Regina Brunnett, Anja Dieterich et al.: Die Kommune als Ort der Gesundheitsproduktion
Rezensiert von Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann, 10.01.2019
Regina Brunnett, Anja Dieterich, Raimund Geene, Thomas Gerlinger, Daphne Hahn: Die Kommune als Ort der Gesundheitsproduktion.
Argument Verlag
(Hamburg) 2018.
160 Seiten.
ISBN 978-3-86754-652-2.
D: 15,50 EUR,
A: 16,00 EUR,
CH: 21,90 sFr.
Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften, Band 52.
Thema
Die Rolle der Kommunen in der Gesundheitsversorgung ist nicht vollständig geklärt.
- Braucht es mehr oder weniger Regulierung und Steuerung?
- Welche Aufgaben hat die Kommune zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit.
- Welche Grenzen hat die Kommunalisierung des Gesundheitssystems?
Der Sammelband widmet sich diesen und weiteren Fragen.
„Die Kommune als Ort der Gesundheitsproduktion“ ist Teil 52 der Reihe „Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften“.
Zielgruppe
Das Buch richtet sich an Personen, die sich auf akademischer Ebene kritisch mit den gesellschaftlichen Bedingungen von Gesundheit und Krankheit auseinandersetzen wollen.
Autoren
Das Herausgeberteam hat 16 Autorinnen und Autoren gewonnen: Professorinnen und Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Gesundheit, Sozialem, Ökonomie und Politik sowie Sozialraumforschung.
Aufbau
160 Seiten verteilen sich auf sieben Beiträge. Ein Editorial führt in die Thematik ein. Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Die Stärkung der Kommunen in Fragen gesundheitlicher Versorgung wird seit einiger Zeit diskutiert. In vielen Handlungsfeldern weisen die Kommunen eine größere Problemnähe und Problemlösungskompetenz auf und sind stark am Gemeinwohl orientiert. Die Kommune wird in diesem Buch als politischer Akteur der untersten Regulierungsebene im föderalen System dargestellt. Daneben ist die Kommune der Lebensraum der Bevölkerung mit heterogenen Lebensbedingungen und Verwirklichungschancen sowie lokaler Bezugsrahmen für Gesundheitsförderung und Prävention. Vor diesem Hintergrund werden in den sieben Beiträgen unterschiedliche Fragestellungen bearbeitet.
Der erste Beitrag zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Versorgungssteuerung auf kommunaler Ebene. Drei Elemente sind dabei essentiell: aussagefähige und kleinräumige Versorgungsindikatoren, regionale Versorgungskonferenzen und ein effektives Instrumentarium zum Abbau von Unter- und Überversorgung. Mehr Steuerungsoptionen benötigen auch finanzielle Mittel und Kompetenzen zur Regulierung, insbesondere beim vorgeschlagenen Paradigmenwechsel zur Steuerung der ambulanten ärztlichen Kapazitäten auf kommunaler Ebene.
Im zweiten Beitrag werden die Zugangschancen von Migranten zum Gesundheitssystem beleuchtet. Hierbei sind verschiedene Gruppen von Migranten betroffen. Die Autoren stellen fest, dass der öffentliche Sektor seinem Versorgungsauftrag hier nicht angemessen nachkommt. Das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft werde dabei kaum gestaltet, es sei eine Parallelversorgung durch die Zivilgesellschaft entstanden. Als theoretischen Rahmen wird das Fünf-Sektoren-Modell der Gesamtwirtschaft herangezogen.
Gesundes Altern angesichts von Ungleichheit ist das Thema des dritten Beitrags. Zunächst werden Befunden zu sozialer (vertikaler und horizontaler) Ungleichheit und Gesundheit in der Überschneidung mit dem Alter dargelegt. Daran schließen sich Betrachtungen zur Wechselwirkung fördernder und abträglicher Merkmale des Raums mit gesundheitlicher Ungleichheit an. Zudem werden die Grenzen partizipativer Mitgestaltung in der kommunalen Sozialraumgestaltung beleuchtet.
