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David Graeber: Bullshit Jobs

Rezensiert von Konrad Reinisch, 04.02.2019

Cover David Graeber: Bullshit Jobs ISBN 978-3-608-98108-7

David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2018. 2. Druck Auflage. 463 Seiten. ISBN 978-3-608-98108-7. D: 26,00 EUR, A: 26,70 EUR.
übersetzt von Sebastian Vogel.

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Thema

Seit der Diskussion um die sogenannte vierte industrielle Revolution und Industrie 4.0 ist auch das Thema der Arbeit wieder vermehrt in die öffentliche Diskussion geraten. Dies ist sicher kein Zufall: In Zeiten der Rekommodifizierung, die dem Umbau der (vor allem europäischen) Sozialstaaten in den letzten Jahrzehnten folgte, ist die gesellschaftliche wie individuelle Bedeutung von Arbeit kaum zu überschätzen. So schreibt auch David Graeber: „Wir sind zu einer Zivilisation geworden, die auf Arbeit basiert – und zwar nicht einmal auf ‚produktiver Arbeit‘, sondern auf Arbeit als Selbstzweck und Sinnträger.“ (26) Im vorliegenden Buch versucht er, thematisch eine Brücke zwischen den Inhalten moderner Arbeitsformen, ihrer Organisation und dem bedingungslosen Grundeinkommen als Alternative zu bestehenden Formen der sozialen Absicherung zu schlagen.

Autor

David Graeber ist ein US-amerikanischer Ethnologe, der u.a. nach einer Professur in Yale aktuell an der London School of Economics lehrt. Einem breiteren Publikum wurde er durch sein Buch Schulden – die ersten 5000 Jahre (2012) bekannt.

Entstehungshintergrund

Bereits 2013 veröffentlichte Graeber einen Artikel im Strike-Magazine, in dem er das Phänomen der Bullshit-Jobs darstellte. Er beschrieb dort die Idee, dass eine große Zahl von Arbeitsstellen und ganzen Berufszweigen von ihren Inhabern selbst in gesellschaftlicher Hinsicht als sinnlos angesehen werden.

Aufbau

Das Buch beginnt mit einem recht umfangreichen Vorwort, das den 2013 erschienenen Artikel Graebers beinhaltet [1]. Hierauf folgen sieben Kapitel, in denen die im Artikel aufscheinenden Gedanken breiter ausgearbeitet und letztlich in einen politisch-gesellschaftlichen Zusammenhang gestellt werden.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

David Graeber geht im Ursprungsartikel der Frage nach, wieso trotz immens gestiegener Produktivität die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit inzwischen nicht – wie noch von Keynes prognostiziert – 15 Stunden beträgt. Er führt dies v.a. auf eine Aufblähung des Verwaltungsbereichs zurück, in dem vorwiegend „sinnlose“ Jobs geschaffen würden, die oft keine Beschäftigung im eigentlichen Sinne bieten: so werden einfachste Vorgänge unnötig verkompliziert; Tätigkeiten, die von Maschinen günstig in Minuten erledigt werden könnten, werden von Menschen ausgeübt; Aufgaben, die an einem 8-Stunden-Tag erledigt werden sollen, sind bereits nach einer Stunde getan: „Es ist, als würde sich irgendjemand sinnlose Tätigkeiten ausdenken, nur damit wir alle ständig arbeiten.“ (15) Dies widerspricht offensichtlich allen Annahmen, die im Kapitalismus eine auf Rationalität beruhende Gesellschaftsordnung sehen. Für Graeber hat die Ausweitung der Bullshit-Jobs daher auch keine ökonomischen, sondern vielmehr (ordnungs-)politische Gründe: „Die herrschende Klasse hat gemerkt, dass eine glückliche, produktive Bevölkerung, der viel Freizeit zur Verfügung steht, eine tödliche Gefahr ist. […] Und andererseits ist es für sie ein außerordentlich bequemes Gefühl, Arbeit als solche sei ein moralischer Wert und jeder, der sich nicht während des größten Teils seiner wachen Stunden einer strengen Arbeitsdisziplin unterwirft, habe nichts verdient.“ (16)

Nach eigenen Aussagen erhielt Graeber für seinen Artikel – insbesondere im Netz – viel Zuspruch und Bestätigung, vor allem von denjenigen, die selbst meinen, einen Bullshit-Job innezuhaben. Ferner zitiert Graeber Untersuchungen, die seine Annahme zu stützen scheinen. Daher vertiefte er die Auseinandersetzung mit der Thematik im vorliegenden Buch, um sie ins Verhältnis zu tieferliegenden gesellschaftlichen Problemen zu setzen und die Normalität von sinnlosen Tätigkeiten zu hinterfragen.

