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Joachim Merchel (Hrsg.): Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst

Rezensiert von Prof. Dr. phil Michael Böwer, 14.02.2020

Cover Joachim Merchel (Hrsg.): Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst ISBN 978-3-497-02865-8

Joachim Merchel (Hrsg.): Handbuch Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). Ernst Reinhardt Verlag (München) 2019. 3., aktualisierte und erweiterte Auflage. 497 Seiten. ISBN 978-3-497-02865-8. D: 49,90 EUR, A: 51,30 EUR.

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Thema und Entstehungshintergrund

Das vorliegende Buch nimmt in seiner 3. Auflage die Geschichte, Organisation, rechtliche Grundlagen, Methoden und Arbeitsweisen des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) als Teil der kommunalen Infrastruktur, hinsichtlich Fachkräften, öffentlicher Wahrnehmung und Qualität umfassend in den Blick. Denn neben der großen öffentlichen Aufmerksamkeit, die der ASD medial erfährt, wenn über Fälle von getöteten, vernachlässigten und sexuelle Gewalt erleidenden Kindern berichtet wird, gilt es, den ASD „als Ganzes“ (Klappentext) zu betrachten. So wird der Bogen groß gezogen: woher stammt die Idee, einen sozialprofessionellen Basisdienst in Jugendämtern einzurichten, wie hat sich der Fokus verändert und welche fachlichen Prämissen gelten dort heute? Die Erstauflage erschien 2012, die 2. Auflage drei Jahre später; beide bei Ernst Reinhardt. Die 3. Auflage nimmt eine Aktualisierung hinsichtlich rechtlicher Neuregelungen vor; dezidiert überarbeitet wurden die Kapitel zu „Informations- und Kommunikationstechnologien“ (Tenhaken) bzw. zu „Personalentwicklung“ (Pamme) und neu eingefügt wurde ein Beitrag zu „Fachlichen und fachpolitischen Perspektiven“ (Merchel).

Die folgende Betrachtung stellt den Herausgebenden und die Beiträger_innen, die Kapitel sowie die Beiträge der 3. Ausgabe je kurz vor, hebt kritische Punkte aus der Sicht eines Fachvertreters und aktiven „ASD-Forschers“ hervor und diskutiert es im Schluss im Insgesamten. So soll auf Lücken und möglicherweise wichtige Aspekte und Bedarfe zur Weiterentwicklung des Buches hingewiesen werden. Zur Kritik der Vorauflage(n) sei verwiesen auf die Rezension von Heekerens, dessen Monita, dass auf den Fachkraftbegriff im Sachregister verzichtet werde, weiter gilt.

Zielgruppe

Das Buch will – so der Klappentext – ein „zuverlässiger Begleiter für LeiterInnen und Fachkräfte im ASD, Führungskräfte in Jugend- und Sozialämtern, DozentInnen und Studierende der Sozialen Arbeit“ sein. Damit richtet es sich primär an fachlich informierte Kreise, kann aber aus Sicht des Rezensenten aufgrund seiner praktischen Handhabbarkeit und guten und komprimierten Lesbarkeit gerade auch Politiker_innen, Medienvertreter_innen und der breiten Öffentlichkeit empfohlen werden, weil es angesichts eines gegenwärtig hohen Informationsbedarfes fachkundig wie differenziert über Qualitätsaspekte für und über die Arbeit von Jugendämtern Auskunft gibt.

Herausgeber_in

Der Herausgeber Joachim Merchel, Jg. 1953, Diplom-Pädagoge, ist emeritierter Professor für das Lehrgebiet „Organisation und Management in der Sozialen Arbeit“ an der Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen, und war dort Leiter des weiterbildenden Master-Studiengangs „Sozialmanagement“. Er ist ausgewiesener Experte des Themas und publiziert u.a. zu Fragen der Leitung, Organisation, Qualitätssicherung und Jugendhilfeplanung. Dem vorliegenden Band liegen empirische Forschungsarbeiten des Herausgebers zugrunde, die er 2009–2013 zu Personal und Personalmanagement durchführte (vgl. Merchel/​Pamme/​Khalaf 2012; s. Kap. IV des Bandes). Joachim Merchel ist u.a. Gründungsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst/​Kommunaler Sozialer Dienst (2008).

