Ferdinand Buer: Lehrbuch der Supervision
Rezensiert von Dr. Birgit Szczyrba, 01.10.2000

Ferdinand Buer: Lehrbuch der Supervision. Der pragmatisch-psychodramatische Weg zur Qualitätsverbesserung professionellen Handelns. Votum Verlag (Münster) 1999. 304 Seiten. ISBN 978-3-933158-25-3. 19,50 EUR.
Einführung
Der Autor konstatiert schon in früheren Aufsätzen als Grundprämisse seiner Überlegungen die Dialektik von Format und Verfahren in der Beziehungsarbeit. Formate sind institutionalisierte Rahmen fachlicher Beziehungsarbeit wie Psychotherapie, Unterricht, Beratung, Training und natürlich Supervision. Diese Formate können unter einem Supraformat wie Weiterbildung, Organisationsentwicklung oder Personalentwicklung kombiniert sein. Durch Staat, parastaatliche Organisationen oder Berufsverbände werden diese Formate standardisiert, ausgerichtet und gehandhabt und übernehmen Aufgaben der Normalitätssicherung. Hierzu benötigt jedes Format für seine Durchführung ein Verfahren, unter dem der Autor einen in sich konsistenten Handlungsansatz zur Steuerung der fachlichen Beziehungsarbeit versteht. Hier sind u.a. anzuführen die Themenzentrierte Interaktion, die Psychoanalyse, Gruppendynamik, Montessoripädagogik, das Psychodrama. Meist außerhalb der universitären Wissenschaften waren es charismatische PionierInnen, die diese Verfahren entwickelt und in einem Meister-Schüler-Verhältnis, also meistens mündlich, verbreitet haben. „Verfahren sind weniger an der Umsetzung von Vorschriften und der Erfüllung von Aufträgen interessiert, sondern eher an der Realisierung einer konkreten humanen Utopie.“ Daher ist auch die grundlegende Unterscheidung von Format und Verfahren mit Folgen für die supervisorische Praxis verbunden. Die Nachfrage nach Supervision richtet sich zuerst auf das Format, also ein Dienstleistungsangebot, das mit wenig Aufwand ein Ziel exakt erreichen soll. Da Lernprozesse nicht exakt gesteuert werden können, kommt es aber hier wie in anderen Formaten der Beziehungsarbeit auf den vielen Regeln unterliegenden, aber authentischen Kontakt zwischen Dienstleister und Nachfrager an. Verfahren wie das Psychodrama helfen dem/der SupervisorIn, mit dieser Paradoxie des regelgeleiteten, aber authentischen Kontaktes zwischen ihm/ihr und dem/der SupervisandIn umzugehen.
Ferdinand Buer bietet mit seinem Lehrbuch werdenden und praktizierenden SupervisorInnen die Möglichkeit, das Psychodrama als Verfahren kennenzulernen. Er beruft sich, wie im Titel erkennbar, auf die pragmatische Tradition, begründet von Harvardgelehrten im 19. Jahrhundert: Pragmatisches Denken ist antifundamentalistisch und pluralistisch. Es ist heute nach fast 150 Jahren relevant, weil es nach dem Kollaps totaler Erklärungssysteme Handlungs- und Denkorientierung bietet und auf demokratische Partizipation setzt. Es bietet einen Ausweg aus dem Dauerdilemma des Szientismus, der Exaktheit anstrebt, aber niemals erreichen kann. Und es proklamiert angesichts postmoderner Unübersichtlichkeit eine Konzentration auf die nächstmöglichen, verantwortbaren Schritte des sozialen Handelns. Auch hier stellt der Autor die Verbindung zur Supervision her, in dem er aufzeigt, wie mit Hilfe der pragmatischen Denkweise eine sinnmachende Supervisionspraxis konstruiert werden kann, indem die Wirkungen sozialen Handelns direkt in der Supervision geprüft, also noch im Lernprozess Handlungsalternativen auf Verbesserungsoptionen hin evaluiert werden können.
Das Psychodrama, das ihn – wie der Autor sagt – am meisten gefesselt hat, ist ein Verfahren anspruchsvoller Beziehungsarbeit, leider noch immer belastet durch die gängige Verbindung mit dem Format Psychotherapie. Buer beschreibt den Kern des Psychodrama als ein Umsetzen von szenischen Bildern aus Erinnerung und Phantasie in dramatisches Spiel, um emotionales Erleben und körperliche Aktion von reflexiver Einsicht begleitet zu vitaler Evidenz zu verdichten und bedeutsames Lernen zu ermöglichen. Psychodramatische Arrangements und Techniken stellen den Menschen Handwerkszeug zur Verfügung, mit dem sie in der Auseinandersetzung mit ihren Lebenslagen innovative Tendenzen aufzeigen und Visionen von herrschaftsfreiem Leben wirksam machen können.
