Michaele Kundermann: Emotionale Stresskompetenz
Rezensiert von Tatjana van de Kamp, 26.04.2019
Michaele Kundermann: Emotionale Stresskompetenz. Die Kunst der Selbstberuhigung. Goldegg Verlag (Wien) 2018. 287 Seiten. ISBN 978-3-99060-084-9. D: 22,00 EUR, A: 22,00 EUR, CH: 28,00 sFr.
Thema
„Kein Mensch kann es dauerhaft durchhalten, wenn er auf seiner eigenen Überholspur in eine Stressfalle geraten ist“, schreibt Michaele Kundermann im Vorwort ihres Buches und lädt uns dazu ein, inne zuhalten und zu hinterfragen, ob es normal ist, Stress zu haben, oder ob es Alternativen dazu gibt. Unser angeborener Kampf-Flucht-Modus kennt nur Antworten auf physischen Überlebensstress, nicht aber auf emotionalen Stress, der heute den weitaus größeren Teil unseres Stresserlebens ausmacht. Für letzteren brauchen wir eine bewusste, evolutionäre Weiterentwicklung, die über die Überlebensstrukturen hinausgeht. Dafür möchte die Autorin uns einfache und praktische Lösungen an die Hand geben, wie den Stress-Umkehr-Code und die neuronalen Autobahnen, die sie in langjähriger praktischer Erfahrung selbst entwickelt hat.
Autorin
Michaele Kundermann ist Rednerin, freiberufliche Trainerin, Therapeutin und Expertin für die Psychologie der Emotionen und emotionalen Kompetenzen. Mit ihrer besonderen Methode dazu gelingt die Kunst der Selbstberuhigung in vielen Lebenslagen.
Entstehungshintergrund
Im Vorwort und in ihrem Blog (www.emotionale.stresskompetenz.com) schreibt Michaele Kundermann, über die Entstehung dieses Buches. Sie ist in der Nachkriegszeit aufgewachsen, als Kind einer Zeit und Umgebung, die nicht nur von Aufbau und Neubeginn, sondern auch von der Verarbeitung und der Verdrängung der Kriegszeiten geprägt war, als Kind von Eltern, die emotional betäubt und deshalb überwiegend kopfgesteuert waren. Das führte bei der jungen Michaele zu Blockaden und zu tiefen Depressionen während ihrer Studienzeit, bewegte sie aber auch dazu, sich eingehender mit der angewandten Psychologie, Emotionen und Stress zu auseinander zu setzen. Seit 1995 führt sie Stress-Management Seminare durch, die ihr ein tieferes Verständnis von Stress ermöglicht und sie auf einfache Lösungen gebracht haben. Über viele Jahre hinweg entstand dieses Buch aus ihren Erfahrungen und Recherchen sowie der Bewältigung eigener Blockaden.
Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält neben Vorwort, Epilog und Anhang vier Teile:
1. Stress-AHA – Stress verstehen
Die beiden Kunstfiguren „Heurekum“ und „Panikum“ veranschaulichen die Differenzierung des Stresserlebens. Dabei steht Heurekum für den positiven Eustress, oder auch Flow-Erleben (nach Csikszentmihalyi), das Gefühl, im dynamischen Einklang mit uns und der Welt zu stehen. Panikum repräsentiert unser Schutzsystem vor Bedrohungen, das uns in einen Überlebensmodus versetzt, indem es unser Blut vom rationalen Frontalkortex ins limbische System leitet, das unsere Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreflexe schnell mobilisieren kann. Diese Reflexe sind sinnvoll in lebensbedrohlichen Situationen, nicht aber für gefühlte emotionale Bedrohungen, wie Abwertung, Unterdrückung, Verantwortungslosigkeit, da sie unsere Problemlösefähigkeit zugunsten schneller Reaktion herabsetzt. Ungelöste emotionale Stresserfahrungen erhöhen den Druck, wodurch wir in einen Daueralarmzustand versetzt werden. Langfristig kann diese Anspannung unseren Erfolg blockieren und schlimmstenfalls zu einer Kaskade körperlicher Beschwerden, wie Schlaflosigkeit, Muskelverspannungen, erhöhte Entzündungsneigung, Schmerzen und Organstörungen führen. Deshalb ist es so wichtig, sich gelegentlich gut zu entspannen.