Beitragende

Der Band umfasst 39 Teilkapitel als Beiträge von 31 Autor_innen; zehn stammen aus der Feder des Herausgebers. Die Beitragenden – Marie-Luise Conen, Sonja Enders, Kerstin Feldhoff, Ingrid Gissel-Palkovich, Christine Gerber, Peter Hammerschmidt, Luise Hartwig, Eva Köhler, Adam Khalaf, Benjamin Landes, Maria Lüttringhaus, Joachim Merchel, Thomas Meysen, Jutta Möllers, Sybille Nonninger, Hildegard Pamme, Wolfgang Rüting, Eric van Santen, Hans-Jürgen Schimke, Reinhold Schone, Christian Schrapper, Hubertus Schröer, Herbert Schubert, Mike Seckinger, Britta Tammen, Wolfgang Tenhaken, Uwe Uhlendorff, Ulrike Urban-Stahl, Dirk Waschull, Peter-Ulrich Wendt sowie Renate Zwicker-Pelzer – sind allesamt ausgewiesene Expert_innen für das Thema des Buches; zu einem Teil profilierte Kolleg_innen bzw. (frühere) Mitarbeiter_innen des Herausgebers an der Fachhochschule Münster.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich auf seinen 497 inhaltsstarken Seiten in acht Hauptkapitel und verfügt über ein differenziertes Sachregister. So gelingt der informierende Zugriff – auch bei wenig Zeit – schnell und mit Blick auf die Zielgruppe und vom Anspruch eines Handbuchs her überaus praxistauglich.

In seiner Einleitung stellt der Herausgeber Ansatzpunkte seines Bandes vor (S. 1–8). Er diagnostiziert ein „relativ geringes Interesse“ (S. 2), das dem ASD in der Fachöffentlichkeit über lange Zeit entgegengebracht worden sei und betont, dass das, was im ASD fachlich und organisational geschehe, „deutlich über ein enges Verständnis von Kinderschutz“, der derzeit im Fokus stehe, hinausgehe (ebd.). Anschließend definiert er sieben „markante Merkmale“ (S. 3), die ASD ausmachten, gibt eine „Arbeitsdefinition zum ASD“ (S. 3 f.) und stellt das Konzept des Handbuches mit Blick auf die Teilkapitel vor (S. 5 ff.).

Während die ersten drei Kapitel das Grundgerüst, man könnte auch sagen: die ‚Genstruktur des ASD‘ offenlegen – erste Spuren der im 19. Jahrhundert entstehenden kommunalen Sozialverwaltung und Armenfürsorge über die Familienfürsorge bis hin zur heutigen Struktur und Organisation im Verwaltungsverfahren und der umfänglichen rechtlichen Grundlagen der Arbeit –, folgen ausführliche Betrachtungen zu methodischen Anforderungen (Kapitel IV), um von dort aus gewissermaßen wieder die Kurve zurück zu schlagen zur kommunalen Infrastruktur, in der der ASD (Kapitel V) und seine „Mitarbeiter [sic!]“ (Kapitel VI) im „Licht der Öffentlichkeit“ (Kapitel VII) agieren. Der Band schließt mit einem achten Kapitel zu „Qualität und Qualitätsentwicklung im ASD“, in dem differenziert anhand der Ebenen von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Frage nachgegangen wird, was einen „guten ASD“ ausmache (S. 37 ff.) und welche Perspektiven sich im „ASD zwischen regionaler Diversität und einheitlichem Profil“ abzeichneten. Das Literaturverzeichnis, Hinweise zu den Autor_innen und ein Sachregister schließen das Buch ab.

