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Jörn Walter, Anja Hümpel (Hrsg.): Epigenetik ... für die Lebens- und Geistes­wissenschaften

Rezensiert von Leonard Frach, 13.09.2018

Cover Jörn Walter, Anja Hümpel (Hrsg.): Epigenetik ... für die Lebens- und Geistes­wissenschaften ISBN 978-3-8487-2739-1

Jörn Walter, Anja Hümpel (Hrsg.): Epigenetik. Implikationen für die Lebens- und Geisteswissenschaften. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2017. 221 Seiten. ISBN 978-3-8487-2739-1. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR, CH: 69,90 sFr.
Reihe: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Forschungsberichte - Band 37.

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Thema

Dieses Buch gibt Einblicke in Forschungsfelder, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit der Epigenetik beschäftigen. Die Breite des Bandes führt beim Lesen dazu, dass man zeitweise vergisst, ein und dasselbe Buch vor sich liegen zu haben. Jedoch tut dies dem Interesse keinen Abbruch. Vielmehr wird an vielen Stellen deutlich, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit in diesem Forschungsgebiet ist.

Es ist besonders verwunderlich, dass dieses Buch kein Lobeslied auf das eigene Forschungsfeld ist, da die HerausgeberInnen Prof. Dr. Jörn Walter und Dr. Anja Hümpel beide im Bereich der Epigenetik forschungspolitisch aktiv sind. In diesem Buch sticht heraus, dass stets eine kritische Sichtweise zu den eigenen Forschungsergebnissen und jenen aus der internationalen Forschung gewahrt wird und dass an keiner Stelle der Eindruck entsteht, die Epigenetik könne die Erklärung für Alles sein.

Herausgeber und Herausgeberin

Jörn Walter ist Professor für Genetik/ Epigenetik an der Universität des Saarlandes.

Anja Hümpel ist Diplombiologin und ehemaliges Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe (IAG) Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und aktuell wissenschaftliche Mitarbeiterin der Futurium gGmbH. Die IAG Gentechnologiebericht veröffentlicht regelmäßig Forschungsberichte zur Gentechnologie.

AutorInnen

Der Themenband Epigenetik umfasst interdisziplinäre Forschungsberichte und Stellungnahmen der IAG Gentechnologiebericht zur Epigenetik sowie von AutorInnen aus den Fachbereichen Biologie, Chemie, Philosophie und Psychologie.

AutorInnen, die im Folgenden nicht detailliert vorgestellt werden, sind Mitglieder der IAG Gentechnologiebericht.

Aufbau

Dieser Band beinhaltet Kapitel zu den Themen

  • Problemfelder der Epigenetik,
  • Hintergrund und Bedeutung des Forschungsgebietes,
  • Epigenetik in der Pflanzenzüchtung,
  • Chemische Open-Access-Sonden,
  • Biophilosophische Bedeutung der Epigenetik,
  • Kulturen der Epigenetik,
  • Ethische und rechtliche Reflexionen,
  • Epigenetik in den Printmedien sowie
  • ein abschließendes Kapitel mit Daten zu ausgewählten Indikatoren für die zunehmende Bedeutung des Forschungsfeldes.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

Im ersten Kapitel fasst die IAG Gentechnologiebericht Kernaussagen und Handlungsempfehlungen im Bereich Epigenetik zusammen und gibt einen ersten Einblick in die Vielseitigkeit des Forschungsgebietes mit Informationen zur epigenetischen Vererbung, zur epigenetischen Diagnostik und zu Therapie- und Interventionsansätzen sowie zur Ethik und zur Epigenetik in den Medien.

Dr. Lilian Marx-Stölting führt im zweiten Kapitel die Problemfelder und Indikatoren ein – hier anhand von Rechercheberichten zur Epigenetik in Print- und anderen Medien – und erläutert Motivation und Struktur des Themenbandes.

Das dritte Kapitel, welches von den HerausgeberInnen selbst verfasst wurde, handelt von den Grundprinzipien der Epigenetik sowie von einigen grundlegenden Mechanismen der chemischen Modifikation, wie DNA-Methylierung, Histon-Modifikation oder RNA-Interferenz, welche die Genregulation beeinflussen können und welche man unter epigenetische Prozesse zusammenfasst. Des Weiteren wird sich in diesem Kapitel der Epigenomforschung, Prozessen zur DNA-Sequenzierung sowie einführenden Worte zur Bioinformatik gewidmet.

Michael Wassenegger, Privatdozent für Molekularbiologie und Leiter der Epigenetik Arbeitsgruppe am AlPlanta-Institut für Pflanzenforschung an der Universität Heidelberg, beschreibt im vierten Kapitel die zuvor eingeführten epigenetischen Prozesse anhand von Züchtungsverfahren von Pflanzen, wo Verfahren wie das Genome Editing bereits verwendet werden.

Im fünften Kapitel erläutern Prof. Dr. Stefan Knapp und Dr. Susanne Müller-Knapp, beide Principal Investigator des Structural Genomics Consortium (SGC) der Goethe-Universität Frankfurt am Main, die sogenannten chemischen Sonden – kleinmolekulare Wirkstoffe, bei denen bestimmte Proteine involviert sind und die z.B. für die Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden könnten – und stellen beispielhaft einige chemische Sonden vor, z.B. für die Acetylierung und Methylierung des Chromatins. Die Biologin und der Chemiker betonen zugleich die Wichtigkeit des Themas Open Access und legen dar, dass Patentierung chemischer Sonden die Forschung eher behindert als voranbringt.

