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Anja Voigt: Lehren und Lernen mit Writing Fellows

Rezensiert von Hannes Wendler, Dr. Alexander N. Wendt, 05.12.2018

Cover Anja Voigt: Lehren und Lernen mit Writing Fellows ISBN 978-3-7639-5915-0

Anja Voigt: Lehren und Lernen mit Writing Fellows. Beiträge zur Forschung, Evaluation und Adaption Reihe: Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2018. 148 Seiten. ISBN 978-3-7639-5915-0. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft, 4.

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Thema

Im Selbstverständnis der „Schreibzentren“ (9) des Writing Fellow-Programms ist ihre Aufgabe „die Anforderungen an das wissenschaftliche Schreiben transparent und dadurch lehr- und lernbar zu machen und so die Entwicklung von Schreibkompetenz zu unterstützen – wenn nicht gar überhaupt erst zu ermöglichen“ (ebd.). Dabei können die seit 2013/2014 in Deutschland etablierten und an Vorgängermodellen Tori Haring-Smiths in den Vereinigten Staaten orientierten Writing Fellow-Programme als „Erweiterungen des Peer Tutoring-Konzepts für die Fachlehre“ (ebd.) verstanden werden, die in „ein tutorielles Lehr-Lern-Arrangement mit dreichfachem Lerneffekt (bei den Lehrenden, Studierenden und Writing Fellows)“ (ebd.) strukturiert sind. Konkret geht es im Writing Fellow-Programm darum eine Anlaufstelle auszubilden, an welcher sowohl Lehrende wie auch Lernende sich wenden können um Schreibhilfe anzufragen, die etwa die Konzeption und Formulierung von gestellten Schreibaufgaben, aber auch die semesterbegleitende Rückmeldung und Kritik von studentischen Schreibprojekten miteinschließt.

Writing Fellow-Programme laufen für gewöhnlich in mehreren Stufen ab (18): In einer Vorbereitungsphase bewerben sich Lehrende beim Schreibzentrum, treffen die Writing Fellows um Schreibaufgaben und Feedbackkriterien zu besprechen, es stellen sich aber auch die Writing Fellows im Seminar vor. Während des Semesters werden zwei Schreibaufgaben bearbeitet, wobei erstens Lehrende die Textrohfassungen der Studierenden einsammeln, zweitens die Writing Fellows hierzu schriftliche Rückmeldungen abfassen, drittens wird in einer persönlichen Schreibberatung feedbackbasiert ein Überarbeitungsplan für den Text entwickelt, wonach schließlich den Studierenden zwei Wochen für zur Erstellung der endgültigen Abgabefassung eingeräumt wird.

Herausgeberin

Anja Voigt ist Akademische Mitarbeiterin des Zentrums für Schlüsselkompetenzen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, wo sie an einem Dissertationsprojekt zu „Prozessen der Wissensgenese im Writing Fellow-Programm“ arbeitet, und leitet dort das Writing Fellow-Programm des Schreibzentrums.

Entstehungshintergrund

Im vorliegenden vierten Band der Reihe „Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft“, welche einen Themenkomplex von Schreibdidaktik bis zur Lehrprofessionalisierung aufspannt, hat man es gewissermaßen mit einem kritischen Kommentar zur Schrift „Das Writing Fellow-Programm. Ein Praxishandbuch zum Schreiben in der Lehre“ (Dreyfürst, S., Liebetanz, F. & Voigt, A. (2018). Das Writing Fellow-Programm. Ein Praxishandbuch zum Schreiben in der Lehre. Bielefeld: wbv.) zu tun. Evaluations-, Theorie- wie auch Adaptionsbeiträge der vorliegenden Arbeit präsupponieren sogenannte „Grundbedingungen“ (18) jenes Praxishandbuchs, welche die Writing Fellow Ausbildung und Supervision sowie Lehrendenvorbereitung und -begleitung betreffen und die im groben mit den oben genannten Durchführungsstufen des Writing-Fellow Programms zusammenfallen.

Aufbau

Die Beitragssammlung gliedert sich nach einem Vorwort inhaltlich in drei Abschnitte, respektive einer Programmevaluation, einer im weitesten Sinne theoretisch orientierten Programmvorstellung sowie einigen Programmadaptionsvorstellungen.

