Dieter Rink, Annegret Haase (Hrsg.): Handbuch Stadtkonzepte
Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 14.03.2019

Dieter Rink, Annegret Haase (Hrsg.): Handbuch Stadtkonzepte. Analysen, Diagnosen, Kritiken und Visionen.
UTB
(Stuttgart) 2018.
494 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4955-7.
D: 39,99 EUR,
A: 41,20 EUR,
CH: 48,70 sFr.
Reihe: UTB - 4955.
Thema
Inzwischen kursieren auch in der wissenschaftlichen Diskussion Stadtbegriffe, die einerseits Städte in ihrem eigenen je spezifischen Charakter beschreiben wollen und die andererseits auf spezifische gesellschaftliche Prozesse aufmerksam machen wollen, in deren Logik Städte eingebunden sind und auf Grund dieser Logik einen spezifischen Charakter aufweisen. Daraus ergeben sich Stadttypen, die neben den Grundstrukturen und -entwicklungen, die eine Stadt ausmachen und vom Dorf unterscheiden, auf bestimmte dominante Merkmale abheben, die Städte zu einem verbinden und andererseits auch zu anderen Städten mit einer anderen Prägung abgrenzen. Die Konturen sind dabei nicht immer ganz klar und deshalb fällt es oft schwer, typische Prozesse in den Städten oder Entwicklungen der Städte als so dominant zu erkennen, dass sie auf einen besonderen Typus der Stadt verweisen.
Herausgeberin und Herausgeber
Prof. Dr. Dieter Rink ist Stellvertretender Leiter des Departments Stadt- und Umweltsoziologie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig.
Dr. Annegret Haase ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Stadt- und Umweltsoziologie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig.
Aufbau
Das Buch enthält 23 Beiträge, einen ausführlichen Index und ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. Diese Beiträge orientieren sich alle mehr oder weniger an dem gleichen Muster. Nach einer Einleitung folgen Begriff und Inhalt des jeweiligen Stadtkonzepts, Entwicklung des Konzepts, Einfluss auf Planung und Politik, Kritik, Diskussion und Weiterentwicklung, Fazit und Ausblick.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Stadtkonzepte – die Idee des Bandes (Dieter Rink, Annegret Haase)
D. Rink und A. Haase begründen in ihrem Einleitungskapital die Absicht ihres Buches. Es geht um die Systematisierung vorliegender Stadtkonzepte und um deren Darstellung unter einheitlichen Gesichtspunkten. Dabei verstehen sie Stadtkonzepte als Analysen und Diagnosen aktueller Stadtentwicklungen, als Prognosen unerwünschter Entwicklungen und als Programmatiken und Visionen einer anderen, besseren Stadt. Damit ist ein breites Verständnis von Stadtentwicklung beabsichtigt. Stadtkonzepte erfüllen auch sehr verschiedene Funktionen; es sind keine planerischen Leitbilder, auch werden ältere Konzepte nicht aufgegriffen wie zum Beispiel die Fordistische Stadt; es geht auch nicht um Labels mit denen Städte im Stadtmarketing werben, auch nicht um Utopien oder bloße Beschreibungen.
Die Autorin und der Autor gehen dann auf den Stadt der Forschung und des Wissens ein erläutern den Aufbau und die Struktur des Bandes und erläutern kurz den Inhalt der einzelnen Beiträge.
Austerity Urbanism (Frank Eckardt)
Bei dem Konzept des Austerity Urbanism handelt es sich um den Aspekt der fiskalpolitischen Verfasstheit einer Stadt. Es geht also nicht um die städtebauliche Gestaltung und um stadtplanerische Perspektiven; vielmehr sind die finanz- und wirtschaftspolitische Verfasstheit und die Verschuldung das Zentrum der Stadtanalyse. Eckardt beschreibt zunächst auch den konzeptionellen Inhalt dieses Ansatzes vor dem Hintergrund der dazu zur Verfügung stehenden Literatur und ordnet dann das Konzept in die neueren finanzpolitischen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge ein.
Der Autor beschäftigt sich dann mit der Weiterentwicklung des Konzepts im Kontext der neueren Entwicklung von Governance, der Partizipation und den neuen Formen der Staatlichkeit. Es geht dabei um eine Politisierung des Konzepts, vor der die Städte zwangsläufig stehen. Dabei geht Eckardt auf die spezifisch deutsche Situation des Verhältnisses von Bund, Ländern und Kommunen ein. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage virulent, wie einheitlich Lebensverhältnisse in den Städten vor dem Hintergrund der unterschiedlichen finanziellen Ausstattung der Länder und des Finanzausgleichs geschaffen werden können.
Cittalow (Ariane Sept)
Es geht um das 1999 gegründete transnationale Städtenetzwerk Cittaslow – internationale Vereinigung der lebenswerten Städte. Dieses Netzwerk will die Ideen des Slow Food auf die Stadtentwicklung übertragen. Entschleunigung der Stadtlebens, nachhaltige Stadtentwicklung, Gastfreundschaft, regionale Wirtschaft und die Neuinterpretation lokaler Traditionen machen den Kern dieses Konzept aus; weiter soll eine Verbindung ländlicher Qualitäten mit der Urbanität der Städte und ihren Vorteilen hergestellt werden. Das beschreibt die Autorin zunächst auch ausführlich an Hand der Literatur und geht dann auf den Stand der aktuellen Entwicklung ein: 230 Städte haben sich als Cittaslow zertifizieren lassen.