Das Buch zeigt auf, wie das Format Supervision durch das Verfahren Psychodrama belebt und fruchtbar gemacht werden kann.
Hintergrund
Ein Lehrbuch über das Fachgebiet Supervision zu schreiben, bedeutet Einschränkungen gegenüber den traditionellen Ansprüchen an ein Lehrbuch:
Erst zehn Jahre bilden den Hintergrund für einen Rückgriff auf Literatur, auf publiziertes Wissen aus verschiedensten Quellen wie der Sozialarbeit, der Psychotherapie, dem Management u.a.m. Die meisten dieser Texte sind von PraktikerInnen verfaßt, sodass es sich um Erfahrungsberichte oder auch um Werbung für bestimmte Supervisionsansätze handelt.
Es exisitiert keine allgemeingültige Definition von Supervision. Ihre gegenwärtige Konjunktur erfordert genaues Nachfragen, was denn mit Supervision gemeint ist.
Es herrscht ein Richtungsstreit: Sind Supervisoren Inhaber einer Zusatzausbildung neben ihrem Beruf im Bereich der Seelsorge, Psychotherapie, Personalentwicklung oder ist Supervision eine eigene bescheidene Profession, die eine Ausbildung zur Grundlage hat und Wert auf eigenständiges Wissen und Können legt?
Publiziertes supervisorisches Wissen wird durch die Gebundenheit von Wissen und Können an Personen in der Praxis relativiert und ist daher in seiner Nützlichkeit eingeschränkt.
Daher bietet dieses Lehrbuch ausschließlich den allgemeinen, theoretischen Teil des Wissens, das ein/e SupervisorIn erlernen muss; durch praktische Erfahrungen sollte dieser Teil ergänzt, modifiziert, konkretisiert werden.
Wissen, auch das supervisorische, hat heute ein schnelles Verfallsdatum. Bewährtes Basiswissen für EinsteigerInnen aufzuschließen und mit Respekt vor anderen Richtungen eine überzeugende Richtung vorzugeben ist Anliegen dieses Buches.
Was dieses Buch noch will:
- Entwicklung einer eigenständigen supervisorischen Begrifflichkeit zur Förderung der Kommunikation zwischen allen beteiligten Gruppen wie verwandten Berufen, relevanten Wissenschaften, KundInnen und GeldgeberInnen
- Bereitstellung von Instrumenten zum Verstehen und Erklären in Form von Theorien, Konzepten und Modellen
- Handlungsorientierung und Begleitung von AusbildungskandidatInnen und praktizierenden SupervisorInnen
- Legitimation der Supervision als gesellschaftlich unverzichtbar und förderungswürdig durch Staat und Gesellschaft.
Das Buch bezieht sich auf die deutschsprachige Szene und die hiesige Tradition, beansprucht also keinen weltweite Geltung
Fachliche Qualifikation des Autors
Seine Universitätsstudien in Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Sozialpädagogik und Sozialarbeit sowie Erwachsenenbildung, in Soziologie, Psychologie, ferner Theologie, Philosophie, Politologie und Germanistik gingen seiner Tätigkeit als Professor in Forschung und Lehre in den Fächern Soziologie und Erziehungswissenschaft voraus. Die Schwerpunkte seines Interesses bildeten hier die Bereiche psychosoziale Beratung, Weiterbildung, Supervision und Organisationsanalyse. Die Beschäftigung mit humanistischen Verfahren wie u.a. Gestalt, TZI und dem Psychodrama mündeten in einer gründlichen Ausbildung im Verfahren Psychodrama, das er vor allem in Selbsterfahrung, Beratung, Weiterbildung und Supervision anwandte und das er als Ausbilder an verschiedenen Psychodrama-Ausbildungsinstituten weiter vermittelte. Er etablierte einen Supervisionsstudiengang am Psychodrama-Zentrum Münster und erklärte Supervision zum Brennpunkt seiner Forschungen.
Das Buch beruht auf diesen Studien neben der Reflexion der eigenen Supervisorentätigkeit und der Auswertung der Supervisionsliteratur.
Aufbau, Inhalte, Gliederung
Nach einer Grundlegung, die den pragmatisch-psychodramatischen Weg einführt, wird die Supervision als professionelle Beziehungsarbeit dargestellt und spezifiziert. Da Supervision als Ziel die Qualitätsverbesserung professionellen Handelns verfolgt, verortet Ferdinand Buer die Supervision zwischen Weiterbildung, Therapeutik und Organisationsentwicklung. Die Paradoxie von ökonomischem Erfolg und professionellem Ethos wird ebenso behandelt wie die spezifischen Aufgaben der Supervision in der heutigen Zeit.
