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Michael Monzer: Case Management Grundlagen

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 22.03.2019

Cover Michael Monzer: Case Management Grundlagen ISBN 978-3-86216-348-9

Michael Monzer: Case Management Grundlagen. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2018. 2., überarbeitete Auflage. 411 Seiten. ISBN 978-3-86216-348-9. D: 84,99 EUR, A: 87,40 EUR.
Reihe: Case Management in der Praxis.

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Thema und Überblick

„Case Management hat sich mittlerweile im deutschsprachigen Raum etabliert. Verwaltungen, soziale Organisationen, Krankenhäuser, Versicherungen und die Politik bauen auf das Handlungskonzept. Die bisherigen Umsetzungen haben nicht nur zu neuem Wissen und neuen Erfahrungen beigetragen, sie haben das Spektrum von Case Management bunter aber auch unübersichtlicher werden lassen. Diejenigen, die heute damit beginnen sich mit Case Management lernend aber auch in der Umsetzung zu beschäftigen, benötigen einen systematischen Überblick über das Konzept, seine Methoden und Instrumente.

Das Buch baut auf den bekannten Elementen des Case Managements auf und vertieft diese, indem es aus dem Blick der umsetzenden Organisationen und MitarbeiterInnen, die handlungsrelevanten Möglichkeiten durchdenkt, strukturiert und ausführt. Dabei werden unterschiedliche Arbeitshintergründe mitbedacht und weitere Konzepte, wie z.B. das Qualitäts- und Wissensmanagement einbezogen.

In der vorliegenden 2. Auflage wurde die Fallauswahl um neue Verfahren ergänzt, das Assessmentverständnis weiter vertieft, beim Thema Hilfeplanung die Konsequenzen unvollständiger Servicepläne untersucht und im Monitoring der Bereich Risikomanagement weiter vertieft.“ (Verlagsinformationen)

Autor

Dr. Michael Monzer ist Diplompsychologe, Projektmanager an dem Sozialamt Stuttgart und Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule Freiburg (Information des Verlags).

Inhalt

1 Case Management – Das Handlungskonzept

Nach der Case Managementdefinition und einer allgemeinen Überlegung, was der „Fall“ ist, werden die Bestandteile des Case Managements angerissen (Case Findung, Assessment, Serviceplanung, Leistungssteuerung, Angebotssteuerung). Anschließend geht der Autor auf die Dimensionen des Case Managements auf den verschiedenen Ebenen (Mikro-, Meso-, Makroebene) ein. Damit wird deutlich gemacht, dass CM keinesfalls mit der Fallebene und der Einzelfallhilfe gleichgesetzt werden darf. Die Gründe für den Einsatz von Case Management werden sehr kurz (und leider ohne Belege) dargelegt, die Funktionen des Case Managements (advocacy, broker, etc.) mit vielen Grafiken veranschaulicht. Der ökonomischen Funktion von Case Management wird ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem es um Verteilungs- und Zuweisungsfragen. Dieser Abschnitt, der stark an die Diktion von Wolf Rainer Wendt erinnert, steht in gewisser Weise im Kontrast zu den subjektorientierten Funktionen (z.B. Empowerment) im vorherigen Abschnitt, was der Autor als „natürliches Spannungsverhältnis zwischen organisationalem Handeln und advokatorischem Handlungsansatz des Case Managements“ (S. 27) bezeichnet.

Mit Blick auf das Sozialgesetzbuch werden zentrale Merkmale des CM (Koordination und Kooperation) als Aufgaben beschrieben und ihre Vorteile dargestellt.

