Michael Simons: Metakognitive Therapie mit Kindern und Jugendlichen
Rezensiert von Dr. Alexander Tewes, 19.02.2019

Michael Simons: Metakognitive Therapie mit Kindern und Jugendlichen.
Beltz Verlag
(Weinheim, Basel) 2018.
232 Seiten.
ISBN 978-3-621-28624-4.
42,95 EUR.
Mit E-Book inside und Arbeitsmaterial .
Thema
Die Metakognitive Therapie (MCT) nach Adrian Wells wird in der Regel den Therapieverfahren der sogenannten „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie zugerechnet. Während in der „ersten Welle“, die noch gar nicht so genannt wurde, im Sinne des Behaviorismus vor allem auf konkret beobachtbares Verhalten eingegangen wurde, wurden in der „zweiten Welle“ zusätzlich die Kognitionen in den Fokus genommen. In der dritten Welle, die in sich unterschiedlichste Konzepte beherbergt, wird das Zusammenspiel zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten vor allem mittels Achtsamkeitstrainings bearbeitet.
Autor und Entstehungshintergrund
Dr. Michael Simons ist Diplom-Psychologe und Leitender Psychologe der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen. Er hat über das Thema Metakognitive Therapie (MCT) bei Kindern und Jugendlichen promoviert und hierbei in einer Studie 2006 erste Hinweise dafür geliefert, dass MCT in dieser Altersgruppe bei Zwangsstörungen erfolgreich angewendet werden könnte. Ab 2009 nahm er dann als erster und einziger deutscher Teilnehmer an einer dreijährigen „MCT-Masterclass“ unter der Leitung von Adrian Wells, dem Entwickler der MCT und Hans Nordahl in Norwegen teil. Das Buch baut auf den Erfahrungen dieser Masterclass und dem Originalwerk von Wells aus 2009 auf.
Aufbau und Inhalt
Der Aufbau orientiert sich, wie vom Autor angegeben, grob am Standardwerk von Adrian Wells. Somit werden zunächst allgemeine Aspekte der MCT und dann störungsspezifische Behandlungsansätze vorgestellt.
Theorie der metakognitiven Therapie
Im einleitenden Kapitel beschreibt der Autor zunächst den historischen Hintergrund der MCT und wie diese aus der klassischen Verhaltenstherapie abgeleitet wurde. Danach stellt er die MCT im Allgemeinen und dann das metakognitive Störungsmodell konkret vor. Hierbei geht er insbesondere auf folgende MCT-typische Fachbegriffe ein:
- Perseverierende Denkprozesse
- Aufmerksamkeitsfokussierung
- Maladaptive Bewältigungsstrategien
- Objekt- und metakognitiver Modus
Abschließend erläutert er noch mal umfassend, was die MCT mit dem Begriff der Metakognition verbindet, nämlich Kognitionen, die sich mit den eigenen Denkprozessen beschäftigen. Michael Simons definiert die MCT zusammenfassend wie folgt: „Die Metakognitive Therapie postuliert, dass nicht einzelne Gedankeninhalte, sondern perseverierende Denkprozesse zu psychischen Störungen führen. Weitere problemförderliche Prozesse sind maladaptive Aufmerksamkeitsfokussierung und Bewältigungsstrategien. Diese drei Bereiche werden Kognitives Aufmerksamkeitssyndrom (CAS) genannt. Motiviert und aufrechterhalten werden diese Prozesse durch darauf bezogene Kognitionen, sogenannte Metakognitionen“ (S. 31).
Die metakognitive Befunderhebung
Hier werden zunächst unterschiedliche Fragebogen-Skalen vorgestellt, die dem Buch auch im Anhang beigefügt sind. Es wird grob erläutert, wie mit diesen umgegangen wird und daraus anschließend beispielhaft ein Fallkonzept abgeleitet werden kann.
