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Daniel Hlava: Barrierefreie Gesundheits­versorgung

Rezensiert von Dr. iur. Marcus Kreutz, 02.02.2021

Cover Daniel Hlava: Barrierefreie Gesundheits­versorgung ISBN 978-3-8487-4899-0

Daniel Hlava: Barrierefreie Gesundheitsversorgung. Rechtliche Gewährleistung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsdurchsetzung. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2018. 532 Seiten. ISBN 978-3-8487-4899-0. 139,00 EUR.

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Das Ziel einer inklusiven Gesellschaft

Die aktuelle Corona-Krise beschäftigt die Bundesrepublik Deutschland – politisch, ökonomisch, psychologisch, aber vor allem auch medizinisch. Die Infektionen mit dem neuartigen Virus können mangels Existenz eines Medikaments und eines Impfstoffs nicht aufgehalten, sondern lediglich zeitlich gestreckt werden. Diese Verzögerung hat das Ziel, das deutsche Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren und die Erkrankten sukzessive mit den limitierten Mitteln so gut wie möglich behandeln zu können. Zustände wie in Italien, bei denen in manchen Krankenhäusern von der Methode der sog. Triage Gebrauch, die bei der Frage, welche Verletzte unmittelbar während oder nach einer kriegerischen Auseinandersetzung versorgt werden, gemacht werden musste, sollen in Deutschland nicht eintreten. Bei der gesamten Diskussion um die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgungssicherheit wird zwar stets von der besonderen Gefährdung besonders vulnerabler Personengruppen gesprochen. Übersehen wird dabei jedoch zu oft, dass es Personengruppen gibt, die schon aufgrund einer Behinderung, von der es sich verbietet, von einer Vorerkrankung zu sprechen, aufgrund von bestehenden Barrieren welcher Art auch immer nicht in der Lage sind, überhaupt in einem angemessenen Umfang in den Genuss von ausreichender und adäquater medizinischer Versorgung zu kommen. Dies widerspricht jedoch dem Gebot der Diskriminierungsfreiheit wie sie in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG niedergelegt ist. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland dazu, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, um Menschen mit Behinderung einen barrierefreien Zugang zu medizinischen Leistungen zu ermöglichen. Die hier vorzustellende Dissertation, die im Jahr 2017 der Universität Kassel unter dem Doktorvater Professor Dr. Felix Welti vorgelegt wurde, beschäftigt sich mit der Fragestellung, welche rechtlichen Vorgaben für ein barrierefreies Gesundheitssystem bestehen, wobei der Verfasser ein besonderes Augenmerk darauf legt, wie die bestehenden gesetzlichen Vorgaben auch tatsächlich rechtlich durchgesetzt werden können.

Aufbau

Die voluminöse Arbeit ist in insgesamt acht große Abschnitte gegliedert. Dabei handelt es sich um die Folgenden:

  1. Einführung
  2. Historische Entwicklung des Behindertengleichstellungsrechts
  3. Übergeordnete Rechtsquellen einer barrierefreien Gesundheitsversorgung
  4. Barrierefreie Gesundheitsversorgung im einfachen Recht
  5. Individuelle Rechtsdurchsetzung und Sanktionen
  6. Kollektive Rechtsdurchsetzung und Präzisierung
  7. Behördliche Rechtsdurchsetzung
  8. Zusammenfassung der Ergebnisse und Handlungsvorschläge

Ein Literaturverzeichnis schließt das Werk ab.

Inhalt

Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Frage danach, welche relevanten normativen Vorgaben de lege lata zu einem diskriminierungsfreien Zugang behinderter Menschen zur Gesundheitsversorgung beitragen. Der Autor stellt die insofern geltenden gesetzlichen Bestimmungen systematisch dar und untersucht diese anhand der tradierten rechtswissenschaftlichen Methodik darauf hin, ob und inwiefern sie unter Berücksichtigung der UN-BRK für das beschriebene Ziel nutzbar gemacht werden können. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der Analyse der bestehenden rechtlichen Instrumente zur Durchsetzung einer barrierefreien Gesundheitsversorgung. Damit verfolgt der Autor das Ziel, die Rechtssicherheit zu erhöhen, die tatschliche Rechtsdurchsetzung zu fördern sowie Ansätze für eine weitergehende Forschung zu schaffen (S. 38). Schließlich enthält das Werk auch Reformvorschläge del lege ferenda, die sich aus Herauspräparierung einiger Lücken und Defizite bei den untersuchten Normen ergeben.