An immer wieder geäußerten Widersprüchen wird die Frage erörtert, inwieweit Case Management als Hoffnungsträger für die Lösung verschiedenster Probleme des Sozialsystems taugt:

  • Widerspruch (1): Standardisierung oder Einzelfallorientierung;
  • Widerspruch (2): Rationalisierung oder Rationierung;
  • Widerspruch (3): Fordern oder Fördern;
  • Widerspruch (4): Spezialisierung oder Generalisierung und schließlich
  • Widerspruch (5): Steuerungsanspruch vs. Autonomie. (S. 31-41)

Erstaunlicherweise (weil für das Verständnis von Case Management grundlegend) wird erst an dieser Stelle die Entstehungsgeschichte des Case Managements referiert. Es wird (stark verkürzt) auf die Ursprünge in den USA und in Großbritannien eingegangen sowie auf Anwendungsbereiche von Case Management in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

2. Konzepte, Begriffe und Sprache im Case Management

Basierend auf der Feststellung, dass „die Fachsprache des Case Managements dem Anspruch, eine emanzipierte Position der Klienten zu fördern, wenig gerecht wird“ (S. 51), werden im Folgenden „synonyme Verwendungen von Case Management“ dargestellt. Es sind dies „Fallmanagement“ und „Hilfeplanverfahren“. Abgegrenzt wird dann Case Management von „Care Management“, wobei Case Management auf den Fall, Care Management auf die Ablauforganisation ausgerichtet sei. Beide Begriffe werden schon im nächsten Satz („beide Elemente [sind] notwendig für eine funktionierende Case Managementimplementation“, S. 56) wieder unter den Begriff „Case Management“ subsummiert. Insofern ist unklar, ob das eine Teilmenge von dem anderen ist. So richtig scheint sich der Autor nicht entscheiden zu können, denn im weiteren Verlauf des Buches spielt „Care Management“ trotz behaupteter Wichtigkeit keine Rolle mehr. Eingestreut werden nun kurze Überlegungen zur „Makro-, Meso- und Mikroebene“ als Dimensionen des Case Managements. Ebenfalls kurz abgehandelt werden Case Management Konzepte „mit Zusatzbezeichnung“:

  • Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement,
  • Klinisches/Medizinisches Case Management,
  • Independent Case Management (unabhängiges Case Management).

Auch verwandte Begriffe werden kurz erläutert (Managed Care, Disease Management, Behandlungspfade, Clinical Pathways, Utilization Review). Weitere Perspektiven folgen (Integrierte Versorgung, Versorgungsintegration). Mit der „Fallsteuerung in verschiedenen Arbeitsfeldern“ (nämlich im Krankenhaus und in der Eingliederungshilfe) befasst sich der nächste Abschnitt; mit dem Spannungsfeld zwischen Budgetverwaltung und Anwaltschaftlichkeit der 9. Abschnitt dieses Kapitels. Hilfreich ist angesichts der begrifflichen Vielfalt hierbei die optische Einordnung der Fallsteuerungskonzepte nach Strategie und Zweck (S. 70). Nachgeschoben wird nun eine Begriffserläuterung zum „Management (des Falles)“, wobei betont wird, dass der Managementzusammenhang in keinem Gegensatz zu dem Beziehungsgeschehen steht (S. 73). Interessant ist das am Ende dieses Kapitels platzierte „Case Managementmodell“, das deutlich macht, wie sehr die häufig (auch in diesem Buch) kreisförmig angelegten Prozessschritte in der Praxis doch zueinander in Beziehung stehen, auch wenn sie idealtypisch nicht aufeinander folgen.

3. Die Klärungsphase – die passenden Fälle für das Case Management

Etwas unvermittelt beginnt der Autor nun, die Handlungsschritte des CM auf der Fallebene zu beschreiben. Er beginnt mit der sogenannten „Klärungsphase“.

