Marion Fleige, Wiltrud Gieseke et al.: Programm- und Angebotsentwicklung
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 20.02.2019

Marion Fleige, Wiltrud Gieseke, Aiga von Hippel, Bernd Käpplinger, Steffi Robak: Programm- und Angebotsentwicklung. In der Erwachsenen- und Weiterbildung.
UTB
(Stuttgart) 2018.
160 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4966-3.
D: 19,99 EUR,
A: 20,60 EUR,
CH: 26,90 sFr.
Reihe: Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer - 1.
Thema und Entstehungshintergrund
Der vorliegende Band erscheint in der Reihe „Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer“, die von einem unabhängigen Gremium von Hochschullehrer*innen herausgegeben wird. Er wird als utb-Band 4965 des wbv-Verlags geführt. Als Bestandteil der Lehrbuchreihe des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE) ist die Publikation unmittelbar für Lehre und Selbststudium konzipiert.
Verfasser*innen
Die Autorinnen und der Autor des Lehrbuchs sind Expert*innen in Erwachsenen- und Weiterbildung mit eigenen einschlägigen Forschungs- und Publikationsarbeiten.
- Prof. Dr. Wiltrud Gieseke ist Seniorprofessorin, Prof. Dr. Aiga von Hippel, Professorin für Erwachsenenbildung/Weiterbildung und Maria Stimm, M.A. wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Humboldt-Universität zu Berlin.
- Prof. Dr. Steffi Robak ist Professorin für Bildung im Erwachsenenalter an der Leibniz Universität Hannover.
- Prof. Dr. Bernd Käpplinger hat die Professur für Weiterbildung an der Justus-Liebig-Universität Gießen inne.
- Dr. Marion Fleige ist Abteilungsleiterin „Programme und Beteiligung“ am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. in Bonn.
Aufbau
Der Band enthält elf in sich abgeschlossene Kapitel, die einzeln gelesen werden können, aber inhaltlich aufeinander aufbauen. Nach dem Inhaltsverzeichnis bietet der „Einblick in die Kapitel“ (S. 7-9) eine zusammenfassende Inhaltsangabe.
Mit der „Einleitung“ (S. 10-16) skizzieren die Autor*innen den Rahmen, in dem Programmplanung als professionelles erwachsenenpädagogisches Handeln verortet werden kann und in dem Bezüge zur Erwachsenenbildungswissenschaft hergestellt werden können (z.B. zur Adressat*innen- und Professionsforschung). Außerdem werden mit Hilfe zweier Protagonist*innen zwei Szenarien entwickelt, an die in den folgenden Kapiteln angeknüpft wird. Damit wird auch der Praxistransfer vorbereitet.
Der Band enthält ein „Glossar“ (S. 156-158) mit allen wesentlichen Begriffen. Das „Literaturverzeichnis“ (S. 159-170), das Verzeichnis der „Abbildungen und Tabellen“ (S. 171) und ein „Index“ (S. 172) vervollständigen die Publikation. Im „Anhang“ (S. 175-186) sind die Lösungsvorschläge zu den Aufgaben aufgeführt, bevor die „Autorinnen und Autoren“ (S. 187) vorgestellt werden.
Die einzelnen Abschnitte beginnen jeweils mit einer grau hinterlegten Seite mit der Kapitelüberschrift, den Verfasser*innen, einer kurzen Inhaltsangabe und den Lernzielen. Vor der Darstellung der Inhalte wird Bezug zur Fallvignette genommen. In die Kapitel sind mit einheitlichen Piktogrammen versehene Rubriken eingebaut, z.B. Definitionen, Wegweiser (Theorie, Daten, Forschung, Methode), Merksätze, Beispiele, Lesehinweise und für die Bearbeitung der Kapitel Fragen & Aufgaben und Tipps zum Weiterlesen. Daneben sind innerhalb der einzelnen Texte Querverweise angebracht. Jeder Abschnitt endet mit einer Zusammenfassung.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Folgende Themen werden in diesem Band behandelt:
1. Programm und Angebot (Wiltrud Gieseke). Ausgehend von der pluralen Struktur der Erwachsenen- und Weiterbildung werden die Begriffe Programm und Angebot eingeführt, didaktisch verortet und abschließend „reglementierte inhaltliche Zugänge“ (S. 26) besprochen.