Das Konzept muss vor dem Hintergrund der negativ empfundenen Auswirkungen der Globalisierung in den italienischen Städten gesehen werden. Es war mehr als ein Konzept, es war ein Netzwerk, das sich zwei Jahre später als Verein organisatorisch verortete. Und es wurde in vielen Klein- und Mittelstädten auch ein Leitbild der Stadtentwicklung. Es diente als Instrument der Förderung der regionalen Wirtschaft und hat Einfluss auf die Entwicklung des Tourismus. Die Autorin geht dann ausführlicher auf die wissenschaftliche Literatur ein und kategorisiert diese in fünf Bereichen: Explorativ-deskriptive Arbeiten, Arbeiten zu Einzelthemen, Studien im Bereich des Tourismus und des Stadtmarketing, Qualifikationsarbeiten (Bachelor/Master) und ethnographische Arbeiten.
Diverse City (Nina Schuster)
Eigentlich gehört Diversität konstitutiv zur Stadt. Insofern irritiert auch die Autorin die Diskussion um die Diverse City. Nun ist mit Diversität nicht nur die Unterschiedlichkeit und Heterogenität der Stadtbewohnerschaft gemeint. Vielmehr verbinden wir damit auch die Debatte um soziale Ungleichheit in der Stadt, um Ausgrenzungs- und Marginalisierungsprozesse und um ethnische Vielfalt, die zwar mit Chancen, aber auch mit Problemen verbunden ist. Darauf geht die Autorin zunächst auch ein, wenn sie auch das Spannungsverhältnis von Diversität und Differenz diskutiert. Diversität führt dann zur Differenz, wenn andere Akteure differenzieren.
Heterogenität wird auch als Potenzial verstanden. Die Unterschiedlichkeit der Lebensstile, Verhaltensmuster, Präsentations- und Kommunikationsformen führt einerseits zu Widersprüchen, Ambiguitäten und Kontingenzen, bezieht sich aber auch auf Formen des Umgangs miteinander, die wir in der Regel mit Urbanität verbinden. Da sieht die Autorin in der sozialwissenschaftlichen Forschung eher einen verengten Blick, wenn Diversität nur mit ethnischer und kultureller Zugehörigkeit verbunden wird. Dies erörtert sie an Hand von sozialräumlicher Segregation und den damit verbundenen benachteiligenden Wirkungen benachteiligter Quartiere, unter dem Aspekt der Arrival City für Zugewanderte und unter dem Aspekt der sozialen Mischung.
An die Planung und die Politik sieht die Autorin bestimmte Anforderungen gestellt, wenn es um Integrationskonzepte geht, wenn der Zusammenhang zu Konzepten der Creative City hergestellt wird, wo es um die Vielfalt der Zusammensetzung der Stadtbewohnerschaft geht, und wenn es um Zufluchtsstädte (Sanctuary Cities) geht, die ihre eigenen Regelungen der Zuwanderung entwickelt haben und das unabhängig von den jeweiligen Staatsregierungen.
Europäische Stadt (Florian Koch)
Die Eurozentriertheit des Blickwinkels auf die Stadt hat eine lange Tradition und der Autor konstatiert, dass in diese Diskussion Bewegung gekommen ist. Angesichts der Veränderungen der ökonomischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Städte sich heute entwickeln, hat sich nicht nur der Charakter der europäischen Stadt verändert; auch der europäische Blick auf die Stadtformen anderer Kulturkreise weitet sich.
Der Beitrag beschäftigt sich mit den wesentlichen Forschungstraditionen. So wird Max Webers Stadt des Mittelalters mit ihren Merkmalen vorgestellt und kritisch gewürdigt. Weiter wird die Europäische Stadt als kollektiver Akteur vorgestellt; ein Konzept, das sich im Kontext der neo-weberianischen Diskussion entwickelt hat. Mit dem Begriff des kollektiven Akteurs verbindet der Autor die Tatsache, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Gruppierungen in der Stadt Einfluss auf die von politischen Vertretern zutreffenden Entscheidungen Einfluss nehmen will. Dies diskutiert der Autor an Hand von Studien ausführlich. Der Autor geht dann auf die von W. Siebel herausgearbeiteten Merkmale der Europäischen Stadt ein, macht aber darauf aufmerksam, dass diese nicht nur für die europäischen Städte gelten. Weiter behandelt er die Europäische Stadt aus der postkolonialen Perspektive und betrachtet die Europäische Stadt als politische Agenda. Zum Schluss diskutiert der Autor noch die Funktionen der Stadt, geht auf die Funktion der Sozialstaatlichkeit ein und nennt Governance und sozialer Stadtentwicklung als Charakteristika der Europäischen Stadt.
Feminismus und Stadt (Sandra Huning)
Die Autorin setzt sich mit der feministischen Stadtentwicklungspolitik auseinander und diskutiert die Stadt- und Planungskritik, die sich gegen ein technokratisches Verständnis von Planung und Stadtentwicklung richtete und die sich auf die Handlungsfelder Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung, Wohnungs- und Wohnumfeldgestaltung, Mobilität und Sicherheit sowie Freiräume und Sicherheit bezog. Dies wird ausführlich entfaltet und mit Literatur unterlegt sowie räumlich und zeitlich eingeordnet, wobei auch auf die ehemalige DDR eingegangen wird.
Sandra Huning fragt dann nach dem Einfluss feministischer Stadtanalysen auf die Planung und die Politik. Sie sieht diesen Einfluss in mindestens zwei Punkten. Seit den 1970er Jahren setzen sich Planungsverfahren durch, die auf kommunikative und partizipative Prozesse Wert legen und die Betroffenen in die Planung mit einbeziehen. Zum anderen meint die Autorin, dass es der Zweiten Frauenbewegung gelungen sei, die Benachteiligung von Frauen zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema zu machen.
Globale Stadt (Stefan Krätke)
Einleitend diskutiert der Autor den Begriff und den Prozess der Globalisierung und den Beginn und Anlass, über Globalisierung und Global Cities nachzudenken und zu forschen. Das Konzept der Global City ist ein polit-ökonomisches Konzept. Maßgeblich bestimmend sind die soziale und ökonomische Entwicklung der Stadt sowie ihre strukturellen Veränderungen ihrer Stellung und Funktion im Rahmen der weltweiten Arbeitsteilung. Der Autor stellt die analytischen Grundlagen des Konzepts vor und geht dabei auf zentrale Studien und Forschungen ein; er diskutiert weiterhin das klassische Modell einer funktional-räumlichen Arbeitsteilung im internationalen Kontext und die funktionalen Rangordnungen des Städtesystems.
