Anlage als auch Umwelt berücksichtigt, wobei die wahre Natur des Menschen gottgegebene Attribute seien, die eine instinktive Rückkehr nach dem Ursprungsort – im Gegensatz zum triebhaft Tierischen – spirituell veranlassen. ‚Spirituelle Krieger‘ erobern herzhaft neue Territorien von intellektueller Kraft und ewiger Wahrheit. Das Herz sei aber auch gleichzeitig das Mittel zur Seligkeit und Unheil. Zwischen Anlage und Umwelt beziehe das Konzept der Fitra nicht nur die biologische, sondern auch spirituelle Dimensionen ein, unterstützt durch Glauben und Erziehung.

4.6 Schlüsselkonzepte (36 Seiten).

Fitra und ihre Bedeutung für eine islamische Psychologie (Yasien Mohamed, 20 Seiten). Fitra beziehe sich auf die innere Wirklichkeit des Menschen als ein angeborener, gottgegebener Zustand, an Gott zu glauben, ihn anzubeten und Stellvertreter Gottes auf der Erde zu sein. Abgesehen von der Offenbarung als objektiver Quelle sei der Mensch mit Erkenntnisorganen (z.B. Herz und Intellekt) ausgestattet und könnten die Fitra so weit entwickeln, dass er Glauben und Tugenden liebt. Da sei notwendig, weil es auch eine angeborene Fähigkeit zum Bösen im Selbst gebe, das diszipliniert werden müsse. Kinder würden ohne Sünde geboren, entwickelten aber bis 7 Jahre ein Urteilsvermögen (unterliegen aber noch der elterlichen Führung), danach sollten Eltern ihre teilverantwortlichen Kinder bis 10 Jahre verbal überzeugen und bis zu 15 Jahren mit physischem Druck. Mit der sexuellen Reife sei der Mensch (bis auf Kranke und Behinderte) voll verantwortlich für die Einhaltung der Scharia. Psychische Probleme (Depression, Kriminalität Drogenabhängigkeit, Neurosen und Entfremdung) entstünden bei Muslimen durch fremde Einflüsse in einer westlich dominierten Umwelt. Deshalb gehe es in der Therapie um die Heilung der Seele nach islamisch-psychologischer Methode, die im Gegensatz zur Vergangenheitsorientierung Freuds zukunftsorientiert sei.

Auf dem Weg zur islamischen Psychologie (Zohré Koshravi, Khosrow Bagheri, 16 Seiten). Ist der Gegenstand der islamischen Psychologie der göttliche Geist (Ruh), die Seele (Nfs) oder die Schöpfung der Fitra? Oder nicht vielmehr die Handlung als ein psychologisches Schlüsselkonzept, das alle Menschen, Gläubige und Ungläubige, einbezieht? Dieses Konzept spiele eine Schlüsselrolle in Ethik und Moral. In ihr zeige sich das Zusammenwirken von göttlicher Natur, Sinnlichkeit, Weisheit, Gewissen, Wille und soziale Faktoren (Einschränkungen nur durch menschliche Schwächen). Kognition, Neigung und Willenskraft seien beteiligt und unbewusste Motivationen könnten berücksichtigt werden. Können jedoch die Elemente der islamischen Auffassung der menschlichen Natur überhaupt Gegenstand für wissenschaftliche Studien sein? Wenn nicht, so könnte eine Alternative der Handlungsbegriff sein.

5. Anwendungsorientierte Arbeiten (55 Seiten).

5.1 Islamische Psychotherapie und Beratungspraxis (56 Seiten).

Malik Badri: Warum die westliche Psychotherapie für muslimische Patienten keine wirkliche Hilfe sein kann (4 Seiten). Malik bezweifelt, dass es eine kulturübergreifende Psychologie als Wissenschaft, insbesondere in der Psychotherapie, gibt, da die Kultur auch Einfluss auf psychische Krankheiten habe. So sei Anorexia nervosa fast nur im Westen anzutreffen. Denkschulen über die Natur des Menschen hätten die Psychologie des säkularen Westens i.S. ‚einer gottlosen Weltanschauung des säkularen Humanismus‘ beeinflusst. Die Einstellung zu geoffenbartem Wissen und zur Ethik beeinflussten den Therapieprozess. Der Islam sei nicht nur ein ritueller Glaube, sondern eine Lebensweise mit einer umfassenden Weltanschauung nach den Lehren des Heiligen Koran. Nur symptomatische und durch geringe Umwelteinflüsse hervorgerufene Phobien konfrontierten den Therapeuten nicht mit kulturellen und spirituellen Problemen. Die Missachtung der Unterschiede könne sogar zu einer Verschlechterung des Zustandes des Patienten führen.