Das metakognitive Behandlungskonzept
Im letzten allgemeinen Kapitel macht Michael Simons dann in folgenden Abschnitten deutlich, wie ein metakognitives Behandlungskonzept erstellt werden kann:
- Vertrautmachen mit dem Störungs- und Veränderungsmodell
- Neuer Umgang mit belastenden Gedanken und perseverierendem Denken
- Abbau negativer und positiver metakognitive Überzeugungen
- Aufmerksamkeitsmodifikation
- Abbau maladaptiven Bewältigungsverhaltens
- Rückfallprävention und neue metakognitive Pläne
- Zusätzliche Strategien (Aufmerksamkeitstraining, metakognitive Rollenspiele und Impact-Strategien)
- Ablauf der Therapiesitzung
- Beziehungsgestaltung und therapeutischer Stil
- Häufige Behandlungsfehler
Störungsspezifische Kapitel
Es folgen dann umfassende Kapitel, in denen die metakognitive Strategie bei folgenden Störungsbildern vorgestellt wird:
- Angststörungen (Trennungsangst, Soziale Phobie, Panikstörung, Hypochondrie, Generalisierte Angststörung, Emetophobie, Blut- und Spritzenphobie, Darm- und Blasenkontrollangst)
- Depression und emotionale Instabilität (inklusive non-suizidales selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität)
- Posttraumatische Belastungsstörung und anhaltende Trauerstörung
- Zwangsstörungen
- Somatoforme Störung / somatische Belastungsstörungen
Hier wird das jeweilige psychiatrische Störungsbild kurz erläutert, um dann im Weiteren das konkrete metakognitive Vorgehen auch in Abgrenzung zur klassischen kognitiv-verhaltenstherapeutischen Vorgehensweise darzustellen. Des Weiteren werden in jedem Kapitel eventuelle Behandlungskomplikationen und Behandlungsfehler aus Sicht der MCT in Bezug auf das jeweilige Störungsbild herausgearbeitet.
Schlussgedanken
In diesem kurzen abschließenden Kapitel werden die bislang vorliegenden empirischen Belege für die MCT dargestellt (es gibt bislang wenige) und auf Grenzen der metakognitiven Therapie eingegangen (vor allem ist zu beachten, dass viele Probleme von Patienten tatsächlich konkret gelöst werden müssen und nicht nur kognitiv bedingt sind). Zuletzt wird aus einer berührenden E-Mail einer ehemaligen Patientin zitiert, in der diese berichtet, wie die MCT ihr geholfen habe.
Diskussion
Insgesamt kann und muss die kritische Würdigung dieses Buches auf zwei Ebenen erfolgen: zum einen muss auf die konkrete Umsetzung dieser Publikation wie bei jeder anderen Rezension eingegangen werden, zum anderen muss jedoch auch die Metakognitive Therapie als eigenständiges Konzept kritisch gewürdigt werden. Der zweite Punkt gilt hier besonderes, da es sich bei diesem Buch um das weltweit erste handelt, das sich mit der MCT im Kindes- und Jugendalter auseinandersetzt.
