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Bringfriede Scheu, Otger Autrata: Das Soziale

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 17.05.2019

Cover Bringfriede Scheu, Otger Autrata: Das Soziale ISBN 978-3-658-21625-2

Bringfriede Scheu, Otger Autrata: Das Soziale. Gegenstand der sozialen Arbeit. Springer VS (Wiesbaden) 2018. 296 Seiten. ISBN 978-3-658-21625-2. D: 44,99 EUR, A: 46,25 EUR, CH: 46,50 sFr.
Reihe: Forschung, Innovation und soziale Arbeit. Research.

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Thematischer Hintergrund

Die Autoren gehen in ihrer Arbeit von dem Sozialen als dem originären Gegenstand der Sozialen Arbeit aus. Zudem fehlt ihnen bisher eine wissenschaftlich gesicherte Bestimmung des Sozialen, was mit ihrem Buch mittels Bestimmung und definitorischer Klärung vorgenommen werden soll. Ausgangspunkt ist dabei, dass wissenschaftliche (begründete) Soziale Arbeit zu einer eigenständigen Disziplin mit einem Alleinstellungsmerkmal wird, weil sie Grundlagenforschung zum Sozialen leistet.

Scheu und Autrata geht es um die Förderung des sozialen Handelns als verbindendes Merkmal professioneller Arbeit in unterschiedlichen Arbeitsfeldern (vgl. Klappentext).

Das Buch geht auf die Erkenntnis der beiden Autoren zurück, „dass keine Eindeutigkeit besteht, was der Gegenstand der Sozialen Arbeit sei oder sein kann“ (S. 1). Letztlich geht es ihnen darum, eine definitorische Klärung der Sozialen Arbeit aus der Vielfältigkeit der 'sozialen Frage' oder der 'sozialen Probleme' und damit wiederum eine Gegenstandsbestimmung des 'Sozialen' herbeizuführen.

Autoren

Dr. Bringfriede Scheu ist Professorin für Theorie Sozialer Arbeit im Bachelor- und Masterstudiengang Soziale Arbeit an der Fachhochschule Kärnten.

Dr. Otger Autrata ist Privatdozent und Leiter des Forschungsinstitutes RISS (Rottenburg Feldkirchner Institut für subjektwissenschaftliche Sozialforschung) in Feldkirchen in Kärnten.

Inhalt

Das Buch eröffnet mit einem den Themengegenstand erläuternden und in den einzelnen Kapiteln dargelegten Einleitungskapitel, um sodann die vertiefenden sechs unterschiedlich differenzierenden Kapitel vorzustellen.

Im ersten Kapitel geht es ausschließlich um die historische Begrifflichkeit des Sozialen, bis hin zu der daraus resultierenden Gegenstandsbestimmung, ehe sich die Autoren stärker mit dem Konnex zwischen dem Sozialen und der (wissenschaftlichen) Sozialen Arbeit beschäftigen. In Kapitel 3 wird verstärkt die wissenschaftstheoretische Begründung in die Debatte eingeführt, während das nachfolgende Kapitel sich damit beschäftigt, wie sich letztlich das Soziale gesellschaftlich-historisch entwickelt hat. Kapitel 5 wiederum stellt die Verbindung zum eigentlichen Handlungsgegenstand – dem Menschen – her und erläutert das damit verbundene soziale Handeln. Das sechste und zugleich abschließende Kapitel geht auf die Verbindung des Sozialen mit der Sozialen Arbeit und dem sozialen Handeln ein. Ein Ausblick und ein Literaturverzeichnis schließen den Band ab.

Herausgegriffen werden soll zunächst das dritte Kapitel, da die vorherigen beiden sich eben nur mit Grundsätzlichem, Definitorischem und Einführendem befassen; so geht es beispielsweise in diesen um die lateinischen, französischen und deutschen Ursprünge des Sozialen oder aber um das Soziale in seinem wissenschaftlichen und anthropologischen Erkenntnisgewinn – der wiederum ernüchternd ausfällt, wenn die Autoren konzedieren, dass letztlich eine Bestimmung des Sozialen nicht möglich sei, da die Begrifflichkeit des Sozialen in ungeklärter Weise verwendet und beschrieben werde (vgl. S. 81).

