Christine Lang, Andreas Pott et al.: Erfolg nicht vorgesehen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 03.08.2018

Christine Lang, Andreas Pott, Jens Schneider: Erfolg nicht vorgesehen. Sozialer Aufstieg in der Einwanderungsgesellschaft – und was ihn so schwer macht. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2018. 2., aktualisierte und gekürzte Auflage. 180 Seiten. ISBN 978-3-8309-3516-2. 18,90 EUR.
„Vom Tellerwäscher zum Millionär?“
Der manipulierte Hörensagen-Mythos ist noch nie ein Beleg dafür gewesen, dass im Migrations- und Einwanderungsprozess Integration nicht möglich ist und nicht gelingen kann. Es ist deshalb angebracht, etwas genauer und faktischer darauf zu schauen, ob, wenn ja, warum und wenn nein, warum nicht die Integration von Einwanderern und Minderheiten in Mehrheitsgesellschaften gelingt. In Deutschland, das sich bis vor wenigen Jahren nach der Meinung von (Regierungs-)Parteien nicht als ein Einwanderungsland verstand, stellt sich die Frage nach einer gelingenden Integration in besonderer Weise.
Mit dem Begriff „Gastarbeiter“ begann die „nationale Lüge“, die darin gründete, dass Eingewanderte zwar als notwendige Arbeitskräfte benötigt würden, aber keinesfalls den Anspruch erheben sollten, gleichberechtigte und gleichwertige Bürgerinnen und Bürger des Landes werden zu wollen. Nun, die Geschichte hat diese Ideologie weggewischt. Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Das Statistische Bundesamt weist aus, dass – nach dem kurzzeitig gemessenen Status – 18,6 Millionen Menschen, das sind 22,5 % der Gesamtbevölkerung, also mehr als jeder fünfte Bewohner in Deutschland, Wurzeln im Ausland haben, und ein Großteil von ihnen mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
Die zeitliche Eingrenzung ist deshalb wichtig, weil die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“, betrachtet man die Entstehungsgeschichte des Landes, eigentlich für die meisten Deutschen zuträfe, und damit Nonsens wäre. Auf diese, im öffentlichen Diskurs um Migration und Einwanderung vergessene Tatsache hat z.B. Carl Zuckmayer in dem Drama „Des Teufels General“ (1945) hingewiesen: Der Adjutant von General Harras, Hartmann, teilt ihm mit, dass Fräulein von Mohringen die Verlobung mit ihm gelöst habe: „Wegen einer Unklarheit in meinem Stammbaum, Herr General“. Seine Familie komme vom Rhein. Eine seiner Urgroßmütter sei aus dem Ausland gekommen… Da bricht es aus dem General heraus: „Vom Rhein. Von der großen Völkermühle. Von der Kelter Europas… Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann… dann kam ein jüdischer Gewürzhändler… ein griechischer Arzt… ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsass, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant… Das ist natürlicher Adel. Das ist Rasse … hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt“.
Die ethno-, egozentrierten, nationalistischen, rassistischen und populistischen Einstellungen hebeln jede Form von Menschlichkeit aus. Die Erfahrung, dass die ethnische Weiterentwicklung immer schon davon abhängig war und ist, in welcher Weise und Intensität Einflüsse von anderen Kulturen und Lebensformen auf die eigene Identität wirken, sie verändern und stabilisieren, wird ignoriert durch die tumben Ego- und First-Politiken. Dabei gibt es genug Erfahrungen und Analysen, wo Defizite herrschen, aber auch erfolgreiche Integration gelingt (Canan Topçu, EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutwsch-Werden. Portraits, Interviews, Fakten, 2007, www.socialnet.de/rezensionen/4945.php). Es sind Analysen (Miriam Aced, u.a., Hrsg., Migration, Asyl und (post-)migrantische Lebenswelten in Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven migrationspolitischer Praktiken, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/20570.php), Zwischenbilanzen (Mehmet Gürcan Daimagüler, Kein schönes Land in dieser Zeit. Das Märchen von der gescheiterten Integration, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/12723.php) und selbstbewusste Erfolgsmeldungen (Alice Bota / Khuê Pham / Özlem Topçu, Wir neuen Deutschen. Was wir sind, was wir wollen, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/17972.php).
