Hildegard Goletz, Manfred Döpfner u.a.: Zwangsstörungen
Rezensiert von Prof. Dr. Michael Domes, 20.03.2019

Hildegard Goletz, Manfred Döpfner, Veit Roessner: Zwangsstörungen.
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2018.
191 Seiten.
ISBN 978-3-8017-2645-4.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR,
CH: 32,50 sFr.
Reihe: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie - Band 25.
Thema und Entstehungshintergrund
Die Symptomatik bei Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter ist sehr vielfältig und komplex. Sie kann zu schweren Beeinträchtigungen der Lebensqualität der betroffenen Kinder und Jugendlichen, aber auch ihrer Familien führen. Zudem beeinträchtigen Zwangsstörungen häufig auch die schulischen wie Peer-Beziehungen. Sie werden – trotz einer Verbesserung der (therapeutischen) Versorgung – oftmals zu spät erkannt bzw. geheim gehalten. Dies führt dazu, dass adäquate Hilfen, therapeutisch wie pädagogisch, insbesondere frühzeitig nicht ausreichend in Anspruch genommen werden.
Die AutorInnen wollen deshalb mit diesem Leitfaden zu einer Verbesserung der therapeutischen Versorgung beitragen. Der Leitfaden beruht auf der langjährigen Arbeit der AutorInnen „und kann als Grundlage für die Durchführung evaluierter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen dienen“ (S. V), wie es in der Einleitung heißt. Er ist der 25. Band der Reihe „Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie“.
AutorInnen
Dipl.-Psych. Hildegard Goletz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Klinikum der Universität Köln. Sie leitet die dortige Schwerpunktambulanz Angst- und Zwangs- und (Tic-) Störungen am Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
Prof. Dr. Manfred Döpfner ist leitender Psychologe an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Universität Köln sowie Professor für Psychotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zudem ist er (wissenschaftlicher) Leiter des Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie und des Instituts für Klinische Kinderpsychologie.
Prof. Dr. med. Veit Roessner ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum der TU Dresden.
Aufbau
Der Band ist in 5 inhaltliche Kapitel gegliedert. Eine kurze Einleitung zu Grundlagen und zum Aufbau des Leitfadens sowie ein umfassendes Literaturverzeichnis bilden den Rahmen.
- Kapitel 1: Stand der Forschung
- Kapitel 2: Leitlinien
- Kapitel 3: Verfahren zur Diagnostik und Therapie
- Kapitel 4: Materialien
- Kapitel 5: Fallbeispiel
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Kapitel 1 stellt differenziert und ausführlich den aktuellen Stand der Forschung dar. Die Symptomatik (Zwangsgedanken und Zwangshandlungen), Definition und Klassifikation werden gemäß ICD-10 und DSM-5 beschrieben. Dies wird durch diverse (Übersichts-)Tabellen und entsprechende Beispiele unterstützt. Es folgen kurze Erläuterungen zur Epidemiologie und komorbiden Störungen. Im Anschluss daran wird wiederum ausführlicher auf die Pathogenese und den Verlauf juveniler Zwangsstörungen eingegangen. Das Kapitel schließt mit Ausführungen zur multimodalen Behandlung/Therapie (Kognitive Verhaltenstherapie, Pharmakotherapie und alternative Therapieansätze).
In Kapitel 2, dem umfassendsten des Bandes, werden 14 Leitlinien zu den Bereichen Diagnostik und Verlaufskontrolle, Behandlungsindikationen, Therapie dargestellt und kommentiert, auch im Hinblick auf ihre Umsetzung in der Praxis. Ergänzt werden diese (bei manchen Verfahren) durch eine Auflistung und kurze Beschreibung entsprechender hilfreicher Materialien.
Kapitel 3 stellt kurz Verfahren zur Diagnostik und Therapie steckbriefartig vor.
Kapitel 4 beinhalt Materialien zur Diagnostik, Verlaufskontrolle und Therapie: Allgemeines Explorationsschema für Zwangsstörungen, Selbstbeobachtungsbogen für Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, Problemliste – Zwangssymptomatik. Diese dienen als Umsetzungsmöglichkeit der Leitlinien in die konkrete Praxis.
Kapitel 5 beschreibt auf 18 Seiten ein Fallbeispiel (Katja), das den Richtlinien zur Anfertigung der Berichte an die Gutachter*in im Rahmen der Beantragung von Verhaltenstherapie entspricht.