  1. Vorwort der Reihenherausgebenden
  2. Geleitwort der Herausgeberin des Sammelbandes
  3. Abstract
  4. Einführung
  5. I. Evaluation des Programms

  6. Eine kurze Einführung (Anja Voigt & Stephanie Dreyfürst)
  7. Die Writing Fellow-Programme in Frankfurt (Oder) und Frankfurt am Main. Eine Zwischenbilanz in Zahlen (Stephanie Dreyfürst & Lena Opitz)
  8. Reflexionskompetenz durch Writing Fellows? Ergebnisse einer Evaluationsstudie (Karoline Adami, Melanie Brinkschulte & Ella Grieshammer)
  9. Evaluation des Writing Fellow-Programms aus Lehrendenperspektive (Laura Gvenetadze, Nora Hoffmann & Yasmin Leibenath)
  10. II.Lehren und lernen mit Writing Fellows

  11. Konzipieren akademischer Schreibaufgaben mit Hilfe von Writing Fellows (Vanessa Kasprick & Jana Scheurer)
  12. Lehren mit Writing Fellows (Anne Rothärmel)
  13. Verantwortung für fremde Texte aus der Perspektive der Writing Fellows (Dorothee Theresa Adam & Katharina Lein)
  14. Writing Fellows in den Ingenieurswissenschaften: Ein Erfahrungsbericht (Nadine Stahlberg)
  15. III. Adaptionen des Writing Fellow-Programms

  16. Die Kölner Adaption des Writing Fellow-Programms (Esther Breuer & Julia Hallmann)
  17. Fachsensibilität als Ressource für den Writing Fellow Ansatz (Vanessa Frahnert & Andrea Karsten)
  18. Mehr Feedback in die Lehre bringen. Ein Praxisbericht aus der Wiener Adaption des Writing Fellow-Programms (Klara Dreo, Jadpreet Kaur, Frano P. Rismondo, Brigitte Römmer-Nossek & Erika Unterpertinger)

Strukturell eröffnet ein jeder Beitrag nach den vorgestellten Einleitungsworten mit einem Abstract, schließt mit einem Fazit und ist gefolgt von einer Kurzvorstellung der entsprechenden Autoren und Autorinnen. Einige Beiträge sind mit einem Anhang versehen, welche mitunter verwendete Aufgabenstellungen, Frage- und Evaluationsbögen oder Interviewleitfragen dokumentieren.

Zu den Evaluationsbeiträgen

Richten wir unsere Aufmerksamkeit zu Beginn auf den ersten die Evaluationsbeiträge betreffenden Teil des Bandes. Die Programmevaluationsbeiträge betreffen die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, die Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), die Georg-August-Universität Göttingen sowie die Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die die Generalisierbarkeit des Evaluationsprojekt tragende methodische Überlegung, dass nämlich die elementaren Bestandteilte des Writing Fellow-Programms fach- und dozierendenunabhängig konstant gehalten werden, ermöglicht „die Effekte des Programms auf die beteiligten Akteure zu untersuchen, und das nicht nur am eigenen Standort und innerhalb eines Fachs, sondern auch standort- und fächerübergreifend“ (25). Hierbei handelt es sich bei den überspannten Disziplinen um so heterogene wie die der Humangeographie, der Soziologie (26) oder die der deutschen Philologie (40).

Eine gelungene Evaluation des Writing Fellow-Programms hat dessen konzeptuellen Grundlagen Rechnung zu tragen: So sind mögliche Auswertungsperspektiven gleichsam wie mögliche Datenquellen respektive auf Studierenden-, Lehrenden- und Writing Fellow-Seite zu bedenken (27-30). Es können beispielsweise von Studierendenseite fragebogenbasierte Selbsteinschätzungen der Schreibkompetenz und der Lernzielerreichung – gewöhnlich zu Semesterbeginn und -ende erfasst –, die verfassten Texte selbst, Deckblätter und Textbewertung als Datenquellen berücksichtigt werden, wohingegen bei Lehrenden das Seminarkonzept, die Textbewertungsbögen, allgemeine Reflexionen sowie aus Experteninterviews akquirierte Daten betrachtet werden können und letztlich sind auf Seiten der Writing Fellows deren schriftliche Rückmeldungen zu den Texten der Studierenden, allgemeine Reflexionen und wiederum Experteninterviewdaten aufschlussreich (ebd.). Hierbei spielt die Ebenengebundenheit der Evaluation die Rolle eines methodischen Regulativs: „Die Effekte des Writing Fellow-Programms können immer nur in Bezug auf die jeweiligen Akteurgruppe überprüft werden; insofern kann nicht von einer einzigen Programmwirkung gesprochen werden, sondern von mehreren Einzelwirkungen“ (30). Explizit als solche ausgewiesene Evaluationsbeiträge enthält der vorliegende Band für die Studierenden- wie auch für die Lehrendenebene, wobei die Writing Fellow-Ebene unter anderem im Kapitel „Verantwortung für fremde Texte aus der Perspektive der Writing Fellows“ eingeholt wird.

