Maria Karidi, Martin Schneider et al. (Hrsg.): Resilienz (Wandel und Transformation)
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 18.07.2019

Maria Karidi, Martin Schneider, Rebecca Gutwald (Hrsg.): Resilienz. Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel und Transformation. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2018. 357 Seiten. ISBN 978-3-658-19221-1. D: 44,99 EUR, A: 46,25 EUR, CH: 46,50 sFr.
Autorinnen und Autor
Dr. R. Gutwald und Dr. M. Schneider sind und Dr. M. Karidi war wissenschaftliche MitarbeiterInnen an der LMU München. Alle weiteren VerfasserInnen sind in den verschiedenen Wissenschaften verankert.
Entstehungshintergrund und Thema
Nach einer entsprechenden Ausschreibung des bayrischen Wissenschaftsministeriums (2012) erhielt der Forschungsverbund ForChange den Auftrag Kompetenzen sowie Verhaltensweisen zu analysieren, die Menschen und Institutionen befähigen, Transformationsprozesse zu verstehen sowie sich diesen adäquat anzupassen.
Aufbau, Vorwort und Einleitung
Der Sammelband wird in drei Teile untergliedert. Nach dem Vorwort sowie der Einleitung folgen:
- Streitfrage Resilienz
- Kompetenzen und Ressourcen
- Systeme und Strukturen
Den Abschluss bilden Bemerkungen zu den Autorinnen und Autoren.
Im Vorwort gehen Meyen und Vogt auf den Entstehungshintergrund dieses Fachbuches ein. Forschungsauftrag sowie -frage werden benannt. Als Kontrapunkt zur klassischen Diskussion um Resilienz werden die Wertedebatte sowie Reflexivität benannt. Als Resilienzfaktoren benennen die Autoren die Kommunikation und Transparenz.
Die HerausgeberInnen geben in der Einleitung einen Einblick in den bekannten Resilienzbegriff und verweisen auf die multidisziplinäre Auseinandersetzung mit diesem Konzept. Für diesen Prozess und die Weiterentwicklung des Resilienzbegriffes wählte ForChange die Methode des Interdisziplinären Lernprozesses. Am Ende formulieren Karidi, Schneider und Gutwald als Forschungsziel, ganzheitliche Resilienzstrategien zu identifizieren sowie die empirische Forschung zu Resilienz-Wandel-Transformation voranzutreiben.
Zu Teil I
Teil I beginnen Weiß/ Hartmann und Högl mit der Auseinandersetzung der Resilienz als Trendkonzept. Auf der Basis der Bibliometrie sowie der Zitationsanalyse können Geschichte und Literatur zur Resilienz disziplin- und länderübergreifend betrachtet werden. Ein interessantes Ergebnis dieser Analysen stellt die Verbindung von gesellschaftlichem Wandel sowie der Nachfrage wissenschaftlicher Konzepte, wie der Resilienz, dar.
In ihrem Beitrag zu Resilienz-Macht-Hoffnung gehen Rungius, Schneider, Weller von der These aus, dass „…die Beliebtheit des Resilienzbegriffes trotz seiner definitorischen Unschärfemit einer veränderten Wahrnehmung von Unsicherheit, Krisen und Risiken zu erklären ist.“ (S. 33) Im Fazit wird deutlich, dass eine Verbindung des Resilienzbegriffes mit kaum erfüllbaren Versprechungen, die Wahrnehmungen der Unsicherheiten sowie Machtverhältnisse bestärkt.
Kritische Resilienzforschung als Beobachtung eines gegenwärtigen Rechtsformenwandels? hinterfragen Thurn, May und Böschen. Sie setzten sich mit „resilientem“ Recht auseinander und arbeiten Voraussetzungen heraus, damit Recht adäquat auf Adaptions- und Transformationspotenziale reagieren kann.
Der Begriff der Resilienz in der Humangeographie steht im Focus der Betrachtungen von Bobar und Winder. Sowohl die neu behandelten Konzepte der sozialen wie auch regionalen Resilienz stehen exemplarisch für die Verschiebung eines aus der Ökologie stammenden Konzeptes in die soziale und wirtschaftsorientierte Forschung.
In drei Schritten nähern sich Schneider und Vogt der ethischen Perspektive innerhalb des Resilienzdiskurses. Die normativen Leitbilder Selbsterhaltung, Kontrolle, Lernen bilden einen Kontrapunkt zu den bisherigen Resilienzdimensionen. Letztendlich fördert Resilienz die Befreiung aus Abhängigkeiten und wird somit relevant für ethisch-politische Diskurse.
Zu Teil II
Teil II beginnt Sautermeister mit einem reflexiven Blick auf das Verhältnis von Resilienz und Identität. Eine ethische Reflexion von Resilienz unterstützt den Menschen im Ringen um Selbstgestaltung und Sinnsuche unter fragilen Bedingungen. Hier treffen sich Resilienz und Salutogenese.
Der Begriff der Resilienz gewinnt auch zunehmend Bedeutung im Zusammenhang mit psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. Hurtienne und Koch plädieren für einen ganzheitlichen Ansatz bzgl. psychischer Belastungen und stellen sowohl das Individuum, das Team als auch die Organisation in den Focus ihrer Betrachtungen. Schlussendlich hat die Verhältnisprävention in Unternehmen den Vorrang.