Ein Steuerungsinstrument, das uns als Prävention zur Verfügung steht, sind unsere Gedanken, Absichten und unser Aufmerksamkeitsfokus, die darüber entscheiden, welche der ca. 20 Mio. Reize pro Sekunde, denen wir ausgesetzt sind, unser Wahrnehmungsfilter Thalamus in unser Bewusstsein zulässt. Die Energie folgt dann der Aufmerksamkeit.
Am Ende dieses Teils gibt uns die Autorin Tipps, wie wir unseren Thalamus-Wahrnehmungsfilter konstruktiv steuern und bei wichtigen Entscheidungen besser auf die Signale unseres Körpers hören können.
2. Stress-Adieu – Emotionales Wohlbefinden in die Hand nehmen
Durch Dauer-Anspannung verlieren wir beständig Energie. Wie in einem Stromkreis steigt unsere innere Spannung mit dem emotionalen Widerstand, den wir unwillkommenen Ereignissen entgegensetzen. Der Stress-Umkehrcode lädt dazu ein, anzunehmen statt Widerstand zu leisten. Annehmen heißt nicht Akzeptieren und kann sowohl ein emotionsloses „Nein“ als auch Neugier auf diese Herausforderung bedeuten. Wir haben damit die Wahl, uns auf der Stress- oder Panikum-Autobahn oder auf der Zuversichts- oder Heurekum-Autobahn zu bewegen. Der Stress-Umkehrcode ermöglicht uns den Fahrbahnwechsel.
Emotionen können wir nicht kontrollieren, wohl aber die Gedanken, durch die sie beeinflusst werden: Destruktive Gedanken führen zu negativen Emotionen, die viel Energie kosten. Wir sind dann weniger präsent und aufmerksam. Deshalb brauchen wir Denkdisziplin und Kraftinseln, wobei uns die Übungen zu Entspannungs-Quickies und zur Auflösung alter emotionaler Konflikte helfen können.
Uns selbst oder andere zu verurteilen kostet viel Energie, die wir besser einsetzen können, indem wir Verantwortung übernehmen und uns bewusst für etwas entscheiden. Selbst eine falsche Wahl können wir noch produktiv für Wachstum oder Optimierung nutzen. Verurteilungen hingegen lenken von unseren eigenen ungeliebten Anteilen ab, anstatt etwas zu lösen.
In den folgenden Abschnitten beschreibt die Autorin die Bedeutung, Kraft, aber auch die Verwundbarkeit unseres Herz-Energie-Zentrums und gibt uns Übungen an die Hand, um dieses zu stärken und zu nutzen. Körperliche Symptome können dabei als Botschafter dienen, denen wir gut zuhören sollten. Zu guter Letzt erfahren wir, welchen Einfluss der Umgang mit der Zeit auf Stressempfinden haben kann.
3. Leben, um zu arbeiten – oder arbeiten, um erfüllt zu leben?
Der dritte Teil dreht sich um den Arbeitsplatz und seine Rolle in unserem Leben. Auch bei der Arbeit erscheinen Emotionen als Energieträger, die gemeinhin zu wenig beachtet und genutzt werden. Was wir als Führungskräfte oder Mitarbeiter tun und lassen können, um Leistungsenergie zu wecken sowie Burnoutanzeichen zu erkennen und zu vermeiden, wird hier in Rahmenbedingungen, Diagnosetools, Tipps und Übungen aufgelistet.
4. Heurekums Schatzkiste – gesammelte Tipps für den Alltag
Im letzten Teil finden wir eine dichte Sammlung verschiedener Tipps, um in verschiedenen Lebenslagen wieder auf die Heurekum-Autobahn zu steuern. Das umfasst unter anderem hilfreiche Analogien (z.B. Geduld üben und warten, bis der Apfel reif ist, mit positiven Gedanken Resonanz erzeugen), die positiven Wirkungen von Humor und Dankbarkeit bis hin zu einer Reihe Erste-Hilfe-Maßnahmen bei akutem Stresserleben.