Das übergreifende Ergebnis der Evaluationsstudien mit Bezug auf die Ebene der Lehrenden belegt die Wirksamkeit von Interventionen durch Writing Fellow-Programmen im akademischen Kontext. So werden Writing Fellows als Entlastung bezüglich des eigenen Arbeitsaufwandes empfunden (72), die Unterstützung in der Formulierung der Schreibaufgaben wird als hilfreich bewertet (ebd.) und Lehrende bewerten die Leistungsbereitschaft sowie die Textqualität der Studierenden als gesteigert (73). Die Lehrenden selbst gedachten von den Writing Fellows Gelerntes in die alltägliche Lehrpraxis zu übernehmen (73-74), sowie Ideen und Konzepte des Programms an weitere Dozierende zu verbreiten oder selbst in das Curriculum einzugliedern (74-75). Auch auf der Ebene der Studierenden belegen die Evaluationsstudien allgemein die Interventionswirksamkeit des Writing Fellow-Programms. Es stimmen in der ersten Evaluationsstudie Studierende aus begleiteten Lehrveranstaltungen eher als ohne Begleitung Fragebogenitems zu, die die Lernzielerreichung erfassen sollen, wie „In diesem Seminar habe ich gelernt, in welchen Bereichen – bezogen auf das Schreiben – ich mich noch verbessern kann“ (31). Sowohl Rückmeldungen durch andere Studierende als auch durch die Writing Fellows werden dabei aus Studierendenperspektive als hilfreich empfunden (34; 35).

Zu den Effekten auf die Reflexionskompetenz

Wenden wir uns nach diesem generell gehaltenen Streifzug durch die Evaluationsstudienergebnisse exemplarisch und höher aufgelöst den Effekten auf die Reflexionskompetenz der Studierenden zu. Die unter „systemisch-konstruktivistischer Sicht“ (40) konzeptualisierte Reflexionskompetenz der Studierenden, i.e. die Kompetenz zur Selbstthematisierung sowie zur individuellen Bedeutungszuschreibung relevanter Lerngegenstände (ebd.), und die aus „kognitiver Sicht“ konzeptualisierte Reflexionskompetenz hinsichtlich der Lehrenden, i.e. „als gezieltes Nachdenken über Handlungen und Geschehnisse, das ein systematisches und kriteriengeleitetes Erkunden und Erklären dieser Handlungen und Geschehnisse beinhaltet“ (40-41) wurde mithilfe offenen und geschlossenen Fragen vor und nach dem Schreibprojekt erfasst (42-43).

Abgeschwächt durch das quasi-experimentelle Studiendesign, die geringe Rücklaufquote von 30 % in der zweiten Erhebung wie auch das Fehlen signifikanter Unterschiede werden insbesondere die qualitativ vorliegenden Ergebnisse als Verbesserung der Reflexionskompetenz in begleiteten gegenüber unbegleiteten Lehrveranstaltungen interpretiert (47). Dabei wird das erhobene Maß der wahrgenommenen Schreibkompetenzverbesserung im Sinne einer gesteigerten Reflexionskompetenz interpretiert (44). Akzentuierung sowie Plausibilisierung erfahren die Ergebnisse durch die Besprechung von Fallstudien, in denen Komplikationen wie der Fall keiner vorhergehenden universitären Schreiberfahrung in der Bearbeitung von Instrumenten zur Erfassung der Schreibkompetenz (48) oder die Einflüsse des zusätzlichen Zeitaufwands des Writing Fellow-Projekts auf die Motivation der Studierenden (48) besprochen werden.

Zu den theoretisch ausgerichteten Überlegungen

Beleuchten wir im Folgenden einige der theoretisch ausgerichteten Überlegungen des zweiten Teiles des vorliegenden Bands.