Auch hier werden zunächst wichtige Begriffe der Klärungsphase erläutert (Outreach (Access), Case Finding, Intaking), sodann wird die besondere Bedeutung der Klärungsphase an sieben Auswahlprinzipien dargestellt (z.B. Auswahlprinzip: Eine oder mehrere bestimmte Zielgruppen erhalten Case Management oder: Auswahlprinzip: Wunsch der Beteiligten). Dies alles wird sehr ausführlich, mit Praxisbeispielen, nachvollziehbar und anschaulich behandelt. Praktische (und kleinschrittig formulierte) Hinweise zur Bestimmung von Fallauswahlkriterien werden beigefügt. Mit den Themen „Beziehungsgestaltung in der Klärungsphase“ und „Umgang mit Zwangskontexten“ folgen zwei methodische Abschnitte, in denen sich der Autor weitgehend an das lösungsorientierte Beratungsmodell nach Kim Berg hält. Am Ende des Abschnittes wird eine „Klassifizierung von Klienten im Zwangskontext“ vorgelegt. Ein weiterer Abschnitt erläutert noch einmal in einigen kurzen Absätzen allgemeine Aspekte der Gesprächsführung und Beziehungsgestaltung im Case Management (Einzelfallorientierung, Gesprächsführung angepasst an die Phasen des Case Managements, Komplexität, Interdisziplinarität, Moderation).

4. Das Assessment – die Fälle richtig einschätzen

Die Assessment-Phase bestreiten die nächsten fünfzig Seiten des Buches. Zunächst werden Bedingungen für Qualität im Assessment referiert (Organisation, Qualifikation, Haltung), kurz wird auf mögliche Inhalte des Assessments (Probleme, Ressourcen, Kontexte, Bedürfnisse) eingegangen, um dann die verschiedenen Perspektiven des Assessments als Matrixorganisation zu exemplifizieren. Ziel dieser, aus Sicht des Rezensenten sehr brauchbaren Matrix, ist „die Einbeziehung verschiedener Wissens- und Informationsquellen“ als die „eigentliche und für das Case Management typische Dynamik im Assessment.“ (S. 143) Nach einer kurzen Abhandlung über Anforderungen an Instrumente des Assessments folgen ca. zehn Seiten zu dem Thema „Das Assessment der Ressourcenlage – der Ressourcenraum“. Hier werden ein Konzept und ein Instrument des Ressourcenraums vorgestellt, der dazu dient, „einen Überblick über die im Fall bestehenden Ressourcen zu gewinnen und daraus Ideen abzuleiten, wie mit dem Fehlen der notwendigen Ressourcen umzugehen ist.“ (S. 151) Konkret geht es um das Problem des Umganges mit der Komplexität im Assessment. Hierzu wird zunächst das zirkuläre Denken in Variablen als Voraussetzung für den Umgang mit Komplexität eingeführt. Anschließend wird mit konkreten Schritten die Vorgehensweise erläutert, wie man ein „Problemnetz“ entwickeln kann. Dieses stellt eine Art mathematisch berechenbares Problem- und Wertediagramm dar, um eine Grundlage für den Ausgangspunkt von Case Management zu verschaffen.

Mit den „Risiken des Assessments“ befasst sich der Autor auf den nächsten zweieinhalb Seiten und gliedert diese in die Unterabschnitte:

  • Diagnosen schaffen Realitäten
  • Eigeninteresse der Durchführenden
  • Partielle Assessments
  • Innerorganisatorischer Widerstand gegen Assessmentverfahren
  • Reduzierung von Assessments bei Langzeitfällen
  • Asymmetrie zwischen Spezialist und Klient

5. Serviceplanung – Strategieentwicklung für den Fall

Die „Serviceplanung“ wird hier alsdie strategische Einheit im Case Managementablauf betrachtet. Die Ziele, die entwickelt werden, sind die „strategische Stellschraube, mit der die im Assessment gesammelten und organisierten Informationen für die weitere Fallbearbeitung genutzt werden.“ (S. 179) Es folgen (wie immer sehr praxisnah) die Teilschritte der Serviceplanung (z.B. Planungsskizze > realisierbarer Plan > Akzeptanzentscheidung > Kontrakt). Die am Case Management-Prozess Beteiligten und ihre Rollen im Serviceplanverfahren werden thematisiert, dabei wird auch besonders auf die Konstruktion von „Leistungserbringer[n], die in der Serviceplanung Steuerungsaufgaben übertragen bekommen“ (S. 189) eingegangen. Wenn der Case Manager Steuerungsaufgaben an Maßnahmeträger verteilt, hätte man an dieser Stelle natürlich gerne gewusst, wie sich zwei „Steuerer“ in einem Prozess vertragen, wie sie zueinanderstehen und weshalb es einen Case Manager und einen quasi „Sub-Case-Manager“ geben sollte. Der (vielleicht naive) Rezensent ist bislang davon ausgegangen, dass der Zweck von Case Management genau darin liegt, solche Konstruktionen zu vermeiden.

