Theresa Hilse-Carstensen, Sandra Meusel et al. (Hrsg.): Freiwilliges Engagement und soziale Inklusion
Rezensiert von Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff, 27.08.2019

Theresa Hilse-Carstensen, Sandra Meusel, Germo Zimmermann (Hrsg.): Freiwilliges Engagement und soziale Inklusion. Perspektiven zweier gesellschaftlicher Phänomene in Wissenschaft und Praxis. Springer VS (Wiesbaden) 2019. 234 Seiten. ISBN 978-3-658-23671-7. 49,99 EUR.
Thema
Der Fachdiskurs zum freiwilligen Engagement ist schon seit längerem auf vielen Ebenen und in vielfältigen Bezügen präsent. Auch in sozialpolitischen Debatten wird eine breite Bereitschaft zum Engagement weiter Teile der Bevölkerung als notwendige Antwort auf gesellschaftliche Wandlungsprozesse thematisiert, die ohne zivilgesellschaftliche Beteiligung nicht zu bewältigen seien. Dies wird durchaus auch in dem Sinne kritisch diskutiert, dass sich der Staat damit zu Lasten von Bürgerinnen und Bürger seiner Aufgaben und Verantwortung teilweise entledigt.
Eine ganz andere Perspektive auf freiwilliges Engagement ergibt sich aus den Erkenntnissen und Ergebnissen einschlägiger Forschungsprojekte und -daten, die eindrucksvolle Belege dafür liefern, dass sich gesellschaftliche Beteiligung im freiwilligen Engagement günstig auf den sozialen Status und die Lebensqualität der Engagierten auswirkt und damit maßgeblich zu sozialer Inklusion beiträgt.
Der Deutsche Freiwilligensurvey (FWS), eine repräsentative Befragung zum freiwilligen Engagement in Deutschland, bisher in vier Wellen in den Jahren 1999, 2004, 2009 und 2014 erhoben – die fünfte Welle läuft in 2019 -, weist allerdings nach, das es bei besonders von Exklusion bedrohten Bevölkerungsgruppen deutliche Zugangsbarrieren zum freiwilligen Engagement gibt. Das Ausmaß gesellschaftlicher Beteiligung – und das wird in Sonderauswertungen zum Freiwilligensurvey deutlich – korreliert in Deutschland mit Einkommen, Bildungsstand und sozialem Status.
Es gibt also gute Gründe, sich mit den vielfältigen Interdependenzen zwischen freiwilligem Engagement und sozialer Inklusion intensiver zu beschäftigen, was mit der vorliegenden Publikation eingelöst wird.
Herausgeber*innen
- Dr. Theresa Hilse-Carstensen ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für kommunale Planung und Entwicklung e.V. Erfurt.
- Prof. Dr. Sandra Meusel ist Professorin für Soziale Arbeit an der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera.
- Prof. Dr. Germo Zimmermann ist Prorektor und Professor für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Jugendarbeit an der CVJM-Hochschule in Kassel.
Entstehungshintergrund
Vor dem skizzierten Hintergrund nimmt die vorliegende Publikation die Inklusionsfunktion des freiwilligen Engagements als Ausgangspunkt für einen Sammelband, in dem relevante Forschungsergebnisse und Ansätze aus der Fachpraxis vorgestellt und kritisch gewürdigt werden. Die Buchveröffentlichung verfolgt damit das Ziel, eine multiperspektivische Betrachtung der Zusammenhänge zwischen freiwilligem Engagement und sozialer Inklusion vorzunehmen und die Erkenntnisse daraus einer breiten Fachöffentlichkeit in Politik, Theorie und Praxis zugänglich zu machen.
Aufbau und Inhalt
Nach einem einleitenden Kapitel der drei Herausgeber*innen, in dem eine grundlegende thematische Hinführung erfolgt und in dessen Rahmen auch die beiden Leitkonzepte der Publikation – freiwilliges Engagement und soziale Inklusion – zusammenfassend skizziert werden, gliedert sich das Buch in zwei große thematische Schwerpunkte.
Der erste Themenblock fokussiert auf theoretische Perspektiven und empirische Befunde zum Wechselspiel von freiwilligem Engagement und sozialer Inklusion. Dazu werden in insgesamt elf Buchbeiträgen interdisziplinäre Aspekte und Erkenntnisse präsentiert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie und in welchem Ausmaß freiwilliges Engagement ein Motor für soziale Inklusion sein kann. Vier der Beiträge fokussieren auf die Frage nach der Bedeutung und dem Einfluss von Migrations- und Fluchterfahrungen auf gesellschaftliche Beteiligung.
- Misun Han-Broich thematisiert in ihrem Beitrag die Chancen und Grenzen des Engagements im Kontext gesellschaftlicher Integration und Inklusion von Menschen mit Migrationserfahrung.
- Susen Engel und Julia Raspel gehen der Frage nach, ob und wie der Umgang mit Unsicherheit eine zentrale Herausforderung für das freiwillige Engagement geflüchteter Menschen darstellen kann.