Entstehungshintergrund und Autorenteam
Weil im gespaltenen und kontroversen gesellschaftlichen Diskurs über Migration und Einwanderung oft genug Einsichten und Fakten gegen Ideologien und Fake News stehen, ist es notwendig, wissenschaftliche Argumente dagegen zu setzen.
Die Göttinger Migrationsforscherin Christine Lang, der Sozialgeograph Andreas Pott und der Ethnologe Jens Schneider, beide an der Universität in Osnabrück tätig, legen die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur sozialen Mobilität und der erfolgreichen Werdegänge von Migrantinnen und Migranten der zweiten Generation in Deutschland vor. Sie nehmen damit einen Perspektivenwechsel bei der öffentlichen, alltäglichen und gesellschaftspolitischen Einschätzung über Erfolge und Misserfolge der Integration von Eingewanderten in die Mehrheitsgesellschaft vor. Es sind nämlich vornehmlich die Schwierigkeiten und Reaktionen der autochthonen Bevölkerung im Blick und weniger die gelingende Eingliederung: „Dabei kann die gesellschaftliche Bedeutung der aufgestiegenen Nachkommen von Eingewanderten, und das heißt auch: der zukünftigen Leistungsträger und Eliten, kaum hoch genug eingeschätzt werden“.
Aufbau und Inhalt
Um schon das wichtigste Ergebnis der Forschungsarbeit vorweg zu nehmen: „Sie sind im doppelten Sinn unwahrscheinlich erfolgreich“. Das Forschungsprojekt „Pathways to Success“ wurde in den Jahren 2011 bis 2015 vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück mit dem Ziel durchgeführt, „die Wege, auf denen es Kindern von eingewanderten Familien in Deutschland gelungen ist, in attraktive, privilegierte und mehr oder weniger einflussreiche Positionen aufzusteigen“.
Exemplarisch wurden dabei die Bildungs- und Berufswege der in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kinder türkisch-stämmiger ArbeitsmigrantInnen aus den 1960er und 1970er Jahren untersucht und denen von Kindern aus Arbeiterhaushalten ohne familiäre Migrationserfahrung gegenübergestellt. Für die Zielsetzung, die Aussagekraft und Bewertung der Forschungsergebnisse ist es wichtig, ein Augenmerk auf die Benutzung der Begrifflichkeiten zu richten: Wie wird Integration verstanden? Was ist Erfolg?
Die Dokumentation der in der Forschungsarbeit ermittelten Befunde werden neben der Einleitung und den Schlussfolgerungen in weitere sieben Kapitel gegliedert: Die Ziele, Fragestellungen, Methoden und das Design der Forschungsstudie „Pathway to Success“ werden vorgestellt; die theoretischen und praktischen Zusammenhänge und gesellschaftlichen Gegebenheiten von „Kindheit, Jugend und Familie“ werden thematisiert; die persönliche und institutionelle Bedeutung von „Schule“ wird diskutiert; die differenzierten Bildungsentwicklungen der ProbandInnen werden aufgewiesen: „Studium und andere Wege“; die darauffolgenden beruflichen Wege. „Übergang in den Beruf“ werden vorgestellt; die Aspekte, Erfolgs- und Diskriminierungserfahrungen dabei werden nachgefragt: „Etablieren im Beruf“; daraus schließlich ergibt sich die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der „Erfolgs“-MigrantInnen. Sie bilden „eine neue deutsche Mittelschicht“.
Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sind weniger oft bestimmt von solidarischen, gleichberechtigten und gemeinschaftsorientierten Aspekten als von selbstbezogenen, egoistischen Einstellungen und Verhaltensweisen. Dies stellt ein menschliches Phänomen dar, das eigentlich der humanen, anthropologischen Bestimmung des Menschseins widerspricht und sowohl in Gesellschaften ohne und mit Migrations- und Einwanderungssituationen auftritt. Dagegen anzugehen helfen nur gleichberechtigte, individuelle und institutionelle Bildungschancen. Fragen, die mit dem Forschungsvorhaben gestellt wurden sind z.B.:
- Wie sieht es mit dem Zugehörigkeitsgefühl eines Menschen mit „Migrationshintergrund“ aus?