Wie schon im vorigen Kapitel (und mit der exakt gleichen Grafik) wird der Leser mit einem Ressourcenkapitel befasst, das die „Freiheitsgrade der Hilfeplanung“ beschreiben soll (S. 191). Der genauen Darstellung der methodischen Vorgehensweise bei der Hilfeplanung dient der nächste Abschnitt. Hier werden Regelungen im Serviceplan (Wer? Bis wann? Verantwortung? Mit welchen Mitteln? Notwendige Verhältnisse?) ebenso praktisch beschrieben, wie die nötigen Entwicklungsschritte, die eine Serviceplanung zu durchlaufen hat. Mit den sog. SMART-Zielen setzt sich der folgende Abschnitt auseinander, um sich dann ausführlich der Methodik der Zielentwicklung zu widmen (Zielhierarchie: Grundsatzziele, Rahmenziele, Ergebnisziele). Um die inhaltlichen Anforderungen, die der Autor an die Formulierung von Hilfeplänen formuliert, zu verstehen, ist ein konkreter Hilfeplan in tabellarischer Form sehr nützlich (S. 217). Die Ausführungen über Fehler bei der Serviceplanung skizzieren Praktiken, derer sich die Praxis befleißigt, um diesen aufwändigen Schritt (natürlich unzulässigerweise) abzukürzen (S. 223). Auch weist der Autor auf die Notwendigkeit von Zielüberprüfungen hin, ohne die die „steuernde und qualitätssichernde Funktion“ des Case Managements nicht zu garantieren ist (S. 224). Mit dem Thema „Kontrakte im Case Management“ beschäftigt sich der letzte Abschnitt dieses Kapitels, wobei dieser nach Dafürhalten des Rezensenten eher in die „Systemsteuerung“ gehören würde. Inhaltlich ist er sehr hilfreich.

6. Linking – Vermittlung und Vernetzung von Unterstützungsangeboten

Die Vermittlung und Anpassung von Angeboten steht nun im Mittelpunkt des Interesses. Hier geht es im Wesentlichen um die Vorbereitung, Vermittlung und nötige Anpassung von Dienstleistungen. Werden mehrere Hilfen vermittelt, die parallel laufen, müssen diese im Linking fallbezogen vernetzt werden (S. 231). Der Autor stellt im Folgenden die Aktivitäten des Case Managements in dieser Phase als „Entwicklung und Pflege von Beziehungen“ dar:

  • Beziehungsperspektive a): fallverantwortliche kontinuierliche Beziehung zwischen dem Case Manager und dem Klienten,
  • Beziehungsperspektive b): Vermittlung und Anpassung von Angeboten,
  • Beziehungsperspektive c): Vernetzung der Kooperationspartner,
  • Beziehungsperspektive d): fallübergreifende Zusammenarbeit mit den Anbietern.

Während die Perspektiven a) und b) sehr gut auf die genannte Phase bezogen sind, wären die Perspektiven c) und d) vielleicht besser in der „Systemsteuerung“ aufgehoben. Von großer Wichtigkeit sind sie allemal.

Im Abschnitt „Unvollständiges Linking“ (S. 264) werden einige Probleme innerhalb dieser Arbeitsphase aufgezeigt.

