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Egemen Savaskan, Wolfgang Hasemann (Hrsg.): Leitlinie Delir (im Alter)

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 25.10.2018

Cover Egemen Savaskan, Wolfgang Hasemann (Hrsg.): Leitlinie Delir (im Alter) ISBN 978-3-456-85761-9

Egemen Savaskan, Wolfgang Hasemann (Hrsg.): Leitlinie Delir. Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter. Hogrefe AG (Bern) 2017. 170 Seiten. ISBN 978-3-456-85761-9. 24,95 EUR. CH: 32,50 sFr.

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Thema

Das Delir ist per se keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Krankheitssymptom wie z.B. Fieber. Die Ursachen für das Auftreten eines Delirs liegen in einem akuten Krankheitsstadium des Hirns, die oft lebensbedrohlich sein können. Dementsprechend gilt es umgehend und wirksam medizinisch zu intervenieren. Das Delir im Alter ist besonders beim Vorliegen alterstypischer Leiden einschließlich demenzieller Erkrankungen (Multimorbidität) oft nicht so leicht zu erkennen, sodass ein Rahmenpaket von Empfehlungen und Hinweisen für die Praxis von Vorteil ist. Die vorliegende Publikation enthält das hierfür erforderliche Orientierungs- und Handlungswissen für das Delir im Alter aus dem klinischen Bereich der Schweiz.

Herausgeber

  • Egemen Savaskan (Prof. Dr. med.) Klinik für Alterspsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und
  • Wolfgang Hasemann (Dr.phil.) Universitätsspital Basel fungieren als Herausgeber und zugleich auch als Autoren.

Weitere AutorInnen

Weitere AutorInnen aus den Bereichen Medizin und Pflege Schweizer Kliniken:

  • Dr. med. Markus Baumgartner,
  • Dr. med. Dan Georgescu,
  • Dr. med. Martina Hafner,
  • Prof. Dr. med. Reto W. Kressig,
  • PD Dr. med. Julius Popp,
  • Erich Rohrbach,
  • Ruth Schmid und
  • Prof. Dr. phil. Henk Verloo.

Aufbau und Inhalt

Die Publikation besteht aus elf Kapiteln und enthält teils mehrseitige Tabellen. Die Deutschen Nationalbibliothek zeigt das vollständige Inhaltsverzeichnis.

In Kapitel 1 (Einführung: Seite 13 – 19) wird u.a. darauf hingewiesen, dass in Europa nur in Großbritannien und den Niederlanden sogenannte „nationale Delir-Guideline“ bestehen. In Deutschland existiert nur eine Leitlinie für das Alkoholentzugsdelir, während die anderen europäischen Länder überwiegend angepasste Versionen der Leitlinien aus den USA verwenden. In der Schweiz werden seit 2007 Leitlinien zu Prävention, Screening, Diagnostik und Therapie des Delirs veröffentlicht.

In Kapitel 2 (Definition: Seite 21 – 22) wird kurz auf die Begrifflichkeit Delir hingewiesen und besonders betont, dass das Delir bei älteren Patienten oft das erste und einzige Symptom einer schweren Erkrankung wie Pneumonie, Sepsis oder Herzinfarkt darstellen kann.

In Kapitel 3 (Klassifikation, Klinik und Prädilektionstypen: Seite 23 – 29) werden u.a. in Anlehnung an die zwei Klassifikationssysteme DSM (USA) und ICD (WHO) die diagnostischen Hauptkriterien des Delirs (Aufmerksamkeitsstörung, kognitive Störung und akuter Beginn und flukturierender Verlauf) und die Subtypen (hyperaktives Delir, hypoaktives Delir und Mischformen) angeführt.

In Kapitel 4 (Pathogenese: Seite 31 – 36) wird der enge Zusammenhang von kognitiven Störungen, demenziellen Erkrankungen und das Auftreten eines Delirs beschrieben. Schwierigkeiten bestehen oft in der diagnostischen Unterscheidung eines Demenzsymptoms von einem akuten Delir.

Kapitel 5 (Prävalenz, Epidemiologie, Kosten: Seite 37 – 39) enthält Daten und Fakten zum Auftreten des Delirs im Alter. So ist das Delir die häufigste akute und subakute neuropsychiatrische Störung. Mit zunehmendem Alter nimmt die Auftretenshäufigkeit deutlich zu (von 8,2 Prozent bei den 65-69jährigen bis zu 36,1 Prozent bei den 85jährigen und älteren). Bei 56 Prozent der Alzheimer-Demenzkranken tritt bei einem Krankenhausaufenthalt ein Delir auf und nach einer Hüftgelenkoperation zeigen bis zu 65 Prozent der Patienten Verwirrtheitszustände.

Kapitel 6 (Risikofaktoren, Risikofaktoren-Management, Prävention: Seite 41 – 61) listet u.a. die allgemeinen Risikofaktoren für ein Delir auf: hohes Alter, Schweregrad einer Erkrankung, Gebrechlichkeit, Infektion oder Dehydration bei der Klinikaufnahme, Sehminderung, Polypharmazie, orthopädischer Eingriff, Alkoholmissbrauch und Funktionsstörungen der Nieren. Auslösende Faktoren eines Delirs: Immobilisierung, Anwendung von Fixierungsmaßnahmen, Einlegen eines Dauerblasenkatheters, Mangelernährung, Psychopharmaka, zwischenzeitlich auftretende Krankheiten und Dehydration.