Multidimensionale Erhebung islamischer Spiritualität (Rabia Dasti, Aisha Sitwat, 24 Seiten). Die Studie zur Entwicklung eines multidimensionalen Erhebungsinstruments der islamischen Spiritualität wurde ich Pakistan durchgeführt. Die Fragebögen wurden von religiösen und spirituellen Experten evaluiert und von 813 Studenten ausgefüllt. Eindeutige Faktoren waren Selbstdisziplin, Frage nach dem Göttlichen, Wut und expansives Verhalten, Selbstverherrlichung, Verbundenheitsgefühl mit Allah, Geiz-Großzügigkeit, Toleranz-Intoleranz und islamische Praktiken. Die Studie hat den Zweck, die Bedeutung der Spiritualität in der Gesundheitsforschung zu belegen. In der initialen Phase wurden die Bereiche islamischer Spiritualität bestimmt, die Konstrukte operationalisiert und Items generiert. In der intermediären Phase wurden die Fragen durch religiöse und spirituelle Gelehrte und Praktiker der psychischen Gesundheit evaluiert und in der finalen Phase erfolgte eine Pilotstudie, die Datensammlung und statistische Analysen enthielt. Die Fragen sollten keine Negativität oder Zweifel am Glauben induzieren und einzelne Glaubenselemente wurden – wegen des Ja/Nein-Formats – nicht aufgenommen und die Verbundenheit mit Allah nicht in einer Frequenzskala, sondern einer Skala der Intensität der Gefühle (von ‚sehr stark‘ bis ‚sehr wenig‘) ermittelt. Für die Pilotstudie wurden 50 männliche und weibliche – jeweils 24 - von einer religiösen und säkularen Universität – ausgesucht; an der Hauptstudie nahmen 814 Studenten, 262 von religiösen Universitäten (136 männlich und 126 weiblich, Durchschnittsalter 20,9 Jahre) und 552 von säkularen (269 männlich und 283 weiblich, Durchschnittsalter 21,43 Jahre) teil. Die Ergebnisse werden ausführlich dargestellt und dahingehend interpretiert, dass die ‚Multidimensionalität des Spiritualitätskonstrukts‘ bestätigt wird in Bezug auf die ausgewählte pakistanische Population. Selbstdisziplin war eine wichtige Dimension verbunden mit Ehrgeiz (Ruhm in diesem und einem zukünftigen Leben) und die Suche nach und Verbundenheit mit Gott, die Suche nach einer größeren Realität und eine größeren Stärke in der spirituellen Entwicklung.

Die Integration der islamischen Tradition in die modern Psychologie. Forschungsrichtungen der letzten zehn Jahre (Amber Haque, Fahad Khan, Hooman Keshavarzi, Abdallah E. Rothman, 28 Seiten). Ein allgemeiner Trend in der Literatur zum Thema Integration von Spiritualität und Religion in der Psychotherapie und eine ethische Verpflichtung, Kompetenzen und Kenntnisse religiöser und spiritueller Aspekte zu erwerben, was Kenntnisse der Praktiken und Traditionen östlicher und westlicher Philosophien einschließt, ist zu beobachten. Publikationen der letzten 10 Jahre ergaben eine Vereinigung westlich-psychologischer Modelle mit islamischen Glaubensinhalten und Bräuchen, eine Renaissance der islamischen Psychologie in der Entwicklung theoretischer Modelle, Techniken der Intervention und Normierung von Erhebungsverfahren. Für die nächsten 10 Jahre werden empfohlen: Erweiterte theoretische Modelle, die auch geeignet sind für eine empirische Forschung und genuin islamische Interventionstechniken für islamische Patienten. In Zukunft sollte mehr muttersprachliche Literatur aus muslimischen Ländern (Malaysia, Indonesien, Pakistan, Iran, mittlerer Osten) berücksichtigt werden.

