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Toby Walsh: It´s alive (Künstliche Intelligenz)

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 09.11.2018

Cover Toby Walsh: It´s alive (Künstliche Intelligenz) ISBN 978-3-89684-266-4

Toby Walsh: It´s alive. Wie künstliche Intelligenz unser Leben verändern wird. Edition Körber (Hamburg) 2018. 345 Seiten. ISBN 978-3-89684-266-4. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 25,90 sFr.

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Das Zauberwort Algorithmus

Im öffentlichen Diskurs um Fragen, wie und wohin sich der anthrôpos, der Mensch, in der nahen Zukunft entwickle, stehen ganz obenan die Visionen, wie sie in der Informatik als virtuelle Strukturen benutzt werden. Mit Algorithmen, den ursprünglich bereits in der Antike benutzten, aufeinanderfolgenden Strukturmerkmalen zur Bewältigung einer Aufgabe, werden bei der Konstruktion von Computerprogrammen in aufeinanderfolgenden Einzelschritten und Produktmerkmalen Problemlösungen vorgenommen. Die verwirrende, utopische Vorstellung, dass in der Entwicklung der Menschheit das Alleinstellungsmerkmal des denkenden Menschen durch „denkende Maschinen“ ergänzt, ja möglicherweise sogar ersetzt werden könne, ist geeignet, utopische und fatalistische Gedanken zu erzeugen, hemmungslose Erwartungen und lähmende Befürchtungen zu schaffen. KI = Künstliche Intelligenz ist ein Innovationsanspruch (vgl. dazu: Wolf Lotter, Innovation. Streitschrift für barrierefreies Denken, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25046.php), der im wissenschaftlichen, technologischen und öffentlichen Diskurs hoch im Kurs steht, mit Hoffnungen und Befürchtungen belegt wird und gesellschaftliche Irritationen bewirkt.

Autor

Es ist deshalb nützlich und hilfreich, den fach- und expertenbezogenen Diskurs durch eine populärwissenschaftliche Publikation zu ergänzen. Der Wissenschaftler Toby Walsh, Inhaber einer Professur für KI an der australischen University of New South Wales, ist davon überzeugt, dass eine lokale und globale, individuelle und gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit der weltweiten Entwicklung zur Künstlichen Intelligenz notwendig ist; und zwar sowohl deshalb, weil KI sowohl Menschenleben retten und Leben verbessern, als auch Gefahren für ein humanes Überleben der Menschheit bringen kann. Es kommt darauf an, das lokal- und globalgesellschaftliche Leben der Menschen darauf einzustellen, dass die Entwicklungen und Veränderungsprozesse darauf ausgerichtet sind, menschenwürdiges Dasein für alle Menschen zu erreichen: „Es gibt viele Entscheidungen, die wir Maschinen übertragen können. Doch ich möchte dafür plädieren, dass wir dies nur sehr sparsam tun – selbst dann, wenn Maschinen diese Entscheidungen besser treffen können als wir“.

Aufbau und Inhalt

Neben dem Prolog und dem Nachwort gliedert der Autor seine Studie in drei Kapitel.

  1. Im ersten informiert er über die „Vergangenheit der Künstlichen Intelligenz“;
  2. im zweiten thematisiert er die „Künstliche Intelligenz in der Gegenwart“;
  3. und im dritten Kapitel reflektiert er die „Zukunft der Künstlichen Intelligenz“.

Die Nachschau darüber, wie der Begriff KI in den Diskurs kam, beginnt mit den philosophischen und anthropologischen Auseinandersetzungen über die Logik, die als „Kunst des Denkens“ seit der Antike das menschliche Sein bestimmt und immer schon das Nach-, Mit- und Vorausdenken prägte. Über die mittelalterliche Mathematik bis hin zur logischen Revolution zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zum Computerzeitalter heute haben „denkende Maschinen“ Erstaunen, Überraschungen und Erschrecken verursacht; etwa als im Juli 1979 das Computerprogramm BKG 9.8 den damals besten Backgammon-Spieler der Welt besiegte. Oder als der US-amerikanische Informatiker und Gesellschaftskritiker Joseph Weizenbaum 1964 ELIZA erfand, eine sprechende, agierende und reagierende Computer-Psychotherapeutin, ein Programm, das anfangs begeistert von den menschlichen Psychoanalytikern aufgenommen wurde, bald aber als Farce und unlogisches Zufallsgenerat entlarvt wurde. Zu erwähnen ist auch der Schaukampf im März 2016, als das Computerprogramm AlphaGo den Weltklasse-Go-Spieler Lee Sedol schlug und eine Gewinnsumme von 1 Million Dollar einheimste. Expertinnen und Experten wetteifern darum, wie es gelingen könne, tatsächlich nachzuweisen, dass Maschinen nicht nur funktionieren, sondern tatsächlich lernen und denken können. Die verschiedenen Testverfahren dafür – Turing, PT-AI, Winograd-Schema – werden angewandt, weiterentwickelt und verworfen. Eines aber bleibt: Aus dem Spiel wird Ernst!