- Wie entwickelt es sich?
- Wie prägt es sich im individuellen und gesellschaftlichen, alltäglichen und beruflichen Leben aus?
- Was ist Heimat?
- Welche Bedeutung hat familiäre und milieubedingte Schichtzugehörigkeit?
- Welche Wirkungen haben mentalitätsbezogene, traditionelle und hierarchische Erwartungshaltungen und Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber erfolgreichen „neuen Deutschen“?
- Werden sie und wie als „Grenzüberschreitungen“ empfunden?
Die typischen gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich in besonderer Weise bei den Identitätsprozessen von Menschen mit (türkischer) Migrationsherkunft zeigen, werden im Forschungsprojekt als drei Grundmuster ausgewiesen und anhand von drei Fallbeispielen erklärt: Die türkische (kurdische, yezidische) Identität ist grundlegend Vorbild für die eigene Identitätsentwicklung – es ist die (übernommene und erworbene) deutsche Identität – aus der türkischen und deutschen Kultur wird eine interkulturelle Position.
Fazit
Die in den Jahren 2011 bis 2015 vom Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien durchgeführte Forschungsstudie „Pathways to Success“ untersucht erfolgreiche Karrierewege von Nachkommen der zweiten Generation von türkischen Arbeitsmigranten-Familien.
Die Forschungsarbeit basiert auf leitfadengestützten qualitativen Interviews mit 95 Personen mit und ohne familiärer Migrationsgeschichte. Dabei wurden vier konkrete berufliche Kontexte ausgewählt: juristische Berufe, Jobs in der Wirtschaft, im Schuldienst, und in der Öffentlichen Verwaltung, in drei urbanen Bereichen: Berlin, Ruhrgebiet, Frankfurt/M. Das Verhältnis der befragten Männer und Frauen betrug: 75 der 95 Gespräche wurden mit Personen geführt, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert sind; und 20 Interviews fanden mit Personen ohne familiäre Migrationsgeschichte statt.
Im grundsätzlichen, durchaus als allgemeinverbindlich zu wertendem Ergebnis – „Unwahrscheinlich erfolgreich“ schwingen „Aber“ und „Trotzdem“ mit: Obwohl in der (unzuverlässigen und wohl auch manipulierten) öffentlichen, gesellschaftlichen Meinung die Erfolgsgeschichte der Integration eher kleingeredet und verneint wird, und (eigentlich) in der offiziellen Migrations- und Einwanderungspolitik gar nicht vorgesehen war, ist den meisten, heutigen Mittelschichtlern aus der familiären Migrationsgeschichte der soziale Aufstieg in die deutsche Einwanderungsgesellschaft gelungen. Sie haben und sind weiterhin dabei, die deutsche Gemeinschaft zu verändern, hin zu einer positiven, multikulturellen Gesellschaft: „Die neue Mittelschicht umfasst ein sehr heterogenes Spektrum an Lebensstilen, … Verortungen, kulturellen Praktiken oder sozialen Netzwerken“. Es ist nicht zuletzt ihr alltägliches Verhalten und ihr individuelles und soziales Engagement, das der deutschen Gesellschaft im Sinne einer inter-, transkulturellen und globalen Identität gut tut.
Die Studie stellt deshalb nicht nur eine positive Bestandsaufnahme von gelungener Integration der zweiten Generation von türkischen Einwanderern dar, sondern verweist auch auf die Notwendigkeit, dass eine nationale Gesellschaft nur dann überleben kann, wenn sie sich durch Einwanderungsprozesse verändert und weiter entwickelt. So lassen sich die Forschungsergebnisse auch als Aufforderung und Ermunterung lesen, Migration weiterhin als begrüßenswerte und notwendige gesellschaftliche Entwicklung zu begreifen, zu wollen und zur erfolgreichen Integration beizutragen!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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