Diskussion

Wegen des Umfangs der Arbeit können hier nur einzelne Ergebnisse einer kurzen Bewertung unterzogen werden.

Hlava führt aus, dass bei der Anwendung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ausschließlich der arabische, chinesische, englische, französische, russische und spanische Wortlaut verbindlich ist (S. 75). Die deutsche Übersetzung der UN-BRK kann bei der Auslegung des Regelungskomplexes daher lediglich erste Hinweis auf das wirklich Gewollte geben, aber bietet keine Gewähr für eine abschließende Interpretation der UN-BRK. Auch die von Organisationen der Zivilgesellschaft erstellte sog. „Schattenübersetzung“ dienen lediglich als Interpretationshilfe, sodass bei Auslegungszweifeln auf die oben genannten verbindlichen Sprachen zurückgegriffen werden muss. Dies bedeutet, dass die Auslegung der UN-BRK eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit, die als völkerrechtlicher Vertrag von den deutschen Gerichten „wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden“ ist (BVerfGE 111, 307, juris-Rn. 32). Die Zielrichtung der Arbeit wäre verfehlt worden, wenn der Verfasser hier noch ausgeführt hätte, wie genau die deutschen Gerichte eine solche Auslegung vornehmen müssen. Der richtige Ort für ein solche Erörterung sind Bücher der völkerrechtlichen und deutschen Methodenlehre.

Zu Recht weist Hlava darauf hin, dass die Norm des § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I mit Blick auf die zuständigen Behörden eine Pflicht trifft, auf eine barrierefreie Leistungserbringung hinzuwirken (S. 199/200). Hier hätte es aber nahegelegen, zumindest kurze Gedanken darauf zu verschwenden, wie die zuständigen Behörden in die Lage versetzt werden können, eine solche Hinwirkung auf eine barrierefreie Leistungserbringung zu bewerkstelligen. Das Wichtigste dürfte in diesem Zusammenhang eine entsprechende Sensibilisierung der in den zuständigen Behörden beschäftigten Personen sein. Diese müssen durch entsprechende Schulungen und Fortbildungen in die Lage versetzt werden, überhaupt evtl. Barrieren bei der Gesundheitsversorgung zu erkennen, falls diese nicht bereits aus der Aktenlage offenkundig sind. Insoweit wäre es schön gewesen, wenn der Verfasser seine Vorschläge de lege ferenda (S. 504 ff.) konkretisiert hätte. Denn die von ihm vorgeschlagene Präzisierung des § 17 Abs. 1 Nr. 4 SGB I (S. 504/505) wird inhaltlich von ihm nicht unterfüttert.

Unbedingt beizupflichten ist Hlava wenn er ausführt, dass die Bundesländer aufgefordert sind, ihre jeweiligen Bauordnungen und Behindertengleichstellungsgesetze weiter an die Vorgaben der UN-BRK anzupassen. Insofern ist auf das Inklusionsgrundsätzegesetz (IGG) des Landes NRW hinzuweisen, welches bereits im Jahr 2016 in Kraft getreten ist und eine sehr interessante Norm mit § 6 IGG enthält. Denn dort wird als Appell an den Landesgesetzgeber normiert, dass zur Umsetzung einer den Anforderungen an eine inklusive Gesellschaft genügenden Gesetzgebung besonderer gesetzliche Regelungen, die ausschließlich auf Menschen mit Behinderungen Anwendung finden, vermieden werden sollen. Die Norm ist also eine Absage an behindertenbezogene Sondergesetze. Auch so kann und sollte man eine inklusive Gesellschaft fördern.

Fazit

Die Dissertation stellt in ausführlicher Form die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen für einen barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung dar und analysiert diese. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die jeweilige Rechtsdurchsetzung gelegt, sodass die Arbeit auch für anwaltliche Praktiker von großem Nutzen sein kann. Obgleich es sich bei dem Werk um eine juristische Dissertation handelt, ist die Sprache klar und transparent, sodass auch fachfremde Personen das Buch mit Gewinn lesen können.

Rezension von
Dr. iur. Marcus Kreutz
LL.M., Rechtsanwalt. Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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Es gibt 266 Rezensionen von Marcus Kreutz.

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ISSN 2190-9245