Der Sammelband ist schlüssig aufgebaut und überaus gut gegliedert. Jedem Hauptkapitel geht ein schlaglichtförmiger Überblick voraus, der die wichtigsten Dimensionen der folgenden Erörterung jeweils gut zusammenfasst. Zahlreiche Querverweise erleichtern die Vertiefung und auch kursorische Sprünge zu anderen Themen des ASD. Ganze 31 Abbildungen und 8 Tabellen visualisieren anschaulich, wie der ASD organisiert ist und welche Arbeitsaufgaben und Ziele in einzelnen Feldern bestehen. Obwohl ein komplexes Fachbuch für ein komplexes Feld Sozialer Arbeit, ist der Inhalt auch für Nichtexpert_innen (siehe Zielgruppen des Buches; d.V.) gut lesbar und nachvollziehbar und die Argumentation stets schlüssig und stringent. Der Schlagwortkatalog im Sachregister ist differenziert und an etablierten Begriffen und Praxisherausforderungen orientiert. Dies macht das Buch zu einem wirklichen Gewinn für das Arbeitsfeld.

Die Beiträge im Einzelnen

Im ersten Beitrag des ersten Hauptkapitels unternehmen Peter Hammerschmidt und Uwe Uhlendorff einen Überblick zur „Entstehungsgeschichte des ASD“ (S. 9–32), wobei sie den Beginn ihrer Betrachtungen auf den Anfang des 19. Jahrhunderts ansetzen und das Ende dieses Zeithorizontes in der „Neuorganisation“ (S. 11) der 1970er Jahre verorten. Während die Limitierung auf die 1970er Jahre nicht ganz nachvollziehbar ist – geriet der ASD doch in den 1980er und 1990er Jahren unter Ökonomisierung und Strukturveränderung (vgl. Thole et. al 2000) – ist die Ausgangsperspektive insoweit schlüssig, da die kommunale Sozialverwaltung in der Zeit des deutschen Kaiserreichs Kontur gewinnt und die Grundpfeiler jener institutionellen Strukturen gesetzt werden, aus denen Armenverwaltung und -pflege sowie später Vormundschafts- und Jugendbehörden entstehen sollten. Allerdings geraten mit dieser in der Armenfürsorge ansetzenden „Vorgeschichte des ASD“ (S. 11 ff.) die im Spektrum wortwörtlich weiteren Kontexte etwa der sozialen Frage, der Sozial- und Professionsgeschichte und transnational andere Entwicklungen aus dem Blick. Dies ist für den Fokus des Buches nachvollziehbar, Verweise aber wären angebracht – nicht nur, weil sich Soziale Arbeit in Gesellschaft herausbildet (einschließlich gesellschaftlicher Akzeptanz, politischer Wertschätzung und ökonomischer Stati z.B. der Frage von Fallobergrenzen und Entlohnung), sondern auch deshalb, weil seine in der Tat eher inselhafte und westeuropäische Prägung herausgefordert ist: in Zeiten globaler Diskurse um Menschen- und Kinderrechte, um Impulse einer multireligiösen Gesellschaft bis hin zu neuen Anforderungen von Flucht und Immigration steht auch der ASD vor neuen Herausforderungen. Diese klingen zum Teil später im (an sich wichtigen) Beitrag von Hubertus Schröer zu „ASD als interkultureller Sozialer Dienst“ (S. 159–171) an, werden aber im Schluss in den an sich weitwinkligen „Perspektiven“ des ASD (S. 458–463) nur aufs Eigene (nämlich: Fachkräfte) hin erfasst. So werden viele heutige und künftige Adressat_innen des ASD – denen das Buch überaschenderweise selbst nicht näher nachgeht –, andere (z.B. aus Flucht, Krieg, Misshandlung, Exklusion geprägte) langjährige biographische und kulturelle Erfahrungshorizonte (auch) mit staatlichen Institutionen haben. Hier sollte und wird eine Folgeauflage sicher näher ansetzen müssen.

