Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Ewelina Mania: Weiterbildungs­beteiligung sogenannter "bildungsferner Gruppen"

Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 09.10.2018

Cover Ewelina Mania: Weiterbildungs­beteiligung sogenannter "bildungsferner Gruppen" ISBN 978-3-7639-1203-2

Ewelina Mania: Weiterbildungsbeteiligung sogenannter "bildungsferner Gruppen". In sozialraumorientierter Forschungsperspektive. wbv (Bielefeld) 2018. 216 Seiten. ISBN 978-3-7639-1203-2. D: 34,90 EUR, A: 35,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema und Entstehungshintergrund

Seit fast 60 Jahren beschäftigt sich die Weiterbildungsforschung damit, Motive und Begründungen zu finden, die Menschen bewegen, an Weiterbildung teilzunehmen oder sie daran hindern, sich nach der Erfüllung der Schulpflicht einer allgemeinen oder berufsbezogenen Bildung in institutionalisierter Form zu widmen. Neben den frühen sog. Leitstudien (Göttingen, Hildesheim und Oldenburg) gab es kontinuierliche Repräsentativbefragungen durch das sog. Berichtssystem Weiterbildung (von 1979 bis 2007), danach die Adult Education Surveys. Den Studien lagen unterschiedliche Erklärungsmodelle über die Bedeutung von Einflussvariablen auf eine Entscheidung zugunsten oder zuungunsten von Weiterbildungsteilnahmen zugrunde. Sie variierten im Zeitverlauf in Abhängigkeit von Forschungsergebnissen. Ewelina Mania macht mit ihrer Forschungsperspektive den Versuch, bereits bekannte Variablen zu integrieren und in ein sozialräumliches Modell zu packen.

Autorin

Dr. Ewelina Mania ist seit 2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen. 2017 hat sie mit der vorliegenden Arbeit an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz im Fachbereich Bildungswissenschaften promoviert. Die Autorin beschäftigt sich seit ihrer Anstellung beim DIE mit Weiterbildung von sog. „bildungsfernen“ Gruppen, insbesondere im Bereich der finanziellen Grundbildung und der Alphabetisierung. Ihre zahlreichen Veröffentlichungen seit 2009 umfassen Themen zum Sozialraum, zur Teilnehmendengewinnung, zur Weiterbildungsbeteiligung und zur Inklusion, die für die vorliegende Dissertationsschrift wichtige Vorarbeiten darstellen.

Aufbau

Der eigentlichen Abhandlung sind die „Vorbemerkungen“ (S. 7-9) der Abteilungsleitung „Programme und Beteiligung“ des DIE, Dr. Marion Fleige vorangestellt. Sie zeigt die Einbettung der Untersuchung in den größeren Forschungskontext des DIE und in die Tradition der Teilnehmendenforschung seit den 1960er Jahren auf, würdigt die Spezifika der Herangehensweise der Verfasserin und wünscht sich eine Fortführung des gewählten Ansatzes. Auf Seite 10 bedankt sich Ewelina Mania bei der Betreuerin und dem Betreuer der Dissertation sowie für die Unterstützung am DIE.

Der inhaltliche Teil des Buches entspricht dem Aufbau einer Forschungsarbeit:

  1. Fragestellung und Anlage der Studie (S. 11-14)
  2. Beteiligung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ an organisierter Weiterbildung als Feld und Gegenstand der Untersuchung (S. 15-42)
  3. Eine sozialraumorientierte Perspektive als theoretische und methodische Rahmung der Untersuchung (S. 43-87)
  4. Systematisierung der einzelnen Regulative der (Nicht-)Teilnahme an organisierter Weiterbildung sogenannter „bildungsferner Gruppen“ als Darstellung der Befunde (S. 88-165)
  5. Die Kombination der Regulative der (Nicht-)Teilnahme an organisierter Weiterbildung als Ergebnis der Untersuchung (S. 166-180)
  6. Konsequenzen für die Erwachsenen- und Weiterbildung (S. 181-191)

Das „Literaturverzeichnis“ (S. 192-207) und das „Abbildungs- und Tabellenverzeichnis“ (S. 208) komplettieren die wissenschaftliche Abhandlung. In den „Anlagen“ (S. 209-213) befinden sich der Interviewleitfaden und die Gliederung der Postskripts. Des Weiteren sind eine „Zusammenfassung“ (S. 214), Angaben zur „Autorin“ (S. 215) sowie ein deutsches und englisches „Abstract“ (S. 216) angefügt. Die tabellarische Darstellung der Regulative und die bildhafte Skizzierung des Jenga-Turms sowie die umrandeten Verbindungen der identifizierten Regulative zu anderen sind für den Leser / die Leserin sehr hilfreich.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

Ad 1.:

Fragestellung und Anlage der Studie werden in Anknüpfung an Vorarbeiten der Verfasserin, mit Verweis auf die ungeklärten Regulative für eine Beteiligung oder Nicht-Beteiligung an Weiterbildung vor dem Hintergrund des gewählten sozialräumlichen Erklärungsmodells und entsprechend der Gliederung der Arbeit knapp vorgestellt.