Scheu und Autrata versuchen im dritten Kapitel zu umreissen, „wie eine gesicherte und hergeleitete Bestimmung des Sozialen vorzunehmen ist“ (Einführung S. 3). Dazu soll das Soziale wissenschaftlich in einer Art geklärt werden, „die aus der Beliebigkeit der eingeführten Sichtweisen zum Sozialen aus der wissenschaftlichen Sozialen Arbeit herausführt“ (S. 83). Dies soll über wissenschaftstheoretische wie auch metatheoretische Überlegungen gelingen. Um dies erreichen zu können, werden wichtige wissenschafts- und erkenntnistheoretische Richtungen, wie etwa der 'Positivismus', verbunden mit dem 'Rationalismus' und dem 'Empirismus', aber auch der 'Deutsche Idealismus' am Beispiel etwa von Immanuel Kant oder Georg Friedrich Wilhelm Hegel, oder aber der 'Hermeneutik' eines Wilhelm Dilthey aufgezeigt.

Natürlich kommt ein derartiger Erklärungsversuch, was das Soziale eigentlich ist, nicht an dem 'Historischen Materialismus' und dessen Vertreter Karl Marx und Friedrich Engels vorbei, ohne jedoch andere Richtungen, wie etwa den 'Kritischen Rationalismus' eines Karl Popper oder aber konstruktivistische und systemtheoretische Überlegungen zu vernachlässigen. Zusammengefasst sehen die Autoren in der Berücksichtigung der wissenschaftstheoretischen Richtungen auch eine Bestätigung ihrer historischen Herangehens- bzw. methodischen Vorgehensweise.

Im weiteren Verlauf ihrer Untersuchung postulieren Scheu und Autrata, dass zur Theoriebildung für die Soziale Arbeit sowohl die deskriptive wie auch eine normative Metatheoriebildung als Grundorientierung und ganz speziell für die Theoriebildung in der Sozialen Arbeit unerlässlich sei (vgl. S. 121), um sodann zu hinterfragen, welche Merkmale eine Theorie ausmachen, da letztere „von einer höheren Ebene aus“ (S. 122) betrachtet werden müsse.

Die Autoren nennen in diesem Zusammenhang für sie wichtige Kriterien bzw. Merkmale einer Theorie, wie zum Beispiel, „dass Theorie zum Zeitpunkt der Theoriebildung an der Grenze zwischen dem gesellschaftlich Bekannten und dem Unbekannten angesiedelt ist“ (S. 127), oder aber dass „Theorie Sozialer Arbeit [sich] der Wahrheitsprüfung stellen und demgegenüber überprüfen lassen [muss], ob sie gegenstandsadäquates Wissen erreicht hat“ (S. 131). Erst nach Erfüllung dieser und noch zwei anderer Kriterien ist für Scheu/Autrata Theorie Sozialer Arbeit tatsächlich ihrem Gehalt nach Theorie (ebd.)

'Das Soziale und seine Gewordenheit' wird im nachfolgenden vierten Kapitel beschrieben. Dazu wird eine Kategorialanalyse des Sozialen, welche „auf der historischen Herangehensweise als einer wissenschaftstheoretischen Richtung“ (die wiederum aus der Psychologie stammt) basiert, vorgenommen (vgl. S. 147). Die Autoren begründen die metatheoretische Vorgehensweise mittels einer Kategorialanalyse, die es ermögliche, „Kategorien als solche wiederzuerkennen und Über- und Ausformungen von Kategorien analytisch zu trennen“ (S. 151).

„Diese Prinzipien der Kategorialanalyse sind auf das Soziale [im Sinne einer Zweiteilung] anzuwenden“ (ebd.). Gemeint ist damit, das Soziale einerseits im Kontext der Phylogenese (d.h. dass die Entstehung des Lebens für die Autoren auch als erster Schritt auf dem Weg zur Herausbildung des Sozialen verstanden wird), zum anderen im Kontext der gesellschaftlich-historischen Entwicklung zu untersuchen. Bei letzterem geht es den Autoren darum, „die Spezifik des Sozialen bei Menschen fassen zu können“, da „das Soziale bei Menschen […] die Spezifik des Menschen in seiner gesellschaftlichen Existenz“ (S. 200) aufnimmt, um so wiederum eine Charakterisierung des Sozialen bei Menschen in seinen Merkmalen vornehmen zu können.