Zu Beginn stellen wir die Schreibaufgabe als Interessensgegenstand des Writing Fellow-Programms. Hier verdeutlichen die Autoren, dass die Konzeption einer Schreibaufgabe tendenziell zu wenig Aufmerksamkeit findet, zur adäquaten Stellung allerdings des „Entwerfens, Überarbeitens, Feedbackens und Redigierens“ (83) bedarf und zwar solcher Art, dass Schreibaufgaben nicht ohne weiters in ihren formalen Kriterien mit anderen Texten auf einen Nenner zu bringen sind (85). Das Angebot der Writing Fellows kann dies betreffend dabei helfen qualitätskriterienbasiert die Konzeption von Schreibaufgaben sowie deren klare Vermittlung an die Studierenden zu unterstützen. Gelingt dieser Prozess und es werden anspruchsvolle, aber angemessene Schreibaufgaben gestellt, eignet der Ausdruck der „beautiful question“ (87). Ein guter Schreibauftrag soll dabei im mindesten die geforderte Textsorte und das intendierte Textpublikum klarstellen aber auch den Zeitumfang der nötigen Literaturrecherche zur Bearbeitung berücksichtigen; stehen entsprechende Ressourcen zur Verfügung, kann sich eine solche Schreibaufgabe semesterbegleitend sequentiell entfalten (87-88).

Dezidierte Programmziele in der Arbeit mit Lehrenden umfassen Bewusstseinsschaffung für die Verantwortlichkeit der Lehrenden beim Ausbau der Schreibkompetenz ihrer Studierenden, aber auch dafür, Texte nicht als bloße Produkte, sondern als Endpunkte eines langwierigen Prozesses aufzufassen, welcher durch klare und zielführende Aufgabenstellungen unterstützt werden kann und schließlich die enge Verbindung zwischen Schreiben und Lernen sichtbar zu machen (92-93); wobei all diese Programmziele auf nachhaltige Veränderungen abzielen (93). Im Zuge des Programms soll es zu einer ‚schreibintensiven Lehre‘ kommen, der es nicht vornehmlich daran gelegen ist „die Quantität schriftlicher Aufgaben zu steigern, sondern eine Steigerung der Lernintensität“ (95) herbeizuführen. In der evaluierenden Begleitung der Lehrenden wurde hervorgehoben, dass das Programm zusätzlichen Arbeitsaufwand inkludiert (96), die Betreuungsqualität steigerte (97) und, dass dessen Lehren zumindest der Intention nach in künftigen Semestern weitergetragen werden sollen (98).

Ein weiteres wichtiges Konzept des Programms stellt Kontextgebundenheit der Schreibberatung dar. So ist es nicht bloß wichtig, die Beratung an Studiengang, Semesteranzahl und Seminargröße anzupassen (100-103), oder etwa an den Umstand ob die Writing Fellows fachintern oder -extern agieren (66; 71), sondern auch an die aus dem spezifischen Studiengang resultierenden Erwartungen an die Rolle des Schreibens selbst (109-110). Einige dies betreffende Programmanpassungen können die Beschäftigung mit Gruppenarbeiten oder bereits bestehenden Texten, die Durchführung bloß eines benoteten Schreibauftrags, die Rückmeldung auch auf unbenotete Texte umfassen (112-113). Da der Großteil der Anfragen an die Schreibzentren aus dem geistes-, sozial- und humanwissenschaftlichen Bereich kommen, ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass das Programm sich bezüglich studienabhängiger Unterschiede im Verständnis der Rolle des Schreibens eins zu eins auf mehr naturwissenschaftlich oder pragmatisch ausgelegte Studiengänge abbilden lässt. Diesem Problem wird sich im Band über den Fall der Ingenieurswissenschaften genähert, in denen das Verständnis von Schreiben im Nahfeld des Dokumentierens, Berichtens und Gutachtens steht (109), i.e., überzeichnet ausgedrückt, konzeptuell in der Lehre als bloßes Ausstehendes zu Papier bringen des im Labor Geleisteten aufgefasst wird. Die wichtigste ideenformende Intervention ist hier die Bewusstseinsschaffung dafür, dass der Schreibprozess gleichzeitig einen Lernprozess meint, der mitunter die Fähigkeit zum kritischen Denken ausbildet (114-115), wobei Wert darauf gelegt wird, die Fachspezifika zu respektieren und Studierende wie Lehrende ‚dort abzuholen, wo sie sind‘.

Zu den Adaptionen des Writing Fellow-Programms

Schließlich wollen wir noch den dritten Buchabschnitt zu den Adaptionen des Writing Fellow-Programms überblicken.