Beginnen wir mit dem ersten Punkt: Das Buch ist klar und logisch aufgebaut und insbesondere die vielen konkreten Anwendungsbeispiele zu den einzelnen Störungsbildern machen das therapeutische Vorgehen sehr gut deutlich. Besonders hervorzuheben ist auch hier, wie auch bei anderen Therapieformen der dritten Welle, der Einsatz von Provokation und Humor. Als Beispiel sei hier der „schlechteste Zaubertrick der Welt“ genannt, bei dem der Therapeut so tut, als könne er eine Münze von einer in die andere Hand zaubern. Er behauptet – ohne die Hände zu öffnen – dass die Münze von der einen in die andere und anschließend wieder zurück gewechselt sei. Wenn dann von Patientenseite ein Öffnen der Hände zum Prüfen dieser Aussage geordert wird, folgt die Erwiderung: „Siehst du, so funktioniert Therapie. Man kann alles Mögliche glauben, und wenn man es nicht überprüft, glaubt man vielleicht weiter daran. Therapie heißt überprüfen, ob das wirklich stimmt oder ob einen bestimmte Gedanken nur reinlegen wollen.“ (S. 69). In diesem Sinne werden auch viele therapeutische Techniken, die ansonsten aus anderen therapeutischen Schulen (beispielsweise der Lösungsorientierten Therapie nach De Shazer) stammen, hier im metakognitiven Kontext vorgestellt. Dies erfolgt stets unter adäquater Quellenangabe und in nachvollziehbarer Form. Die Unterscheidung in der Behandlung von Kindern und Erwachsenen erfolgt, hätte jedoch noch ein wenig stringenter herausgearbeitet werden können. Dies betrifft insbesondere den Umstand, dass für viele Kinder das Thema Kognitionen noch nicht eine derartige Relevanz hat, wie dies bei Jugendlichen oder Erwachsenen der Fall ist. Die moderne KVT geht zwar inzwischen davon aus, dass dies auch im Kindesalter bereits erfolgreich behandelt werden kann und sollte, hierbei jedoch die Kognitionen nicht als solche bearbeitet, sondern vielmehr über den Umweg des konkreten Verhaltens korrigiert werden können (vgl. Schlarb & Stavemann, 2011, Rezension unter www.socialnet.de/rezensionen/12410.php und Schlarb, 2012, Rezension unter www.socialnet.de/rezensionen/12901.php). Ein entsprechendes Vorgehen für jüngere Kinder wäre auch hier spannend gewesen.
Nun zur zweiten und grundlegenderen Frage, nämlich der, wie die MCT für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen zu bewerten ist. Wie bereits einleitend erwähnt, wird sie in der Regel den Therapieformen der sogenannten „dritten Welle“ der Verhaltenstherapie zugerechnet. Allein dieser Punkt könnte kritisch hinterfragt werden. Handelt es sich hierbei eher um eine Weiterführung des kognitiv-verhaltenstherapeutischen Arbeitens mit anderen Schwerpunkten? Falls dem so ist, so müsste die MCT eher noch der sogenannten zweiten Welle der VT zugerechnet werden. Oder handelt es sich bei ihr um eine eigenständige therapeutische Schule, wie es andere Verfahren der dritten Welle, beispielsweise die Dialektisch-Behaviorale Therapie nach Linehan, die Schematherapie nach Young oder die Akzeptanz- und Commitmenttherapie nach Hayes für sich in Anspruch nehmen? Da diese und auch andere entsprechende therapeutische Schulen ein umfassenderes Behandlungskonzept vorhalten, dass sich nicht ausschließlich auf kognitives Arbeiten beschränkt, tendiere ich persönlich dazu, die MCT eher als Weiterentwicklung des klassisch kognitiv-verhaltenstherapeutischen Vorgehens zu interpretieren. Dem Autor ist zugute zu halten, dass er sich dieser vielleicht doch akademischen Frage an keiner Stelle überhaupt widmet. Der Begriff der drei Wellen wird hier komplett ausgespart.
Spannend sind die jeweils in den einzelnen Kapiteln herausgearbeiteten Abweichungen vom klassisch-verhaltenstherapeutischen Vorgehen: So wird im Kapitel über Angststörungen auf Seite 106 beispielsweise darauf hingewiesen, dass Selbstinstruktionen oder positive Gegengedanken, so wie sie in der klassischen KVT gelehrt werden, in der MCT als perseverierende Denkprozesse bewertet und abgelehnt werden. Derartige Schlussfolgerungen werden nachvollziehbar hergeleitet, dennoch bleibt der Autor bislang den Nachweis schuldig, dass dies tatsächlich so ist. Im Gegensatz zur MCT ist die KVT umfassend evaluiert.
Dementsprechend muss festgehalten werden, dass die MCT ganz klar aus der Behandlung von Erwachsenen und hier vor allem aus dem Bereich der Behandlung von Generalisierten Angststörungen und Depressionen kommt. Hierfür gibt es auch bereits umfassende Evidenz. Für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen konnte bislang nicht nachgewiesen werden, ob die Behandlung der anderen oben genannten Störungsbilder in der hier vorgestellten Form sinnvoll und wirksam ist. Lediglich für die Behandlung der Generalisierten Angststörung wurde kürzlich eine erste Studie publiziert, die nahelegt, dass dieses Vorgehen auch bei Kindern erfolgreich umgesetzt werden kann (Esbjørn et al., 2018).