Im fünften Kapitel der Schrift, überschrieben mit 'Das Soziale im Menschen', werden u.a. durch eine analytische Zerlegung des Sozialen bei Menschen in seine Bestandteile besondere Merkmale, als da zum einen die Widerspiegelung von und Aktivitäten gegenüber anderen Menschen und zum anderen die gesellschaftliche 'Rahmung' (vgl. S. 204) des Sozialen bei Menschen, beleuchtet. Aus den drei Bestandteilen: Widerspiegelung, Aktivitäten und gesellschaftliche Rahmung leiten Scheu und Autrata das soziale Handeln im Zusammentreffen mit anderen Menschen im Sinne von Sozialbeziehungen ab: Menschen, die sozial handeln stehen für die Autoren „in einem Gefüge von Bedingungen und Bedeutungen […], in und gegenüber denen sie handeln müssen“ (S. 332).

Diesen Überlegungen folgen Ausführungen zu den Bedingungen, Bedeutungen und Begründungen sozialen Handelns (vgl. Kap. 5.3), um schließlich im abschließenden sechsten Kapitel auf 'Das Soziale und die Soziale Arbeit' näher einzugehen. Hier wird die Qualität der Wissenschaftlichkeit von Sozialer Arbeit nicht in Frage gestellt, jedoch kurz hinterfragt, ob Soziale Arbeit eine eigene Disziplin sei, welche als anwendungsbezogene und von anderen Disziplinen unterstützte Wissenschaft gesehen werden könne, aber seitens der Autoren doch als eigenständige Disziplin aufgrund der theoretischen Bestimmung des Sozialen gesehen wird (vgl. S. 250).

Schließlich fassen Scheu/Autrata ihre analytischen Erkenntnisse dahingehend zusammen, dass sie das Soziale beim Menschen durch die Merkmale:

  • der Widerspiegelung im Sinne eines aktiven Erfassens des So-Seins des Menschen und
  • die Aktivität des Menschen gegenüber anderen Menschen
  • gekoppelt an die gesellschaftliche Rahmung

gekennzeichnet sehen und als einen dialektischen, nicht zum Stillstand kommenden Prozess verstehen (vgl. S. 281).

Diskussion

Die erklärte Absicht der Autoren ist es, den Gegenstand der Sozialen Arbeit aus ihrer Denomination abzuleiten (vgl. Klappentext), um so zu dem 'Sozialen' zu gelangen, was ihrer Meinung nach nur über eine wissenschaftlich gesicherte Bestimmung des Sozialen möglich sei.

Dabei wird zum einen die Behauptung aufgestellt, dass es bislang keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem 'Sozialen' als Kerngegenstand der Sozialen Arbeit geben würde und zum anderen wird die seit Jahren laufende wissenschaftliche 'Beweisführung' offensichtlich ignoriert. Sie beanspruchen hingegen für sich quasi erstmals wissenschaftliche Soziale Arbeit als eigenständige Disziplin mit einem Alleinstellungsmerkmal – im Sinne einer Grundlagenforschung zum Sozialen – erkannt zu haben!

Wo bleiben da die Pionierarbeiten von Hans Thiersch, Silvia Staub-Bernasconi oder Ernst Engelke (die zwar im Literaturverzeichnis zu finden sind, auf die aber nicht Bezug genommen wird) bezüglich der Sozialen Arbeit als Wissenschaft oder deren Entwicklung von Theorien der Sozialen Arbeit!?

Insofern wird der eher 'krampfhaft' empfundene Versuch einer Neuinterpretierung des Sozialen als Gegenstand der Sozialen Arbeit in teils verklausulierter, teils überhöhter Weise unternommen, ohne jedoch 'Das Soziale' klärend und neu definierend darstellen zu können.

Fazit

Scheu/Autrata haben mit ihrem Werk – das sich in den ersten beiden Kapiteln durchaus in konkreterer Weise gegenstandsbezogen zeigt – ein eher theoretisches Konstrukt vorgelegt, das den Anspruch erhebt, eine wissenschaftliche Bestimmung des Sozialen als Gegenstand der Sozialen Arbeit erzielen zu können. Dabei drängt sich einem der Eindruck auf, als würde es dem Autor und der Autorin dabei nicht um eine für die praktische Soziale Arbeit hilfreiche Gegenstandsbestimmung gehen, als vielmehr um eine akademische Hinterfragung eines Themas, das als ein weiterer Beitrag im Ringen um dessen Verwissenschaftlichung einer (eigenständigen) Disziplin 'Soziale Arbeit' verstanden werden soll.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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ISSN 2190-9245