- Andreas Kewes und Chantal Munsch beschäftigen sich mit dem Einfluss des Migrationshintergrunds auf Engagementabbrüche in Wohlfahrtsverbänden.
- Anne-Kathrin Schürer fokussiert auf Frauen mit Zuwanderungsgeschichte und welche Wirkungen diese auf Anerkennung, Inklusion und Lebensbewältigung hat.
Freiwilliges Engagement und soziale Inklusion, verbunden mit verschiedenen Facetten des Alterns, greifen zwei Beiträge auf.
- Christine Schönberger und Barbara Solf-Leipold beschreiben welche subjektive Bedeutung von selbstorganisierten Bürgerhilfevereinen im ländlichen Raum ausgeht und welche Wirkungen das auf die Teilhabechancen Älterer hat.
- Theresa Hilse-Carstensen thematisiert die Dimensionen sozialer Inklusion am Beispiel des Freiwilligenengagements in der Begleitung von Menschen mit Demenz.
Ebenfalls zwei Kapitel widmen sich spezifischen Ansätzen von und für Menschen mit Erfahrungen in der Psychiatrie. So beschreibt
- Andrea Dischler soziale Inklusion als Teilhabe mit Eigensinn,
- Heike Stecklum nimmt retrospektiv die sicheren Erwerbsstrukturen in der DDR als Ressource für das freiwillige Engagement psychisch erkrankter Menschen in den Blick.
Drei weitere Beiträge in diesem ersten Themenblock werfen den Blick auf Bevölkerungsgruppen, die lt. den Erhebungen der Freiwilligensurveys im Engagement eher unterrepräsentiert sind.
- Germo Zimmermann thematisiert soziale Inklusion durch Engagement in der Kinder- und Jugendarbeit,
- Sandra Meusel beschäftigt sich mit freiwilligem Engagement und sozialer Benachteiligung,
- Sarah Häseler-Bestmann et. al. beschreiben Rolle und Funktion von intergenerationellen Patenschaften für gesellschaftliche Teilhabe und Entwicklung.
Gemeinsam ist diesen elf Beiträgen im ersten Themenblock, dass sie empirisch begründet und auf Forschungsergebnissen basierend eine theoretische Fundierung bezogen auf das Thema der Publikation liefern,
Darauf baut der zweite Themenblock auf, der auf der Basis einer sehr bunten Palette von Beispielen gelungener Praxis die Chancen und Grenzen von freiwilligem Engagement als Motor sozialer Inklusion aufzeigt und innovative Ansätze verschiedener Handlungsfelder des freiwilligen Engagements präsentiert. Dies reicht von der inklusiven Funktion des Engagements in der Bahnhofsmission und von einschlägigen Projekten in Wohlfahrtsverbänden und städtischen Quartieren, über einen Ansatz zur politischen Beteiligung von Menschen mit und ohne Behinderung, einem Beispiel der Selbstorganisation in Kolumbien bis hin zu partizipativen Formen der Sozialforschung und der Vorstellung einer einschlägige Fortbildung zum Integrationscoach. Ein wirklich bunter Strauß aus der Praxis, in knapper, strukturierter Form skizziert.
Zielgruppe
Das Buch adressiert Dozierende und Studierende der Sozialen Arbeit, Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Es ist aber auch an Praktiker*innen in der Sozialen Arbeit, in Wohlfahrtsverbänden, zivilgesellschaftlichen Initiativen und im Management freiwilligen Engagements gerichtet. Beide große Zielgruppen – in Theorie und Praxis – werden mit der Publikation gut angesprochen.
Diskussion und Fazit
Die Verknüpfung der beiden Leitkonzepte in der Publikation macht deutlich, dass bislang im Feld der Engagementförderung viele Ressourcen und Potenziale ungenutzt bleiben. Die wichtige Funktion, die das freiwillige Engagement für die soziale Inklusion von eher benachteiligten Zielgruppen hat, die über eingeschränkte Möglichkeiten und Ausgangsvoraussetzungen für gesellschaftliche Beteiligung verfügen, wird sehr deutlich herausgearbeitet. Die Projektbeispiele veranschaulichen das sehr gut, wirken aber in der Auswahl und Zusammenstellung etwas beliebig.
Fazit: Mit dieser Einschränkung, ist das Buch unbedingt zu empfehlen. Es beleuchtet mögliche neue Facetten und Perspektiven auf die Potenziale, die in der Förderung von Engagement für eher marginalisierte Gruppen liegen und setzt neue Impulse in der Debatte um die Bedeutung und Reichweite zivilgesellschaftlichen Engagements im gesellschaftlichen Wandel. Eine lohnende Lektüre!
Rezension von
Prof. Dr. Cornelia Kricheldorff
Beratung – Prozessbegleitung – Training;
Soziale Gerontologie und Soziale Arbeit im Gesundheitswesen
Katholische Hochschule Freiburg (em.)
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