Kapitel 1: Was ist ein Bullshit-Job?

Anhand einiger Fallbeispiele erarbeitet Graeber eine Definition von Bullshit-Jobs:

„Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.“ (40)

Für diese Definition entscheidend ist die Idee, dass der subjektiven Einschätzung Objektivität zugeschrieben wird.

Von Bullshit-Jobs sind die bei Graeber „Scheißjobs“ (46) genannten Arbeitsstellen abzugrenzen; diese sind zwar in der Regel sinnvoll und – aufgrund des Wissens um den gesellschaftlichen Nutzen – inhaltlich erfüllend, finden meist allerdings unter organisatorisch und finanziell schlechten oder gar demütigenden Bedingungen statt. Demgegenüber sind Bullshit-Jobs zwar in der Regel gut bezahlt und mit gesellschaftlichem Ansehen verbunden, allerdings aufgrund der subjektiv empfundenen Sinnlosigkeit mit einigen negativen psychischen Folgen verbunden. Darüber hinaus, so Graeber, gibt es auch schlecht bezahlte Bullshit-Jobs oder Jobs, die sich in einer Grauzone befinden sowie solche, die zum Teil, aber eben nicht als ganze, als Bullshit-Jobs zu bezeichnen sind.

Hervorgehoben wird noch, dass Bullshit-Jobs – anders als die Verfechter_innen effizienter Organisation meist meinen – nicht nur in der öffentlichen Verwaltung, sondern auch in der Privatwirtschaft vorkommen. Hier herrscht allerdings meist ein hoher Effizienzdruck auf den unteren Ebenen, während Bullshit-Jobs im eigentlichen Sinne vorwiegend im mittleren Management auftreten.

Kapitel 2: Was für Typen von Bullshit-Jobs gibt es?

Graeber hat aus den von ihm analysierten Fallbeispielen fünf Typen von Bullshit-Jobs herausgearbeitet. Dabei handelt es sich um

  • „[d]ie Tätigkeit der Lakaien“ (65), die „ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck, dass jemand anderes wichtig zu sein scheint oder sich wichtig vorkommt“ (65), geschaffen werden. Beispiele hierfür sind etwa Pförtner oder Rezeptionistinnen.
  • „[d]ie Tätigkeit der Schläger“ (75), die aggressive Aspekte enthält. Dies trifft etwa auf Berufe in der Werbung oder im Bereich des Lobbyismus zu.
  • „[d]ie Tätigkeit der Flickschuster“ (81), die ein grundsätzliches Problem im Betrieb kaschieren soll. Als Beispiele werden Tätigkeiten genannt, in denen regelmäßige Fehler von Vorgesetzten oder bekannte Probleme in der betriebsintern verwendeten Software behoben werden müssen.
  • „[d]ie Tätigkeit der Kästchenankreuzer“ (87), mit deren Hilfe eine Firma behaupten kann, Tätigkeiten auszuführen, die in der Realität nicht umgesetzt werden sollen. In einem Fallbeispiel etwa wird geschildert, wie in einem Pflegeheim wiederholt Arbeitszeit für Erhebungen zu Wünschen der Bewohner_innen aufgewandt wird, die allerdings keine Folgen zeitigen.
  • „[d]ie Tätigkeit der Aufgabenverteiler“ (95), die entweder ausschließlich in der Zuteilung von Arbeit an Untergebene, die ihre Aufgaben bereits gut kennen, oder in der Schaffung immer neuer Bullshit-Jobs besteht.

Diese Typen können auch in Mischformen auftreten. Ebenso kann sich die Zuordnung eines Bullshit-Jobs im zeitlichen Verlauf ändern. Darüber hinaus beschreibt Graeber Bullshit-Jobs zweiter Ordnung, die aus eigentlich sinnvollen Tätigkeiten bestehen, allerdings der Unterstützung eines sinnlosen Projekts dienen.