7. Monitoring, Abschluss und Langzeithilfen

Sehr zu Recht weist der Autor darauf hin, dass sich in dieser Phase zeigt, ob Case Management wirklich ernst genommen wird. Eine Praxis, die den Fall zwar an Dienstleister weiterleitet, ihn aber dann sich selbst (oder den eingeschalteten Maßnahmeträgern) überlässt, ist kein Case Management. Insofern werden die Aufgaben des Monitorings als „fortlaufende Zielkontrolle“ herausgestellt. In der Beobachtung der Entwicklung der Fälle zeigt sich, ob die eingesetzten Methoden wirksam oder unwirksam in Bezug auf die vereinbarten Ziele sind. Die Wichtigkeit einer Haltung des „Advocacy“, die dazu beitragen soll, „die Position des Case Managements ab[zu]sichern“ (S. 269), drückt der Autor damit aus, dass er über viele Seiten hinweg mögliche Konflikte beleuchtet, die in dieser Phase auftreten können (z.B. fehlende Kommunikation aus hierarchiebezogenen Gründen).

Das Kerngeschäft im Monitoring, „Koordination und Kooperation“ (Zusammenarbeit mit den Akteuren mit dem Ziel der Umsetzung des Serviceplans), wird im Folgenden beschrieben. Es geht u.a. um die Erkenntnis von Krisen und deren Bewältigung. Der Autor stellt verschiedene Monitoring-Instrumente vor (Interaktive Instrumente, Hausbesuche, Fallkonferenzen, Hospitationen, Zielerreichungsskalen). In diesem Zusammenhang werden dann auch Verantwortlichkeiten im Monitoring thematisiert. Diverse Probleme, die in der Monitoring-Phase entstehen können, werden nun beleuchtet (Stellung des Case Managements, Konflikte, Kommunikationsprobleme).

Ein spannendes (wenngleich nicht ganz in dieses Kapitel passendes) Unterkapitel steht unter der Überschrift „Case Management mit Langzeitfällen“. Hier geht es um spezifische Überlegungen für chronische Verläufe. Das 7. Kapitel schließt mit umfangreichen Bemerkungen zum Thema „Abschluss und Entpflichtung“. Im Fokus steht hier das Problem der „ungeplanten Beendigung“ von Case Management-Prozessen. Hier wird ein äußerst differenziertes und in der Praxis sehr wünschenswertes Verfahren vorgeschlagen (Übersicht S. 326). Auch wenn an dieser Stelle erneut betont werden muss, dass die Bemerkungen zu dem „Systemlernen“ besser in dem Kapitel über „Systemsteuerung“ aufgehoben gewesen wären, so sind sie doch sehr hilfreich. Wie bei der „Entpflichtung“, d.h. bei der Beendigung von Case Managementfällen, vorzugehen ist, zeigt die Schrittfolge, die der Autor vorschlägt. Die verschiedenen Konstellationen, die sich in der Endphase des Case Managements ergeben könnten, werden ausgiebig differenziert. Risikomanagement als Klärung der Frage, welche Schwierigkeiten sich nach Beendigung ergeben könnten, und die Form der Abschlussdokumentation beenden dieses Kapitel.

8. Evaluation – den Fallablauf rückblickend verstehen und bewerten

Zunächst befasst sich das Kapitel mit Missverständnissen und Verkürzungen im Verständnis von Case Management und deren Folgen für die Evaluation (z.B. die Vorstellung, Case Management könne von jedermann praktiziert werden, muss in der Evaluation dazu führen, dass der Qualifizierungsgrad der Case Manager erhoben werden muss. S. 345). Anschließend werden externe Anlässe und Ziele für die Evaluation von Case Management eruiert. Hier werden Rechenschaftslegung und Öffentlichkeitsarbeit genannt. Schließlich ist von „Beziehungsorientierten Anlässen und Zielen für die Evaluation von Case Management“ die Rede, was eine mehrebenenbezogene Kooperationsentwicklung (zusammen mit den Partnern im Netzwerk) und Partizipation (zusammen mit dem Klienten) meint. Zu den internen Anlässen für die Evaluation von Case Management zählt der Autor Perspektiven der Organisationsentwicklung, die er nach der Systematik des Turtle-Prozessmodells (Process-based Auditing der Columbia Audit Resources) zu gestalten vorschlägt, sowie die fachliche Reflexion gemäß den Qualitätskriterien nach Donabedian.