Weiter erläutert Krätke eine andere Forschungslinie: die Analyse des Weltstadt-Netzwerks und die inter-urbanen Verbindungslinien in einem globalen Städtesystem jenseits der führenden Global Cities wie New York, London oder Tokyo.
Er beschreibt dann die Bedeutung globaler Netzwerke der Industrie bei der Formierung globaler Städte und kommt dann zu sozialräumlichen Aspekten und zur Herausbildung transnationaler Räume. Dabei kommt es nicht nur auf die wirtschaftliche Entwicklung der Städte an, sondern auf kulturelle, soziale und demographische Aspekte. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Global City eine sozialkulturell und sozialräumlich fragmentierte, wenn nicht sogar gespaltene Stadt.
Grüne Stadt (Dagmar Haase)
Es geht um die Idee einer Grünen Stadt, deren zentraler Ausgangspunkt das Verhältnis der Stadtbewohnerschaft zur Natur ist, und die auch das Verhältnis der städtebaulichen Gestaltung der Stadt zu den verschiedenen Ökosystemen betrachtet. Die Bebauung von Grünflächen, der Verkehr, die Nahversorgung der kurzen Wege, Wohngebiete mit Einfamilienhaus-Bebauung oder Geschosswohnungsbau – all das sind Themen, die mit der Beeinflussung von Ökosystemen zu tun haben und auf die sich die Autorin bezieht, wenn sie definitorisch zunächst die Grüne Stadt erfasst. Die Grüne Stadt ist als Konzept auch nur im Kontext bestimmter anderer Stadtkonzepte denkbar; eine Stadt kann nicht nur alleine Gründe Stadt sein oder sich so präsentieren. Die Grüne Stadt ist auch eine Stadt der Nachhaltigkeit oder eine Smart City; sie ist es aber nicht als Industriestadt.
Die Autorin zeichnet die historische Entwicklung der Grünen Stadt nach, die am Ende des 19. Jahrhunderts mit der Gartenstadt (Dresden Hellerau) ihren Anfang nimmt ( sie wird wenig später auch beschrieben) und deren Bogen nach dem Zweiten Weltkrieg über die offene Stadt, das suburbane Leben am Rande der Städte bis zu heutigen Wohnideen reicht.
Die Autorin beschreibt dann die urbane Realität der Grünen Stadt, geht dann auf die Planung und Politik der Grünen Stadt ein, die für die Autorin bereits im 17. Jahrhundert beginnt. Die heutige Stadtplanung und -entwicklung hat die Grüne Stadt inzwischen akzeptiert; allerdings ist der Wissensstand über die verschiedenen Wirkungen urbanen Grüns noch lückenhaft.
Just City (Katrin Großmann)
Was ist eine gerechte Stadt? Mit dieser Frage beschäftigt sich K. Großmann einleitend. Fragen nach einer legitimen Ordnung, die Missstände anprangert, geraten immer mehr ins Zentrum von Stadtentwicklungsdiskursen. Dabei werden bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse ebenso kritisiert wie die stetig wachsende soziale Ungleichheit, die sich in der sozialräumlichen Verteilung der Bevölkerung Ausdruck verschafft. Diese Debatte wird ausführlich entfaltet, wobei zwei Prominente der Stadtkritik – Harvey und Lefebvre – Paten stehen.
Bei der Ausformulierung der Prinzipien einer gerechten Stadtentwicklung lehnt sich die Autorin an Entwicklungen wie die „Recht-auf-Stadt-Bewegung“ und andere Diskurse an. Ausführlicher geht sie auf Fainstein ein, die in ihren Arbeiten drei Prinzipien besonders hervorhebt: Gleichheit, Diversität und Demokratie. Dies wird ausführlich diskutiert.
Ist eine kommunikative (und auch partizipative?) Planung auch eine gerechte Planung? Geht Gerechtigkeit nur außerhalb des Kapitalismus oder auch innerhalb? Kann Stadtplanung in der kapitalistischen Gesellschaft zu gerechter Stadtentwicklung beitragen? Diese Fragen werden ausführlich und engagiert bearbeitet. Anschließend geht es noch um die „räumliche“ Gerechtigkeit der Stadt, also um die Frage, wie gerecht sich die Wohnbevölkerung einer Stadt verteilt und Zugang zu unterschiedlich bewerteten Wohnquartieren und öffentlichen Räumen hat.
Kreative Stadt (Janet Merkel)
J. Merkel befasst sich einleitend mit dem Leitbild der Kreativen Stadt, die seit der Veröffentlichung Richard Floridas für Städte zu einem „Muss“ des Stadtmarketings und auch der Stadtentwicklung geworden ist. In der Tat kommt es auf bestimme Wirtschafsbereiche und Berufsgruppen an, für die die Stadt attraktiv genug ist, um sich dort niederzulassen und ihre Kreativität zu entfalten. Es geht also nicht nur um den wirtschaftlichen Nutzen, der damit verbunden ist, sondern in der Tat um schöpferisches Gestalten und um soziale und kulturelle Auswirkungen, die mit der Führung eines bestimmten Lebensstils dieser Gruppen, aber auch anderer Gruppen verbunden ist, die in einem spezifischen Bildungs- oder sozialen Milieu angesiedelt sind. Das Leitbild wird zunächst erörtert, um dann auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Entstehung einzugehen. Zwei Rahmenbedingungen werden zunächst genannt und erörtert:
- der ökonomische Strukturwandel hin zu einer postindustriellen Stadt, in eine Stadt der Dienstleistungen- und Wissensökonomie,
- das Anwachsen wirtschaftlicher Bereiche, in denen kulturelle Güter mit einem hohen ästhetischen und semiotischen Inhalt produziert werden.