Kapitel 3: Warum bezeichnen sich die Inhaber von Bullshit-Jobs selbst als unglücklich?

Graeber deutet an, dass die Unzufriedenheit mit Bullshit-Jobs ein schichtspezifisches Phänomen sein könnte: so zeigt sich in seinen Beispielen häufig, dass Menschen aus klassischen Arbeitermilieus tendenziell schwerer damit zurechtkommen, unproduktiv zu sein. Aber auch darüber hinaus lassen sich einige wiederkehrende Probleme feststellen. Hierzu zählt unter anderem – fallabhängig – der Druck, dritte (etwa bei Telefonwerbung) oder eigene Vorgesetzte (allerdings – und dies scheint wohl das tatsächliche Problem zu sein – nicht aus eigenem Antrieb) betrügen zu müssen. Ein anderer Punkt ist das Problem, die Zeit am Arbeitsplatz nicht durch die vorgesehene Arbeit ausfüllen zu können. Eine Beschreibung der menschlichen Natur als homo oeconimicus kann diese Situation, so Graeber, nicht adäquat erfassen: schließlich müsste unter diesem Aspekt die Gelegenheit, ein hohes Gehalt für einen minimalen Aufwand zu erhalten, positiv konnotiert sein. Bei Bullshit-Jobs scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein. David Graeber greift, um dies zu erklären, auf psychologische und psychoanalytische Theorien zurück, die die große Bedeutung der Selbstwirksamkeit unterstreichen. Bullshit-Jobs stellen dann einen „Angriff auf das Selbstwertgefühl eines Menschen“ (140) dar. Der Autor konstatiert eine grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen sinnlosen Tätigkeiten, die unter Zwang ausgeübt werden, und Nichtstun unter Zwang; insofern gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen Bullshit-Jobs auf der einen und verbreiteter Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite. Ähnlich wie Marx im bekannten Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals zeigt Graeber (allerdings ohne explizite Bezugnahme), dass die Herausbildung des Kapitalismus und besonders die Etablierung des Ideals der Lohnarbeit mit enormen Umwälzungen im menschlichen Alltag und erheblichem Druck auf die Individuen verbunden waren.

Kapitel 4: Wie fühlt es sich an, einen Bullshit-Job zu haben?

Die Gefühle von Inhaber_innen von Bullshit-Jobs in Bezug auf ihre Arbeitsplätze sind in der Regel ambivalent und diffus. Als Folgen kennzeichnet Graeber vor allem Ängste und den Verlust von Selbstvertrauen, da es keine Möglichkeit gibt, Herausforderungen zu begegnen. Selbstverwirklichung, die in der Moderne zentral über Lohnarbeit realisiert wird, wird so unmöglich gemacht. Gute Bezahlung und gesellschaftliches Ansehen verschlimmern das Problem meist, da sie oft zu einem diffusen schlechten Gewissen führen. Eine Ausnahme bilden diejenigen Bullshit-Jobs, die soziale Kontakte beinhalten oder bei denen bereits zu Beginn keine Illusionen über ihren Inhalt bestehen.

Der Fakt, dass Menschen aufgrund der Tatsache, sich und zum Teil auch eine Familie versorgen zu müssen, häufig dazu gezwungen sind, eine Arbeit auch gegen ihre persönlichen Vorlieben anzunehmen, gilt für Bullshit- und Scheißjobs gleichermaßen. Dies bildet bereits die Brücke zur gesellschaftlichen Dimension, die in den folgenden Kapiteln näher betrachtet wird.

Kapitel 5: Warum vermehren sich die Bullshit-Jobs?

Die von Graeber konstatierte Vermehrung von Bullshit-Jobs beruht zunächst darauf, dass mehr derartige Berufe und Jobs geschaffen werden. In diesem Zusammenhang erklärt er, dass die Beschreibung der Gesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft im eigentlichen Sinn nicht zutreffend sei. Während die Zahl von Menschen, die in klassischen Dienstleistungsberufen tätig sind – Graeber zählt hierzu etwa „Kellner, Friseure, Verkäufer“ (223) – nicht gestiegen sei, habe es eine starke Zunahme in einem Bereich gegeben, den er „Arbeit mit Informationen“ (ebd.) nennt und wo vor allem „Verwalter, Berater, Büro- und Buchhaltungskräfte, IT-Experten“ (ebd.) arbeiten, die besonders häufig in Bullshit-Jobs tätig sind. Gleichzeitig sei eine „Bullshitisierung nützlicher Beschäftigungsformen“ (219) – etwa in der Zunahme administrativer Tätigkeiten an Hochschulen – zu konstatieren.