Das zweite Kapitel geht dann ins Detail und zeigt den ASD in der Mikrostruktur: Mit den Beiträgen von Benjamin Landes und Eva Köhler wird „organisatorische Verortung“ (S. 34–46) geleistet, in dem Aufbau und Abläufe im ASD bis hin zum Dienstrecht und der Einbindung in die örtliche Verwaltung und Kommunalpolitik dargestellt werden, dann geht Joachim Merchel den Strukturmerkmalen von Arbeitsabläufen, Leitung, Kooperation, Organisationsmodellen bis hin zur Organisationskultur unter der Überschrift „Organisationsgestaltung“ (S. 47–64) nach und erörtert – schließlich – die Besonderheit von „Teamstrukturen und Leitung im ASD“ (S. 65–76). Auf diese Weise gelingt einerseits ein Überblick, wie sich ASD-Arbeit in Praxis organisiert – andererseits wird damit sogleich auf zentrale Herausforderungen hingewiesen, in denen ASD-Arbeit erfolgt. Dass nämlich täglich eine Vielzahl an „Entscheidungen“ (S. 55) unter sehr unterschiedlichen und komplexen Kommunikationskontexten und in Routinen zu fällen sind, wird ebenso deutlich, wie auch die für den ASD typische Doppelnatur der Einbindung in öffentliche Daseinsvorsorge und als sozialräumlich ansetzende Soziale Arbeit.

Schlüssig und stringent erschließt darauf das dritte Kapitel „rechtliche Grundlagen für die Arbeit des ASD“ (S. 77–142). Dirk Waschull geht auf „ASD-Arbeit und Verwaltungsverfahren“ ein. Sybille Nonninger und Thomas Meysen erörtern „Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII)“ (S. 88–105), „Familienrecht und familiengerichtliches Verfahren (FamFG)“ (S. 126–136) sowie „ASD-Tätigkeit und strafrechtliche Verantwortung“ (S. 137–142). Dazwischen beschreibt Britta Tammen „die Relevanz von Grundsicherungsrecht und Sozialhilfe“ (S. 106–125). Ein Kapitelstrich mehr gleichwohl wäre sinnvoll gewesen: eine Erörterung von Dilemmata und solchermaßen normativen Logiken im Kontext des Berufsbildes Soziale Arbeit und dessen berufsethischen Mandats als Menschrechtsprofession, der Implikationen des in Praxis sichtbaren festgestellten Wandels von Leistungs- zu Schutzauftrag (S. 98 f.) und der insoweit beobachtbaren lokalen Praktiken (etwa der Partizipation; vgl. Bühler-Niederberger et al. 2014; Ackermann/​Robin 2018). Die These Nonningers und Meysens, der ASD sei „Motor der Schutzmaßnahmen bei Kindeswohlgefährdung“ (S. 98 ff.) mag dem Bild des ihm zukommenden Wächteramtes und Gewährleistungsauftrages entsprechen – einem Verständnis kooperativen Kinderschutzes (vgl. Böwer/Kotthaus 2018) indes weniger. Selbiger kommt als Solotechnologie ins Stottern: Während zum „Schutz vor Übergriffen im Rahmen der Hilfegewährung“ (S. 99) klar gezogen wird, dass „die alltäglichen Prozesse in der Einrichtung und insbesondere die Entwicklungen im Einzelfall ihm (dem ASD, d.V.) nicht zugänglich sind“ ist die nachgeschobene These irritierend, dass das „Jugendamt … Einblick in den Umgang mit dem jungen Menschen (habe), seine Entwicklung verfolgen (könne) und mit ihm auch konkrete Probleme, sei es mit dem Personal einer Einrichtung oder mit anderen Betreuten, ansprechen“ könne (S. 99). Ein neuralgischer Punkt – wie das aus der Warte der Fallverantwortung gelingen soll, bleibt offen. Ausnehmend gelungen ist die Abhandlung zu „ASD-Tätigkeit und strafrechtliche Verantwortung“ (S. 137 ff.), greift sie doch die verbreitete Unsicherheit der Fachkräfte auf, inwieweit ihr (Nicht-) Handeln strafrechtliche Verantwortung nach sich zieht. Hier gibt die Erörterung Orientierung und Hinweise auf nötige Qualitätsstandards.

