Marco Adamina, Markus Kübler et al. (Hrsg.): „Wie ich mir das denke und vorstelle“
Rezensiert von Monika Pietsch, 05.08.2019

Marco Adamina, Markus Kübler, Katharina Kalcsics, Sophia Bietenhard, Eva Engeli (Hrsg.): „Wie ich mir das denke und vorstelle...“. Vorstellungen von Schülerinnen und Schülern zu Lerngegenständen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft. Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung (Bad Heilbrunn) 2018. 325 Seiten. ISBN 978-3-7815-2257-2. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Thema
Die zentrale Frage ist: Was denken Kinder über die Welt und ihre Sachen? Die Kernfrage wird in themenbezogenen Beiträgen erörtert. Das Buch will einen Überblick über die Vorstellungen von SchülerInnen zu den verschiedenen Bereichen des Sachunterrichts geben.
HerausgeberInnen
Die HerausgeberInnen sind Dozenten für Fachstudien/ -didaktik Natur, Mensch, Gesellschaft.
Prof. Dr. Marco Adamina, Leiter des Programms „Kompetenzorientierter Fachunterricht“/ PH Bern
Dr. phil et habil. Markus Kübler, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung/ PH Schaffhausen.
Prof. Dr. Katharina Kalcsics, Bereichsleiterin Fachstudien/-Didaktiken/ PH Bern.
Dr. Sophia Bietenhard, Schwerpunkt Ethik, Religionen, Gemeinschaft/ PH Bern.
MA Eva Engeli, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Schulleiterin.
Entstehungshintergrund
Der NMG- Unterricht im Lehrplan 21 für die deutschsprachige Schweiz entspricht im Wesentlichen dem Sachunterricht in Deutschland, eingeschlossen die Bereiche Ethik, Philosophie und Religionskunde. Grundlegende Ergebnisse der Forschung von Schülervorstellungen zu inhaltlichen Perspektiven des Sach- und Natur- Mensch- Gesellschafts- Unterricht (NMG- Unterricht) sollen zugänglich gemacht werden; die Bedeutung der Vorstellungen für das Lernen und Lehren soll beleuchtet werden.
Aufbau
Das Buch umfasst 3 Grundlagenkapitel, ein Kapitel zur Methode und anschließend führen 11 Kapitel die verschiedenen Aspekte des Lehrplans für den Sachunterricht aus. Ausgewählte Kapitel werden hier exemplarisch beschrieben.
Inhalt
Vorstellung von Schülerinnen und Schülern zu Themen des Sachunterrichts und des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft – Einführung; Adamina, Kübler, Kalcsics, Bietenhard, Engeli
Im 1. Grundlagenkapitel wird festgestellt, dass Lernende schon vor der Schulzeit über Erfahrungen zu Phänomenen, Sachen und Situationen verfügen. Beeinflusst durch die Familie und die Umwelt haben sie verschiedene Eindrücke verarbeitet und Vorstellungen konstruiert. In Studien wird erforscht, welche Vorkenntnisse vorliegen und wie die Unterrichtskonzepte angepasst werden können und sollen.
Schülervorstellung – lern- und entwicklungspsychologische Grundlagen; Hardy, Meschede
Das 2. Grundlagenkapitel zeigt inwieweit und mit welchen Voraussetzungen Kinder Themen aufnehmen und wissenschaftlich angemessene konzeptuelle Entwicklungen zeigen können.
Die Bedeutung von Schülervorstellungen für das Lernen im Sachunterricht; Möller
Seit den 70er Jahren gibt es eine Erforschung von Schülervorstellungen. Im 3. Grundlagenkapitel werden die Theoriekonzepte zu dem Schülervorstellungen beschrieben. Diese Schülervorstellungen sollte fortwährend mit dem Gelernten und Verinnerlichten überprüft werden. Nur so kann ein Anpassen an den Unterricht gelingen. Dabei sollte den Lernenden die Möglichkeit gegeben werden sich schriftlich, mündlich, zeichnerisch oder durch Gesten und Handlungen mitzuteilen.
Schülervorstellungen erschließen – Methoden, Analyse, Diagnose; Hartinger, Murmann
Der Unterschied zwischen fachlichen Vorstellungen und Schülervorstellungen ist anzuerkennen. Drei Merkmale für den Unterricht werden von Hartinger/ Murmann vorgestellt:
- in Unterricht Situationen schaffen, in denen Vorstellungen gesagt werden können
- Methodenbewusstsein, d.h. eine Unterscheidung zwischen den geäußerten Aussagen und den dahinter liegenden Vorstellungen
- Kenntnis der Sache, um Konzepte weiter zu entwickeln
Die folgenden Kapitel haben in etwa den gleichen Aufbau. Es werden jeweils fachbezogen die Grundlagen und Hinweise zum Konzept vorgestellt, dann die Schülervorstellungen und abschließend Empfehlungen für den Unterricht gegeben bzw. Forderungen für weitere Studien gestellt und ein umfängliches Literaturverzeichnis angehängt.