Eine monokausale Erklärung für die Zunahme von Bullshit-Jobs liefert der Autor nicht, sondern verweist auf ein Zusammenspiel von individuellen, gesellschaftlich-ökonomischen und politisch-kulturellen Ebenen. Die Folge sei ein Machtzuwachs auf der Seite der Verwaltung bzw. auf der Ebene des mittleren Managements, wohin auch die Gewinne des durchschnittlichen Produktivitätszuwachses seit den 1980er Jahren geflossen seien.

Die Bullshit-Jobs sprächen für einen Bereich feudaler Logik innerhalb des Kapitalismus, der allerdings, wenn überhaupt, nicht mehr als „klassischer“ Kapitalismus zu bezeichnen sei.

Kapitel 6: Warum haben wir als Gesellschaft nichts gegen das Wachstum sinnloser Beschäftigung?

Dass das Problem der Bullshit-Jobs nicht als solches diskutiert wird, liegt Graeber zufolge an einem Tabu in Bezug auf das Thema Arbeit, obwohl der Anspruch an die eigene Beschäftigung, sinnvoll zu sein, häufig mit der Realität kollidiert. Unter Bezugnahme auf die historische Entwicklung zeigt Graeber, dass Arbeit eine grundsätzlich eigene Art der menschlichen Tätigkeit darstellt, die etwa vom Spiel strikt getrennt ist. Im Gegensatz zu diesem ist sie v.a. durch Mühe gekennzeichnet und wird zum Erwerb des Lebensunterhaltes ausgeübt. Die klare Abgrenzung von allem, was mit anderen Motivationen verbunden ist, habe letztlich dazu geführt, dass sinnstiftende Tätigkeiten eben aufgrund dieser Eigenschaft schlechter entlohnt werden als diejenigen, die hier als Bullshit-Jobs bezeichnet werden. Dies erscheint paradox, da sich Individuen zwar seit den 1970er Jahren vermehrt über subkulturelle Zugehörigkeit definieren, im Beruf aber nach wie vor Sinn suchen. Daraus lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: zum einen, dass Arbeit zunehmend zum Selbstzweck wird, zum anderen, dass Identität häufig gerade durch die Ablehnung des eigenen Berufs entsteht, was wiederum zu einer Abwertung all jener führt, die nicht in gleichem Maße von Stress und schlechten Arbeitsbedingungen betroffen sind – bis hin zur Ablehnung von sozialstaatlichen Leistungen für jene, die diesem Druck nicht ausgesetzt sind.

Kapitel 7. Welche politischen Auswirkungen haben die Bullshit-Jobs? Lässt sich an der Situation etwas ändern?

Die Ausübung von Arbeit soll in erster Linie einen Konsum sichern, der als Kompensation für die Mühen der Arbeit dienen soll; die Mühen rechtfertigen also einen überbordenden Konsum, was Graeber als „sadomasochistische Dialektik“ (354) beschreibt. Die Folge: „Solche Arbeitsordnungen begünstigen eine politische Landschaft voller Hass und Ressentiments.“ (356). Es kommt zu einer gesellschaftlichen Trennung zwischen Armen und Reichen, Menschen mit Bullshit-Jobs und Menschen mit produktiver Beschäftigung, der Gesellschaft und der „politischen Klasse“. Letztlich determinierten die Zugänge zu unterschiedlichen Arten von Arbeit das gesellschaftliche Mit- bzw. Gegeneinander.

Die Entstehung von Bullshit-Jobs wird als Symptom für ein grundsätzliches Problem gedeutet: die Automatisierung hat zu einer massenhaften Freisetzung an Arbeitskraft geführt, die durch „Pseudotätigkeiten“ (379) ausgeglichen wurde. Die vorherrschende Verteilung der Arbeit habe demnach politische Gründe.