Christoph Rehmann-Sutter, Professor für Theorie und Ethik der Biowissenschaften am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck, beschreibt im sechsten Kapitel die biophilosophische Bedeutung der Epigenetik und regt zu neuen Denkrichtungen über Evolution und Vererbung hinsichtlich der Epigenetik an. Des Weiteren macht Rehmann-Sutter deutlich, dass die Epigenetik nicht essentialistisch gesehen werden sollte, da man nicht versuche, mit epigenetischen Prozessen alles erklären zu wollen.

Im siebten Kapitel zu den Kulturen der Epigenetik beschreibt Dr. Vanessa Lux, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitseinheit Genetic Psychology an der Psychologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, eine begriffs- und wissenschaftsgeschichtliche Perspektive auf die Epigenetik und thematisiert die Transgenerationalität epigenetischer Veränderungen am Beispiel der Traumaforschung.

Im achten Kapitel behandeln Reinhard Heil, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) und Dr. Philipp Bode, Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover, die ethischen und rechtlichen Aspekte der Epigenetik unter anderem im Hinblick auf die epigenetische Vererbung und die damit zusammenhängende Verantwortung der elterlichen Generationen. Zudem thematisieren sie die gesellschaftliche und politische Relevanz der Epigenetik und einhergehend die Möglichkeit einer „Epi-Eugenik“ aufgrund der vielzähligen epigenetischen Risikofaktoren für die nachfolgenden Generationen.

Dr. Julia Diekämper berichtet im neunten Kapitel über die mediale Präsenz der Epigenetik, wo durch Titel wie „Bereits der Stress in der Schwangerschaft kann den Fötus schädigen“ (Die Zeit, 2013) das Thema insbesondere im Zusammenhang mit Krankheiten bzw. negativen Auswirkungen in Erscheinung tritt.

Im letzten Kapitel, erneut von Lilian Marx-Stölting verfasst, wird ein Überblick über den Verlauf des Interesses am Thema Epigenetik anhand von geförderten Forschungsprojekten, Anzahl an Publikationen zum Thema und anhand der Nachfrage in Suchmaschinen mit dem Stichwort Epigenetik gegeben.

Diskussion

Mir gefällt insbesondere der interdisziplinäre Ansatz dieses Buches, dessen Bedeutung dem Leser zunehmend bewusstwird. Zudem ist es vorausschauend, dass in diesem Band Themen diskutiert werden, die vielleicht erst in der Zukunft Anwendung finden, wie z.B. ethische oder rechtliche Grundlagen bezüglich der Epigenetik.

Mir sind wenig weitere Werke bekannt, die nicht nur ein Thema der Epigenetik fokussieren, wie z.B. Epigenetik bei Erkrankungen oder Epigenetik und Gehirnentwicklung, sondern einen interdisziplinären und umfassenden Einblick in das Thema bieten und ich denke, dieses Buch ist empfehlenswert für Interessierte jedes Kenntnisstandes, da es die grundlegenden Mechanismen der Epigenetik eindrücklich erklärt, aber auch Übersichtsartikel über aktuelle Forschungsergebnisse bietet und zudem Themen wie die biophilosophische Sichtweise oder die ethischen und rechtlichen Aspekte bezüglich der Epigenetik beinhaltet, die auch manch belesenem Forscher vielleicht noch nicht vertraut sind.

Jedoch kommt es durch die Vielzahl an verschiedenen Autoren auch dazu, dass ein und dasselbe Thema mehrfach in Teilen nahezu identisch dargelegt wird. Zwar ist es für den Leser interessant zu brisanten Themen wie der epigenetischen Vererbung unterschiedliche Sichtweisen und Kenntnisstände zu erfahren, gleichwohl muss man eingestehen, dass der Begriff der Epigenetik nicht in jedem zweiten Kapitel erneut eingeführt werden muss.

Vom Gendeterminismus zum Epi-Gendeterminismus? Besonders spannend ist aus meiner Sicht das Kapitel zur öffentlichen Wahrnehmung der Epigenetik, bzw. ihr Stand in diversen Medien. Hier wird deutlich, dass die untersuchten Medien zwar mittlerweile vom Gendeterminismus abgekommen sind, jedoch die Epigenetik hochgelobt wird als möglicher Retter und Entscheider über das eigene Leben sowie das der eigenen Nachkommen. Zwar wird auch in diesen Medien die Reversibilität epigenetischer Veränderungen klargestellt, jedoch erwecken Überschriften wie „Epigenetik – Im Mutterleib entscheidet sich, wer krank wird“ (Spiegel Online, http://www.spiegel.de) den Eindruck, jene Veränderungen seien allein entscheidend über unsere Zukunft. Solch fragwürdige Berichterstattung zur Epigenetik wird meines Erachtens leider zu wenig kritisiert, was in Anbetracht des kritischen Stils der vorherigen Kapitel etwas überraschend ist.

Fazit

Implikationen für die Lebens- und Geisteswissenschaften? Der Untertitel dieses Buches ist, so empfinde ich es, vielversprechend und macht gespannt auf zahlreiche Erkenntnisse des Forschungsgebietes, deren Einordnung sowie mögliche Handlungskonsequenzen. Dank der meist kritischen Betrachtungsweise der Forschungsergebnisse und der möglichen Implikationen für die Anwendung und Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse ist die für mich größte, wenn auch nicht direkte Implikation, dass man sich nicht zu schnell zu viele Fortschritte aus diesem Forschungszweig erhoffen sollte, sondern dass Sachlichkeit und Realitätsbezug in diesem „jungen“ Forschungsgebiet geboten sind.

Rezension von
Leonard Frach
B. Sc. - Student der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum
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Es gibt 1 Rezension von Leonard Frach.

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ISSN 2190-9245