Katharina Köhler: Die Dynamik subjektiver Krankheitstheorien
Rezensiert von Matthias Brünett, 01.02.2019

Katharina Köhler: Die Dynamik subjektiver Krankheitstheorien. Eine qualitative Studie zum Behandlungsverlauf von Patienten mit akuter Leukämie. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2018. 177 Seiten. ISBN 978-3-8474-2170-2. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR.
Thema
Die hier rezensierte Publikation befasst sich mit subjektiven Krankheitstheorien, die Einfluss auf Krankheitsbewältigung (also das Coping) und Behandlungsverlauf haben. Die Untersuchung fokussiert im vorliegenden Fall auf Personen mit akuter Leukämie, da hier die „Unmöglichkeit der Lokalisierbarkeit pathologischer Prozesse“ (S. 11) die Theoriebildung erschwert, wie die Autorin ausführt. Mittels eines qualitativen Forschungsdesigns werden die Elemente solcher subjektiven Krankheitstheorien rekonstruiert und Implikationen bezüglich ihres Einflusses auf den Behandlungsverlauf diskutiert.
Autorin
Dr. rer. medic. Katharina Köhler ist als psychologische Psychotherapeutin an der Universitätsklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Otto-von Guericke-Universität Madgeburg tätig.
Entstehungshintergrund
Bei der rezensierten Publikation handelt es sich um die Dissertation Köhlers.
Aufbau
Die Autorin entwickelt ihre Arbeit im Wesentlichen in vier Abschnitten. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Ausgewählte Inhalte
Im Rahmen dieser Rezension wird beispielhaft auf einzelne ausgewählte Aspekte der Publikation näher eingegangen.
Kapitel 1: Einführung (S. 11-44). Hier wird der Wissensstand zur Krankheitsbewältigung, zu subjektiven Krankheitstheorien sowie zur Leukämie dargestellt.
Kapitel 2: Material und Methoden (S. 45-74). Köhler beschreibt ihr qualitatives Forschungsdesign, das u.a. zur Datenerhebung semistrukturierte Interviews und eine Auswertung auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse vorsieht. Insgesamt gingen Interviews mit 15 Patientinnen und Patienten zu jeweils drei Zeitpunkten (nach Diagnosestellung, nach Einsozialisierung im Klinikalltag und nach Behandlungsende) in die Auswertung ein.
Kapitel 3: Ergebnisse (S. 75-124). Inhalt dieses Kapitels ist die Vorstellung der induktiv entwickelten Kategorien als Ergebnisse einer Querschnittsanalyse der Interviews zu den jeweiligen Erhebungszeitpunkten. Daraus entwickelt die Autorin dann Aussagen zur Dynamik dieser Elemente subjektiver Krankheitskonzepte im Behandlungsverlauf. So stellt sie beispielsweise fest, dass die Unklarheit bezüglich der Krankheitsursachen von den Befragten anfangs als Belastung empfunden wird und diese Unklarheit im weiteren Krankheits- bzw. Behandlungsverlauf zunehmend akzeptiert wird. Als Resultat dessen beschreibt die Autorin Machtlosigkeit seitens der Interviewten, die sich bspw. darin ausdrückt, dass die Erkrankung „höheren Mächten“ zugeschrieben wird. Hinsichtlich der Beeinflussbarkeit der Erkrankung durch die befragten Personen stellt sie bspw. fest, dass die Affektabwehr einen nicht unbedeutenden Stellenwert hat. Dazu werden zwei, im Grunde gegensätzliche, Strategien angewandt: Zum einen wird versucht, durch die Aneignung von (Fach-)Wissen den Kontrollverlust zu kompensieren, die Patientinnen und Patienten werden so zu „Experten in eigener Sache“. Zum anderen gibt es die Strategie, eben solche Informationen und damit die Auseinandersetzung mit einer bedrohlichen Realität zu vermeiden, um sich letztlich vor negativen Affekten zu schützen.