In der Kölner Adaption des Programms agieren die Writing Fellows größtenteils autonom, i.e., auch wenn allzeitlich eine Rücksprache mit dem Schreibzentrum möglich ist, bleibt die letztliche Programmausgestaltung den Schreibberatern und Schreibberaterinnen selbst überlassen (119-120). Die Writing Fellows suchen hierbei selbstständig Dozierende aus, wobei der Austausch diese beiden Instanzen nicht verlässt, die Ausbildung der Writing Fellows beschränkt sich dabei auf die Ausbildung als Peer-Berater und -Beraterinnen und inwieweit die Rückmeldung der Writing Fellows in die Benotung durch Dozierenden einfließt bleibt offen (120).

In der Evaluation zeigte sich, dass obwohl das Programm im Großen fruchtete, dass insbesondere die Kreativmethoden von einigen Studierenden nicht als anspruchsvoll genug und als zu verspielt wahrgenommen wurden (122), es zwischen Writing Fellow und Dozierenden unterschiedliche Erwartungen an die Direktivität der Schreibberatung gab (ebd.) und, dass dem Umstand, dass nicht alle Schreibübung teilnahmeverpflichtend durchgeführt wurden, die Arbeit der Writing Fellows erschwerte (124). Die erhöhte Autonomie dieser Adaption zeigt zweierlei: Einerseits, dass das Programm selbst in dieser ausgedünnten Fassung noch wertvoll sein kann und andererseits, welche schützende, instruierende und dirigierende Funktion die Rückbindung des Programms an Schreibzentren erfüllt (125).

In einer weiteren Adaption wird verstärkter Fokus auf das Konzept der Fachsensibilität gelegt. Indes agiert die Schreibberatung hier auf Basis einer Textperspektive, die diesen als „Ergebnis einer sozialen Praxis“ (128) anstatt als individuellen Schreibprozess sieht. In dieser Perspektive meint die Ausbildung von Schreibkompetenz immer auch die Enkulturation in eine wissenschaftliche Gemeinschaft, in der Dozierende als „gate keeper“, Mitstudierende als niederschwellige soziale Beeinflussung und Writing Fellows als „more capable peers“ auftreten (128-130). Der Fokus solch einer Adaption liegt verständiger Weise nicht auf der Instanziierung eines Soll-Zustandes, sondern vielmehr unterstützend auf der Optimierung des gegebenen Ist-Zustandes (131). Außerdem eignen für diesen Prozess lediglich fachinterne Writing Fellows, die die Schreibberatung immer auch mit ihrem disziplinspezifischen Hintergrundwissen durchführen (132-133).

Inhaltlich ist ein wichtiger Punkt der Schreibberatung hinsichtlich der Enkulturation in eine wissenschaftliche Gemeinschaft dabei die Unterstützung im Erstarken der eigenen Stimme der Studierenden in ihren Texten (135). Die Abwesenheit der für das Programm üblichen inhaltlichen oder fachspezifischen Indifferenz ermöglicht in dieser Adaption als „echt“ wahrgenommene Leserückmeldungen, die dem „kritischen Blick“ des Schreibzentrums dennoch ständig ausgesetzt bleibt (137). Die Lehrqualität wurde selbsteingeschätzt verbessert, sowie die Beratung an konkrete Bedürfnisse der Studierenden bzw. der Universität angepasst wurden (138).

In der Wiener Adaption wurde der Programmfokus „stärker darauf ausgerichtet, Lehrenden Methoden konstruktiven Feedbacks zu vermitteln“ (141). Strukturelle Anpassungen sind hierbei, dass eine Rückmeldung auf eine Schreibaufgabe von Writing Fellows und Dozierenden gemeinsam verfasst wird, sowie dass ein Peer-Feedback von den Writing Fellows in der Lehrveranstaltung angeleitet wird (ebd.). Das Programm wird als weitgehend gelungen angesehen, wobei besondere Aufmerksamkeit dem Verhältnis von Writing Fellow und Dozierenden zu widmen ist, insofern ein Partnerschaftliches hilfreich, ein Hierarchisches oder Konkurrierendes hingegen unterminierend wirkte (146); ein Zusammenhang, der in kommenden Vorbereitungsworkshops für Lehrende berücksichtigt werden wird (ebd.).

Diskussion

Der Sammelband „Lehren und Lernen mit Writing Fellows“ bringt in seiner Gesamtheit eine der grundlegenden Anliegen des Writing Fellow-Programms zum Ausdruck: nämlich das der Qualitätssicherung. Vielstimmig verfasst, detailsensibel sowie mit heterogener Methodik nähert sich der Band einer Vorstellung davon an, was es heißen könnte, das aus den Vereinigten Staaten stammende Schreibberatungskonzept im deutschen Hochschulraum emanzipiert einzubringen.