9. Systemsteuerung im Case Management

Das letzte Kapitel dieses Buches, das lediglich knapp dreißig Seiten umfasst, widmet sich der „Systemsteuerung“, d.h. der „Schaffung der richtigen Rahmenbedingungen zur Steuerung der Fälle“ (S. 371). In dem Abschnitt über „Systemsteuerung als konsequente Fortführung der Fallsteuerung“ geht es u.a. um den Umgang mit Macht, Verantwortung und Autorisierung. Das Verständnis von Systemsteuerung als Angebotssteuerung und Angebotsentwicklung grenzt sich von kontinuierlichen Informationsströmen aus der Arbeit mit den Fällen ab, „die zumeist im Rahmen eines Controllings oder anderer regelmäßiger Erhebungsverfahren erhoben werden.“ (S. 376). Die Zusammenhänge zwischen Fall- und Systemsteuerung werden anhand von gelingendem oder weniger gelingendem Zusammenspiel zwischen Systemsteuerung (hier verstanden als Organisationssteuerung) und Fallsteuerung dargelegt. Der Autor öffnet nun unter der Überschrift „Systemsteuerung als Kongruenzleistung“ die Perspektive zum Thema „Governance“. Der Bezug dieses weiten Feldes zu Case Management (und hier jetzt auch wieder zu Care Management) setzt nach Ansicht des Autors voraus, „dass sich die beteiligten Akteure auf der Mikro-, Meso- und Makroebene abstimmen und dieselben Ziele verfolgen“, um ein „kongruentes Modell“ zu schaffen, das im „allgemeinen ‚Steuerungstumult‘ mehr Durchsetzungsfähigkeit besitzt als die Bereiche, die nur auf einer Ebene vertreten sind.“ (S. 393)

An der Stelle, wenn es um die „Ansiedlung der Systemsteuerung“ geht, kommt nun auch die fallübergreifende Arbeit mit Netzwerken (wieder) ins Spiel, etwa, wenn die Autorisierung des Case Managements von einem der Akteure infrage gestellt wird (S. 395). Schließlich werden diverse Probleme bei der Systemsteuerung (Überlagerung durch Organisation und Politik, Kooperationsprobleme) besprochen.

Diskussion

Was an diesem Buch besticht, ist der Fleiß des Autors, der in die letzten Winkel der Case Management-Praxis hineinleuchtet und eine Einführung in das Case Management vorlegt, die praxisnah ist und für die Einarbeitung von angehenden Case Managern sehr hilfreich sein dürfte. Dem Rezensenten ist kein ähnliches Buch in deutscher Sprache bekannt, das ähnlich umfassend die Fallarbeit mit dem Arbeitskonzept „Case Management“ vorstellt. Insofern darf das Werk mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen, das deutsche Pendent zu dem US-amerikanischen „Rothman/Sager (1998)“ zu sein. Die Arbeitsphasen auf der Fallebene sind mit viel Liebe zum Detail beschrieben, reichlich mit methodischen Tipps versehen und bestrebt, jeden nur denkbaren Fall abzudecken. Man freut sich, Praktikern dieses Kompendium anzuempfehlen.