Die Geschichte des Pragmatismus und seine Bedeutung für die Supervision heute und in der Zukunft führt hin zur Beschreibung einer psychodramatischen Supervision als Modell. Der Autor erläutert das Verfahren Psychodrama, stellt bisherige Konzeptualisierungen psychodramatischer Supervision vor und operationalisiert die pragmatische Perspektive auf psychodramatische Weise.
Abgrenzungen von und Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Supervisionsrichtungen werden so dann aufgezeigt.
Im Anschluss findet der/die LeserIn eine übersichtliche, schrittlogische Einführung in die Supervisionspraxis von der Akquisition über die Beziehungsgestaltung zwischen SupervisorIn und SupervisandIn bis zur ethischen Dimension supervisorischen Handelns. Nach jedem der neun Kapitel schliessen Literaturhinweise und Arbeitsmaterialien an, die wertvolle Grundlagen und Tips für die supervisorische Praxis darstellen.
Ein umfangreiches Lexikon schliesst sich an, das eine Vielzahl von Begriffen mit umfassender Information über das Fachgebiet Supervision sowie angrenzende und relevante Gebiete aus Wissenschaft und Praxis bereit hält.
Fazit
Das Lehrbuch der Supervision von Ferdinand Buer ist ein übersichtlich gegliedertes Werk, das je nach Interesse und Schwerpunkt dem/der LeserIn die Stelle des Einstiegs überlässt. Der erste Teil des Buches, die theoretische Grundlegung, überzeugt informativ und sprachlich ansprechend über philosophische Hintergründe, professionelle Ansprüche und konkrete Handlungsmaximen des Autors.
Der Pragmatismus als pluralistisches, antifundamentalistisches Denkmodell mit seinem Fokus auf die Verbesserung sozialen Handelns in den jeweils nächsten, verantwortbaren Schritten bietet die Folie für eine Vermittlung mit dem Verfahren Psychodrama zur Steuerung professioneller Beziehungsarbeit, das Ferdinand Buer selbst erlernte, lehrt und seit vielen Jahren mit seinen schriftlichen Arbeiten theoretisch bereichert und weiter entwickelt.
Die Verbindung des pragmatischen Denkmodells mit dem Verfahren Psychodrama, das Lernprozesse durch die Verdichtung von Emotion, körperlicher Aktion und reflexiver Einsicht mit hoher Wirksamkeit ausstatten kann, mündet in überzeugender Weise in dem Entwurf einer pragmatisch-psychodramatischen Supervision, die ihrem Anspruch an Professionalität unter dem Einfluss postmoderner Unübersichtlichkeit und theoretisch-fachlichen wie berufspolitischen Verwirrungen und Konflikten auf selbstkritische Weise gerecht wird.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich ausführlich mit einer in der thematischen Abfolge logischen und übersichtlichen Einführung in die Supervisionspraxis. Der Autor verwendet viel Sorgfalt bei der Erläuterung und grafischen Darstellung von Themen wie der Akquisition von Kunden über die Beziehungsgestaltung zwischen SupervisorIn und SupervisandIn bis zur ethischen Dimension supervisorischen Handelns.
Besonders hilfreich nicht nur für Supervisions-Ausbildungskandidaten ist das umfangreiche Begriffslexikon, das neben dem benötigten Fachvokabular zur Supervisionspraxis auch einen breiten Horizont von wissenschaftlichen und fachdisziplinären Verwandschaften berücksichtigt und so – eigentlich dritter Teil des Lehrbuchs – ein hilfreiches und spannendes Nachschlagewerk für WissenschaftlerInnen, Studierende und PraktikerInnen darstellt.
Insgesamt handelt es sich bei dem Lehrbuch der Supervision von Ferdinand Buer um ein Werk, das durch seine Grundprämisse, der Unterscheidung von Format und Verfahren, Struktur in den Dschungel von Angebot und Nachfrage, Bemühungen um eine Supervisionstheorie und berufspolitische Querelen bringt und das dem Leser auf pragmatisch-partizipative Weise die Möglichkeit (an)bietet, es zur individuell nutzbringenden Weise heranzuziehen. Ein ungewöhnliches, entspanntes und gleichzeitig engagiertes Lehrbuch nicht nur für SupervisorInnen, sondern für Menschen, die an Supervision interessiert sind und Supervision zur Qualitätsverbesserung ihrer eigenen Tätigkeit in Anspruch nehmen wollen.
Rezension von
Dr. Birgit Szczyrba
Sozial-und Erziehungswissenschaftlerin, Psychodrama-Leiterin (DFP/DAGG), Leiterin der Hochschuldidaktik in der Qualitätsoffensive Exzellente Lehre der Technische Hochschule Köln, Sprecherin des Netzwerks Wissenschaftscoaching
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