Daraus entwickelt Merkel unterschiedliche Perspektiven der Kreativen Stadt wie die
Perspektive der Stadtplanung, in der eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren strategisch mit einander verbunden sind, die konsumorientierte Perspektive, in der Urbanität zum entscheidenden Standortfaktor wird, oder die produktionsorientierte Perspektive, bei der die spezifischen Organisations- und Produktionsbedingungen der Kultur- und Kreativwirtschaft im Vordergrund stehen. Es geht dann noch um kreative Städterankings und internationale Städtenetzwerke und um Dimensionen der Kreativen Stadt.
Megastadt (Sigrun Kabisch, Frauke Kraas)
In diesem Beitrag werden Konzepte und Entwicklungspfade von Megastädten im Kontext von weltweit bedeutenden Urbanisierungsprozessen und globalen Wandlungen diskutiert.
Zunächst erörtern die Autorinnen den Megatrend der Urbanisierung, der sich mit einem überdimensionalen Zustrom in urbane Räume und der damit verbundenen Flächenbeanspruchung an den Stadträndern einerseits und einer baulichen Verdichtung in den Innenstadtbereichen andererseits zeigt. Damit verbunden sind eine hohe Konzentration von Arbeit, Produktion und Dienstleistungsangeboten und eine Verdichtung unterschiedlichster Lebensstile, die zu einer gravierenden Veränderung der Formen des Zusammenlebens in der Stadt führen. Dabei weisen die beiden Autorinnen auf die Definitionsschwierigkeiten hin, die mit der Größe und der Dichte eines urbanen Gesellschaftsprozesses von Megacities verbunden sind. Diese Prozesse werden ausführlich diskutiert; es wird auch auf das Nord-Süd-Gefälle verwiesen und die Entwicklung seit Mitte des 20. Jahrhunderts nachgezeichnet.
Anschließend diskutieren die Autorinnen die Bedeutung der Megastadt als Ankunftsstadt; Menschen, die in die Megastadt kommen, verbinden ja mit ihrer Ankunft auch Hoffnungen und Visionen eines besseren Lebens.
Eine interessante Entwicklung der großen Megastädte ist die Informalität als Existenz- und Überlebensmuster, auch als Handlungsmuster der Selbsthilfe und Selbstorganisation gesellschaftlicher Gruppen, die in der Normalität und ihren institutionellen Rahmenbedingungen nicht zurechtkommen. Das bezieht sich sowohl auf die Siedlungsformen als auch auf Lebensstile. Ein weiterer Prozess ist die sozialräumliche und damit auch soziale Fragmentierung der Megastadt, die keine City als zentralen Bezugspunkt mehr kennt, auf das sich das urbane Leben kulturell und strukturell bezieht. Wohnviertel schotten sich ab oder werden abgeschottet; es entstehen Gated Communities mit ihren eigenen kulturellen und sozialen Behaviour Settings.
Nachhaltige Stadt (Dieter Rink)
Einleitend stellt Rink fest, dass Nachhaltigkeit als politisches Leitbild der Städte zum zentralen Leitbild geworden ist und dass Nachhaltigkeit in den Städten dieser Welt entschieden wird. Der Hintergrund ist die Nachhaltigkeitsdebatte, die 1987 von den Vereinten Nationen angestoßen wurde. In der Konferenz der Vereinten Nationen von Rio de Janeiro verpflichteten sich 170 Staaten, das Konzept der Nachhaltigkeit (Sustainable Development) umzusetzen. Dieser Prozess wird erst einmal beschrieben, um dann das Konzept der Nachhaltigen Stadt vorzustellen. Dabei konstatiert der Autor ein Defizit, wenn man die Stadtentwicklungskonzepte der Städte anschaut. Der Autor beschreibt die Entwicklung des Begriffs Nachhaltigkeit in der Literatur und wissenschaftlichen Diskussion. Er stellt dabei ein Drei-Säulen-Modell vor, in dem die ökonomische Säule, die ökologische Säule und die soziale Säule in einem integrierten Handlungskonzept miteinander verflochten sind.
Anschließend wird erörtert, welchen Einfluss dieses Konzept auf die Planung und die Politik hat. Dabei wird für Deutschland auf die Agenda 21 Bezug genommen, und für Europa auf die Charta von Aalborg und auf die Charta der Europäischen Städte und Gemeinden auf dem Weg zu Zukunftsbeständigkeit.
Neoliberale Stadt (Sebastian Schipper)
Das Konzept der Neoliberalen Stadt knüpft an die Analyse David Harveys an. Durch dieses Konzept ist es möglich, die unternehmerisch agierende Stadt gesellschaftstheoretisch analysieren und kritisieren zu können, Prozesse der Vermarktlichung, Liberalisierung und die Infragestellung wohlfahrtsstaatlicher Instrumente und die Ausrichtung des Verwaltungshandelns an betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien zu analysieren und kritisch zu befragen. Im Folgenden beschreibt Schipper dann das Verhältnis von Markt und Staat als eine spezifische Transformation von Staatlichkeit, in der Markt und Wettbewerb als Steuerungsmechanismen beschrieben werden, deren Funktionsweise durch den Staat mit Hilfe indirekter Interventionen reguliert wird. Es gibt dann auch keinen gesellschaftlichen Bereich mehr, der nicht durch die ökonomische Logik und Rationalität erfasst wird. Dies wird kritisch analysiert und auf die Stadtpolitik hin beleuchtet. Der Autor geht dann auf den Wettbewerb der Städte als Politisches Projekt ein, diskutiert dann die Unternehmerische Stadt im Wettbewerb selbsterfüllender Prophezeiung, in dem Städterankings von besonderer Bedeutung für die Selbstdarstellung und die Selbstvergewisserung der Städte sind.