Je nach Störungsbild weichen die hier gelieferten Empfehlungen zum Teil deutlich von den Leitlinien der Fachgesellschaften ab. Insbesondere bei den Empfehlungen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wird dies deutlich: So gehe es in der Therapie „(…) nicht um Exposition und Habituation oder Korrektur dysfunktionaler Annahmen, sondern um metakognitive Bewertungen und Strategien“ (S. 177). Genau diese Inhalte wurden jedoch als zentrale Wirkfaktoren der evidenzbasierten Traumatherapie herausgearbeitet (Goldbeck et al., 2016). Stattdessen sollten sämtliche Symptome einer PTBS (Wiedererleben, Anspannung und Vermeidung) als „normale / typische Reaktion auf ein überwältigendes Ereignis und als Versuch, des kognitiven Systems, damit fertig zu werden“ (S. 150) erläutert werden. Die Symptomatik wird nach Wells (2011) im Sinne eines „reflexiven Adaptions-Prozesses“ (RAP) erläutert: Eine „gesunde“ Traumaverarbeitung werde durch das kognitive Aufmerksamkeitssyndrom (CAS) verhindert. Folglich müsse hier die Behandlung ansetzen. Weder für die ätiologische Herleitung noch für die entsprechende Behandlungsform gibt es jedoch bislang Nachweise. In einem Übersichtsartikel hat der Autor 2010 erste Untersuchungen vorgestellt, die in eine derartige Richtung zielen, jedoch noch keine hinreichenden wissenschaftlichen Standards erfüllen. Schlüssig ist diese Annahme aus traumatherapeutischer Sicht ebenfalls nicht, wobei sich darüber sicherlich trefflich streiten ließe. Das hier beschriebene Vorgehen ist dennoch durchaus spannend und es könnte vor allem in Fällen, bei denen das nachgewiesen wirksame Vorgehen nicht erfolgreich ist (sogenannte „Non-Responder“), sicher auch ergänzend hilfreich eingesetzt werden. Ähnliche Diskussionen ließen sich auf bei den anderen beschrieben Störungsbildern führen. Dies ist jedoch bei einer derartig jungen Therapieform zu erwarten und nicht negativ zu bewerten.
Fazit
Das vorliegende Buch ist weltweit die erste Veröffentlichung zum Thema Metakognitive Therapie des Kindes- und Jugendalters. Der Autor leistet hiermit Pionierarbeit. Er hat diese innovative und spannende Therapieform direkt beim „Erfinder“ Adrian Wells erlernt und mit viel praktischer Erfahrung für Behandlung von Kindern und Jugendlichen angepasst. Im Ergebnis werden spannende neue Therapieansätze vorgestellt, die bisheriges Vorgehen ergänzen oder in Frage stellen können. Ob die Metakognitive Therapie tatsächlich eine eigenständige Therapieform ist, oder ob es sich hierbei um eine Weiterentwicklung der bewährten Kognitiven Verhaltenstherapie handelt, kann so früh noch nicht abschließend bewertet werden. Des Weiteren fehlen noch wissenschaftliche Nachweise für das hier beschriebene Vorgehen. Teile davon sind nachvollziehbar, andere wiederum eher kritisch zu sehen. Es wird spannend sein zu verfolgen, inwiefern dieser therapeutische Ansatz, der sich im Erwachsenenalter bereits zunehmend bewährt, bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen seine Anwendung finden wird.
Rezension von
Dr. Alexander Tewes
Instituts- und Ausbildungsleiter LAKIJU-VT (Lüneburger Ausbildungsinstitut für Kinder- und Jugendlichen-Verhaltenstherapie), Psychiatrische Klinik Lüneburg gemeinnützige GmbH im Verbund der Gesundheitsholding Lüneburg
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