Das vierte Kapitel geht in zwei Teilen auf „methodische Anforderungen und Arbeitsweisen im ASD“ ein. Zunächst erörtert Reinhold Schone trefflich das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle (S. 146–158), worauf Hubertus Schröer unter dem Titel „ASD als interkultureller Sozialer Dienst“ (S. 159–171) auf Migrationsaspekte bei Adressat_innen und das Spektrum von Vielfalt, Interkulturalität eingeht und Konsequenzen für Praxis skizziert. Kerstin Feldhoff und Luise Hartwig nehmen darauf unter der Überschrift „ASD und Gender“ (S. 172–188) sowohl Alleinerziehungslagen, häusliche Gewalt und „geschlechtergerechte Hilfeplanung“ (S. 183) sowie das Merkmal hohen Frauenanteils im ASD in eins zusammen. Sie kennen kein drittes Geschlecht, nur Jungen oder Mädchen, Männer oder Frauen; soziale Eigenschaften von Sex und Geschlecht in Gesellschaft und Kultur wären weitaus breiter auszuleuchten. Neuere, nämlich diversitäts- und otheringtheoretische Diskurse (vgl. Jagusch 2018) werden von Schröer eher flüchtig integriert und hinsichtlich „ethnischer Communities“ (S. 163) gerät der angeratene Fokus Sozialer Arbeit dann eher einseitig sozialtechnologisch denn reziprok; insgesamt überzeugt dieser – an sich wichtige – Teil des Buches nicht.

Anders das zweite Teilkapitel. Hier wird der weite methodologisch-konzeptionelle Handlungsraum des ASD dezidiert wie in aller Kompaktheit deutlich, den dieser zu bedienen hat. Joachim Merchel beschreibt Hilfeplanung als „dauerhafte Entwicklungsaufgabe für den ASD“ (S. 190 ff.), Christian Schrapper führt das von ihm und Maja Heiner entworfene Modell sozialpädagogischen Fallverstehens ein, Ingrid Gissel-Palkovich knüpft an das Modell des Case Managements an und Renate Zwicker-Pelzer widmet sich der Relevanz von Beratung im ASD. Einzelne Settings professionellen Handelns im ASD beleuchten dann Wolfgang Rüting (Trennungs- und Scheidungsberatung), Jutta Möllers (Begleiteter Umgang), Ulrike Urban-Stahl (Hausbesuche) sowie Christine Gerber (Krisenintervention und Inobhutnahme). Typische Handlungskontexte und technologische Aspekte legen Hans-Jürgen Schimke (Berichte, Dokumentation und Aktenführung), Reinhold Schone (Gefährdungseinschätzung) sowie Marie-Luise Conen (Arbeit mit „unfreiwilligen Klienten“, S. 290 ff.) dar, worauf Maria Lüttringhaus das wesentlich von ihr vertretene Fachkonzept Sozialraumorientierung umreißt, Wolfgang Tenhaken den Einzug IT-gestützter Verfahren in das Sozialwesen und den ASD darlegt und schlussendlich Joachim Merchel den Kontext fachlichen Handelns im Lichte der Finanzsteuerung aufgreift.