Tiere, Pflanzen und Lebensräume erkunden und erhalten – Schülervorstellung; Schrenk, Baisch
Schrenk/ Baisch beschreiben für Grundschüler die biologischen Basiskompetenzen. Als besonders bedeutsam sehen sie die Bereiche:
- Stammesgeschichte: z.B. Verwandtschaft, Evolutionsprozesse
- Variabilität und Angepasstheit: z.B. ökologische Nische, Evolutionsmechanismen
- Struktur und Funktion: z.B. Oberflächenvergrößerung, Schlüssel- Schloss
Die weiteren Basiskompetenzen sind: Steuerung und Regelung, Information und Kommunikation, Reproduktion, Kompartimentierung (hierarchische Gliederung).
Als Beispiel für Vorerfahrungen und Lerninhalte beschreiben Schrenk/ Baisch folgende Situation:Zunächst geht es in einer Unterrichtseinheit der 4. Klasse um den Begriff des Lebewesens. Die Kinder benennen Bäume, Tiere etc. und wenden auf die Lebewesen verschiedene Kriterien an. Dabei kommen sie auch auf das „Feuer“. Für die Kinder ist das „Feuer“ nach den aufgestellten Kriterien auch ein Lebewesen. Die Vorerfahrung der Kinder könnte sein, dass sie die Bereiche Lebensraum und Lebewesen verwechseln.
Schrenk/ Baisch stellen verschiedene Studien und Untersuchungen dar, die sich mit dem Phänomen des Unterschieds zwischen belebten und unbelebten Objekten befassen. Die Themen umfassen: Ökologie, Interessen und Vorstellungen zu Tieren und zu Pflanzen. Abschließend geben Schrenk/ Baisch einige Hinweise auf Lerngelegenheiten im Unterricht. Unter anderem favorisieren sie den Schulgarten, in dem viele Aspekte betrachtet werden können: säen, beobachten von Wachstum, der Pflanzenzyklus, Einfluss von Licht, Boden und Wasser etc. Einen weiteren Lernanlass sehen sie in den Zimmerpflanzen im Klassenzimmer, dabei sollten die Schüler Verantwortung für die Pflege übernehmen, andere Lernfelder liegen in der Essbarkeit von Pflanzen, dem Spielwert (z.B. Kastanien) und interessanten Berührungserfahrungen (z.B. Kletten).
Technische Entwicklungen und Umsetzungen erschließen – und dabei Schülervorstellungen berücksichtigen; Möller, Wyssen
Das Kapitel beginnt mit dem Verständnis von technischer Bildung im Rahmen des NMG- bzw. Sachunterrichts. Danach sollen Kinder an Beispielen und auch praktisch wesentliche Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der Technik erarbeiten und grundlegende Inhaltsfelder erschließen und die gesellschaftliche Dimension von Technik einbeziehen. Eine frühe technische Bildung soll auch Hemmnissen und Ängsten entgegen wirken.
Möller und Wyssen zeigen die wenigen Untersuchungen auf und konstatieren: technikbezogene Vorstellungen von Grundschülern reichen von rudimentären Vorstellungen bis hin zu detailliertem Wissen. Die Vorstellungen sind nicht „fertig“. Bei einer Präsentation oder in der Diskussion einer Arbeitsgruppe werden sie gedanklich weiterentwickelt.
In dem Abschnitt „Technikbezogene Schülervorstellungen aufgreifen und weiter entwickeln“ stellen Möller/ Wyssen fest, dass das Schülerwissen zu Beginn der Lerneinheit abgefragt werden kann. Anschließend kann ein Problem erklärt werden, z.B. Figuren, die sich nacheinander auf und ab bewegen sollen. Werden nun erste Ideen in einer Diskussion erläutert und Versuche von Zeichnungen hergestellt, erleben die Kinder eine Weiterentwicklung der eigenen Ideen.
Schließlich geben die Autoren Forschungsanregungen:
- Welche Vorstellungen haben Grundschulkinder zur Funktionsweise technischer Artefakte aus ihrem Alltag?
- Welche Rolle spielen das Handeln und die zeichnerische Darstellung?
- Wie kann die Lehrperson die Weiterentwicklung der Vorstellungen unterstützen?
Wie Kinder Religion und Religionen begegnen; Helbling
In Deutschland und Österreich wird das Fach Religion oder Ethik unterrichtet. In der deutschsprachigen Schweiz gehört die Religion als fachliche Perspektive in den Fachbereich der NMG. In diesem Fach geht es um religiöse Phänomene in der Gesellschaft. Ziel ist es u.a. religiöse Gemeinschaften zu erkennen und Überzeugungen und Praxis zu verstehen. Helbling benennt 4 Bereiche aus denen sich eine religionskundliche Relevanz ergeben und hinterlegt sie mit internationalen Studien und Untersuchungen:
- Wahrnehmung religiöser Spuren: Kinder haben positive Gefühle in Kirchen, unabhängig davon, ob sie religiös sind.