Postpolitische Stadt (Philippe Koch, Ross Beveridge)
Die Postpolitische Stadt ist keine Stadt, in der das Politische keine Bedeutung mehr hat. Vielmehr ist es eine Stadt, der die eigentliche Politik abhanden gekommen ist. Das Konzept der Postpolitischen Stadt beschäftigt sich einmal mit dem politischen Unterschied zwischen dem Politischen und der Stadtpolitik. Zweitens befasst sich das Konzept mit der Frage, ob die vorherrschende (neoliberale) Ökonomisierung der Stadt zur Entpolitisierung des Politischen beigetragen hat und ob eine normative Alternative von Stadtpolitik das Politische zurückholen kann. Im Rückgriff auf die bestehende Literatur diskutieren die Autoren den zeitdiagnostischen Hintergrund im Rückgriff auf Swyngedouw, der die ersten Beiträge zur Postpolitischen Stadt verfasst hat. Die Frage steht dabei im Raum, ob angesichts augenblicklicher Entwicklung des Politischen in der Stadt eine Repolitisierung des städtischen Raums möglich ist.
Die Autoren stellen dann eine theoretische und konzeptionelle Einordnung des Konzepts vor. Dabei ist die politische Differenz zwischen Politik und dem Politischen eine zentrale Argumentationslinie. Das Politische ist kontingent, temporär und unabgeschlossen, ist also offen für mögliche Alternativen und steht immer wieder zur Disposition. Die wird ausführlicher entfaltet, bevor der Einfluss des Konzepts auf die Planung und die Politik diskutiert wird. Dabei stellt sich die Frage, welchen Beitrag Verwaltung und Planung zur Repolitisierung beitragen können, etwa durch das Aushandeln von Entscheidungen mit den „Beplanten“ oder den Bürgerinnen und Bürgern.
Postsäkulare Stadt (Stephan Lanz)
Es geht in diesem Konzept um das Verhältnis von Stadt und Religion. Moderne Urbanität – so der Autor – wurde Jahrzehnte lang in den Urban Studies zwangsläufig als säkular beschrieben. Großstädte galten den konservativen Großstadtkritiken seit dem 19. Jahrhundert ohnehin als unreligiös und unmoralisch.
Zunächst befasst sich der Autor mit dem Verhältnis von Stadt und Religion, das auf eine neue Weise thematisiert wird. Urbane Modernität wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer auch als eine säkulare Modernität verstanden. Urbanisierungsprozesse in den letzten Jahren lassen allerdings die Annahme zu, dass neue religiöse Bewegungen in den Städten entstanden sind. Dies wird ausführlich diskutiert.
Anschließend wird das Konzept der Postsäkularen Stadt vorgestellt, wie es sich in verschiedenen Studien darstellt. Zwei Aspekte seien hervorgehoben. Einmal gibt es eine Vielfalt religiöser, humanistischer und säkularistischer Positionen, die aber nicht mit einem Multikulturalismus verwechselt werden dürfen. Und zum anderen wird angenommen, dass diese analytische Definition der Postsäkularen Stadt verschmilzt mit einer normativen Idee einer emanzipatorischen Kraft, die den Widerstand speist gegen die Folgen einer neoliberalen kapitalistischen Politik und Wirtschaft. Dies wird auf der Basis bestehender Literatur ausführlich diskutiert.
Fragt man nach der empirische Verwendung des Konzepts, kann zunächst konstatiert werden, dass eine Vielzahl religiöser Organisation in unterschiedlichen sozialen, gesundheitlichen und bildungsbezogenen Bereichen der Stadt wirken. Des Weiteren kann das bürgerschaftliche Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure auf lokaler Ebene religiös und humanistisch begründet werden. Die wird an Hand von Studien erläutert.
Postsozialistische Stadt (Kiril Stanislov)
Eigentlich erst im Zuge des globalen Transformationsprozesses nach dem Zusammenbruch sozialistischer Gesellschaften zu Beginn der 1990er Jahre wurde das Thema der postsozialistischen Stadt virulent. Dabei spielen unterschiedliche Transformationspfade eine Rolle, die auch zu unterschiedlichen Definitionen der Postsozialistischen Stadt geführt haben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Funktionen der Städte im Sozialismus in den jeweiligen sozialistischen Gesellschaften auch zu unterschiedlichen Einschätzungen der Stellung der postsozialistischen Stadt beigetragen haben. Die thematisiert der Autor zunächst auch, bevor er zu einer historischen Betrachtung der Postsozialistischen Städte übergeht. Interessant ist dabei auch, dass diese Einschätzungen vor dem Hintergrund der Abkehr von sozialistischen Konzepten und Vorstellungen urbaner Entwicklungen entstanden sind. Auch haben seitdem Urbanisierungsprozesse in Osteuropa in einem bisher nicht gekannten Ausmaß stattgefunden.
Die sozialistische Stadt hatte eine andere sozialräumliche Struktur als westliche Städte. Sie kannte keine sozialräumliche Verteilung der Bevölkerung nach Kriterien den Zugangs zu Wohnungsmärkten oder des sozialen Status, sie hatte eine andere Wohndichte und anders gestaltete und strukturierte öffentlichen Räume und sie kannte keinen privaten Sektor, der sich in den Innenstädten unter Wettbewerbsbedingungen entfalten konnte. Die eher neoliberale Transformation ist diesen Rahmenbedingungen geschuldet. Einige dieser Folgen werden referiert. Zum Schluss wird die Zukunft der Postsozialistischen Stadt kurz angesprochen.
