Uwe Bernd Schirmer: Einfühlsam Gespräche führen
Rezensiert von Michael Mayer, 03.01.2019

Uwe Bernd Schirmer: Einfühlsam Gespräche führen. Empathische Kommunikation in Gesundheits–, Pflege– und Sozialberufen. Hogrefe AG (Bern) 2018. 201 Seiten. ISBN 978-3-456-85842-5. 24,95 EUR. CH: 32,50 sFr.
Thema
Empathische Beziehungen stärken uns. In helfenden Berufen gehört die Beziehung daher zu den wesentlichen Wirkfaktoren. So macht die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ein Großteil der Wirkung einer Psychotherapie aus. Für die professionelle Pflege gehört die Beziehungsarbeit zu den Kernkompetenzen ihres Berufs. Und sogar Medikamente wirken besser, wenn man seinem Arzt vertraut. Die Fähigkeit eine empathische Beziehung aufzubauen ist daher für alle, die in Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufen tätig sind, von zentraler Bedeutung. Die Frage ist jedoch, wie man Empathie lernen kann. In seinem Buch zur einfühlsamen Gesprächsführung gibt Uwe Bernd Schirmer eine ausführliche Antwort.
Autor
Dr. Uwe Bernd Schirmer ist Pflegepädagoge und Leiter der Bildungseinrichtung einer Klinikgruppe in Baden-Württemberg. Er hat langjährige Erfahrung als Trainer für Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg.
Entstehungshintergrund
Der empathische Prozess, den Uwe Bernd Schirmer in seinem Buch darstellt, basiert ganz wesentlich auf der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg. Mit seinem Buch möchte der Autor den empathischen Prozess der Gewaltfreien Kommunikation auf die Besonderheiten der Arbeit in helfenden Berufen übertragen. Auf der Grundlage seiner jahrelangen Erfahrung als Trainer in einfühlsamer Gesprächsführung sieht er in der Klärung von Gefühlen und Bedürfnissen das Kernelement für helfende Berufe. Durch den empathischen Prozess entstehen Verbindung und Beziehung. Empathie und Beziehung machen seiner Ansicht nach Therapie, Beratung und Entwicklungen erst möglich.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in fünf inhaltliche Kapitel. Vornweg gibt es Hinweise zur Handhabung des Buches. Ein umfangreicher Anhang mit Unterscheidungen von Kernbegriffen, kommentierten Dialogen und einigen Übungen schließen das Buch ab. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Zunächst geht es um die Bedeutung von Beziehungen in helfenden Berufen. Der Autor legt dar, dass emotionale Beziehungen entwicklungsfördernd und heilend wirken. Die Beziehung basiert für ihn ganz wesentlich auf einer empathischen Kommunikation. Helfende Beziehungen haben aber auch Herausforderungen. Man muss nicht nur tolerant sein können, sondern auch sensibel mit der in einer helfenden Beziehung immanenten Macht umgehen lernen. Zudem ist das Beziehungsverhalten von prägenden Beziehungserfahrungen beeinflusst. Je besser man sich selbst und sein Beziehungsverhalten kennt, desto besser können helfende Beziehungen auf Augenhöhe gelingen.
Beziehungen basieren auf Empathie. Der Autor widmet dieser daher ein eigenes Kapitel. Er unterscheidet zwischen einer affektiven Empathie im Sinne eines Mitfühlens und der kognitiven Empathie, bei der man sich in eine andere Person hineinversetzt. Mit Empathie versucht man eine andere Person besser zu verstehen, wenngleich uns der Andere letztlich immer auch ein Geheimnis bleiben wird. Andererseits ist Empathie auch nicht ohne Risiken. Sie kann uns auch zu unbesonnenem Handeln verführen. Man muss Empathie also lernen. Das kann man aber nur durch Übung in Selbsterfahrung und Selbstreflexion. Auf diese Überlegungen zur Empathie, folgt ein längerer Abschnitt indem der Autor neurobiologische Kenntnisse über unser Denken und Fühlen darstellt.
Im nächsten Kapitel stellt der Autor die Komponenten seiner einfühlsamen Gesprächsführung vor. Zunächst geht er sehr ausführlich auf die Grundlagen seiner empathischen Gesprächsführung ein. Er gründet sie auf eine humanistische Grundhaltung mit Grundannahmen, wie Wertschätzung, Subjektivität, Autonomie oder Hoffnung.
Das umfangreichste Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Anwendung der einfühlsamen Gesprächsführung. Im Zentrum stehen dabei drei Komponenten aus der Gewaltfreien Kommunikation: Beobachtung, Gefühle und Bedürfnisse:
- In der ersten Komponente „Beobachtung“ geht es um die möglichst wertfreie Beschreibung einer konkreten Situation. Das ist für uns Menschen im Allgemeinen eine Herausforderung, denn unsere Wahrnehmung ist üblicherweise selektiv. Sie zielt auf eine subjektive Sinnkonstruktion. Für die meisten Alltagssituationen hat sich das auch bewährt, nicht aber für ein einfühlsames Gespräch, bei dem wir eine Verbindung zu einer anderen Person aufbauen wollen.