In einem weiteren Schritt erarbeitet sie aus dem Datenmaterial Verlaufstypen subjektiver Krankheitstheorien:
- die „Normalisierer“,
- die „Passiven“,
- die „Engagierten“ und
- die „Eigenwilligen“.
Für den Typus des „Normalisierers“ steht, wie der Name schon sagt, das Streben nach Normalität im Vordergrund, was sich bspw. darin äußert, dass körperliche, die Behandlung begleitende Beschwerden bagatellisiert oder ignoriert werden und in Therapiepausen das Führen eines gewissermaßen möglichst normalen Alltagslebens angestrebt wird.
Der Typus der „Passiven“ ist vor allem durch Aushalten gekennzeichnet. Dazu gehört u.a. auch das schon erwähnte Vermeiden zusätzlicher Informationen.
Der Typus der „Engagierten“ versucht hingegen, sich über die aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung Einflussmöglichkeiten und somit auch Kontrolle zu erarbeiten, indem Betroffene etwa selbst nach weiteren, ergänzenden Therapiemöglichkeiten suchen und diese anwenden. Dabei geht es auch um den Umgang mit der anfänglichen Schockreaktion auf die Diagnosestellung.
Eine ähnlich aktive Herangehensweise zeigt der Typus der „Eigenwilligen“, wobei hier aber „zunehmend ihre eigenen Bedürfnisse als Maßstab für Entscheidungen“ (S. 122) ausschlaggebend sind. Ihre Auseinandersetzung und ihr Umgang mit ihrer Krankheit wird von Betroffenen bspw. als „Kampf“ bezeichnet.
Kapitel 4: Diskussion (S. 125-156). Die Autorin diskutiert zunächst ausführlich ihre Ergebnisse im Lichte der relevanten Literatur und stellt schließlich Überlegungen hinsichtlich der Implikationen für die Praxis an. Ausgangspunkt ist hier die Erkenntnis, dass subjektive Krankheitstheorien entscheidenden Einfluss auf die Krankheitsbewältigung haben. Köhler sieht als Interventionsmöglichkeiten zum einen die Modifikation der subjektiven Krankheitstheorien selbst und zum anderen Schulungen des Personals, das mit den Betroffenen arbeitet. Grundlage dieser Überlegungen stellen die oben schon beschriebenen Verlaufstypen dar.
Das Ende der Publikation bildet eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Punkte der Arbeit (S. 157-159).
Diskussion und Fazit
Bei der rezensierten Publikation handelt es sich um eine Dissertation, die sich deshalb auch primär an ein Fachpublikum richtet. Köhler leistet einen Beitrag zur Erklärung des Einflusses subjektiver Krankheitstheorien auf den Behandlungsverlauf und -erfolg von Leukämiepatientinnen und -patienten. Die Stärke der Arbeit liegt nach Ansicht des Rezensenten im qualitativ-explorierenden Ansatz, der entsprechend vertiefte Einblicke in das Relevanzsystem der Betroffenen selbst ermöglicht. Insbesondere die erarbeiteten vier Verlaufstypen scheinen instruktiv und stellen mithin eines der zentralen Ergebnisse der Arbeit dar. Sie bieten Anknüpfungspunkte für weitere Forschung, bspw. auch der Entwicklung angemessener Interventionen in der Therapie von Patientinnen und Patienten mit akuter Leukämie. Der Publikation ist eine breite Rezeption in den entsprechenden Fachkreisen zu wünschen.
Rezension von
Matthias Brünett
MSc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP), Köln
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Es gibt 11 Rezensionen von Matthias Brünett.
Zitiervorschlag
Matthias Brünett. Rezension vom 01.02.2019 zu:
Katharina Köhler: Die Dynamik subjektiver Krankheitstheorien. Eine qualitative Studie zum Behandlungsverlauf von Patienten mit akuter Leukämie. Verlag Barbara Budrich GmbH
(Opladen, Berlin, Toronto) 2018.
ISBN 978-3-8474-2170-2.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24742.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.
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