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Björn Migge: Hypnose und Hypnotherapie

Rezensiert von Peter Schröder, 28.12.2018

Cover Björn Migge: Hypnose und Hypnotherapie ISBN 978-3-407-36642-9

Björn Migge: Hypnose und Hypnotherapie. Grundlagen und Praxis für Coaching und Kurzzeittherapie. Mit E-Book inside. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2018. 450 Seiten. ISBN 978-3-407-36642-9. D: 49,95 EUR, A: 51,40 EUR, CH: 64,30 sFr.

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Thema

Über unterschiedliche Wege hat das Thema „Hypnose“ den Weg gefunden aus rein therapeutischen Zusammenhängen in die Welt der Beratung, vor allem in das Coaching. Zentraler Quellort dieser Zuflüsse ist die hypnotherapeutische Arbeit Milton H. Ericksons, der geradezu als Begründer der modernen Hypnotherapie bezeichnet werden kann. Schüler wie Richard Bandler und John Grinder (beide ursprünglich nicht vom therapeutischen Fach, sondern Mathematiker der eine, Linguist der andere) haben die Art und Wirkung der hypnotischen Sprachmuster Ericksons erforscht und unter dem Label „Neurolinguistisches Programmieren“ auch für nichttherapeutische Anwender nutzbar gemacht.

Für viele Coaches ist das NLP die Basis der eigenen Arbeit. Über Steve de Shazer und seine Frau Insoo Kim Berg sind die Konzepte Ericksons in die „Lösungsfokussierte Kurztherapie“ eingezogen – auch diese ein ursprünglich psychotherapeutisches Konzept, das mittlerweile die Coachingarbeit stark bestimmt. Und ein dritter Name sei genannt (unter dem ausdrücklichen Verzicht auf eine auch nur annähernde Vollständigkeit der Nennungen): Gunther Schmidt, selbst Schüler von Erickson, hat sowohl die Therapie als auch das Coaching um einen „hypnosystemischen“ Ansatz erweitert.

Dieses sei vorweg gesagt, um das Thema „Hypnose“ aus dem Bereich des Fragwürdigen, möglicherweise Beängstigenden und Demonstrativen herauszuholen. Ein häufig zu hörender Einwand gegen diese bewährte therapeutische Methode ist der, dass sie doch sehr manipulativ sei. Allerdings hat schon vor etlichen Jahren Paul Watzlawick bei einem Vortrag auf eine entsprechende Anfrage aus dem Publikum geantwortet, ob der Fragende eine einzige wirksame therapeutische Methode nennen könne, die nicht manipulativ sei. Die Prüfsteine für die ethische Vertretbarkeit sind meines Erachtens Transparenz und Wirksamkeit. Aber dazu später.

Autor

Björn Migge zählt zu den bestens bekannten Autoren im Bereich von Coaching und Therapie. (Eine Reihe seine Publikationen wurden an dieser Stelle bereits rezensiert.) Ursprünglich Mediziner, unterrichtet er ärztliche Hypnose an einer medizinischen Hochschule und arbeitet seit vielen Jahren als Hypnotherapeut. Seit 2004 führt er auch gemeinsam mit seiner Frau ein Weiterbildungsinstitut für Coaching und Therapie. Weitere Informationen finden sich auf seiner Homepage www.drmigge.de.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst sechs Teile und ein umfangreiches Onlinematerial. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

  1. Der Teil 1 ist überschrieben mit „Überblick und Einstimmung“. Hier geht es um Definitionen dessen, was Coaching ist und welches das in diesem Buch vertretene Konzept von Coaching ist, z.B. „Hypnose als kooperativer Prozess“. Der „Entmystifizierung“ von Hypnose dienen Feststellungen wie Hypnose sei eigentlich immer Selbsthypnose und eine Trance sei ein sehr alltäglicher und also letztlich vertrauter Zustand.
  2. Teil 2 beschreibt die „Geschichte der Hypnose“ von Johann Gaßner (1727 – 1779) bis zu dem auch gegenwärtig arbeitenden und lehrenden Randal Churchill. Eine kleine Nebenbemerkung enthält aber auch den Hinweis, dass bereits seit alten, „archaisch- mythischen“ Zeiten Schamanen und Priester mit Trancezuständen gearbeitet und so Zugänge zum Unbewussten gebahnt haben.
  3. Teil 3 liefert „Hintergrundwissen zur Hypnose“. Da ist zum einen der Link zu den Neurowissenschaften, zum anderen wird „Das Unbewusste“ beschrieben, das eben nicht als ein Speicher gemachter Erfahrungen verstanden wird, aus dem Wissen und Erinnerungen abgerufen werden können, sondern als eine Instanz, die an der kreativen Konstruktion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft maßgeblich beteiligt ist. Migge referiert in diesem Teil auch die verschiedenen Konzepte des Unbewussten in Philosophie, Literatur und Hypnose. Er beschreibt dann hypnotische Phänomene und Tiefenstadien und widmet schließlich einen umfangreichen Abschnitt dem Thema „Ethik und Sicherheit“.
  4. Teil 4 ist mit 224 Seiten der umfangreichste Teil des Buches und ist überschrieben mit „Die Hypnosepraxis“. Er liest sich wie ein „Handbuch im Handbuch“, in dem zunächst die Anwender von Hypnose benannt werden und im Folgenden ein Hypnoseprozess mit den indizierten Methoden und Techniken beschrieben wird. Um nur einige Stichworte zu nennen: Vorgespräch, Sprachmuster, Posthypnose, Imagination, Induktion etc.
  5. Ein in der Hypnotherapie häufig genutztes Format ist die sogenannte „Regressionsarbeit“, bekannt ist zum Beispiel die Arbeit mit dem „inneren Kind“. Der Teil 5 trägt die Überschrift „Regression und Arbeit mit inneren Teilen“. In diesem Abschnitt werden auch klassische hypnotherapeutische Methoden wie die Arbeit mit ideomotorischen Fingersignalen u.a. beschrieben.
  6. Teil 6 ist der Anhang: Der Autor verabschiedet sich höflich, nicht ohne den Hinweis auf die Onlinematerialien, eine Selbstvorstellung und das Verzeichnis der Literatur und der Quellen.