Kapitel 7 (Nichtpharmakologische Interventionen für die Prävention: Seite 63 – 101) führt u.a. Studien an, die belegen, dass die Anwendung einer Kombination der folgenden Maßnahmen das Auftreten eines Delir deutlich zu mindern vermag: tägliche Beobachtung, kognitive Stimulation, Reorientierung, Prävention von u.a. Dehydration und Mangelernährung, Obstipation, Frühmobilisation, Anpassung der Pharmakotherapie, Behandlung von Schmerzen und Verbesserung des beeinträchtigten Seh- und Hörvermögens. Bei dem Auftreten eines Delirs wird empfohlen, adäquate Kommunikationsstrategien (verbal und nonverbal) zur Beruhigung einzusetzen und erst in zweiter Linie Psychopharmaka oder Sedativa zu geben. Weitere nichtpharmakologische Multi-Komponenten-Interventionen sind u.a.: Orientierungshilfen geben, Brille auf- und Hörgerät einsetzen, Schlaf-Wach-Rhythmus regulieren und Hydrierung und Ernährung aufrechterhalten.

In Kapitel 8 (Diagnostik, Assessment, Monitoring: Seite 103 – 126) werden die verschiedenen Dimensionen der Diagnostik eines Delirs angeführt: neurologische Untersuchung, physiologische Parameter: Urin, Blutkulturen bei Fieber, Sauerstoffsättigung, Röngten-Thorax, EKG. Bildgebende Verfahren (u.a. Computertomographie) sollten vor allem bei neurologischen Ausfällen und nach Stürzen als diagnostische Interventionen eingesetzt werden. Des Weiteren werden verschiedene Verfahren des Assessments und des Monitorings erläutert.

Kapitel 9 (Biomarker: Seite 127 – 132) beschreibt die gegenwärtig vorrangigen Erklärungsansätze der Pathophysiologie des Delirs: die Neurotransmitter- und die Neuroinflammationshypothese mit den entsprechenden Biomarkern und Erfassungsmechanismen.

Kapitel 10 (Pharmakologische Therapie: Seite 133 – 143) enthält wichtige Grundregeln für die Psychopharmakotherapie beim Delir: Vorrang haben die kausale Therapie, die Prävention und die Anwendung nichtpharmakologischer Maßnahmen. Psychopharmaka sollten in erster Linie bei Patienten mit einem hyperaktiven Delir mit Agitiertheit und psychotischen Symptomen verwendet werden. Die Behandlung sollte grundsätzlich somatisch-stationär erfolgen. Des Weiteren werden Empfehlungen hinsichtlich der Medikation von Psychopharmaka, Beruhigungsmitteln (Benzodiazepine) und anderen Medikamenten gegeben.

Kapitel 11 (Entzugsdelir bei Abhängigkeitserkrankungen: Seite 145 – 159) listet am Anfang die Substanzen auf, die zu Abhängigkeitserkrankungen im Alter mit der Gefahr des Auftretens eines Delirs führen können: Alkohol, verschreibungspflichtige Medikamente wie Tranquilizer, Sedativa, Analgetika, Stimulanzien und Antidepressiva. Die Abhängigkeit im Alter von illegalen Drogen ist relativ selten. Anschließend werden die Pathophysiologie des Entzugssyndroms und die pharmakologischen und nichtpharmakologischen therapeutischen Interventionen beschrieben, die prinzipiell immer stationär durchgeführt werden sollten.

Diskussion und Fazit

Das physiologische Altern ist ein komplexer Prozess, der mit zunehmendem Alter in den meisten Fällen mit einer Reihe unterschiedlicher Dysfunktionen des Gesamtorganismus verbunden ist. Ein artgerechtes und damit gesundes Leben als präventiver Komplex mit den Parametern körperliche Bewegung, gesunde Ernährung und Eingebundenheit in Primärgruppen (erweiterte Familie u.a.) kann in der Regel bei entsprechender genetischer Disposition den Abbau- und damit auch Verfallsprozess verlangsamen, jedoch letztlich nicht aufhalten. Multimorbidität ist somit die Schattenseite und zugleich der Preis der Langlebigkeit.

Das Delir ist auf diesem Hintergrund fortschreitender Funktionsstörungen des Körpers ein äußerst wichtiges Zeichen dafür, dass ein massives Ungleichgewicht mit lebensbedrohlichen Folgen vorliegt. Angesichts der geringen Widerstandskräfte des Organismus im Alter, die sich u.a. in wachsender Gebrechlichkeit und Hinfälligkeit zeigt, ist bei einem Delir unmittelbares und effektives Eingreifen erforderlich. Klinische und teils auch pflegerische Kompetenz drückt sich hierbei vor allem darin aus, ein Delir zu erkennen. Das heißt u.a. auch, es von anderen kognitiven Dysfunktionen demenziellen Ursprungs klar unterscheiden zu können. Besonders schwer ist es oft, bei einem eher stillen Verwirrtheitszustand (hypoaktives Delir) die treffende Diagnose zu stellen.

Den AutorInnen ist es gelungen, die wesentlichen Faktoren des Delirs im Alter praxisnah und recht allgemeinverständlich darzustellen. Das Buch kann daher allen Lesern als ein solider Einführungstext in den Gegenstandsbereich Delir im Alter empfohlen werden.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 224 Rezensionen von Sven Lind.

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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 25.10.2018 zu: Egemen Savaskan, Wolfgang Hasemann (Hrsg.): Leitlinie Delir. Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter. Hogrefe AG (Bern) 2017. ISBN 978-3-456-85761-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24796.php, Datum des Zugriffs 04.12.2023.


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