- In der zweiten Komponente geht es um die Klärung der aktuellen „Gefühle“ zur Situation. Manche Gefühle sind angenehm, andere eher nicht. Im Modell der einfühlsamen Gesprächsführung haben Gefühle immer eine Funktion. Sie sind Signalgeber für Bedürfnisse einer Person. Gefühle sind körperlich wahrnehmbar und oft ist es gar nicht einfach, das Gefühlte in Worte zu fassen. Hier gibt es im Buch Übungen, die helfen den eigenen Gefühlswortschatz zu erweitern.
- Mit der dritten Komponente „Bedürfnisse“ kann man klären, was eine Person jetzt gerade braucht. Im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg versteht der Autor die Bedürfnisse als eine Art Handlungsantrieb, mit dem ein Mangelzustand beseitigt werden soll. Auch hier gilt es, eine Sprache für Bedürfnisse zu finden und diese dann klar von Strategien oder Handlungen zu trennen. Die einfühlsame Gesprächsführung zielt auf ein empathisches Verstehen einer Person und unterstützt sie bei der Klärung ihrer Gefühle und Bedürfnisse.
Das Buch schließt mit der Darstellung von Perspektiven der Bewältigung. Damit meint der Autor die Bewältigung von Bedürfnissen von Menschen. Seiner Ansicht nach kommen dafür drei Strategien in Frage:
- Regulation,
- Annahme oder
- professionelle Intervention durch Beratung oder Therapie.
Die Strategie der Regulation stellt er ausführlich vor. Sie basiert auf dem vierten Schritt der Gewaltfreien Kommunikation, der Bitte. Mit einer Bitte formuliert die Person eine Strategie, die ihr Bedürfnis in Richtung Erfüllung regulieren könnte. Sie kann um eine Lösung, Klärung oder Rückmeldung bitten. Dabei gibt es immer mehrere Möglichkeiten ein Bedürfnis zu befriedigen. Das Kapitel endet mit einer Übung, aussichtsreiche Bitten zu formulieren.
Diskussion
Uwe Bernd Schirmer hat ein Buch für den praktischen Gebrauch geschrieben. Didaktisch gekonnt führt er seine Leser durch das Thema. Die theoretischen Inhalte veranschaulicht er mit klugen Praxisbeispielen und kommentierten Transkripten kurzer Gespräche. Die eingestreuten Übungen zum Selbststudium helfen dem Leser, die Inhalte zu vertiefen. So kann man beim Durcharbeiten des Buches seinen Wortschatz für Gefühle erweitern und übt Gefühle und Bedürfnisse zu benennen.
Der Autor versucht, seine einfühlsame Gesprächsführung auch theoretisch zu verankern. Allerdings bleibt beispielsweise das angesprochene „Kontinuum“ zwischen affektiver und kognitiver Empathie unscharf. Zumal die kognitive Empathie letztlich „irgendwo“ zwischen affektiver Empathie und ihrem „Gegenteil“, der Rationalität, verortet wird. Die vielen Verweise auf biologische Strukturen, denen vor allem im Empathie-Kapitel fünf Seiten gewidmet sind, lesen sich wie Exkurse. Für das Verständnis der dargestellten Inhalte wären sie nicht notwendig.
Schade auch, dass der Verlag etwas am Lektorat gespart hat. So sind einige Kapitel arg kurz geraten und im Anhang findet sich ein zunächst verwirrender Formatierungsfehler der Überschriften. Erfreulicherweise ist das Buch aber durchweg gut zu lesen und vermittelt seine Inhalte sehr anschaulich.
Fazit
Mit seinem Praxisbuch zur empathischen Gesprächsführung legt Uwe Bernd Schirmer ein lesenswertes Buch vor. Durch die vielen praktischen Beispiele und Übungen können Leser ihre Kompetenzen in professioneller Klärungs- und Beziehungsarbeit vertiefen. Dabei basiert das Buch auf der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall B. Rosenberg. Seine Anpassung auf die spezifischen Bedürfnisse helfender Berufe ist gelungen. Und auch wenn das theoretische Fundament nicht restlos zu überzeugen vermag, ist das leicht verständliche Buch für alle Praktiker ein Gewinn.
Rezension von
Michael Mayer
M. A. soziale Verhaltenswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Philosophie, Supervisor, Krankenpfleger für Psychiatrie, Leitung Akademie der Bezirkskliniken Schwaben.
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