Ad 2.:

In Kapitel 2 gibt die Autorin zunächst einen Überblick über die „Weiterbildungsbeteiligung als Forschungsfeld“ (S. 15) und beschäftigt sich mit der uneinheitlichen Bezeichnung der Aktivitäten, die als (Weiter-)bildung verstanden werden. Für ihre Studie ist Weiterbildung nur in „organisierter“ Form relevant. Informelle Weiterbildung wird nur dann tangiert, wenn sie als Grund für Nicht-Teilnahme genannt wird. Ein kurzer Abschnitt widmet sich der „normativen“ Implikation des Begriffs Weiterbildung als Faktor für ökonomischen Wohlstand und soziale Inklusion.

Im zweiten Unterpunkt erläutert Ewelina Mania ihre Präferenz für den Begriff „Regulativ“, um zu demonstrieren, dass es viele Einflussgrößen sind, die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme befördern, sowohl solche, die steuerbar sind als auch solche, die (noch) nicht bekannt sind, aber hemmend oder begünstigend wirken. Ebenso überlegt kritisch zerpflückt sie den Begriff „Bildungsferne“ (S. 20ff) und listet sechs mögliche „Definitionslinien“ auf. Angesichts dessen, dass sowohl subjektive Motive als auch äußere Barrieren für den fehlenden Zugang zu Bildung relevant sein können, entscheidet sie sich, in ihrer Studie von sog. „bildungsfernen Gruppen“ zu sprechen. Im anschließenden Kapitel gibt sie einen Überblick über den „Forschungsstand zu Regulativen der (Nicht-)Teilnahme an Weiterbildung sogenannter ‚bildungsferner Gruppen‘“ (S. 23ff). Neben den Studien, die hauptsächlich soziodemografische Merkmale zugrunde gelegt haben, erwähnt sie Erkenntnisse aus der Milieu- und der Biografieforschung und zählt die Modelle auf, welche als Erklärungsfolien zugrunde lagen.

Das dritte Unterkapitel beinhaltet eine Bilanz der Erkenntnisse, die die Autorin als „Herausforderungen“ für die eigene Studie benennt:

  1. (Nicht-)Teilnahme lässt sich nur als „Komplexität“ von Regulativen und mehrdimensional erklären, wobei in vielen Studien
  2. Inkonsistenzen in der Verwendung von Begriffen und der Zuordnung von Faktoren zu verschiedenen Ebenen bestehen und
  3. soziale Erwünschtheit beim Antwortverhalten vielfach anzunehmen ist bzw. „fehlende Zeit“ als „Fluchtkategorie“ (S. 36) bekannt ist.
  4. Schließlich erweist sich in vielen Studien Weiterbildungsbeteiligung als Norm.
  5. Obgleich auch Abstinenz ein adäquates Verhalten sein kann, ist Nicht-Teilnahme weniger im Fokus der Studien und
  6. eine gewisse „Mittelschichtorientierung der Forschung“ (S. 38) zu verzeichnen.

Abschließend fasst die Autorin den Forschungsbedarf zusammen und bilanziert dies in der Forderung nach „mehrdimensionalen Modellen“ (S. 40) und nach „qualitativer Forschung“ (S. 41), denen sie mit ihrem Design entsprechen wird.

Ad 3.:

Die Autorin fokussiert sich auf einen bisher in der (Nicht-)Teilnehmendenforschung kaum verwendeten theoretischen Rahmen, den sie im ersten Unterabschnitt genauer vorstellt. Sie rekurriert auf den „spatial turn“ (S. 43) in den Sozialwissenschaften und wie dieser in drei Strängen im erwachsenenbildnerischen Diskurs rezipiert wurde:

