Rolf Arnold, Christiane Stroh: Methoden systemischer Erwachsenenbildung
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 13.06.2019

Rolf Arnold, Christiane Stroh: Methoden systemischer Erwachsenenbildung.
Schneider Verlag Hohengehren
(Baltmannsweiler) 2017.
216 Seiten.
ISBN 978-3-8340-1774-1.
19,80 EUR.
Reihe: Systhemia - Band 17.
Thema
Ausgangsüberlegung der Publikation ist die Erkenntnis, dass die richtige Methodenwahl in der Erwachsenenbildung darüber entscheidet, welche Erfahrungen der Lernende – sei es das Nachvollziehen, Aufgreifen, Dokumentieren, oder aber das Finden eigener Lösungswege, das Erlernen des Recherchierens wie auch das Kooperieren – macht.
Deshalb werden Systemische Methoden, sowie die Lebendigkeit und Nachhaltigkeit des Lernprozesses vordergründig vorgestellt, ebenso wie die eigenständige Entwicklung von Lösungsstrategien für neuartige Problemstellungen.
Herausgeber
Dr. Dr. h.c. Rolf Arnold ist Leiter des Fachgebiets Pädagogik (insbesondere Berufs- und Erwachsenenpädagogik) und Wissenschaftlicher Direktor des „Distance and independent Studies Center“ (DISC) an der TU Kaiserslautern sowie Sprecher des Virtuellen Campus Rheinland-Pfalz (VCRP).
Dr. Christiane Stroh ist Leiterin des Sprachbereichs Italienisch am Sprachen- und Dolmetscherinstitut in München sowie Lehrbeauftragte am Fachgebiet Pädagogik und am DISC der TU Kaiserslautern.
Entstehungshintergrund
Den Autoren ist offensichtlich die in der schulischen und hochschulischen Bildung, wie auch in der Berufs- und Erwachsenenbildung ihrer Meinung nach lange Zeit zulasten von Inhalten und Zielen des Lernprozesses vernachlässigte Methodenfrage auffällig geworden, weshalb sie für die „Stärkung und Entwicklung der Methodenkompetenzen und die Selbstlernmethoden der Lernenden“ (S. 1) eintreten. Auch vertritt man mit der vorliegenden Publikation das Ziel, den i.E. inhaltsorientierten Blick von Lehrern und Dozierenden zu einer Nachvollziehbarkeit und Aneignung für die Lernenden zu lenken.
Inhalt
Das Buch ist – nach einer Einleitung – in sechs Teile aufgegliedert, die in ein resümierendes Kapitel münden und wird mit einem Literaturverzeichnis abgeschlossen.
Arnold/Stroh stellen die Lernmethode in das Zentrum jeglichen Lernens und wenden sich ab von dem Primat des Lernens, das laut der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft „auf die mittelalterlichen Klosterschulen zurückgehe“ (S. 2). Sie halten Methoden nicht für Wege zum Ziel, sondern für Erfahrungsräume, d.h., dass durch die Methodenwahl entschieden werde, welche Erfahrungen dem Lernenden „gewährt“ werden – was wiederum ein Umdenken voraussetze. Infolgedessen geht es den Autoren um die Darstellung von „Methoden einer Systemischen Erwachsenenbildung“, die sich als Lernmethoden verstehen (vgl. S. 3).
Es wird ein sogenanntes Methodenraster geschaffen, das
- von der Bezeichnung und Beschreibung der Methode ausgeht,
- den Bezug zu Aneignen, Erleben und Handeln herstellt,
- die Voraussetzungen des Methodeneinsatzes klärt,
- und schließlich Umsetzungserfahrungen erläutert.
Im ersten Kapitel geht es den Autoren darum, die Perspektivität, die aufgrund aus der Vergangenheit rührender individueller Wahrnehmung und Lagebeurteilung geprägt ist, erkennen und letztlich hinter sich lassen zu können. Dabei soll den Teilnehmern die Wirksamkeit eigener Perspektiven quasi durch die „Brille“ und einen „Brillentausch“ zur Kenntnis gebracht, also die eigenen Wahrnehmungen, die „Eigenzustände“, sichtbarer gemacht werden und erkennen zu können, damit sie die sich damit verbindende Perspektivität hinter sich lassen können.