Ein Personen- und ein Stichwortverzeichnis beenden den Band.

Diskussion

Wollte man dieses Buch angemessen diskutieren und dabei allen Teilen gerecht werden, bräuchte man deutlich mehr Raum als ihn eine Rezension in diesem Rahmen bietet. So bleibt man notgedrungen allgemein. Einige Details möchte ich gleichwohl würdigend benennen.

Dass das Buch von einem kenntnisreichen und praxiserfahrenen Autor geschrieben ist, muss vermutlich nicht eigens erwähnt werden. Das ergibt sich schon aus der Beschreibung der inhaltlichen Fülle. Es gibt aber ein Merkmal, das alle Fachbücher von Migge verbindet und das ich sehr schätze: das ausdrückliche Thematisieren der ethischen Aspekte, die jede Coaching- oder Therapiearbeit enthält. So enthält auch dieser Band 25 Seiten zum Thema „Ethik und Sicherheit“, und das ist bei weitem nicht die einzige Stelle, an der die ethische Haltung zum Thema wird.

Hypnose ist im Verständnis vieler immer noch verbunden mit der Idee eines machtvollen Zauberwerks, in dem ein Hypnotiseur Menschen in einen Zustand versetzt, in dem sie „nichts mehr mitkriegen“, in dem ihnen unter Umgehung des eigenen Bewusstseins und auch des eigenen Willens Denk- und Verhaltensweisen suggeriert werden. Das Stichwort „Macht“ spielt dabei die zentrale Rolle, die Struktur ist so autoritär, dass ein Klient seine Autonomie abgeben muss. Die immer wieder einmal medial auftauchenden Bühnenhypnosen verstärken dieses Verständnis. Umso mehr ist ein ethisch vertretbares Arbeiten mit hypnotherapeutischen Methoden auf einen informativen und ausführlichen „Beipackzettel“ angewiesen, der Klienten und Patienten in ihrer Autonomie stärkt. Wenn aber, wie Migge betont, alle Hypnose im Wesentlichen Selbsthypnose ist und Therapeuten oder Coaches nur Anregungen geben können, dann ist Hypnose eine „kooperative Interaktion“. (S. 27) Den ausführlichen „Beipackzettel“ liefert er ab Seite 176: „Vorgespräch und Einstimmung“.

Im Kapitel „Ethik und Sicherheit“ referiert Migge unter anderem Ethikkodizes relevanter Verbände und beschreibt dann auch selbst „eine sichere Rahmung der Hypnose“ (S153f). Ich halte das, vor allen detailliert dargestellten Arbeitsschritten und Techniken, für wesentlich. Und auch dieses: dass der Autor allen Hypnosepraktikern, seien sie nun Coaches, Ärzte oder Psychotherapeuten, regelmäßige Supervision empfiehlt, „damit Sie unerkannte Interaktionsmuster, eigene Begrenzungen und Ähnliches erkennen und überwinden können“. (S. 154) (Da fühle ich mich als Supervisor natürlich eingeladen. Der erste Satz auf dieser Seite lautet: „Stellen Sie sich unwissend, was die Lösung für Ihren Klienten angeht. Sie sind Fachperson für einen Prozess, aber nicht für die Lösungen, die ein Klient für sein Leben selbst entwerfen sollte.“ Muss ich mich unwissend stellen, aber in Wirklichkeit weiß ich’s doch?) Und es gibt – gut so! – einen Teil des „Beipackzettels“, der sich an die Therapeuten richtet: Unter der Überschrift „Allgemeine Sicherheitshinweise“ listet Migge Hinweise für eine sichere Arbeit mit Hypnose auf (S. 166f). Für die wichtigste halt ich diese: „Hypnotisieren Sie nur Personen, deren ‚Störungen‘ Sie auch ohne Hypnose kompetent begleiten könnten und dürften.“

Was den Praxisteil betrifft, liest er sich wie ein Lehrbuch der Hypnose, und natürlich betont der Autor auch, dass man Hypnose nicht aus Büchern lernen kann, sondern durch eine profunde Ausbildung mit hinreichenden Praxisanteilen und Übungsmöglichkeiten. Wer eine solche Ausbildung macht (oder gemacht hat), für den wird dieses Buch aber sehr nützlich sein. Es ist, bei aller Komplexität des Themas und der Kontexte, gut lesbar – was man von Migge gewohnt ist, der in seinen Büchern sein Wissen mit seinen Leserinnen und Lesern verständlich und in direkter Ansprache teilt. Bleibt noch der Hinweis darauf, dass man durch den Kaufzugleich auch das E-Book erwirbt und Zugriff auf weitere Onlinematerialien, u.a., Audiofiles mit Tranceübungen und schriftliche Methodenbeschreibungen erhält.

Fazit

Ein umfangreiches, von Theorie und Praxis gleichermaßen inspiriertes Buch, das seine Besonderheit nicht zuletzt darin hat, dass es nicht nur Methoden und Techniken beschreibt, sondern auch die Kontexte wie die Geschichte sowie philosophisches, psychologisches und medizinisches Hintergrundwissen liefert. Eine Leseempfehlung für alle, die mit Hypnose arbeiten oder sich differenziert mit dem Fach beschäftigen möchten.

Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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Es gibt 136 Rezensionen von Peter Schröder.

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ISSN 2190-9245