Recht auf Stadt (Andrej Holm)
Henri Lefebvres Überlegungen zum Recht auf Stadt bilden in der Regel den Ausgangspunkt vieler theoretischer Ansätze und Initiativen, die ein Recht auf Stadt reklamieren. Der Autor weist darauf hin, dass Lefebvre dieses Recht auf Stadt als einen allgemeinen Anspruch auf einen städtische Lebensweise verstanden hat, von der man nicht ausgeschlossen werden kann. Das Konzept verweist somit auf den Tatbestand, dass nicht alle die gleichen Zugangschancen zur Stadt und zu Handlungsmöglichkeiten durch die Stadt und die damit implizierten Konflikte erhalten. A. Holm referiert zunächst einleitend diesen Tatbestand und geht dann über zum begrifflichen und konzeptionellen Inhalt, der mit diesem Recht auf Stadt verbunden ist. Das Konzept verstehen viele Bewegungen als Legitimationsmaßstab und Orientierung gegenüber einer Stadtpolitik und es ist ein Instrument zur Analyse einer kritischen Stadtforschung. Damit wird auch oft die Frage verbunden, wem die Stadt gehört. Es geht um eine Art Wiederaneignung des städtischen Raums, soweit er irgendwann mal als öffentlicher Raum auch im Besitz der gesamten Bewohnerschaft einer Stadt war, zu dem jeder Zutritt hatte.
Ein anderer Argumentationsstrang gründet in der Frage nach den Eigentumsverhältnissen und damit auch Machtverhältnissen in der Stadt, was z.B. mit dem Zugang zum Wohnungsmarkt und den dort handelnden Akteuren verbunden ist. Und eine weitere Ebene ist das Recht auf Integration in die Stadt und durch die Stadt und den Bedingungen sozialer und kultureller Differenz, die schließlich typisch für die Stadt ist. Das wird ausführlich erörtert, um dann das Konzept in die heutige Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung einzuordnen.
Resiliente Stadt (Christian Kuhlicke)
Mit dem Begriff der Resilienz verbinden wir eher einen psychologischen Ansatz, der die Widerstandsfähigkeit von Menschen und ihrer Fähigkeit, der Bearbeitung von Krisen beschreibt. In dem hier zur Debatte stehenden Kontext wird diese Fähigkeiten auch Städten zugesprochen. Dabei gerät der Begriff der Resilienz in die definitorische und analytische Nähe zum Begriff der Nachhaltigkeit, was der Autor einleitend anmerkt. Er beschreibt anschließend die Resiliente Stadt als Forschungsfeld, erläutert den Weg von einer ökologischen zu einer sozial-ökologischen Resilienz im Rückgriff auf die vorhandene Literatur und ordnet anschließend die Diskussion idealtypisch in fünf Autorengruppen ein, was in einer Tabelle sehr anschaulich dargestellt wird. Die Merkmale einer resilienten Stadt werden ebenfalls tabellarisch erläutert. Die kritische Auseinandersetzung mit Resilienz ist mit den Fragen verbunden, ob Resilienz ein simplifizierendes Narrativ ist, wie urbane Räume entgrenzt bedroht sind, ob Resilienz eine Möglichkeit ist, sich dem sich zu wiedersetzen und ob der Bezug zur Ökologie nicht eher die Resilienzproblematik entpolitisiert.
Reurbanisierung (Stefan Siedentop)
Nachdem die Stadt totgesagt wurde, erleben wir derzeit eine Art Zeitenwende. Die Stadt als Daseinsform wird wiederentdeckt; Reurbanisierung wird zu einem neuen Modus der Stadtentwicklung. Damit setzt sich der Autor zunächst auseinander, um dann das Verständnis – oder besser: die Verständnisse – von Reurbanisierung vorzustellen. Neben der gestiegenen Attraktivität der Innenstadt und der citynahen Wohnquartiere für „urban-affine“ Bevölkerungsgruppen wird die Stadt als Wohn- und Arbeitsplatz wieder attraktiver. Nach dieser Diskussion kommt der Autor zu dem Schluss, dass Reurbanisierung ein multidisziplinäres Konzept ist, das Interdisziplinarität in der wissenschaftlichen Diskussion erforderlich macht. Der Autor stellt dies auch in einer Tabelle anschaulich dar, welche der Disziplinen daran beteiligt werden sollten. Weiter referiert er diesbezüglich die historische Entwicklung, die in Deutschland mit dem Aufbau der kriegszerstörten Städte beginnt und eng verbunden ist mit der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungspolitik der 1960er Jahre. Die weitere Entwicklungsphase ist durch den sozialen Wandel, speziell der sozialen Ungleichheit in den Großstädten verbunden, die sich auch sozialräumlich in Segregationsprozessen widerspiegelt. Schließlich findet ein anderer Diskurs in den Wirtschaftswissenschaften statt; es geht um unternehmerische Standortwahl, Beschäftigungseffekte und die Wanderung und die Wohnstandortentscheidungen von Haushalten. Weiter stellt er die Kontroversen in der Diskussion um die Ursachen der Reurbanisierung dar: Universelle vs. regional kontext-spezifische Ursachen, Angebots- oder nachfrageseitige Ursachen, die Stadt als Ort der Produktion oder des Konsums und Struktureffekte vs. Verhaltensänderungen.
Schrumpfende Stadt (Annegret Haase)
Schrumpfung ist inzwischen zu einem allgemeinen Entwicklungsmodus von Städten geworden – und das nicht nur in Deutschland oder den Vereinigten Staaten; schrumpfende Städte gibt es überall auf der Welt – so die Autorin einleitend. Die Herausforderungen ungleicher Stadtentwicklungsprozesse und regionaler Disparitäten sind unübersehbar. Was es für eine Stadt bedeutet, für eine schrumpfende Bevölkerung eine kollektive Daseinsvorsorge vorzuhalten, Sicherheit zu organisieren, öffentliche Räume zu besetzen und zu gestalten u. ä. m. ist schnell einsichtig. In Ostdeutschland konstatiert die Autorin noch eine andere Entwicklung: Was bedeutet es, mehr Raum zur Verfügung zu haben und diesen strukturverändernd zu gestalten? Das kann auch eine Chance für die schrumpfende Stadt sein. Nach einer Annäherung an Definitionsmerkmale beschäftigt sich die Autorin mit den Ursachen, Folgen und regionalen Besonderheiten der Schrumpfung. Eine der zentralen Ursachen liegt in den Strukturveränderungen in den Städten z.B. zur postindustriellen Stadt und den damit verbundenen ökonomischen Krisen, was zu einer Schrumpfung der Bevölkerung führt. Regionale Besonderheiten sind nicht einheitlich. Im Zentrum steht oft der demographische Wandel, der mit Wohnungsleerstand und den damit verbundenen Folgen der Verwahrlosung und Verslumung von Wohnquartieren. All dies wird ausführlich erläutert.
