Heidi Magerl: Sterbende und Trauernde begleiten
Rezensiert von Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann, 21.12.2018

Heidi Magerl: Sterbende und Trauernde begleiten. Ein Leid(t)faden.
der hospiz verlag Caro & Cie. oHG
(Esslingen) 2018.
232 Seiten.
ISBN 978-3-946527-19-0.
D: 29,90 EUR,
A: 30,80 EUR.
Reihe: Palliative Care verstehen - Band 5. Edition Caro & Caro.
Thema
Geburt und Sterben, Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Die Hospizidee und Palliative Care haben sich in vielen Bereichen des Gesundheitswesens etabliert, aber der hospizliche Sorgegedanke hat noch nicht in alle gesellschaftlichen Bereiche Einzug gehalten.
„Sterbende und Trauernde begleiten“ ist Band 5 der Reihe: Palliative Care verstehen.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich nach eigenen Angaben an Angehörige und beruflich oder ehrenamtlich Begleitende, die sterbende und trauernde Menschen umsorgen, begleiten oder beraten.
Autorin
Heidi Magerl ist Diplom-Sozialpädagogin und Supervisorin. Sie hat langjährig einen Palliativberatungsdienst geleitet.
Aufbau
232 Seiten verteilen sich auf acht Kapitel. Vor- und Nachwort rahmen den Inhalt ein. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Das erste Kapitel befasst sich mit der Realität des Todes und wie es Menschen gelingen kann, ihn in das Leben zu integrieren. Dies sei Voraussetzung für die Entwicklung einer endlichen Sorgehaltung. „Je mehr ich mich traue, mich auf den Tod einzulassen, indem ich Menschen in den Tod begleite, desto mehr nehmen meine eigenen Ängste ab“ – mit diesem Zitat einer Trauerbegleiterin wird die Intention der Autorin deutlich, den Tod als die Realität des Lebens zu begreifen. Die Vorstellung unserer Nichtexistenz wird als bedrohlich erlebt. Allerdings kann der Tod auch ein sanftes Gesicht zeigen und zeigen, was wirklich wichtig ist und Dankbarkeit und Demut lehren.
Das zweite Kapitel nimmt die Begleiterpersönlichkeit in den Fokus und regt die Klärung der eigenen Rollenidentität an. Was ist das persönliche Motiv? Was bringe ich mit, was habe ich zu geben? Welche Werte sind mir wichtig? Begleiterpersönlichkeiten zeichnen sich durch eine mitmenschliche, sorgende Haltung aus. Sie sind für Menschen das Alltägliche im Angesicht des Todes und der Trauer. Sich auf die Begleitung vorzubereiten heißt in erster Linie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit: ein Lernen am Leben.
Kapitel drei nimmt Grundlagenwissen zur Trauer, Resilienz und Rituale in den Blick. Sterben und Trauer sind existenzielle Lebenskrisen, die aber auch als Reifungsgelegengeheiten verstanden werden können. Dabei spielt die Resilienz eine Rolle – die psychische Widerstandskraft zur Bewältigung von Krisen und Umgang mit tiefgreifendem Wandel. Spirituelle Sinngebung kann ein Faktor dieser Resilienz sein. Rituale können Bewusstsein schaffen für das Todes- und Trauergeschehen und ermöglichen es, Trauer und Schmerz zu spüren. Dies wird in einer sich wandelnden Gesellschaft umso wichtiger, da Krankheit, Leiden und Trauer eher privat stattfinden.
Kapitel vier bis acht widmen sich der Bedeutung von Gefühlen als Schlüssel der Verlustverarbeitung.
Magerl zieht im vierten Kapitel verschiedene Trauertheorien heran: die Phasenmodelle nach Kübler-Ross und Kast oder die Traueraufgaben und Neuwerdung nach Worden, spricht sich aber auch gegen die Loslass-Predigten aus.
Trauernde Kinder sind eine besondere Situation. Im fünften Kapitel bearbeitet die Autorin die Potenziale von Kindern, schwere Verluste heil und gesund zu überstehen und in ihr weiteres Leben zu integrieren. Kinder brauchen Teilhabe und ein Verständnis für ihre Trauer. Trauer darf sein. Es geht nicht darum, die Kinder über etwas hinwegzutrösten, sondern wahr sein zu lassen, was ist und die Kinder dabei als verlässliches Gegenüber zu begleiten, zu bestärken und in ihrem Schuldempfinden zu entlasten.
Trauergefühle wie Einsamkeit, Enttäuschung oder Zorn dienen als Schlüssel der Verlustverarbeitung und stehen im sechsten Kapitel im Fokus. Welche Gefühle in diesen Situationen ausgelöst werden, hängt von der individuellen Person ab. Gleiche Gefühle haben stets die gleiche Grundstruktur. Beispielsweise wird Einsamkeit als ein unfreiwilliges, erlebnismäßiges Abgetrenntsein von der Welt verstanden.
Fast alle trauernden oder sterbenden Menschen sind durch Schuldgefühle belastet, hiervon handelt das siebte Kapitel. Um sich vom Schulddilemma zu lösen, braucht es einen bewussten Abstand von der Illusion des menschlichen Perfektionismus. Beziehungen brauchen hierzu Klärung und Verzeihen. Schuld kann aber auch eine qualitativ wertvolle Emotion darstellen, mit ordnungs- oder bindungsstiftender Funktion.
Das achte und letzte Kapitel nimmt die sorgende Kommunikation mit Sterbenden und Trauernden in den Blick. Um im Dialog zu bleiben, kann die verstehende Kommunikation nach C. Rogers ein geeignetes Instrumentarium sein. Dieser personenzentrierte Ansatz entspricht in seinen Grundannahmen der hospizlichen und palliativen Haltung. Die Grundvariablen sind Echtheit, bedingungslose Wertschätzung und empathisches Verstehen.
Diskussion
Das Buch regt zur behutsamen persönlichen, reflektierten Auseinandersetzung an, um eine innere Haltung zu entwickeln. Differenziert wird auf unterschiedlichen Ebenen die individuelle Auseinandersetzung mit Trauer- und Sterbebegleitung. Es ist nicht als Lehrbuch gedacht, nimmt aber theoretische Bezüge, wo es notwendig ist, wie z.B. in Trauertheorien oder der personenzentrierte Ansatz nach C. Rogers als Grundlage sorgender Kommunikation.
Viele Zitate von Dichtern und Denkern geben Denkimpulse. Individuelle Trauersituationen werden beschrieben, Hospizbegleiterinnen und -begleiter kommen in weiteren Zitaten zu Wort.
Fazit
Magerl will mit ihrem Buch für das Thema sensibilisieren und das Lebensgeschehen von Menschen im Sterben und in der Trauer sichtbar, erfahrbar und verstehbar zu machen. Sie vermittelt in ihrem Buch Sterbe- und Trauerwissen, Haltung und kommunikative Begegnungskompetenz.
Rezension von
Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann
Hochschule Hannover Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales
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