Weniger erfreut ist vielleicht der Wissenschaftler, für den das Buch aber möglicherweise gar nicht geschrieben ist. Der an Vertiefung interessierte Leserkreis wird sich schwer tun mit den mehr als spärlichen Literaturverweisen zu gemachten Behauptungen. Nur ein Beispiel: Wenn der Autor konstatiert, mit Case Management ergebe sich ein „erhebliches Optimierungspotenzial zur Steigerung der Qualität und Senkung der Kosten“ (S. 11), hätte man sich als Beleg für diese nicht ganz unwichtige These sicher mehr als eine „eigene Darstellung“ in Form einer Abbildung, gewünscht. An vielen weiteren Stellen fehlt wie hier der Beleg für die Behauptungen. Wie gesagt: Möglicherweise ist der Wissenschaftler auch nicht der intendierte Leser, und es zählt die Praxiserfahrung des Autors, die dieser unzweifelhaft besitzt und mit diesem Buch weitergibt. Insofern wagt es der Rezensent – als Nichtpraktiker – nur zögernd anzufragen, ob sich nicht auch der Praktiker an der einen oder anderen Stelle über einen Verweis auf weitere Literatur gefreut hätte. Wenn man z.B. das Thema „Zwangskontext“ in die Case Management-Debatte einbeziehen will (was keineswegs unausweichlich erscheint), sollte dem im Zwangskontext arbeitenden Case Manager nicht nur der „Lösungsorientierte Ansatz“ angeboten werden, zumal die Praxisforschung hier schon vor Jahren einschlägige Konzepte vorgelegt hat (z.B. Zobrist/Kähler 2017, mittlerweile in der 3. Auflage, vgl. die Rezension).

Auch eine Aktualisierung der verwendeten Literatur auf den neuesten Stand ist bei einer „überarbeiteten Auflage“ nicht gänzlich unangebracht. Am meisten „leidet“ der nach Systematik im Case Management Suchende im 2. Kapitel, das Begriffe definieren will, diese aber eher verunklart, indem sie in großer Zahl und häufig verkürzt nebeneinandergestellt werden. Hier besteht aus Sicht des Rezensenten dringender Klärungsbedarf.

Lässt man diese akademischen Dimensionen einmal beiseite und beschränkt den Rezensenten-Blick auf die Zielgruppe der praktizierenden Case Manager, für die das Buch vermutlich gedacht ist, so ist es eine Fundgrube und bezeugt die große praktische, aber auch didaktische Kompetenz des Autors. Die vielen Abbildungen und Tabellen lockern den Text gut auf, sodass er nicht wie eine „Bleiwüste“ erscheint und schon – wie viele Fachbücher – durch die äußere Form abschreckt. Manches Mal allerdings ergeht es dem Rezensenten der 2. Auflage, wie es auch dem Rezensenten der 1. Auflage gegangen ist: „E]inige Grafiken lassen den Leser eher verwirrt zurück“ (Löcherbach 2014). Wenn der Autor beispielsweise versucht, „advocacy“ in ein Bild zu bringen (Abb. 33), so mag das eine gute PowerPoint-Folie sein, aber nur dann, wenn sie mündlich erläutert wird. Für das Buch ist sie eher verwirrend und keinesfalls selbsterklärend.