5.2 Muslim Mental Health: Die psychische Gesundheit von Muslimen (44 Seiten). Muslim Mental Health. Eine Rahmenuntersuchung theoretischer Modelle, Praktiken und verwandter Belange psychischer Gesundheit in der muslimischen Gemeinschaft (Stephen Abdullah Maynard, 32 Seiten). Die Bandbreite der Versorgungsangebote in Großbritannien wird vorgestellt und eine Literaturübersicht gegeben. Mit muslimischen Gemeinden wurden folgen Modelle entwickelt: Zusammenarbeit mit Gesundheitsexperten, muslimischen Gelehrten und Naturheilern und Wissensvermittlung. Theoretische Ansätze waren eine glaubensbasierte Förderung psychischer Gesundheit, kultursensible Beratung und eine islamischen Psychotherapie. Angebote wurden dahingehend überprüft, ob sie sensibel sind für die kulturelle Identität von Muslimen und glaubensbasiert, darüber hinaus inwieweit sie ein zeitgenössisches Verständnis psychischer Gesundheit integrieren und gemeinde- bzw. nutzerorientiert sind. Methodisch werden nach einer Kontaktaufnahme die Probleme mit dem Klienten diskutiert und empathisch Lösungsmöglichkeiten exploriert. Es können auch Seelsorger im Gesundheits- und Gefängnisdienst eingesetzt werden. Ein glaubenssensibler Dienst ist das ‚Nafas Substance Misuse Day Programm‘, das glaubensbasierte Versorgungsleistungen anbietet und der Beratungsdienst ‚Sakinah‘, speziell für Substanzmissbrauch. Beratend i.S. eines ganzheitlichen Modells (Beratung und Ausbildung spirituell, emotional und praktisch) ist das Mohsin Institute tätig und Stephen Maynard & Associates als Ausbildungsinstitut, das zwischen kulturellem (wie Gemeinschaften funktionieren, z.B. soziale Regeln) und spirituellem Islam unterscheidet, indem versucht wird Ungleichgewichte ins Gleichgewicht zu bringen. Es wird dann über Anwendungen, z.B. ‚Muslim Women-Sorgentelefon‘ und ‚die Arabische Beratungsstelle Parkside Cliniic‘ berichtet und angewandte therapeutische Modelle nach Rasjid Skinner und Rabia Malik beschrieben. Zum Schluss wird aber auch auf die ethnische Vielfalt der Muslime (südasiatisch, indisch, osteuropäisch oder nordnigerianisch) hingewiesen, die eine Übersicht erschwert. Resilienz, auch bei schwierigen Erfahrungen, kann durch Gemeinschaft gestärkt werden. Mainstream-Dienste hätten keinen Zugang zu dieser speziellen Clientengruppe, deshalb seien ein Ausbau der Dienst und weitere Forschungen notwendig.

Eine Reise des gegenseitigen Wachstums. Bewusstsein für psychische Gesundheit in der muslimischen Gemeinschaft (Rania Awaad, 12 Seiten). Erfahrungsbericht einer muslimischen Psychiaterin, die erkennt, dass ihrer bisherige Beratungspraxis ein ganzheitliches Verständnis fehlte und sie dann ihre Wurzeln in glaubensorientierten Gemeinschaften fand. Sie beantragte ein Forschungsstipendium durch das National Institute of Mental Health für Erkrankungen amerikanischer muslimischer Frauen. Eine Umfrage ergab 1299 Antworten mit dem Ergebnis, dass auch Frauen mit einem hohen Bildungsgrad nur selten Hilfe bei professionellen Helfern suchten. Das weckte das Interesse am muslimischen Erbe: Es fanden sich erstaunliche Ähnlichkeiten und Unterschiede. Als außerordentliche Professorin für islamisches Recht am Zaytuna College/Berkeley Calif. bekam sie Kontakte mit Frauen, die über Depression, Ängste und Phobien klagten, aber unsicher waren, ob sie Therapie in Anspruch nehmen durften. Da Awaad nach der Facharztausbildung an der Fakultät für Psychiatrie und Verhaltensforschung der Stanford University tätig war, konnte sie sich auf die Arbeit mit muslimischen Patienten – zusammen mit muslimischen Psychiatern, Beratern, Sozialarbeitern und Studenten – konzentrieren und Netzwerke ausbilden. Hinzukam eine fruchtbare Gemeindepartnerschaft. Persönlich habe sich durch die professionelle medizinische Ausbildung und das islamische Wissen verbunden mit einer formalen religiösen Ausbildung ihre Arbeit mit Patienten nachhaltig verändert.

Glossar (2 Seiten). Erläuterung ausgewählter Begriffe wie Dschinn, Hanif, Dschihad, Scharia.