Der Anhang enthält eine Checkliste zum Erkennen des Stresszustands, Gehirn-Balance Übungen und einen sokratischen Lehr-Dialog, sowie Literaturhinweise zu einzelnen Buchstellen.
Darüber hinaus steht eine Zusammenfassung der einzelnen Kapitel für Querleser und ein ausführliches Glossar in 35 Seiten Bonusmaterial mit dem im Vorwort enthaltenen Code als Download auf der Website www.emotionale-stresskompetenz.com zur Verfügung.
Diskussion
Der Verdienst des Buches ist die Ausgewogenheit fundierten und für Coaches ebenso wie für interessierte Laien gut nachvollziehbaren Hintergrundwissens, wie und warum wir Stress erleben, sowie praktischen Tipps und Übungen, wie wir mit Stress produktiv umgehen und positive Lebensenergie aufbauen können. Das Verständnis der Zusammenhänge ist sehr hilfreich, um den Sinn der Übungen zu erkennen und sich zu motivieren, das eigene Verhalten in eine gute Richtung zu steuern. Anschauliche Sprache und Bilder helfen, sich die grundlegenden Zusammenhänge besser vergegenwärtigen und merken zu können.
Die Zusammenfassung im Download-Material ersetzt nicht die Lektüre des Buches, sondern dient der Orientierung und dem Nachlesen grundlegender Zusammenhänge. Die Tipps und Übungen finden sich nur im Buch. Für die Trennung von Glossar und Zusammenfassung vom Buch mag es gute Gründe geben, jedoch ist es wenig praktisch, für Worterläuterungen in einem separaten Dokument nachschlagen zu müssen.
Das Buch ist flüssig geschrieben und liest sich angenehm. Die erste Hälfte fesselt mit vielen Aha-Erlebnissen, im weiteren Verlauf, vor allem in Teil 3, findet sich in den Aufzählungen auch Wiederholungen. Teil 4 ist eine auf den Punkt gebrachte Formulierung von Erkenntnissen und Tipps, die auch separat zur Einstimmung oder Wiederholung gelesen werden können.
In der Entwicklung von negativen oder gar traumatischen Ereignissen zu physischen und psychischen Symptomen, bis hin zu Krankheiten, erkennt sich vielleicht der eine oder andere Leser wieder. Eine ernsthafte Reflexion und Verarbeitung benötigt Zeit, und manche Übungen sind für den ungeübten Laien möglicherweise nicht so leicht, wie die Attribute „Quickies“ oder „Erste Hilfe“ suggerieren, und erfordern Geduld und Nachsicht mit sich selbst, wenn es nicht so funktioniert wie erwartet. Die Auswahl an Übungen ist so groß, dass sie viele unterschiedliche Bedürfnisse bedienen kann.
Fazit
Emotionale Stresskompetenz von Michaele Kundermann lehrt uns viel über das Entstehen von und den Umgang mit Stresserleben, emotionaler Achtsamkeit und die Botschaften die uns unser Herz und körperliche wie psychische Symptome senden. Es vermag etliche Aha-Momente zu erzeugen. Da es leicht und unterhaltsam geschrieben ist, können wir es zum ersten Verständnis schnell querlesen. Die Zusammenhänge können auch zur Selbstreflexion und zum Ausprobieren einiger Übungen anregen – hierfür lohnt es sich dann mehr Zeit und Geduld mitzubringen.
Rezension von
Tatjana van de Kamp
Dipl. Kauffr., MA (Arbeits- und Organisationspsychologie)
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Zitiervorschlag
Tatjana van de Kamp. Rezension vom 26.04.2019 zu:
Michaele Kundermann: Emotionale Stresskompetenz. Die Kunst der Selbstberuhigung. Goldegg Verlag
(Wien) 2018.
ISBN 978-3-99060-084-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25081.php, Datum des Zugriffs 10.11.2024.
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