Das zweite Kapitel ist mit „Vom Unterschied her lernen (können)“ überschrieben und sieht in der Anerkennung statt Ausblendung oder Ablehnung gegensätzlicher Standpunkte den Weg zur Lösung neuartiger Probleme oder Lesarten, um so die Wirklichkeit neu erkennen zu können. Die Autoren wollen damit und mit der „Tetralemma-Aufstellung“ „eine Erstarrung im Denken (…) überwinden“ (S. 51), indem den Seminarteilnehmern fünf von den Seminarteilnehmern vertretene (Gegen-)Positionen in den Raum gestellt werden, um so alternative Denk- und Fühlweisen – mit dem Ziel einer veränderten Situationseinschätzung – erfahren zu können.
Kapitel 3 befasst sich mit dem Vorbereiten-, Anstoßen- und Üben-Können des Selbstlernens. Lernen wird als Eigenaktivität verstanden, bei dem der Erfolg des Lernens von den Lernenden selbst verantwortet wird. Zudem wird konstatiert, dass der Lernende häufig nicht in der Lage ist, sein Lernen selbst zu organisieren (vgl. S. 7).
Arnold/Stroh stellen in diesem Zusammenhang verschiedene Methoden vor: so beispielweise die „Webquest-Methode“, welche „den Lernenden einen vorstrukturierten, eigenständigen Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht“ (S. 64), oder aber auch die „Vier-bis-Sechs-Ecken-Methode“, bei der die Seminarteilnehmer zwischen verschiedenen Aufgabenformaten, die sie selbstständig bearbeiten, wählen können. Als weitere Methoden werden u.a. „Internet-Rallyes“, „Inszeniertes Lauschen“, „Die Gruppenvorlesung“ oder aber „Powerpoint-Karaoke“ sowie eine Fülle weiterer Methoden eingebracht. Dabei werden – wie schon bei den anderen Kapiteln zuvor – über die Fragewörter „Was“, „Wie“ und „Warum“ die themenbezogenen Erläuterungen gegeben und schließlich jeweils der methodenrelevante „Hintergrund“ beleuchtet.
Auch bei den beiden nachfolgenden Kapiteln 4 und 5, die sich zum einen mit dem Sich-Bewusstwerden-Können emotionaler Programme und zum anderen mit dem Nutzenkönnen von Ressourcen beschäftigen, ist die Vorgehensweise mittels Hinterfragen und Hintergrundbeleuchtung stets die gleiche.
Das sechste und damit letzte Kapitel sucht danach, wie man biografiekompetent werden kann und enthält für „die Lernenden einen Rahmen für eine angeleitete biographische Selbstreflexion“ (S. 174), um sich so seines eigenen Lebenslaufes bewusster zu werden. Dazu wird die sog. „Wippenübung“ herangezogen – diese weist drei zentrale Positionen auf: „meine Vergangenheit“, „mein Jetzt“ und „meine Zukunft“. Ziel ist es, seine eigene Entwicklung mit der anderer Lebensweltpartner zu vergleichen und zu reflektieren, um neue Wege für das eigene Leben konstruieren und erproben zu können. Theorien und Ergebnisse der Entwicklungs- und Lebenslaufpsychologie werden dabei den Lernenden nahegebracht und mit dem eigenen Standort hinterfragt.
So werden die Lernenden unter anderem aufgefordert, zu prüfen, wie sie die einzelnen Entwicklungsphasen ihres Lebenslaufes gut oder auch nur eingeschränkt bzw. gar nicht gemeistert haben. Des weiteren wird zum Beispiel auch die „Lebenskurve“-Methode vorgestellt und gezeichnet, damit die Lernenden sich die Höhe- und Tiefpunkte ihres Lebens selbst vor Augen führen (vgl. S,188).
Arnold und Stroh schließen ihr Werk mit dem Hintergrund zu dem systemischen Erwachsenenbildungsansatz, wie er offensichtlich in den letzten Jahrzehnten erforscht, entwickelt und erprobt worden ist, ab. Sie weisen darauf hin, dass, „dieser Ansatz […] den Deutungsmusteransatz der Erwachsenenbildung der 1980er und 1990er Jahre [präzisiert] und erweitert diesen sowohl um eine erkenntnis- und beobachtungstheoretische Fundierung als auch um eine pragmatische pädagogische Handlungstheorie“ (S. 197). Dabei wird auf die Prägung dieser systemisch-pädagogischen Begründung des Erwachsenenlernens durch spezifische Leitmotive hingewiesen:
- Das Erste Leitmotiv: „Der Zweck heiligt die Mittel“ geht gegen einen bildungstheoretischen Aberglauben gegenüber überlieferten („zweckfreien“ und „zweckgebundenen“) Bildungsbehauptungen vor.