Der Diskurs zur Schrumpfenden Stadt wird von der Autorin wie folgt skizziert: Stadtschrumpfung hat sich als eignes Forschungs- und Diskursfeld etabliert; das Nachdenken über die Schrumpfende Stadt geschieht allerdings ohne einen kohärenten theoretischen Rahmen. Die Terminologie ist uneindeutig und inkonsistent und es gibt keinen Diskurs, in dem nationale und regionale Akteure in gleicher Weise vertreten sind.
Anschließend stellt Haase konzeptionelle Überlegungen an, die sie anschaulich (auch mit Graphiken) beschreibt und einsichtig macht. Die Stadtpolitik und Planung haben die Folgen der Schrumpfung längst als Entwicklungsmodus akzeptiert; welchen Einfluss allerdings die Schrumpfung konzeptionell auf die Überlegungen der Politik und Planung hat, ist nicht eindeutig. Auch das wird ausführlich erörtert.
Smart City (Jens Libbe)
Einleitend verweist der Autor auf die Bedeutung der digitalen Welt, in die wir durch die rasche Veränderung der Informations- und Kommunikationstechnologien inzwischen eingebunden sind. Mit dem Begriff Smart City verbinden wir in öffentlichen Diskursen das Konzept, mit der sich Städte auf diese digitalen Veränderungen einstellen und vorbereiten. „Smart“ ist ein Begriff, der sich mit intelligent, clever, schlau oder mit angenehm, umgänglich und ähnlichen Begriffen übersetzen lässt. Stadtentwicklung soll als gelungen gelten, wenn sie Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit verbessert, Energieeffizient von Gebäuden und Infrastrukturen verbessert, Anpassungen- und Reaktionsfähigkeiten urbaner Systeme optimiert, die soziale Versorgung der Bevölkerung verbessert und Steuerungsprozesse in Bereichen der Politik und Verwaltung verbessert. Soweit zum konzeptionellen Inhalt. Es geht also um mehr als um das, was wir mit den Informations- und Kommunikationstechnologien verbinden. Dies wird gründlich an Hand des Forschungstandes und in Bezug zu anderen Entwicklungspfaden der Stadt diskutiert.
Weiter diskutiert der Autor die treibenden Interessen und Schwerpunkte des Smart-City-Diskurses, wobei die Stadt auch in ihrer städtebaulichen Gestalt, mit ihrer bebauten Umwelt und Infrastruktur in den Diskurs mit einbezogen werden muss.
Überwachte Stadt (Jan Wehrheim)
Ist das nicht auch ein bezeichnender Vorgang, wie der Titel einer Dissertation „Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung“ zu Konnotationen führt, an deren Ende der Titel „Die überwachte Stadt“ steht? Wirft dieser Prozess nicht auch ein Licht auf das Verständnis, wie wir Sicherheit mit der möglichen Angst verbinden, die durch die Unsicherheit entsteht, wie wir mit Segregation und Ausgrenzung umgehen sollen?
Diese Einleitung ist beeindruckend!
In der Tat geht es darum, wie Unterprivilegierte aus städtischen Räumen verdrängt werden und keinen Zugang zur Stadt haben – und das weltweit. Der Autor nennt dazu einige Beispiele. Weiter erwähnt er Assoziationsketten wie die der Broken-Window-These, der zufolge sozial und physisch verwahrloste Bereiche und Räume die Kriminalität förderten. Diese These wird gern eingeführt, wenn es um ökonomische Interessen der Stadtgestaltung oder des Stadtbildes geht. Auch die Privatisierung öffentlicher Räume führt in der Folge zu Ausgrenzungspraktiken. Es geht um die Kontrolle der Ausgrenzung und ihre Mechanismen und damit zur Kontrolle der Ausgegrenzten. Zusammenfassend: es geht um Kriminalisierung! Dabei diskutiert Wehrheim einmal die Technik der Kontrolle, Rechtsfragen (Städte sind normativ segregiert) und die Architektur und Möblierung des Straßenraums, die im Prinzip sozialräumliche Ausgrenzung erleichtert und die Integration dieser Gruppen in den öffentlichen Raum der Innenstädte erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Diese Entwicklung lässt sich auf bestimmte Prozesse zurückführen: eine soziale Polarisierung, die sich sozialräumlich zeigt, weiter die Ökonomisierung der Städte mit der Tendenz zur Unternehmerischen Stadt, kriminologische Ideologien wie etwa die Broken-Window-These, die „Versicherheitlichung“ (Wehrheim) von Stadt und Gesellschaft, wo alles unter dem Aspekt sicher/unsicher diskutiert wird und schließlich werden inzwischen Herrschafts- und Ungleichheitsstrukturen polizeilich-repressiv abgesichert.
Nun prognostiziert der Autor, dass sich die Befürchtungen trotz der gestiegenen Verdrängung und Ausgrenzung marginalisierter Gruppen nicht bestätigt haben. Vieles ist auch noch offen und diskursfähig, was die technischen Möglichkeiten und die normativen Ziele der Überwachung angeht. Das wird ausführlich entfaltet.
Weiter erörtert der Autor, welche Räume und Raumtypen kontrolliert werden; in Deutschland: Shopping Malls, Bahnhöfe und zentral gelegene Fußgängerzonen.