Betrachten wir die gegenwärtige Situation der KI-Entwicklung, so fällt gerade eine Zeitungsmeldung mit der Überschrift „Deutsche sehen Vernetzung skeptisch“ ins Auge(24.10.2018). Zur Vorbereitung der im November 2018 stattfindenden Münchner Messe Electronica wurden 7000 Bürgerinnen und Bürger aus sieben Länder nach ihrem Interesse befragt, sich mit der Methode der Sprachsteuerung mit Maschinen wie Alexa oder Siri zu unterhalten. Demnach ist nur rund Hälfte der deutschen Verbraucher daran interessiert, während es in den USA 68 und in China sogar 86 Prozent sind: „Auch in Sachen künstlicher Intelligenz sind die Deutschen zurückhaltender als andere. So sehen 85 Prozent der Chinesen selbstlernende Maschinen positiv, in Deutschland sind es 6 Prozent“.

Die Forschungen und Entwicklungstendenzen zur KI lassen sich, nach Walsh, in vier „Stämme“ gliedern:

  1. Die Lernenden,
  2. die Logiker,
  3. die Roboteringenieure und
  4. die Linguisten.

Ihre theoretischen und praktischen Denk- und Konstruktionsmechanismen konkurrieren miteinander und unterscheiden sich: Scruffys und Neats. Im Vergleich mit dem menschlichen Denkens- und Verstandesvermögen sind „Lernende Maschinen“ Werkzeug nicht Schöpfer. Die automatisierte Logik vermag technische Abläufe und Verläufe optimieren und effektiver gestalten als dies mit menschlichen Berechnungen und Überlegungen möglich wäre. In der Robotik zeigen sich Entwicklungen, die gewissermaßen den Menschen „zur Hand gehen“ können, Produktionen erleichtern oder übernehmen und Funktionen ausführen. Informativ sind die Informationen über den technologischen Stand etwa des „maschinellen Sehens“, der „maschinellen Sprachverarbeitung“ und der Entwicklung von Unterhaltungsspielen. Zuversicht und Kritik sind notwendig! Denn: „Maschinen, die denken, haben die unterschiedlichsten Folgen für uns. Ganz oben auf der Liste steht die Gefahr, dass sie womöglich unsere Existenz bedrohen. Weiter unten ist zu vermerken, dass sie unsere Gesellschaft und Wirtschaft transformieren und viele Arbeitsplätze übernehmen werden, die zurzeit mit Menschen besetzt sind. Und ganz unten sollte festgehalten werden, dass es so aussieht, als würden sie fast alles revolutionieren, was Menschen tun, seien es Liebesakte oder Kriegshandlungen“. Die A -Z-Listung der Berufe, die durch KI in ihrer Existenz und ihrem Selbstverständnis gefährdet sind oder verschwinden, wirken wie eine Horror-Aufstellung.

Die Blicke und Ahnungen in die zukünftige Entwicklung der KI wirken weder euphorisch noch fatalistisch; vielmehr sind sie Herausforderungen, wie sie z.B. der US-amerikanische Medienwissenschaftler und -kritiker Neil Postman schon seit langem propagiert: Technologie gibt und nimmt. Es kommt darauf an, die Vor- und Nachteile menschenwürdig zu gestalten! – Es gibt bei Veränderungsprozessen Gewinner und Verlierer. Eine demokratische und gerechte Gesellschaft kann eine humane Balance herstellen! – Technologische Entwicklung wird von starken Ideen bestimmt. Humanes Denken und Handeln reguliert! – Technologischer Wandel vollzieht sich meist nicht additiv. Veränderungs- und Wandlungsprozesse verlaufen ganzheitlich! – Die Nutzung von neuen Technologien sind Norm. Ob eine neue Technologie zum Guten oder zum Bösen eingesetzt wird, liegt an uns!

Weil das Vorhersagen von Zukunft meist wie das Setzen auf unbekannte Karten ist, lässt sich auch die zukünftige Entwicklung von KI bestenfalls erahnen. Dies wagt der Autor mit „zehn Vorhersagen“, die er weder in Stein meißeln, noch als Gebote verstanden wissen will. Als Zeitspanne greift er nicht auf ferne Zukünfte aus, sondern auf das Jahr 2050 als ein mögliches Datum von Veränderungen hin zu Formen der Nutzung und Wirkung von Künstlicher Intelligenz im Leben der Menschen. Es sind im wahrsten Sinne des Wortes Schlagwörter, die individuelles und kollektives Denken herausfordern und den Spagat von Ursache-Wirkung-Reaktion in Bewegung bringen: Autofahren ist verboten – Sie sind jeden Tag zur Sprechstunde beim Arzt – Marilyn Monroe dreht neue Filme – Computer heuern und feuern – Sie reden ins Leere hinein – Ein Roboter begeht einen Bankraub – Deutschland verliert gegen eine Roboter-Mannschaft – Unbemannte Schiffe, Flugzeuge und Züge ziehen um den Globus – Die Fernsehnachrichten entstehen ohne menschliches Zutun – Wir überdauern den Tod.

Fazit

„Denkende Maschinen werden eine gesellschaftliche Revolution in Gang setzen, die in der Größenordnung an die industrielle Revolution heranreicht“ – oder sie sogar übertrifft. Damit KI kein Desaster für eine humane Existenz der Menschheit wird, die bereits bestehenden lokalen und globalen Unmenschlichkeiten und Ungerechtigkeiten in der Welt sich nicht noch vergrößern, sondern sich verringern, oder noch besser, abgeschafft werden, braucht es eindeutige, logische, empathische, menschenwürdige und menschenrechtliche Festlegungen: „Welche Entscheidungen dürfen wir Maschinen anvertrauen?“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1694 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245