Autoren und Herausgeberbiographien (4 Seiten).

Diskussion

Das Buch wird von den Autoren als Fachbuch für Muslime verstanden, die im Gesundheitsdienst auf der religiösen Basis einer islamischen Psychologie tätig sind. Es vermittelt eine Bestandsaufnahme der theoretischen und praktischen Literatur und ist vor allem aber ein Plädoyer für eine eigenständige und islambasierte Psychologie im Gegensatz zu einer ‚westlichen‘ Psychologie, die z.T. polemisch als ‚materielle‘ Psychologie diffamiert wird. Das Abgrenzungsbedürfnis ist offensichtlich groß und erschwert auch einen möglichen, und im Zeitalter einer zunehmenden Globalisierung auch sicher notwendigen, Dialog über kulturelle und religiöse bzw. weltanschauliche Einflüsse nicht nur auf die Psyche des Einzelnen sondern auch auf wissenschaftliche theoretische und praktische Konzepte. Der Austausch wird erschwert, wenn fundamentalistische religiöse Grundannahmen nicht hinterfragt werden dürfen, weil die Autorität des Koran, trotz der auch im Islam vorhandenen unterschiedlichen Interpretationen, nicht hinterfragt werden darf in Bezug auf zeitbedingte Wertvorstellungen, z.B. im Hinblick auf sexuelle Ausrichtungen oder die Beziehungen der Geschlechter. Auch der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Triebwünschen, Gewissensansprüchen und Gemeinschaftsforderungen ist – wenn auch in einer anderen Begrifflichkeit – in der ‚westlichen‘ Psychologie – und vor allem speziell in den Anwendungen von Verhaltenstherapie und Psychotherapie/Psychoanalyse verschiedener Schulen – weil offensichtlich allgemein menschlich – nicht unbekannt. Die Unterschiede bestehen eher darin, wie dieser Kampf ausgetragen wird: Autoritär nach feststehenden religiösen Gegebenheiten und Gesetzen oder im gemeinsamen Aushandeln dessen, was grundsätzlich in einer Gemeinschaft zu gelten hat, auch wenn es das – nicht religiös fundierte – Grundgesetz ist. Weitgehend handelt es sich im Buch eher um eine Psychologie der islamischen Religionspädagogik, fest verwurzelt in Traditionen familiärer, sozialer und religiöser Gemeinschaftsformen und in der Anwendung eher um Seelsorge als um Therapie.

Ich habe das Buch mit Interesse gelesen. Es hat meinen Blick für kulturelle Unterschiede und Traditionen geschärft, wobei ich beides – Unterschiede und Gemeinsamkeiten – entdeckt habe, allerdings bestimmten fundamentalistischen Grundannahmen nicht folgen konnte. Da immer wieder auch polemisch die ‚westliche‘ Psychologie, insbesondere in ihrer Anwendung in der Psychotherapie, angegriffen wurde, habe ich – selbst erfahren im Therapiebereich – mit einer gewissen Spannung auf einen konkreten nachvollziehbaren Therapiebericht (Behandlung einer Depression, Psychose, Phobie) gewartet, der aber in dem ganzen Buch nicht enthalten ist.

Da ich parallel dazu das Buch von Sophie Kotanyi: ‚Einführung in die französische Ethnopsychiatrie‘ (vgl. die Rezension) mit Gewinn gelesen habe (es enthält Behandlungsberichte!) kann ich nur allen empfehlen, die an interkultureller Zusammenarbeit, und nicht an rigoroser Abgrenzung, interessiert sind, zu dieser Veröffentlichung über die ‚therapeutische Arbeit von Migrantenfamilien‘ aus fremden Kulturkreisen zu greifen.

Fazit

Wer sich über die aktuelle interne Diskussion über eine ‚islamische Psychologie‘ informieren will, findet in diesem Buch reichlich Anregungen und weiter führende Literaturhinweise.

Rezension von
Prof. Dr. Gertrud Hardtmann
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Es gibt 111 Rezensionen von Gertrud Hardtmann.

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Zitiervorschlag
Gertrud Hardtmann. Rezension vom 25.10.2018 zu: Ibrahim Rüschoff, Paul M. Kaplick (Hrsg.): Islam und Psychologie. Beiträge zu aktuellen Konzepten in Theorie und Praxis. Waxmann Verlag (Münster/New York/München/Berlin) 2018. ISBN 978-3-8309-3821-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24668.php, Datum des Zugriffs 09.12.2023.


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