Das Beispiel beginnt mit der ausführlichen Schilderung der Symptomatik und des psychischen Befunds von Katja. Es folgen behandlungsrelevante Angaben zur Lebensgeschichte, Krankheitsanamnese und zum funktionalen Bedingungsmodell. Die Verhaltensanalyse wird durch ein SORCK-Schema von Katja ergänzt. Nach der Diagnose zum Zeitpunkt der Antragsstellung werden der Behandlungsplan inkl. Prognose und der (erfolgreiche) Therapieverlauf (Psychoedukation, familienzentrierte Interventionen, Expositionsbehandlung mit Reaktionsmanagement und weitere kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen) umfassend dargestellt und erläutert. Die Abschlussdiagnostik beendet das Fallbeispiel.
Diskussion und Fazit
Der Leitfaden bündelt auf 166 Seiten (ohne das 25-seitige Literaturverzeichnis) kompakt den aktuellen Wissens- und Forschungsstand zu Zwangsstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei sind die Ausführungen kurz und prägnant formuliert, ohne dass dies zu inhaltlichen Leerstellen führen würde.
Die Gliederung ist übersichtlich und führt die Leser*innen stringent durch den Band. Die enthaltenen Abbildungen, Tabellen und Keywords jeweils am Rand der entsprechenden Textabschnitte strukturieren und veranschaulichen zusätzlich den Inhalt.
Das abschließende Fallbeispiel ermöglicht eine anwendungsorientierte Zusammenfassung der vorab dargestellten theoretischen Inhalte für die klinische Praxis.
Der Band von Goletz, Döpfner & Roessner ist sowohl Behandler*innen von Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörungen wie auch Studierenden der entsprechenden Fachrichtungen zu empfehlen.
Zugleich empfiehlt der Rezensent die Erweiterung der theoretischen (therapeutisch-medizinischen) Perspektive des Leitfadens durch die Ratgeber- wie Erfahrungsperspektive, zum Beispiel den im Leitfaden erwähnten und mit diesem korrespondierenden Ratgeber für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher, ebenfalls von Goletz, Döpfner & Roessner (2019), den Band von Fricke & Hand (2018), Hoffman & Hofmann (2017) oder von Fricke & Armour (2016), sowie Erfahrungsberichte, zum Beispiel von Leps (2017) oder Sechting (2017). Die gemeinsame Lektüre ermöglicht eine bessere Verknüpfung von Theorie und Praxis und damit auch eine aus Sicht des Rezensenten unabdingbare Zusammenführung wissenschaftlicher Theorie mit konkreten individuellen Lebensgeschichten.
Literatur
Fricke, S. & Armour, K. (2016): Dem Zwang die rote Karte zeigen. Ein Ratgeber für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, 2. Aufl., Köln: BALANCE buch + medien verlag.
Fricke, S. & Hand, I. (2018): Zwangsstörungen verstehen und bewältigen. Hilfe zur Selbsthilfe, 8. Aufl., Köln: BALANCE buch + medien verlag.
Goletz, H. & Döpfner, M. & Roessner, V. (2019): Ratgeber Zwangsstörungen. Informationen für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher, Göttingen: Hogrefe (erscheint lt. Verlag Juni 2019).
Hoffmann, N. & Hofmann, B. (2017): Wenn Zwänge das Leben einengen. Der Klassiker für Betroffene – Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, 15. Aufl., Berlin: Springer.
Leps, F. (2017): Zange am Hirn. Geschichte einer Zwangserkrankung, 2. Aufl., Frankfurt a. M.: Mabuse.
Sechting, O. (mit Susan-Fessel, K.) (2017): Der Zahlendieb. Mein Leben mit Zwangsstörungen, Köln: BALANCE buch + medien verlag.
Rezension von
Prof. Dr. Michael Domes
Diplom-Sozialpädagoge, Professor für Theorien und Handlungslehre in der Sozialen Arbeit, TH Nürnberg Georg Simon Ohm
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Es gibt 19 Rezensionen von Michael Domes.
Zitiervorschlag
Michael Domes. Rezension vom 20.03.2019 zu:
Hildegard Goletz, Manfred Döpfner, Veit Roessner: Zwangsstörungen. Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
(Göttingen) 2018.
ISBN 978-3-8017-2645-4.
Reihe: Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie - Band 25.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24806.php, Datum des Zugriffs 29.09.2023.
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