Blum/ Gutwald setzen sich mit der Frage: Gute Arbeit, resiliente Arbeiter? auseinander. Auf der Basis einer Studie unter WissensarbeiterInnen wird die Verbindung zum Capability Ansatz hergestellt. Neben weiteren bedeutenden Ergebnissen belegen diese, dass WissensensarbeiterInnen nur Wohlergehen empfinden, wenn dieses durch die Organisation tatsächlich ermöglicht wird.
Eine Studie mit Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen bildet die Datengrundlage für die Frage nach Medien[kompetenz] und gesellschaftlicher[m] Wandel. Braun/ Gralke/ Nieding konnten nachweisen, dass Medienkompetenz ein hohes Potenzial als Resilienzfaktor sowohl in der individuellen Entwicklung als auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Verantwortung hat.
Riegger arbeitet Resilienzsensible Bildung „… als Stärkung von Menschen und Systemen in der Auseinandersetzung mit Inhalten…“ (S. 203) heraus. Die Überlegungen zum Potenzial der zukünftiger resiliensensibler Bildung bündelt der Autor in fünf übergreifenden Aspekten und Thesen.
Zu Teil III
In Teil III wird zunächst durch Berning in dem Beitrag Bamboo and Lotos anhand einer Literaturrecherche der Frage nachgegangen, was indische und chinesische Firmen resilient macht. Aus der umfangreichen Literaturstudie ging hervor, dass diesen Firmen gelingt, Nachteile in Vorteile umzuwandeln.
Inwieweit Resilienz als Antwort im Zusammenhang mit diversen Krisen geeignet ist, hinterfragen Kemmerling und Bobar mit ihrem Artikel: Viele Krisen, eine Antwort? Mit Hilfe des Ansatzes der Gouvernementalität und der kritischen Analyse wichtiger Dokumente der EU sowie deutscher Bundesministerien zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung konnte eine eher begrenzte Nützlichkeit des Begriffes „Resilienz“ im Rahmen entwicklungspolitischer Konzepte herausgearbeitet werden.
Regionalen Fragen wendet sich Jedelhauser und von Streit zu. Resilienz in regionalen Energietransitionen sind möglich, wenn der institutionelle Wandel (Energietransition im Allgäu) durch die Akteure mittels sozialer Praktiken gestaltet wird.
Mühlemeier, Wyss und Binder schließen an mit Ein[em] indikatorengestützer[n] Ansatz zur Resilienzanalyse von Energiesystemen in Transition. Anhand des neu entwickelten Indikatorengestützten Ansatzes (Binder et al. 2017) können die AutorInnen nachweisen, dass die Energiewende im Allgäu durch unterschiedliche Gesellschaftsbereiche gestützt wird.
Abschließend stellt Ostheimer Die resiliente Gesellschaft in den Focus seiner Betrachtungen. Dafür werden die Leitbegriffe „Resilienz“ und „Transformation“ mit dem Nachhaltigkeitskonzept vergleichen. Im Fazit begründet der Autor Resilienz als Kulturaufgabe und verdeutlicht mit Nachdruck, dass sozio-ökologische Veränderungen beunruhigende Folgen für die Gesellschaft nach sich ziehen.
Diskussion und Fazit
Die AutorInnen legen ein längst überfälliges Fachbuch vor. In 13 Teilprojekten setzen sich Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen mit dem Resilienzbegriff auseinander und können diesen konzeptionell weiterentwickeln. Die VerfasserInnen bewegen sich mit ihren Beiträgen weg von der Zuordnung der Resilienz auf das Individuum hin zur einer generellen Wertedebatte, in der auch Vertreter aus Politik und Wirtschaft in die Verantwortung genommen werden. Ebenso bedeutsam ist die Forderung nach Reflexivität bzgl. der Wissenschaftssysteme und der Verwendung wissenschaftlicher Debatten in der Öffentlichkeit. Interessant ist u.a. der ganzheitliche Blick auf die Resilienz im Kontext der Arbeit. Der Bezug z.Bsp. auf gesellschaftliche Themen wie entwicklungspolitische Programme oder die Entwicklung regionaler Energiesysteme weisen auf die wachsende Bedeutung der Geistes- und Sozialwissenschaften bei der Gestaltung der tiefgreifenden systemischen Veränderungen. Als Credo dieses Sammelbandes bleibt: eine resiliente Gesellschaft braucht Wandel.
Fazit: Dieser Sammelband setzt sich auf höchstem wissenschaftlichem Niveau mit dem Konzept der Resilienz auseinander. Der Blick auf Resilienz aus unterschiedlichen Fachdisziplinen bereichert und erweitert den Resilienzdiskurs. Es wurde höchste Zeit, dass der Blick nicht nur auf das Individuum sondern auch auf Politik und Wirtschaft gelenkt wird. Danke für all die Einblicke in die interdisziplinäre Resilienzforschung. Der vorliegende Band sollte unbedingt in die Lehre unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen einbezogen werden und weitere Forschungen anregen. Denn Resilienz ist weit mehr als individuelle Widerstandskraft.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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