Das fünfte Kapitel des Sammelbandes greift, vermutlich bewusst, in einer rhetorischen Kurve auf die eingangs aufgezeigte Struktur des ASD als kommunales Gefüge und Arrangement zurück. So skizziert Peter-Ulrich Wendt den ASD im Kontext kommunaler Sozialpolitik, worauf Herbert Schubert in einem nochmaligen (anderen) Fokus sozialräumliche Prämissen aufzeigt und Eric van Santen und Mike Seckinger den Diskurs und Elemente von Kooperation im ASD darlegen. Daran schließt Joachim Merchel mit einer Skizze des ASD als „Sensor für soziale Problemlagen“ (S. 378) im Kontext der Jugendhilfeplanung an. So wichtig die Darstellung dieser Fachkonzepte, so sehr zeigt dieser eben kleinräumige Zoom auf den ASD auf, warum dieser – wie es im Fazit Joachim Merchels als anzustreben angeregt wird (S. 458 ff., s.u.) – eben nicht in großen Linien gedacht wird, sondern in steten Imbalancen, regional hoch differierenden Standards und lokalpolitischen Abhängigkeiten unterworfen ist: weitergehende Perspektiven auf gesellschaftlichen Wandel, soziale Ungleichheit, Armut, Inklusion und Bildungsbenachteiligung werden vom ASD hier nicht erwartet, ihm wird (wie es jenseits medialer Aufmerksamkeit in Kinderschutzfällen ausfällt) der Platz „als Teil der kommunalen Infrastruktur“ – so der Kapiteltitel – beschieden. So sehr er mit solchermaßen örtlichen Konzepten in seiner fachlichen Binnenlogik gestärkt werden mag: er bleibt denn auch dabei.

Das sechste, siebte und achte Kapitel verstetigt die Binnenperspektive – mit unbestritten wichtigen, vor allem die Fachkräfte sowie Führungskräfte interessierende Aspekten: Zunächst wird auf „Mitarbeiter [sic!] im ASD“ eingegangen: Joachim Merchel eruiert die quantitative und qualitative Dimension von Arbeitsbelastung im ASD und betrachtet die Möglichkeiten des Personalmanagements im ASD (S. 386–404), worauf Adam Khalaf auf Verfahren der Personalbemessung eingeht (S. 405–413) und Hildegard Pamme Wege der Personalentwicklung aufzeigt (S. 414–422). Der Beitrag von Sonja Enders verlässt kurz diesen Fokus, in dem sie den ASD „im Licht der Öffentlichkeit“ betrachtet und empirische Befunde zur Wahrnehmung des Jugendamtes in den Medien aufzeigt, dann aber den Blick wieder wendet und fokussiert, was es für „fachliche profilierte Öffentlichkeitsarbeit der Jugendämter“ (in Krisen) brauche. Joachim Merchel führt diese Überlegungen indirekt unmittelbar weiter, in dem er den Qualitäts- und Lernbegriff anschließt (S. 438–447), den ASD als „lernbereite und lernfähige Organisation“ eruiert (S. 445 f.) und von dort aus auf Qualitätskriterien eingeht, die „einen guten ASD (ausmachen)“ (S. 448–457). Den Schluss seiner Betrachtung bilden dann „fachliche und fachpolitische Perspektiven“ (S. 458–463), in denen er den ASD „zwischen regionaler Diversität und einheitlichem Profil“ (S. 458) stehend umreißt. Merchel stellt hier fünf Thesen auf: das fachliche Profil des ASD sei sehr auf Kinderschutz fokussiert und begrenze die Handlungsmöglichkeiten des ASD – der Versuch, die zunehmenden Komplexitäten der Aufgaben des ASD zu bewältigen, führe zu noch mehr Spezialisierung und immer genaueren Verhaltensanweisungen mit dem Risiko, dass das Profil weiter erodiere – das fachliche Profil hänge vom Gewinn und der Bindung von ausreichend (diversen) Fachkräften ab – es sei geboten, mit dem erwarteten inklusiven SGB VIII den ASD konzeptionell fortzuschreiben – strukturelle Spannweite des Aufgabenprofils und den „Grenzen durch knappe Ressourcen“ (S. 462) Rechnung getragen werden müsse. Es gelte, zwischen der Notwendigkeit eines einheitlichen Profils des ASD und den spezifisch sinnhaft bestehenden regionalen und organisationalen Eigenheiten tragfähige Balancen zu suchen, so Merchel (ebd., S. 463).