- Das Zweite Leitmotiv: „Woanders ist es ähnlich“ nimmt sich der internationalen Orientierung an, mit dem Ziel einer „Kontextauslotung der unterschiedlichen Formen des Lehrens und Lernens aufgrund unterschiedlicher Modelle beruflicher Bildung aus internationalen Studien“.
- Das Dritte Leitmotiv: In „Bildung ist Erwachsenwerden durch Individuation“ geht es um die realen Fähigkeiten der Menschen, durch Berücksichtigung des familiären und schulischen Umfelds, sowie um entwicklungs-, identitäts- wie auch lebenslauftheoretische Konzepte (vgl. S, 202 ff.).
- Das Vierte Motiv: „Lernen ist wichtiger als Lehren“ nimmt sich des didaktischen Akzentes an und
- geht auf Kompetenzansätze oder berufspädagogische Konzepte der Schlüsselqualifikationen in der Berufs- und Erwachsenenpädagogik ein.
- Das Fünfte Leitmotiv: „Pädagogische Technologien sind möglich“ wendet sich gegen die Meinung, dass es ein Technologiedefizit der Pädagogik geben würde. Schuld daran sei ein enger „Wirkungsbegriff“ (S. 206) und ein pädagogisches Denken, das „weit hinter die Einsichten der geisteswissenschaftlichen Pädagogik zurück“ (ebd.) führe. Eine neuartige technologische Praxis beinhalte Werkzeuge der Selbstreflexion, welche „Eigenbewegungen“ anzuleiten und anzuregen vermögen (vgl. S. 207).
Diskussion
Die Autoren erheben mit den in ihrem Werk vorgestellten Systemischen Methoden den Anspruch, mehr Lebendigkeit und Nachhaltigkeit der Lernprozesse erzielen zu können. Dies gelingt ihnen sicher dann, wenn man den von ihnen vorgeschlagenen Wegen zumindest in der Theorie folgt, oder dann, wenn man einzelne methodische Schritte, die mit einer bestimmten Klientel umsetzbar erscheinen, geht.
Arnold und Stroh gehen bewusst gegen den in der Didaktik der Erwachsenenbildung nach wie vor dominierenden und den eigentlichen Schwerpunkt der Vorbereitung und Planung bildenden „Primat des Inhaltes“ vor. Sie wenden sich gegen die Meinung, dass eine „lineare Vermittlung“ des Inhaltes ein von Klarheit, Anschaulichkeit und Motivierung gekennzeichneter Weg zum Lernerfolg sei. Es findet dabei aber offensichtlich keine Differenzierung der Klientel und deren Voraussetzungen, Gegebenheiten und Möglichleiten statt.
Somit stellen die vorgeschlagenen Methoden nicht immer einen gangbaren Weg dar und bleiben durchaus im Idealzustand verhaftet. Natürlich ist es angebracht, über die etablierten Methoden und sonstige Schemata in der Erwachsenenbildung hinauszugehen, neue Wege und Methoden aufzuzeigen, deren Praktikabilität und in der allgemeinen Unterweisung sinnmachenden Umsetzbarkeit zu erproben – auch wenn es nur bei einer spezifischen Klientel tatsächlich gelingen mag.
Fazit
Die Autoren fordern den (mehr oder weniger kundigen) Leser durchaus heraus: er muss sich über die herkömmlichen und landläufig bekannten Methoden der Erwachsenenbildung, wie etwa Visualisierungsmedien (Flipchart, Mindmap, Folien, Powerpoint u.a.) oder aber Kreativitätstechniken (z.B. Brainstorming, Schneelawine) oder Gruppenarbeit, Planspiele etc. hinaus, mit anderen beziehungsweise spezielleren Methoden auseinandersetzen lernen, um den durch die beiden Autoren geltend gemachten Anforderungen gerecht werden zu können.
Trotz des angesprochenen Anspruchs wird dies den Lesern dadurch erleichtert, dass Arnold/Stroh den Inhalt ihres Buches in didaktisch vorbildlicher Weise konzipiert und umgesetzt haben: wie bereits darauf hingewiesen wurde, wird jede Methodenvorstellung durch die Fragestellungen des „Was?“, „Wie?“ und „Warum?“ einer tieferen Analyse unterzogen und mittels des dazu gehörigen Hintergrundes beleuchtet und mit Empfehlungen für den geeigneten Einsatz versehen.
Somit stellt das vorgestellte Buch eine wichtige Quelle für alle in der Erwachsenenbildung bzw. beruflichen Weiterbildung Tätigen, aber auch für Studierende der Andragogik oder der Systemischen Pädagogik dar.
Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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