Als Lösung des Problems schlägt Graeber eine Verminderung der allgemeinen Arbeitszeit und die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor, dessen dekommodifizierende Wirkung er betont.

Diskussion

Graebers Buch lässt sich grob in zwei Teile trennen: während in den ersten vier Kapiteln die Fallbeispiele und somit individuelle Aspekte dominieren, wird in den folgenden drei Kapiteln der Fokus auf gesellschaftliche Ursachen und Folgen gelegt. Das Buch ist von einem essayistischen Stil gekennzeichnet, sodass es – vor allem im ersten Teil – bisweilen wie eine längere Version des ursprünglichen Artikels daherkommt. Die Argumentation erscheint nicht immer stringent, mitunter auch redundant.

Ein Problem, das auch von Graeber selbst als solches gekennzeichnet wird, ist die Erhebung der Fallbeispiele; diese geschah zu einem großen Teil über Graebers eigenen Twitteraccount, sodass vorwiegend Menschen, die ihm dort bereits folgten, also wahrscheinlich generell eine Affinität zu seinen Ansichten haben, zu den Beispielen beitrugen. Auch ist die Zuordnung der Fälle zu den Typen nicht immer schlüssig.

Dass Graebers Ansatz inhaltlich durchaus kontrovers ist, ist offensichtlich. So begibt er sich mit seiner Theorie, nach der es ein erhebliches irrationales Moment innerhalb des vielerorts mit Rationalität fast gleichgesetzten Kapitalismus gebe, in Gegensatz zu vielen Kapitalismus- und Modernisierungstheorien. Allerdings hatte bereits Adorno in Bezug auf eine Studie des Soziologen Elton Mayo festgestellt, „daß in die gesellschaftliche rationale Organisation aus rationalen Gründen irrationale Sektoren […] eingebaut worden sind; und daß die scheinbar rationale, aber insgesamt keineswegs so rationale Gesellschaft zu ihrer Selbsterhaltung solcher irrationaler Sektoren gewissermaßen bedarf.“ [2] Demnach könnten für sich betrachtet irrationale Arrangements – und zumindest zum Teil auch die im Buch beschriebenen Bullshit-Jobs – eben doch rational erklärt werden, was einer differenzierten politischen oder ethischen Betrachtung, wie Graeber sie betreibt, aber nicht entgegensteht.

Fazit

Der Ausgangspunkt der Kernthese von Bullshit-Jobs ist die nicht unübliche Beobachtung, dass viele Menschen ihren Job oder ihren Beruf als sinnlos ansehen. David Graeber schreibt diesen subjektiven Einschätzungen objektiven Gehalt zu und versucht in seinem Buch, diese Beobachtung in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext einzuordnen.

Die resultierenden Thesen verweigern sich überwiegend beharrlich einer Einordnung in gängige Kapitalismus- oder Modernisierungstheorien. Genau hierin liegt allerdings eine große Stärke des Buchs: abseits gängiger Argumentationsmuster werden einige interessante Ideen und Ansätze in die dringend notwendige Debatte um die gesellschaftliche Organisation und Verteilung von Arbeit eingebracht.

Stil und Inhalt lassen das Buch für ein breiteres Publikum interessant erscheinen. Spezifische Vorkenntnisse sind für das Verständnis nicht nötig. Dennoch können auch Fachleute aus allen Bereichen der Sozialwissenschaften von der Lektüre profitieren.


[1] Eine alternative Übersetzung des Artikels findet sich unter https://www.strikemag.org/unsinniger-jobs

[2] Adorno, T. W. (2003): Einleitung in die Soziologie. Frankfurt a. M., 97

Rezension von
Konrad Reinisch
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt "Vom Sinn der Arbeit im Wandel der Zeit und ihrer Bedeutung für die Soziale Arbeit" an der Hochschule Emden/Leer, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 1 Rezension von Konrad Reinisch.

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Zitiervorschlag
Konrad Reinisch. Rezension vom 04.02.2019 zu: David Graeber: Bullshit Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2018. 2. Druck Auflage. ISBN 978-3-608-98108-7. übersetzt von Sebastian Vogel. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/24992.php, Datum des Zugriffs 27.03.2023.


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