Stadtkonzepte für Gegenwart und Zukunft – Abschließende Reflexionen (Dieter Rink, Annegret Haase)
In ihren abschließenden Reflexionen versuchen die Herausgeberin und der Herausgeber eine Systematisierung der Stadtkonzepte. Nachdem sie in ihrer Einleitung auf Funktionen von Stadtkonzepten als Kriterien und auf die Schwierigkeiten der Systematisierung hingewiesen haben, benennen sie eine Reihe von Gründen dafür, warum es so viele Stadtkonzepte gibt. Die Reflexion bezieht sich dann doch auf die in der Einleitung aufgelisteten Funktionen.
Viele Stadtkonzepte haben eine Leitbildfunktion, beinhalten auch Zukunftsvorstellungen. Ein Beispiel dafür ist die Nachhaltige Stadt. Zukunftsvisionen enthalten auch die Konzepte der Grünen Stadt oder der Cittaslow.
Dann gibt es auch die kritischen Stadtkonzepte wie die Austerity Stadt oder die Postpolitische und Neoliberale Stadt, die in der Regel zumindest von der Politik und Planung zur Kenntnis genommen werden.
Stadtkonzepte beinhalten auch eigene Indikatoren, an denen sie ihre eigene Stadtentwicklung messen oder Kriterien, die für diese Stadt gelten. Damit sind auch Stadtkonzepte gemeint, die einen begrenzten Geltungsbereich haben, wie z.B. die Smart City. Stadtkonzepte werden oft auf Metropolen und Großstädte bezogen, auch wenn sie eine allgemeine Geltung haben.
Stadtkonzepte diskutieren gegenwärtige urbane Realitäten. Wenn es um die Zukunft geht, diskutieren einige Stadtkonzepte Wünschenswertes oder Kritisches oder Problematisches, was dann zu Herausforderungen führt.
Und zu vielen der Stadtkonzepte gibt es globale Diskurse, die auch zu Forschungsfeldern führten. Beispiele hierfür sind die Globale, Resiliente und die Nachhaltige Stadt.
Abschließend meinen Rink und Haase, dass sie nur solche Stadtkonzepte aufgenommen haben, zu denen es entsprechende wissenschaftliche Forschung oder Diskurse gibt, was bedeutet, dass es noch andere Konzepte gibt, die hier nicht vertreten sind.
Diskussion
Eigentlich hätte man das letzte Kapitel des Buches zuerst lesen sollen. Die Kenntnis der dort entfalteten Systematik hätte einmal vor dem Lesen der einzelnen Konzepte die Einordung des jeweiligen Konzepts erleichtert und hätte zum anderen die Kriterien verstehen können, nach der diese Stadtkonzepte als solche in den Band mit aufgenommen werden.
So hatte der Rezensent beim Lesen immer eine andere ihm eher zugängliche Systematik im Kopf. So hätte ihm eher eingeleuchtet, bestimmte Entwicklungsmodi der Stadt als Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Veränderungen zu verstehen, zu denen es für die Stadt keine Alternative gäbe. Schrumpfung ist keine Entwicklungsmodus, aus dem man aus eigener Initiative ein Leitbild entwickelt; Reurbanisierung und Suburbanisierung sind Prozesse, die zu bestimmten Entwicklungsschritten und -weisen führen, denen Städte zwangsläufig folgen müssen; die Megastadt ist ein Stadttypus, der strukturell zu bestimmten Entwicklungsstrategien zwingt – aber wird daraus schon ein Leitbild? Die Europäische Stadt ist sicher ein Leitkonzept, mit der die klassische Stadtforschung immer zu tun hatte und es war ein Leitbild über lange Zeit. Zurecht wurde darauf hingewiesen, dass dem nicht mehr so ist. und die Globale Stadt ist in der Tat zu einem Theorie- und Forschungsstand entwickelt worden, bei dem eigene Erklärungsmodelle entstanden sind, warum Städte als Globale Städte bezeichnet werden können.
Bei vielen anderen Stadtkonzepten haben wir es mit sicher dominanten und strukturprägenden Prozessen zu tun und sie fordern die Städte in ihrer Politik und ihrer Stadtentwicklung heraus – ist damit immer auch schon ein konsistentes Stadtkonzept verbunden, das auch die Identität einer Stadt prägt, mit der sie sich nach außen präsentieren will? In vielen der Beiträge wird dies auch artikuliert.
Das Buch ist dennoch eine gründliche Übersicht, über die inzwischen auch über Hand nehmenden und manchmal auch recht diffusen Bezeichnungen für Städte. Manche Städte mögen sich so bezeichnen; oftmals sind es aber Zuweisungen von außen, die die eine oder andere Stadt auch überrascht.
Die einheitliche Gliederung der Beiträge erleichtert den Leserinnen und Lesern auch eine kritische Würdigung des jeweiligen Stadtkonzeptes für die Stadt und deren Selbstverständnis, für ihre Politik und Planung und für die theoretische und analytische Weiterentwicklung des Konzepts vorzunehmen.
Fazit
Das Buch ist nicht nur eine gute Übersicht über die „im Umlauf befindlichen“ Stadtkonzepte, sondern auch eine Bereicherung der Debatte um die Unterschiedlichkeit von Städten und ihren gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Funktionen im Kontext ihrer Bezugsregionen oder aber des Weltrahmens. Die Stadtforschung hat hiermit einen reichhaltigen Fundus von Prozessen, Bewegungen, Bildern, Vorstellungen und Visionen, die wir jeweils mit Stadt verbinden.
Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em.
Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt
Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 14.03.2019 zu:
Dieter Rink, Annegret Haase (Hrsg.): Handbuch Stadtkonzepte. Analysen, Diagnosen, Kritiken und Visionen. UTB
(Stuttgart) 2018.
ISBN 978-3-8252-4955-7.
Reihe: UTB - 4955.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24949.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.
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