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Noam Chomsky: Kampf oder Untergang!

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 16.11.2018

Cover Noam Chomsky: Kampf oder Untergang! ISBN 978-3-86489-233-2

Noam Chomsky: Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen. Westend Verlag GmbH (Frankfurt) 2018. 224 Seiten. ISBN 978-3-86489-233-2. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR.
im Gespräch mit Emran Feroz.

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Aufstehen gegen Unmenschlichkeit

Mit der Frage, warum die Lämmer schweigen (Rainer Mausfeld, 2018) wird die verzweifelte, eher hoffnungs- und machtlose Frage danach gestellt, warum sich Wehrlose zu etwas zwingen lassen, was sie nicht wollen, und sich nicht dagegen wehren. Dieses aus der Bibel und der leidvollen Erfahrung der Menschen abgeleitete Sprichwort wird vielfach als Aufruf zum Widerstand gegen Ungemach, Gewalt und Unmenschlichkeit genutzt. Es scheint, dass die Menschheit derzeit wieder vor einer Weltsituation steht, die durch Kriegsgefahr, Machtmissbrauch, Ego- und Ethnozentrismus, Rassismus und Populismus gekennzeichnet ist. Der Appell, wie ihn 1995 die Weltkommission „Kultur und Entwicklung" formulierte, dass die Menschheit vor der Herausforderung stehe, umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden, verhallt scheinbar ungehört an den Mauern und Stacheldraht-Zäunen der  Mächtigen.

Doch es gibt Menschen, die nicht machtlos dem Treiben zuschauen oder sich ducken vor der Übermacht der egozentristischen „Herrscher der Welt“. „Wer regiert die Welt?“ fragt der Historiker Jan Morris mit der Nachschau, „Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden“ ( Ian Morris, Wer regiert die Welt?, 2011, https://www.socialnet.de/rezensionen/12186.php ). Der US-amerikanische  Sprach- und Sozialwissenschaftler Noam Chomsky gilt in den USA und weltweit als ein linker und intellektueller Geist, der die globalen Machtpolitiken und hegemonialen Herrschaftsstrukturen immer wieder kritisiert und mahnt, dass Hegemonialpolitik dazu führen kann, die Menschheit zu vernichten. Mit dem 2003 erschienenem Buch  „Hegemony or Survival“, das erst 2017 in deutscher Sprache veröffentlicht wurde ( Noam Chomsky, Hegemonie oder Untergang. Amerikas Streben nach Weltherrschaft, 2017, https://www.socialnet.de/rezensionen/22142,php ),  und seiner Abrechnung mit der aktuellen US-amerikanischen Innen- und Außenpolitik ( Noam Chomsky, Wer beherrscht die Welt? Die globalen Verwerfungen der amerikanischen Politik, 2016, https://www.socialnet.de/rezensionen/22197.php ) wird er zu einem globalen Mahner und Aufforderer zum globalen Widerstand gegen Menschenfeindlichkeit.

„uomo universale“

Die Suche nach den Homo sapiens sapiens, den verständigen, wissenden, rationalen und emotionalen, verantwortungsbewussten Menschen, der in der Lage ist, seinen Verstand zu benutzen  ( vgl. dazu: Hans Lenk, Kreative Aufstiege. Zur Philosophie und Psychologie der Kreativität, 2000, S. 14), dauert an! Die menschengemachten Krisen – Umwelt, Hunger, Gewalt, Wirtschaft – machen deutlich, dass der philosophische Rat, der Mensch möge den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Kant) weder per Ordre du mufti, noch durch Propaganda zu erreichen ist, sondern das bedarf, was als einziges, wirksames Mittel für eine humane Zielsetzung für ein gutes, gelingendes Leben gilt: Aufklärung! ( siehe dazu z.B.: Jos Schnurer, Die Menschen motivieren, dass sie aufgeklärt und gebildet sein wollen! In: Pädagogische Rundschau, 3/2018, S. 363 – 373 ).

„Man hat den Eindruck, dass die Menschen verdummen und sich immer weiter dem Abgrund nähern, während sie im Dunst der Globalisierung und des Kapitalismus ihren selbstzerstörerischen Tätigkeiten nachgehen“. Diese Wahrnehmung stammt eben nicht von jemandem, der bereits alle Hoffnungen aufgegeben hat, dass der Homo ratiocinans sich auf Humanität besinnen möge. Es ist vielmehr die Aktivität und der Mut zum positiven, überzeugten und unnachgiebigen Denken, der gegen Ungerechtigkeit, Egoismus und Menschenfeindlichkeit antritt. Der 1991 geborene österreichische Journalist, Islam- und Politikwissenschaftler mit afghanischen Wurzeln, Emran Feroz, hat mit dem 1928 geborenen, in Tuscon/Arizone lebenden  Wissenschaftler Noam Chomsky 2017 mehrere Interviews geführt. Der Journalist ist fasziniert von der Prägnanz, Analysefähigkeit und Treffsicherheit, die der kritische Intellektuelle zur Lage der Welt, von Macht und Ohnmacht, Bedrohung und Perspektiven äußert.