Es werden nicht nur theoretisch diverse Betrachtungsweisen an das Schreiben im Allgemeinen herangetragen, welche sozial-konstruktivistische, kognitivistische und auch motivationale Theorieansätze miteinander verbinden, d.h., es wird das Schreiben als im universitären Habitus stiefmütterlich behandeltes Organon neu angegangen, epistemisch wie auch didaktisch aufgewertet und so in ein praxisorientiertes Schreibberatungsprogramm übersetzt, sondern vielmehr auch der Grundstein für weitere Bände desselben Formats gelegt, indem wichtige Pionierarbeit in Evaluation, Konzeptualisierung sowie Adaption geleistet wird, aber auch indem die dabei verfolgte Vorgehensweise dokumentiert und die verwendeten Materialen abgedruckt sind.

Verbesserungswürdig ist hierbei vor allem der Einsatz quantitativer Methodik. So werden an einigen Stellen basierend auf Deskriptivstatistik Aussagen getätigt, die lediglich auf inferenzstatistischer Basis zulässig sein können (e.g. 27; 34), wohingegen an anderen Stellen Schlüsse aus nicht ausreichend gescreenten Daten gezogen werden (e.g. 31). Weiterhin werden prozentuale Anteile interpretiert ohne zuvor eine Baseline festzustellen (33) oder das Schlagwort der Repräsentativität einer Erhebung mit dem einer Vollerhebung verwechselt (43; 145).

Die Fragebogenkonstruktion wird generell nicht ausreichend validiert oder nachvollziehbar gemacht, sondern fußt vornehmlich auf Plausibilitätskriterien. In einem Beitrag wird die verwendete Likert-Skala und die damit verbundene quantitative Analysemethode tendenziell abweisend behandelt und als wenig aussagekräftig bewertet („Reflexionskompetenz durch Writing Fellows?“). Es sollten bloß Instrumente Anwendung finden, die sowohl vertrauenswürdig sind als auch in die – de facto – vertraut wird. Schließlich kommt man in einigen der theoriegetriebenen Deutungen nicht gänzlich um den Eindruck eines selbstdienlichen Bias hinweg, wird doch etwa die eigene Beurteilung einer verbesserten Schreibkompetenz in eine Verbesserung der Reflexionsfähigkeit übersetzt (44): ‚Wenn das Programm als wirksam eingeschätzt wird, dann hat man es mit reflektierten Studierenden zu tun‘. So einfach ist das natürlich nicht.

Wenngleich sich mitunter methodische wie theoretische Verbesserungsmöglichkeiten identifizieren lassen, leistet dies der Einsicht keinen Abklang, dass es dem Sammelband gelingt dem eigenen Anliegen nachzukommen, nämlich die Wirksamkeit des Writing Fellow-Programms (auch an deutschen Hochschulen) zu belegen.

Fazit

Writing Fellow-Programme sind eine aus den Vereinigten Staaten stammende Initiative, die Qualität wissenschaftlicher Texte durch die Betreuung von Studierenden nicht nur zu erhöhen, sondern auch zu standardisieren. In dem von Vogt herausgegebenen Band steht die Evaluierung des Konzeptes im Vordergrund, wobei Lehrende wie Lernende berücksichtigt werden. Die gesammelten Aufsätze tragen unterschiedliche Blickwinkel auf die Umsetzung des Programms bei, etwa die institutionelle Anbringung an einzelnen Universitäten, die didaktische Schwerpunktbildung oder Möglichkeiten der Weiterentwicklung des Programms. Das Interesse der Autoren an produktiven Beiträgen zum gemeinsamen Programm überwiegt letztlich die Grundsatzfrage nach der Bedeutung des Ansatzes oder die kritische Erwägung von Alternativen, weswegen die Arbeit in erster Linie den Praktikern des Writing-Fellow-Programms zu empfehlen ist.

Rezension von
Hannes Wendler
M.A. (Philosophie), B.Sc. (Psychologie)
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Dr. Alexander N. Wendt
Dr./M.Sc. (Psychologie), M.A. (Philosophie)
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Zitiervorschlag
Hannes Wendler, Alexander N. Wendt. Rezension vom 05.12.2018 zu: Anja Voigt: Lehren und Lernen mit Writing Fellows. Beiträge zur Forschung, Evaluation und Adaption Reihe: Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft. wbv Media GmbH & Co. KG (Bielefeld) 2018. ISBN 978-3-7639-5915-0. Theorie und Praxis der Schreibwissenschaft, 4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24685.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.


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