Alter(n) steht auch im vierten Beitrag im Fokus, hier unter den Aspekten des urbanen Wandels, der kommunalen Seniorenpolitik und den daraus resultierenden sozialen Folgen am Beispiel Berlin. Es wird geprüft, inwieweit die soziale Benachteiligung von Älteren in seniorenpolitischen Konzepten beachtet wird. Mit integrativer Quartiersgestaltung und sektorenübergreifender Vernetzung können Auswirkungen der Gentrifizierung angegangen werden.
Im fünften Beitrag wird die Krankenhauspolitik behandelt. Der Autor zeigt die Tradition kommunaler Trägerschaft in Krankenhäusern und die kommunale Verantwortung für die Daseinsvorsorge im lokalen Kontext. Er zeichnet die historischen Wurzeln ab dem 13. Jahrhundert bis heute nach und legt die Meilensteine moderner Versorgung wie das Krankenhausfinanzierungsgesetz von 1972 oder die marktwirtschaftliche Wende in den 90er und 2000er Jahren sowie die Umstellung auf das Fallpauschalensystem dar. Zudem wird die Frage diskutiert, welche Gründe für den Erhalt und die Förderung der kommunalen Trägerschaft im Setting Krankenhaus anzuführen sind.
Zur Steuerung der Gesundheitsversorgung durch die Kommunen konstatieren die Autoren im sechsten Beitrag eine sektorale Differenzierung und heterogene Steuerungskompetenzen. Sie diskutieren das Für und Wider kommunaler Steuerung im Kontext der Heterogenität der Rollen in Abhängigkeit des gesundheitspolitischen Handlungsfeldes. Kommunen scheinen gegenüber anderen Akteuren wie die gesetzliche Krankenversicherung durch die größere Problemlösung im Vorteil. Allerdings können auch Überforderungstendenzen entstehen. Prävention und Gesundheitsförderung, vertragsärztliche Versorgung, akutstationäre Versorgung, Pflegepolitik und Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden können Handlungsfelder sein.
Außerhalb des Schwerpunktthemas befasst sich der siebte Beitrag mit der Umsetzung des 2016 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes. Lebensweltbezogene Interventionen und die Verpflichtung der Krankenkassen auf gemeinschaftlich getragene Interventionskonzepte wurden gestärkt. Dennoch bleibt offen, ob sich die Umsetzung eher zu einer Irrfahrt oder eher zu einem Meilenstein der Gesundheitsförderung entwickeln wird. Beispiele einer stärkeren Vernetzung und eine Weiterentwicklung von Interventionskonzepten stehen wettbewerbsbedingten Partikularinteressen der Sozialversicherungen gegenüber.
Diskussion
„Die Kommune als Ort der Gesundheitsproduktion“ ist ein wertvoller Beitrag zur tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem Gesundheitssystem und der Rolle der Kommune darin. Die detailreiche Bearbeitung aktueller Fragestellungen und Ableitung innovativer Gedanken und Denkanstöße regt zu einer weiteren produktiven Auseinandersetzung auf akademischer Ebene an. Jeder Beitrag kann unter seiner eigenen Fragestellung singulär betrachtet werden, wobei die Kommune (bis auf den letzten Beitrag) das verbindende Element ist.
Fazit
Die Rolle der Kommunen für die Gesundheit der Bevölkerung ist nicht vollständig geklärt. Dieser Sammelband gibt Impulse zur akademischen Auseinandersetzung mit Fragen zu Potenzialen und Grenzen der Kommunalisierung des Gesundheitssystems.
Rezension von
Prof. Dr. sc.hum. Nina Fleischmann
Hochschule Hannover Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales
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Zitiervorschlag
Nina Fleischmann. Rezension vom 10.01.2019 zu:
Regina Brunnett, Anja Dieterich, Raimund Geene, Thomas Gerlinger, Daphne Hahn: Die Kommune als Ort der Gesundheitsproduktion. Argument Verlag
(Hamburg) 2018.
ISBN 978-3-86754-652-2.
Jahrbuch für kritische Medizin und Gesundheitswissenschaften, Band 52.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24987.php, Datum des Zugriffs 12.10.2024.
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