- religiöse Texte: einige Bibeltexte sind bekannt, doch haben sie für die Kinder keine Relevanz und sind einfach Geschichten. Die Schule hat dabei einen Einfluss auf die Kinder.
- religiöse Praxis und Festtradition: Kinder aus religiösen Familien kennen Details z.B. der Ostergeschichte. Die Ausrichtung der Schule spielt dabei keine Rolle.
- der Umgang mit religiöser Vielfalt: Untersuchungen zeigen, Grundschüler sind der Vielfalt der Religionen gegenüber gelassen und sie sind für sie selbstverständlich.
Im Abschnitt „Vom Umgang mit Präkonzepten im religionskundlichen Unterricht“ fasst Helbling die Untersuchungen noch einmal zusammen. Dabei fällt ihm z.B. auf, dass sich Studien an der christlichen Religion orientieren und diese auch als Ausgangspunkt nehmen, andere Religionen fehlen. Dringend zu erforschende Aspekte sind für Helbling in „Erkenntnisse und zukünftigen Herausforderungen“, systematische und pluralistische Studien, der Fokus auf Einstellungen und nicht nur auf Sachwissen, sozialen, gesellschaftlichen und bildungsrelevanten Merkmale im Vordergrund.
Interessen von Schülerinnen und Schülern am Fach und an Themen des Sachunterrichts bzw. des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft (NMG); Adamina
Er zeigt in seinen Studien, dass die Kinder in den Klassenstufen 1- 6 übereinstimmend Interesse an der belebten Natur haben, ebenso der Erde, des Universums, der Erdgeschichte u.a. Über die Schuljahren hinweg gibt es eine Verschiebung der Interessen. Die Kinder interessieren sich vor allem für das Spannende und Geheimnisvolle (1.,3. und 5. Schuljahr), für das was im Jetzt und zukünftig wichtig ist ( 5. und 7. Schuljahr), extrinsische Gründe nehmen mit den Jahren ab. Adamina stellt einen Zusammenhang zwischen den Interessen der Schüler und deren Lernleistung dar. Letztendlich scheint die Lehrperson, ihre motivierender Unterricht mit aktiven Anteilen für die Schüler eine große Rolle zu spielen. Das Interesse der Lehrpersonen an den Thema ist relevant für das Interesse der Schüler, ebenso die Souveränität mit der der Unterricht gestaltet und kritischen Fragen begegnet und inwieweit auf das Vorwissen der Lernenden eingegangen wird.
Weitere Themen, die im Buch entsprechend behandelt werden sind:
Glück, Gesundheit, Körper; Stoffe, Energie und Bewegungen; Sinne, Optik, Akustik; naturwissenschaftlich-geographische Phänomene; Wirtschaft, Arbeit, Produktion und Konsum; Räume und räumliche Situationen; Erde, zu fernen Räumen und und zu Lebensweisen von Menschen in verschiedenartigen Gebieten der Erde; Historisches Denken bei 4- bis 11-jährigen; politische Vorstellungen und gerechtes Handeln.
Diskussion und Fazit
Das Buch richtet sich an Studierende, Lehrpersonen, Referendare und FachdidaktikerInnen. Obwohl es umfangreich ist, sind die vielen Themen kurz und knapp beschrieben. Wer sich für die Studien interessiert, wird hier nur kurze Hinweise finden und kann sich über das umfassende Literaturverzeichnis informieren.
Zu vielen Themen des Sach- bzw. NMG- Unterrichts gibt es keine umfänglichen und sicheren Erkenntnisse durch Studien. Die Untersuchungen sind eher Schlaglichter und reißen die Themen an. Viele Fragen bleiben offen. In dem vorliegenden Buch werden deshalb neben der Problemstellung und der fachlichen Beschreibung einerseits didaktische Anregungen gegeben, andererseits Forderungen an weitere Studien gestellt.
Letztlich wundert das momentane Ergebnis nicht: Lernen und der Erfolg hängt mit den Lehrenden zusammen. Je nachdem wie stark deren Begeisterung für einen Sachverhalt ist, werden die Kinder angesteckt. Auch eine motivierende und aktivierende Didaktik unterstützt den Erfolg. Und als dritter Bereich kommen die Vorerfahrungen der Kinder zum Tragen.
Rezension von
Monika Pietsch
Training und Konstruktives Lernen
selbständige Trainerin und Beraterin, Schwerpunkt: Team- und Führungskompetenzen mit den Methoden des konstruktiven Lernens
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