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Bruno Hildenbrand: Genogrammarbeit für Fortgeschrittene

Rezensiert von Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen, 10.10.2018

Cover Bruno Hildenbrand: Genogrammarbeit für Fortgeschrittene ISBN 978-3-8497-0242-7

Bruno Hildenbrand: Genogrammarbeit für Fortgeschrittene. Vom Vorgegebenen zum Aufgegebenen. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2018. 212 Seiten. ISBN 978-3-8497-0242-7. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

Bruno Hildenbrand fokussiert neben klassischen Ansätzen der Genogrammarbeit neue Aspekte. Ausführlich geht er auf Vornamen als „Deutungsressourcen“ und auf die Bedeutung der Geschwisterbeziehungen, wobei er die Weiterentwicklung der Genogrammarbeit als Ganzes im Blick behält. Die vorgestellten Konzepte fließen in ausführliche Fallbeispiele ein. Einen weiteren didaktischen Zugang bieten die Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Genogrammarbeit am Ende des Buches.

Der Autor stellt die Genogrammarbeit in den Kontext wissenschaftlicher Konzepte, er fokussiert u.a. Mustererkennungen und Sequenzanalysen. Er warnt vor einer Überinterpretation und voreiligen Schlussfolgerungen.

Autor

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand war bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 Professor für Sozialisationstheorie und Mikrosoziologie am Institut für Soziologie der Friedrich Schiller Universität Jena und arbeitet als Gastwissenschaftler an der Universität Kassel. Bis 2015 war er Dozent und Supervisor am Ausbildungsinstitut für systemische Therapie und Beratung Meilen in Zürich.

Entstehungshintergrund

Das Buch erscheint in der Reihe „Systemische Therapie und Beratung“ des Carl-Auer Verlages. Bruno Hildenbrand fasst seine langjährigen Erfahrungen auf dem Hintergrund seiner Tätigkeit als klinischer Soziologe und als Lehrender eines Ausbildungsinstituts und als Supervisor zusammen.

Aufbau

In die Thematik führt in einem Vorwort der Herausgeber der Buchreihe Tom Levold ein.

Das Buch gliedert sich in sechs Kapitel, mit jeweils einer Reihe von Unterkapiteln.

  • Im ersten ausführlichen Kapitel gibt der Autor eine Einführung in die Genogrammarbeit und stellt dabei seinen Ansatz theoretisch fundiert vor.
  • In den beiden nächsten Kapiteln geht Hildenbrand ausführlich auf die Deutungsmöglichkeit von Vornamen und die Bedeutung von Geschwisterbeziehungen ein.
  • Im vierten Kapitel werden Weiterentwicklungen der Genogrammarbeit und im fünften eine integrative Darstellung der vom Autor entwickelten Konzepte, am Beispiel einer Paarberatung zusammengefasst.
  • Im sechsten Kapitel geht er auf immer wieder gestellte Fragen von Theoretikern und Praktikern ein.

Im Anhang finden sich Hinweise für eine grafische Darstellung der Genogramme, ein Literatur-, Namens- und Personenverzeichnis.

Inhalt

Im ersten Kapitel stellt der Autor mit Hinweis auf Aspekte seines Lebensschicksals (ein Schlaganfall im Jahr 2012) seinen Ansatz vor, indem er zunächst einen Ansatz des Fallverstehens in der Begegnung im Kontext der Genogrammarbeit erläutert. Im Unterkapitel 1.4 geht er aus einer wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive auf das Verstehen, das Deuten und die Schwierigkeiten beim Mustererkennen ein. Die Aufgabe der Genogrammarbeit besteht für den Autor darin, die Sinnstrukturen der sozialen Matrix herauszuarbeiten, indem der Kontext erschlossen wird, der die Entwicklung des jeweiligen Falles bestimmt, um den Rahmen (Muster) zu erarbeiten, der die jeweiligen Entwicklungsräume beschreibt (S. 39). Für Hildenbrand heißt dies, dass die hier vertretene Form der Genogrammarbeit davon ausgeht, dass der Mensch sich in seine Zukunft hinein entwirft (S. 39f). Für Hildenbrand liegt dem Handeln ein Entwurf zugrunde, der in der Regel sorgfältig erwogen wird. Methodische Grundlage für diesen Prozess ist die Sequenzanalyse, bei dem immer nur so viel interpretiert wird, wie an Faktum vorhanden ist, um mögliche Entwicklung im Fall unbefangen gedanklich zu erschließen (S. 46). Im letzten Unterkapitel (1.11) beschäftigt sich der Autor mit weiteren wissenschaftlichen und philosophischen Grundlagen über das Deuten und Verstehen, ohne die aus seiner Sicht Genogrammarbeit nicht möglich sei, erforderlich sei ein Fallverstehen in der Begegnung, welches dem Einzelnen gerecht wird (S. 67)

Im zweiten Kapitel geht Bruno Hillenbrand ausführlich auf Vornamen als Deutungsressourcen ein. Diese Bedeutung führt Hildenbrand an einer Reihe von Beispielen aus, hierbei geht es u.a. auch auf die Spezifika der Vergabe von Vornamen in der ehemaligen DDR oder in der Begegnung von Kulturen ein.