  1. Raum als Regulativ in der Beteiligung,
  2. als gemeinsamer Aktions- und Planungsraum und
  3. als Bildungsort.

In allen drei Dimensionen attestiert Ewelina Mania der Sozialraumorientierung integrierendes Potenzial, u.a. auch wegen der Entwicklungsstränge der Theorie aus den Lebenswelt- und Empowermentansätzen und einer subjektorientierten Theorie. Als Charakteristika von Sozialraumorientierung hält sie schließlich folgende Aspekte fest: „Orientierung an Interessen und an Bedürfnissen der Menschen“ (S. 53), „Unterstützung der Eigeninitiative und Selbsthilfe“ (S. 53), „Nutzung von Ressourcen der Menschen und des Sozialraums“ (S. 53), „Zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweise“ (S. 54) und „Kooperation und Koordination“ (S. 55). Bevor die Verfasserin das von ihr favorisierte SONI-Schema (mit den Dimensionen Sozialstruktur, Organisation, Netzwerk und Individuum) in Anlehnung an Früchtel, Cyprian und Budde (2010) entfaltet und die Relevanz als Erklärungsfolie für die Studie erläutert, unterzieht sie den Sozialraumansatz auch einer kritischen Reflexion.

Im zweiten Teil dieses Abschnitts beschreibt die Autorin den „methodischen Rahmen“ (S. 64). Als Teilstudie des Projekts „Lernen im Quartier – Bedeutung des Sozialraums“ (LIQ) am DIE (2010-2013) waren Untersuchungsgegenstand, -personen und -feld bereits gerahmt. Die Zielsetzung der Studie, nämlich die Regulative von (Nicht-)Teilnahme an organisierter Weiterbildung von sog. „bildungsfernen Gruppen“ auf Basis der sozialräumlichen Theorie zu erforschen, arbeitet die Autorin mit Hilfe problemzentrierter, halbstrukturierter Interviews ab, ergänzt um einen Kurzfragebogen im Berliner Quartier Soldiner-/Wollankstraße im Norden des Stadtteils Wedding. Den Zugang zu den 49 interviewten Personen stellte sie über sog. Ankerpunkte (Anlaufstellen und Gatekeeper) her, sodass sie die Vorgaben des theoretical sampling erfüllen konnte. Die Interviews fanden zwischen März und November 2011 statt, wurden aufgezeichnet, transkribiert und mit Hilfe der Software MXQDA auf Basis der Grounded Theory ausgewertet. Ewelina Mania gibt einen sehr genauen Einblick in ihre Dokumentation und begründet, wie sie die Gütekriterien der qualitativen Forschung erfüllt.

Ad 4.:

Ewelina Mania präsentiert die empirischen Daten. Die jeweiligen Regulative ordnet sie dem SONI-Schema zu und zeigt am Ende jeder Besprechung eines Regulativs die Verbindungen zu anderen Aspekten auf. Alle Kategorien belegt die Autorin mit Originalzitaten aus dem Interviewmaterial. Enthält eine Kategorie mehrere Argumentationsstränge, so listet sie diese in einer logischen Reihenfolge auf.

Als sozialstrukturell relevante Einzelaspekte (S) konnte sie

  1. Sozialräumliche Entfernungen und Grenzen zwischen den Sozialräumen (S. 90ff),
  2. das Weiterbildungssystem (S. 93ff), bestehend aus dem unübersichtlichen Weiterbildungsmarkt und der Infrastruktur,
  3. arbeitsbezogene Gelegenheitsstrukturen (S. 97ff) wie z.B. diejenigen der Bundesagentur für Arbeit oder die der Arbeitswelt,
  4. Kapitalausstattung (ökonomisches und kulturelles Kapital) (S. 105ff) und
  5. das Zugehörigkeitsgefühl (S. 107) identifizieren.

Dem Faktorenkomplex der Organisation (O) ordnet die Verfasserin

  1. Zugangsportale (S. 112ff), wie z.B. Medien und Wege der Ansprache, persönliches Informations- und Beratungsangebot, Probestunden, Veranstaltungsorte und Vernetzung zu.
  2. Der zweite Aspekt ist das Einrichtungs- und Angebotsprofil (S. 117ff) hinsichtlich der Zielgruppen und des Programms.
  3. Angebotsgestaltung (S. 120ff) gehören Kurszeiten und -termine, Kinderbetreuung, Didaktik, Gruppen und Kosten.
  4. Eine eigene 4. Kategorie bilden die Lehrenden (S. 127ff).

Zum Netzwerk (N) zählt Ewelina Mania 1. Informationsfluss und Austauschprozesse (S. 128ff), die sich in passive, aktive und allgemeine Empfehlungen unterteilen lassen. Sie differenziert 2. Mitnahmeeffekte (S. 131f) und 3. Familiale Unterstützung (S. 132).