Fazit

Der vorliegende Band liefert eine umfängliche und zugleich auch ungemein präzise, systematische und komprimierte Darstellung der Strukturen, konzeptionellen Ansätze und (nötigen) Standards des Allgemeinen Sozialen Dienstes der bundesdeutschen Jugendämter. Er wird den besonderen Ansprüchen an ein Handbuch dabei in jeder Weise gerecht. In seiner Einleitung schreibt der Herausgeber und Autor, dass das vorliegende Handbuch „auch (Herv. i. Original; d.V.) als ein Beitrag zu einem fachlich profilierten Sozialmanagement“ gelesen werden könne „und sollte“ (S. 7). Damit legt er einen, wie ich finde, wichtigen Kern des Buches frei: es zeigt auf, was ASD sind, welchen Strukturprinzipien in der kommunalen Struktur folgen und liefert Leitungskräften wie Fachkräften als Zielgruppen (s.o.) eine Orientierung dafür, wie ASD organisiert sein sollten. Damit leistet das Buch einen wichtigen und womöglich elementaren Beitrag für einen Fachdienst, der in den letzten zehn Jahren oftmals in der Öffentlichkeit ob seines Scheiterns in Kinderschutzfällen schwer gebeutelt wurde. Und in der Tat sind die in dem vorliegenden Band beschriebenen nötigen Qualitätsstandards keineswegs etabliert – obwohl das Buch erstmals vor acht Jahren erschien. So ist ihm – fachpolitisch – weitere Verbreitung auf der Ebene der Fach- und Führungskräfte wie aber auch auf der Ebene der Entscheider_innen und Mandatsträger_innen zu wünschen. Gleichzeitig ist auch für eine 4. Auflage noch ‚Luft nach oben‘. Die gegenwärtigen Anforderungen in einer Gesellschaft der Vielfalt, aber auch die zivilgesellschaftlichen Beiträge des ASD, die nicht in den hier gesuchten kommunalen Horizonten aufgehen, wären sichtbarer zu machen, wenn es gelingen soll, das Profil des ASD zu schärfen und als – eben: gesellschaftlicher – Basisdienst mehr Profil zu gewinnen, und das vielleicht eben nicht in in Stein gehauener struktureller Differenzen und Uneindeutigkeiten, sondern eben in notwendigerweise funktional komplexen Strukturverhältnissen (vgl. Böwer 2005) seines Feldes.

Literatur

Ackermann, T./Robin, P. (2018): Partizipation, Akteure und Entscheidungen im Kinderschutz. Wie lassen sich hilfreiche Prozesse zwischen allen Beteiligten gestalten? In: Böwer/Kotthaus (Hrsg.): Praxisbuch Kinderschutz. S. 170–188

Böwer, M. (2005): Kooperation als Systemerhalt? Systemtheoretische Reflexion der Chancen gelingender Kooperation zwischen Sozialpädagogischer Familienhilfe und Jugendamt. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik. 3. Jg. Heft 2, S. 154–17

Böwer, M./Kotthaus, J. (2018): Praxisbuch Kinderschutz. Professionelle Herausforderungen bewältigen. Weinheim und München: Beltz Juventa

Bühler-Niederberger, D., Alberth, L., Eisenstraut S., (2014): Kinderschutz. Wie kindzentriert sind Programme, Praktiken, Perspektiven? München: Juventa.

Jagusch, B. (2018): Migrationsbiographien und Diversitätsbewusstsein im Kinderschutz. Sensibilität für Kulturalismus und Othering sowie Anregungen für die praktische Umsetzung. In: Böwer/Kotthaus (Hrsg.): Praxisbuch Kinderschutz. S. 207–221

Merchel, J./Pamme, H./Khalaf, A. (2012): Personalmanagement im Allgemeinen Sozialen Dienst. Standortbestimmung und Perspektiven für Leitung. Weinheim – Basel: Beltz Juventa

Thole, W./Galuske, M./Struck, N. (2000): Zukunft des Jugendamtes. München: Luchterhand

Rezension von
Prof. Dr. phil Michael Böwer
Dipl. Päd., Dipl. Soz.arb./Soz.päd., Professor für Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe/erzieherische Hilfen, Kath. Hochschule Nordrhein/Westfalen, Abteilung Paderborn, Fachbereich Sozialwesen
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ISSN 2190-9245