Im dritten Kapitel gibt Hildenbrand zunächst einen Überblick über grundlegende Unterscheidungen in der Analyse von Geschwisterbeziehungen. Er betont, dass wir hier besonders hinsichtlich des Milieus und der historischen Epoche bei der Einzelfallbetrachtung die vielfältigen Familienentwicklungen individuell betrachten müssen. Die Betrachtung von Geschwisterbeziehungen würde ohne eine Einbeziehung der Familiendynamik nicht zielführend sein (S. 139).

Das vierte Kapitel thematisiert er Weiterentwicklungen der Genogrammarbeit, indem er den Einsatz in der Laufbahnberatung (ein Ansatz von Martin Hertkorn), einem Karrierecoaching vorstellt. Einen Vorteil dieses Konzepts sieht Hildenbrand insbesondere in der Verbindung mit praktischen Verfahren der Erwachsenenbildung.

Ausführlich stellt der Autor im fünften Kapitel seine integrative Darstellung der Genogrammarbeit an einem Fallbeispiel einer Paarberatung vor.

In dem letzten, dem sechsten Kapitel geht der Autor auf immer wieder gestellte Fragen von Praktikern und Theoretikern ein. Er beschäftigt sich u.a. mit der Frage, inwieweit kausale Zusammenhänge zwischen familiengeschichtlichen Mustern und dem Entstehen von Krankheiten zu entdecken sind. Hier zieht er das Fazit (S. 181), dass je unstrukturierter eine Familie in der Wahl ihrer Möglichkeiten erscheine, desto größer die Chance sei, dass Kinder aus diesen Familien von einem Psychiater als schizophren diagnostiziert werden. Andererseits lautet das Fazit (S. 182): „ Ex ante lassen sich keine Kausalzusammenhänge festlegen, ex post können wir Wirkungszusammenhänge beschreiben.“ In Bezug auf Ulrich Oevermann beschäftigt er sich mit der Frage, ob bei der Analyse des Genogramms bei der ältesten oder der jüngsten Generation begonnen werden sollte. Hier bilanziert er, dass ihn der Prozess des Werdens interessiert, er möchte nicht mit dem anfangen, was ist, sondern rekonstruieren was wird (S. 186).

Diskussion

Mit diesem Buch stellt ein bedeutsamer Forscher Aspekte der Genogrammarbeit in einem persönlichen Buch vor. Er nimmt beispielsweise Bezug auf seinen Lieblingsautor Camus oder lässt immer wieder neben persönlichen Anmerkungen philosophische und soziologische Quellen in seine Erläuterungen einfließen. Dies bedingt einen Wechsel der Ebenen und der Themen. Einerseits erlebte ich dies als anregend und interessant, andererseits wirkte es manchmal sprunghaft.

Manche Aussagen, zum Beispiel auf Seite 29 über die Genogrammarbeit in der Therapie von bipolaren Störungen erlebe ich als zu pauschal, obwohl der Autor mehrfach erwähnt, dass jeweils der Einzelfall zu betrachten ist.

In der Einführung in das zweite Kapitel über die Bedeutung der Vornamen teilt Hildenbrand mit, dass nach Untersuchungen zu 30 % der Vorname etwas über die Persönlichkeit des Trägers anzeigen würde. Die Schilderung der Beispiele wirkt jedoch so, als wenn dem Vornamen fast immer eine besondere Bedeutung zukommen würde. Mit der Analyse der Vornamen weist Hildenbrand auf einen Aspekt hin, dem in der Literatur, anders als in der Praxis bisher wenig Bedeutung zukommt.

Hildenbrand versteht sich selbst als Grenzgänger der Genogrammarbeit (S. 156), der vorwiegend als Soziologe an Universitäten, in der Fortbildung und zudem regelmäßig in der Praxis von Beratung und Therapie von landwirtschaftlichen Betriebsberatern tätig war. Er selber bezeichnet sich als klinischer Soziologe. Der Aussage des Autors, dass von diesen Grenzgängertum manches seinem Weg in das Buch gefunden hat, beschreibt wohl am zutreffendsten die Schwerpunkte dieses Buches.

Fazit

In diesem persönlichen Buch stellt Bruno Hildenbrand interessierten LeserInnen bedeutsame Aspekte der Genogrammarbeit vor, die Schwerpunkte liegen in der Erläuterung von wissenschaftlichen und philosophischen Aspekten und in der Fokussierung der Bedeutung von Vornamen und der von Geschwisterbeziehungen. Insoweit ist dieses Buch m.E. keine Einführung für EinsteigerInnen in die Genogrammarbeit, sondern Praktikern als ergänzende und kenntnisreiche Anregung zu empfehlen.

Rezension von
Prof. Dr. rer. pol. Jürgen Beushausen
studierte Soziale Arbeit und Erziehungswissenschaft und absolvierte Ausbildungen als Familientherapeut und Traumatherapeut und arbeitet ab 2021 als Studiendekan im Masterstudiengang „Psychosoziale Beratung in Sozialer Arbeit“ an der DIPLOMA Hochschule
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Es gibt 71 Rezensionen von Jürgen Beushausen.

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Zitiervorschlag
Jürgen Beushausen. Rezension vom 10.10.2018 zu: Bruno Hildenbrand: Genogrammarbeit für Fortgeschrittene. Vom Vorgegebenen zum Aufgegebenen. Carl Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2018. ISBN 978-3-8497-0242-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24889.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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