Der Komplex Individuum (I) umfasst sieben Kategorien:

  1. Mobilität (S. 133ff),
  2. Kritische Lebensereignisse (S. 135ff), wie z.B. Familiengründung, Trennung, Migration, Krankheit, Berufswechsel, (Langzeit-)Arbeitslosigkeit, Ruhestand, die sowohl weiterbildungsinitiativ wie auch -hemmend wirken können.
  3. Die 3. Subkategorie stellen die Bildungsinteressen (S. 140ff) dar, die oft mit Nutzenerwartungen kombiniert sind.
  4. Bildungserfahrungen (S. 143ff) lassen sich in Schul- und Weiterbildungserfahrungen unterteilen.
  5. Lernstrategien und -vorstellungen (S. 147ff) bestehen aus bevorzugten Lernkontexten und Lernformen.
  6. Die Subkategorie Nutzenerwartungen (S. 150ff) ist unterteilt in Einflussfaktoren der Nutzenerwartungen (z.B. Stellenwert von Bildung in der Lebensphase, persönlicher und zeitlicher Aufwand, monetärer Aufwand, altersbezogene Einstellungen) und Nutzendimensionen (z.B. beruflicher Nutzen oder Nutzen für den Alltag, sozialer Austausch, persönliche Weiterentwicklung).
  7. Die Subkategorie 7. Ressourcen (S. 162ff) lässt sich in Zeit, Gesundheit und Persönlichkeitseigenschaften untergliedern.

Ad 5.:

Auf dem Hintergrund des SONI-Schemas ordnet die Autorin die extrahierten Regulative mit deren erklärenden Subdimensionen zu, beschreibt sie einzeln und schafft damit einen Überblick. Danach geht sie daran, die Beziehungen zwischen den Einzelelementen zu demonstrieren. Dabei bedient sie sich der Jenga-Metapher: Ähnlich wie der Jenga-Turm ist das „Modell der Regulative der Weiterbildungsbeteiligung“ (S. 171) mehrdimensional (SONI) und zeigt von jeder Seite einen anderen Ausschnitt der Realität, es wird von vielen unterschiedlich relevanten Einzelteilen beeinflusst, die sich wechselseitig, auch zwischen den Dimensionen bedingen und deren Wirkungen nicht linear, sondern prozesshaft und kumulativ sind.

Im Anschluss an die metaphorische Darstellung des Modells diskutiert Ewelina Mania ihre Resultate mit Bezug zu den Forschungsdesideraten unter folgenden Perspektiven:

  1. die „mehrdimensionale und integrierende Modellierung“ (S. 174) auf der Basis der Sozialraumtheorie,
  2. die „zielgruppenübergreifende Perspektive“ (S. 176), die sich im Bewusstsein äußert, dass die Gruppen sehr heterogen sein können,
  3. die „ressourcen- und lebensweltorientierte Perspektive“ (S. 176), die sich aus den Bildungsinteressen und der lebenspraktischen Bedeutsamkeit erschloss,
  4. die „Berücksichtigung der Heterogenität der Weiterbildung“ (S. 177) nach beruflichen, allgemeinen oder didaktischen Kriterien,
  5. die „(Aus-)Differenzierung und (Weiter-)Entwicklung von Regulativen“ (S. 178) wie sich dies an kritischen Lebensereignissen ergeben kann und
  6. der „empirische[n] Verankerung des Modells“ (S. 179).

Ad 6.:

Das abschließende Kapitel nutzt Ewelina Mania, um aus ihren Resultaten Impulse abzuleiten, die sie zum einen an die Forschung (S. 181) und zum anderen an die Praxis und die Politik (S. 185) richtet. Ausgehend von den „Limitierungen“ (S. 181), die auch ein sozialraumorientiertes Erklärungsmodell mit sich bringt (z.B. dass nicht alle Faktoren einbezogen werden können, die Faktorenbeziehungen nicht genau bestimmt werden können, Sozialräume sich unterscheiden u.a.m.) plädiert sie dafür, die sozialräumliche Forschungsperspektive dennoch weiter zu verfolgen und in manchen Komplexen noch stärker in die Tiefe zu gehen. Sie votiert ferner dafür, weitere methodische Zugänge in Angriff zu nehmen, den Ansatz mit weiteren Konzepten zu kombinieren und die Debatte um die sog. „Bildungsfernen“ fortzusetzen. An die Politik und die Praxis gerichtet thematisiert die Autorin die „Lehrenden“ als wesentliches Bindeglied zu den Teilnehmenden aufzuwerten, das hauptberufliche (Planungs-)Personal dazu zu motivieren, fachbereichsübergreifend zu denken, sich an den Lebensereignissen zu orientieren, den Sozialraumbezug zu fokussieren und mit den Akteuren der Sozialarbeit zu kooperieren und damit unter Umständen niederschwelliger zu werden. An die Adresse von Bund, Ländern und Kommunen richtet Ewelina Mania ihr Ansinnen, Weiterbildungsberatung zu fördern, Gelegenheitsstrukturen für Weiterbildung zu fördern u.a. durch dezentralisierte Anbieter bzw. durch einzurichtende Sozialraumbüros.