Aufbau und Inhalt

Die sechs Stationen, die die kommentierten Interviews wiedergeben, sind gewissermaßen  das Laufband  der Aufzeichnungen. Sie beginnen mit dem Wohnort Chomskys nahe der mexikanischen Grenze, in Tuscon/Arizona. Im Linguistik-Institut der dortigen Universität hat Chomsky sein Büro, nicht zufällig, sondern mit dem historischen und anthropologischen Fingerzeig, dass ursprünglich die heutigen, US-amerikanisch-lateinamerikanischen Grenzregionen „besetztes indigenes Land sei“. Seine Analyse ist eindeutig: „Ein Teufelskreis aus bekannten Mechanismen: Die Konzentration des Reichtums führt zu einer noch stärkeren Konzentration politischer Macht, was wiederum zu einer Politik führt, die die Gräben zwischen der herrschenden Elite und dem Prekariat vertieft und die Demokratie noch weiter untergräbt“.

Das zweite Interview-Kapitel wird überschrieben mit: „Imperialismus, Krieg und Fluchtursachen“. Es ist die von der kapitalistischen und hegemonialen US-amerikanischen Politik gesteuerte, imperiale und protegierte westliche Macht, die die Menschheitskrisen veranlasst und befördert hat. Die Abschottung der europäischen Länder vor den weltweiten Flucht- und Migrationsbewegungen findet ihr Pendant im Mauerbau an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze  und in egoistischen, gewalt- und waffenverherrlichenden Überlegenheitsphantasien.

Die Bezeichnungen und Diagnosen, die Gegner und Befürworter der Situation artikulieren, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde, lesen sich, ob von Anhängern oder Gegnern und Kritikern, wie in einem Märchenbuch  oder einem Horrorgebilde:  Reality-TV-Star oder Twitter-Troll, Heilsbringer oder Narzisst, Versöhner oder Spalter, Newser oder Fake Newser…  Die vernichtenden Urteile und Belege, die Chomsky beim persönlichen und lokal- und global-politischen Handeln Trumps heranzieht, zeigen das Bild einer gefährlichen, unberechenbaren und verantwortungslosen Weltentwicklung: Fünf Minuten vor Zwölf!

Im vierten Kapitel geht es um “Gott, Religion und Staat“. Der Sozialist Chomsky ist kein religiöser Mensch. Sein humanistisches, globales Bewusstsein ist geprägt von der Überzeugung, dass das Menschenrecht auf Gedanken- und Religionsfreiheit mit allen Mitteln verteidigt und verwirklicht werden muss. Deshalb setzt er sich ein für Minderheitenrechte und verabscheut jede Form von Ego- und Ethnozentrismus, von Nationalismus und Rassismus, von Dogmatismus und Fundamentalismus. Und er erkennt im Terrorismus die Unfähigkeit und den Unwillen, tolerant zu denken, und gleichzeitig eine irrationale Selbstüberschätzung  und Menschenfeindlichkeit.

Das fünfte Kapitel motiviert zum „Optimismus in der Dystopie“. Es ist ein Mutsprechen und eine Aufforderung, den pessimistischen und fatalistischen Kakotopien und Kakophonien zur Menschheits- und Weltentwicklung optimistisches und hoffnungsvolles Denken und Handeln entgegenzusetzen: Er zeigt vielfältige Beispiele auf, wie ein Mut zur Tat angesichts der scheinbaren Aussichtslosigkeit und Hilflosigkeit in der Welt aussieht; etwa, wenn die Tusconans in die Wüste gehen, Verpflegungsstationen errichten und Wasservorräte anlegen, um den Flüchtlingen Überleben zu sichern. Und nicht zuletzt ist es die Aufforderung, dass sich das Individuum als soziales Lebewesen darum bemühen müsse, objektiv  und wahrhaftig Informationen zu erwerben und Fake News  erkennen zu können. Dafür ist Bildung notwendig!

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Fazit

„Wie wir die Herren der Menschheit das Fürchten lehren!“.  In der vom Rezensenten so charakterisierten „wortgewordenen Bestandsaufnahme eines kritischen, widerständigen Lebens“  kommen Erinnerungs- und Analysekompetenzen zusammen: Noam Chomsky ist Realist und Optimist gleichzeitig. Er ist vor allem davon überzeugt, dass die Fähigkeiten des Menschen zur Einsicht und Veränderungsbereitschaft gestärkt und gefördert werden müssen. Ein Perspektivenwechsel hin zu dem Bewusstsein ist notwendig: „Man kann die Welt nicht allein ändern“. Zur „intellektuellen Selbstverteidigung“ des Individuums sind Solidarität, Sozialbewusstsein und Empathie erforderlich. In den Interviews, die Emran Feroz mit Noam Chomsky geführt hat, bilden sich Modelle und Konzepte ab, die ein humanes Denken und Handeln Hier, Heute und Morgen möglich machen!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1595 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 16.11.2018 zu: Noam Chomsky: Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen. Westend Verlag GmbH (Frankfurt) 2018. ISBN 978-3-86489-233-2. im Gespräch mit Emran Feroz. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25009.php, Datum des Zugriffs 10.06.2023.


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