Christa Neuberger: Fallarbeit im Kontext flexibler Hilfen zur Erziehung
Rezensiert von Prof. Mag. Dr. Peter Pantuček-Eisenbacher, 12.04.2005

Christa Neuberger: Fallarbeit im Kontext flexibler Hilfen zur Erziehung. Sozialpädagogische Analysen und Perspektiven.
Deutscher Universitätsverlag
(Wiesbaden) 2004.
210 Seiten.
ISBN 978-3-8244-4591-2.
35,90 EUR.
Reihe: Sozialwissenschaft. Mit einem Geleitwort von Werner Schefold.
Einführung in das Thema
Hilfen zur Erziehung sind in einer Phase des Wandels, geforderte Flexibilisierung, Fall- und sozialraumadäquate Lösungen sollen unter den Bedingungen begrenzter finanzieller Ressourcen gefunden werden. Die Diskrepanz zwischen hoch tönenden Ansprüchen und einer oft dürftigen Praxis, die diesen Ansprüchen anscheinend nur selten genügt, wird immer wieder beklagt. Publikationen, die sich systematisch auf Empirie beziehen und Wege zu einer Verbesserung der professionellen Praxis weisen können, sollten jedenfalls willkommen sein.
Entstehung
Die vorliegende Arbeit entstand als Dissertation der Autorin bei Werner Schefold an der Universität der Bundeswehr in München.
Aufbau, Inhalte, Gliederung
Christa Neuberger befasst sich in ihrer Arbeit in erster Linie mit ambulanten Hilfen zur Erziehung. In einem ersten Abschnitt stellt sie das Hilfeplanverfahren nach § 36 KJHG dar und sammelt Forschungsbefunde zur Hilfeplanpraxis. Diese Befunde sind überwiegend ernüchternd und sprechen von mangelnder Partizipation der AdressatInnen, dem Nichtberücksichtigen der Sicht der AdressatInnen, von Problemen des Fallverstehens, einer mangelnden Dissenskultur in den Fachteams, stigmatisierenden Beurteilungen, mangelhaft gestalteten Hilfeübergängen.
Anschließend werden auf der Basis eigener empirischer Daten von der Autorin die organisatorischen und fachlichen Wandlungsprozesse, die auf Fallentscheidungen Einfluss nehmen, am Beispiel Münchens dargestellt. Die Komplexität schon der organisatorischen Bedingungen, unter denen anspruchsvolle Arbeit am Fall zu leisten ist, wird hier deutlich.
Schließlich entwickelt Christa Neuberger an zwei multiperspektivischen Fallanalysen ein Bild davon, welche formalen und informellen Prozesse Fallentscheidungen beeinflussen und formuliert Erfolgskriterien: Fundierte perspektivenvielfältige Fallabklärungen unter Einschluss einer hilfe- und lebensgeschichtlichen Reflexion und der Perspektiven tatsächlich aller Familienmitglieder und nicht nur der Mütter. Weiters sind Kooperation und Case Management, qualifizierte Falldokumentation und eine tatsächliche Beteiligung der AdressatInnen unumgänglich für eine qualitätvolle und tatsächlich hilfreiche Praxis.
In der Folge greift die Autorin ausführlich auf die Ergebnisse einer Fragebogenerhebung unter MitarbeiterInnen der ambulanten Erziehungshilfen, auf Erkenntnisse aus einer Modellbegleitung, auf Gruppendiskussionen und Fortbildungsworkshops zurück. Sie rekonstruiert anhand dieses Materials den gesamten Verlauf der Fallbearbeitung mit seinen phasentypischen Problemen. Die Daten bestätigen weitgehend den problematischen Befund, der schon im Rückgriff auf andere Forschungsergebnisse am Beginn des Buches angedeutet wurde. Die besondere Leistung dieses Kapitels, das als eigentlicher Hauptteil der Arbeit gesehen werden kann, ist aber die Betonung der Notwendigkeit von Reflexion im Verlauf der Fallbearbeitung. Dafür stellt Christa Neuberger zahlreiche Sets von reflexiven Fragen zur Verfügung, die jeweils einen für die Qualität der Fallbearbeitung relevanten Themenbereich einer systematischen Befragung und Diskussion zugänglich machen. Spätestens hier erweist sich das Buch als ein mögliches Hilfsmittel zur Verbesserung der Praxis der Arbeit mit Familien.
Zielgruppen
Sozialpädagogische Fachkräfte und Personalverantwortliche in Jugendämtern und bei freien Trägern, in Fachverbänden und Weiterbildungseinrichtungen; Lehrende und Studierende der Sozialen Arbeit und der Sozialpädagogik
Tauglichkeit, Lesbarkeit
Das Buch wurde als Dissertation geschrieben, und das merkt man ihm auch an - positiv durch den klaren Aufbau, die umfangreichen Bezüge auf die Empirie; negativ durch die manchmal etwas hölzerne Korrektheit von Gliederung und Sprache. Alles in allem ist der Band jedoch gut lesbar und lässt sich durch seinen klaren Bezug auf die organisatorische Praxis auch als Leitfaden für eine Steigerung der Qualität der Fallbearbeitung verwenden.
Fazit
Christa Neubergers Buch ist nützlich, vor allem durch die klare Benennung von Elementen, die gute Fallarbeit ausmachen, und durch die Bereitstellung von Instrumenten für die systematische Reflexion. Auf der Ebene der konkreten Verfahren, die z.B. für das Fallverstehen und die Falldokumentation, für AdressatInnenbeteiligung, eine sozialräumliche Orientierung und das Case Management eingesetzt werden können, bleiben allerdings viele Fragen offen. Insofern hat dieses Buch auch Aufforderungscharakter: Es wäre daran zu arbeiten, wie unter Bedingungen begrenzter zeitlicher, organisatorischer und personeller Ressourcen Instrumente zu einer Verbesserung der Erziehungshilfepraxis gefunden, gelernt und etabliert werden können. Damit Hilfe öfter wirklich hilfreich wird.
Rezension von
Prof. Mag. Dr. Peter Pantuček-Eisenbacher
Diplomsozialarbeiter, Soziologe, Supervisor (ÖVS)
Leiter Department Soziale Arbeit, Master-Stdgg. Soziale Arbeit
Fachhochschule St.Pölten GmbH
University of Applied Sciences
Website
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