Diskussion

Das Novum der vorliegenden Studie, nämlich auf Basis eines Sozialraummodells Erklärungen für Teilnahme und Nichtteilnahme an organisierter Weiterbildung zu eruieren, bestand in einem Experiment der Verfasserin, sich auf eine in der Erwachsenenbildung bisher noch kaum in diesem Umfang integrierte Theorie „einzulassen“. Es hat sich auf Anhieb gelohnt, betrachtet man die Zusammenhänge, die Ewelina Mania in Bezug auf die Komposition ihres Modells in Kapitel 5 und als Konsequenzen für die Erwachsenen- und Weiterbildung folgern konnte. Mit der Verwendung des in der Sozialarbeitswissenschaft schon einige Jahre existierenden, wiederholt als Erklärungsfolie repliziertem und auch kritisch durchleuchtetem Modell hat die Autorin die Brücke stabilisiert, die sich bei den sog. „bildungsfernen Gruppen“ im Falle von Zuneigung zu oder Abneigung gegen Bildung in organisierter Form und ohne erkennbaren persönlichen Sinn bzw. Nutzen für ein „gutes Leben“ zwischen Sozialer Arbeit und Erwachsenenbildung ergibt. Viel zu wenig wurden in der Vergangenheit Versuche unternommen, nicht nur Erklärungsansätze beider Disziplinen miteinander auszutauschen bzw. in Forschungsdesigns miteinander zu verknüpfen, sondern auch faktisch zusammen zu arbeiten.

Ewelina Mania demonstriert bereits im Zugang zu ihrer Interviewpopulation, welche Einrichtungen und Organisationen des Sozialraums ihr hilfreich sein können und kommt am Ende der Studie darauf zurück, wie sehr Einrichtungen Sozialer Arbeit „Bildung für das Leben“ anstoßen, in Gang setzen und durchführen können. Eindrucksvoll zeigen dies gerade die Ergebnisse, wie sog. „kritische Lebensereignisse“ Anlass für Bildung sein können oder auch organisierte Bildung als nicht hilfreich erscheinen lassen. Die seismographischen Optionen, die in den Organisationen im Sozialraum vorhanden sind, werden von Erwachsenenbildungseinrichtungen noch kaum genutzt. Ihre Forderung nach einer Verklammerung von Organisationen der Sozialarbeit und der Erwachsenenbildung z.B. in sog. Sozialraumzentren beinhaltet nicht nur, wie sie selbst betont, eine Auflösung einer „versäulten“ Zuständigkeit, sondern auch Veränderung in organisierter Bildung selbst z.B. im Hinblick auf die Didaktik und, was die Studie nicht abbilden kann, die Bedeutung von informeller Bildung. Trotz jeder Vereinfachung, die mit einem Modell verbunden ist, gibt es, wie die Resultate von Ewelina Mania zeigen, den Blick auf neue Zusammenhänge frei und setzt für die Teilnehmendenforschung einen neuen Meilenstein. Zu fragen bleibt, ob für das zusammenfassende sozialräumliche Erklärungsmodell die „Jenga-Metapher“ unbedingt erforderlich war. Sie ist für ein einprägsames Verständnis nicht abträglich, bringt allerdings auch nicht unbedingt einen großen Erkenntniswert.

Fazit

Die vorliegende Publikation demonstriert aus meiner Sicht sehr gelungen, wie eine Qualifikationsarbeit im Rahmen eines in diesem Kontext zu bewältigenden Umfangs

  1. einen Forschungsstand aufarbeiten,
  2. Desiderata herausfiltern und
  3. unter Rekurs auf neue Ansätze spannende Ergebnisse liefern kann.

Es bleibt, wie Marion Fleige vom DIE eingangs schreibt, zu wünschen, dass weitere Forschungsarbeiten diesen Zugang aufgreifen und das theoretische Modell verfeinern. Dieses Buch ist all jenen zu empfehlen, die für Bildungsprogramme in Organisationen verantwortlich sind. Sehr wertvoll ist es auch für Studierende von Studiengängen, die eine Affinität zur Bildungsorganisation mit sog. „benachteiligten Gruppen“ aufweisen, wie dies bei der Rezensentin zutrifft.

Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
Website
Mailformular

Es gibt 83 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245