In gewisser Weise spiegelt das vorliegende Buch den Stand der Case Management Entwicklung wider. In vielen Publikationen wird Case Management auf der Fallebene verortet und die fallübergreifende Arbeit (wenn überhaupt) als eine Art Anhängsel betrachtet. Die, in dem vorliegenden Buch anzutreffenden wenigen Seiten zur „Systemsteuerung“, die in einigen Arbeitsphasen eingestreuten (und nicht systematisch entwickelten) Anmerkungen zur Netzwerkarbeit sowie die eher verunklarende Einführung des „Care Management“-Begriffes zeigen paradigmatisch die Desiderata der zukünftigen Diskussion um eine Weiterentwicklung des Case Managements auf. Die nächste Entwicklungsstufe des Case Managements liegt in der Verzahnung der Fallarbeit mit der Infrastruktur- und Organisationsebene (beispielhaft: Löcherbach/Mennemann 2009). Erst diese Verzahnung macht Case Management zu einem innovativen und (wahrscheinlich) wirksamen Konzept. Immer wieder muss sich die scientific community deshalb an das Diktum von Hugo Mennemann erinnern lassen, der schon vor vielen Jahren geschrieben hat:„Ob nach dem Methodenset Case Management gearbeitet wird […], entscheidet sich dabei zentral auf der Systemebene und nicht auf der Einzelfallebene, denn es ist ein großer Unterschied, ob der Case Manager strukturell verankert im Netzwerk von Dienstleistungsanbietern diese […] aufeinander abstimmen kann oder ob er lediglich an weitere Dienste verweisen kann. Letzteres geschah immer schon in der klassischen Einzelfallhilfe.“ (Mennemann 2006, 12) Wenn es stimmt (und der Rezensent hat keinen Zweifel daran), dass nicht auf der Fallebene das Innovationspotenzial von Case Management liegt, dann stellt eben die Verzahnung der Systemebene (hier verstanden als Infrastruktur- und Organisationsebene) mit der Fallebene die eigentliche Herausforderung dar. Das Leistungsvermögen von Case Management im Fall wird im Grunde erst dadurch ausgeschöpft, dass neben einem entwickelten Netzwerk eine Case Management-affine Organisation den eigentlichen Fallablauf erst möglich macht. Vielleicht sind wir derzeit weder in der Entwicklungstheorie noch in der (gelebten) Praxis so weit, einen solchermaßen integrierten Entwurf anbieten zu können. Dass das vorliegende Buch ein derartiges Konzept (noch) nicht vorlegt, ist seinem Autor nicht vorzuwerfen, es fehlt dergleichen, wie gesagt, auch anderen Ortes. Immerhin finden sich Ansätze integrierten und vernetzten Denkens in den Phasen der Fallebene eingestreut. Wünschenswert wäre es, wenn diese Infrastrukturaspekte mit ebensolcher Detailliertheit in ein Gesamtkonzept eingearbeitet würden. In jedem Fall bleibt natürlich der Anspruch an die zukünftige Entwicklung von Case Management-Modellen (die aus Sicht des Rezensenten wesentlich stärker zielgruppenspezifisch zu verorten wären, vgl. Klug 2017), fallbezogene wie fallübergreifende Aspekte in ihrer methodischen Ausformulierung zu einem integrierten Ganzen zu bringen.

Fazit

Monzer beschreibt den derzeitigen Stand der Case Management-Vorgehensweise auf der Fallebene in anschaulicher und für den alltäglichen Gebrauch hilfreichen Weise. Das voluminöse Werk sollte deshalb – obwohl nicht ganz billig – als Einführung in die Case Management-Praxis einen Platz im Bücherregal der Praktiker haben, insbesondere dann, wenn diese sich in das Handlungskonzept einarbeiten wollen. Die einzelnen Arbeitsphasen und praktischen Vorgehensweisen für Einzelfälle sind gründlich und allgemeinverständlich dargestellt, sodass in dieser Hinsicht kaum Wünsche offenbleiben.

Literatur

  • Klug, Wolfgang (2017): Handlungsprobleme in der sozialarbeiterischen Case-Management-Praxis; in: Case Management. Bd. 14 (4), S. 152–160
  • Löcherbach, Peter/Mennemann, Hugo (2009): Case Management-Theorie und Implementierung im Jugendamt; in: Löcherbach Peter/Mennemann Hugo /Hermsen Thomas (Hg.): Case Management in der Jugendhilfe, Ernst Reinhard Verlag, München, S. 26–55
  • Löcherbach, Peter (2014): Rezension vom 11.03.2014 zu: Michael Monzer: Case-Management. Grundlagen. medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2013; in: www.socialnet.de/rezensionen/15974.php, Datum des Zugriffs 14.01.2019.
  • Mennemann, Hugo (2006): Case Management auf der Systemebene – Aufbau von Netzwerken; in: Case Management, Bd. 3 (1), S. 12–17
  • Rothman, Jack/Sager, Jon Simon (1998): Case Management: Integrating Individual and Community Practice, Allyn and Bacon, Needham Heights. 2nd Edition
  • Zobrist, Patrick/Kähler, Harro Dietrich (2017): Soziale Arbeit in Zwangskontexten. Wie unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann. Ernst Reinhardt Verlag, München. 3. vollständig überarbeitete Auflage

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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ISSN 2190-9245