2. Bedarf und Bedürfnisse (Wiltrud Gieseke). Nach einer betriebswirtschaftlichen Klärung der Begriffe (inklusive Kaufkraft) entwickelt die Autorin unter Rückgriff auf die Phasen der Interessensgenese von Anke Grotlüschen eine „bildungswissenschaftliche Perspektive“ (S. 32) und behandelt die Bedarfsanalysen in Betrieben.
3. Programmplanung als Konzept und Forschungsgegenstand (Wiltrud Gieseke und Aiga von Hippel). Die beiden Autorinnen klären gleich zu Beginn des Kapitels unmissverständlich, dass sich Programmplanungshandeln nicht auf Angebotsentwicklung reduzieren lässt und ein spezifisches Ankerwissen voraussetzt. Im Anschluss stellen sie einige bereichsunabhängige Planungsmodelle dar, je nach Aussagekraft zu den unterschiedlichen Ebenen, den theoretischen Bezugspunkten, den Prozess der Planung, den Zielen und ob es sich um ein Teil- oder Gesamtmodell handelt. In einer Synopse zu den ersten drei Kategorien stellen sie die gängigsten Modelle vor. Exemplarisch vertieft wird das „Modell der Wissensinseln“ (S. 46), aus dem heraus im Prozess der Programmplanung verschiedene Kombinationen entstehen können, je nachdem welcher Zugang gewählt wird. Darin besteht auch die Volatilität des Modells.
4. Forschungen zum Programmplanungshandeln (Wiltrud Gieseke). Gieseke sieht die Programmplanungsforschung auf der Mesoebene verortet, weil sie sich darauf fokussiert, die Prozesse und das wissenschaftlich fundierte Wissen zu identifizieren, auf welches professionell Handelnde bei ihrem Planungshandeln zurückgreifen. Es ist von vielen „Widerspruchskonstellationen und Antinomien“ (S. 54) gekennzeichnet, die von den verantwortlichen Personen erkannt und ausbalanciert werden müssen. Mit der Metapher des „Angleichungshandeln“ (S. 59) werden alle Absprachen, Anpassungen, Mitsprachen, Einflussgrößen zu fassen versucht, die bei der Programmentwicklung mitspielen. Abschließend wird auf die Programmtypen der betrieblichen Weiterbildung Bezug genommen.
5. Forschen mit Programmen: Orientierungen für studentische Arbeiten (Bernd Käpplinger und Steffi Robak). Nach einer kurzen Vorstellung des Forschungsgegenstands der Programmforschung werden „Datenmaterial und Zugänglichkeit“ (S. 66) von Archiven präsentiert. Danach werden Vorgehensweise und Typen von Programmanalysen behandelt und „Beispielstudien“ (S. 71) in Kürze umrissen, die motivierend und inspirierend für studentische Qualifikationsarbeiten sein können.
6. Befunde der Programmforschung (Marion Fleige, Aiga von Hippel, Maria Stimm, Wiltrud Gieseke und Steffi Robak). Zu Beginn wird geklärt, was Programmforschung leisten kann. Anschließend werden Arten von Programmanalysen wie z.B. die Organisations- und Institutional-, Regional-, bereichsspezifische und trägerorientierte Analyse vorgestellt. Am Beispiel von „kultureller und interkultureller Bildung“ (S. 82) bzw. von beruflicher Weiterbildung werden einige Besonderheiten erläutert und schließlich die „Erträge der Programmforschung“ (S. 87) zusammengetragen.
7. Lernkulturen (Marion Fleige und Steffi Robak). Lernkulturen sind im Verständnis der beiden Autorinnen auf meso- und makrodidaktischer Ebene relevant und vereinen ihrer vertiefenden „Auslegung“ (S. 93) gemäß Diskurse, Handlungs- und, Kommunikationsweisen, Interaktionen von zur Aufbereitung von Bildungsformen tätigen Menschen. Bestimmte „Institutionalformen“ (S. 95) können sich in der Lernkultur unterscheiden. Bildungsmanagement und Teilnehmende prägen die Lernkultur. Anhand von ausgewählten Ergebnissen von Lernkulturanalysen der Evangelischen Erwachsenenbildung und des beigeordneten Lernorts Betrieb/Unternehmen werden Unterschiede dargestellt.
8. Weiterbildungsmanagement (Steffi Robak). Weil Programm- und Angebotsplanung in Managementhandeln eingebunden ist, legt die Autorin ihre Auffassung von Weiterbildungsmanagement dar, das sich nicht auf unternehmerisches Handeln in Bildungsorganisationen reduzieren, sondern als eigenes Handlungsfeld mit besonderen Gestaltungsanforderungen definieren lässt. Programmplanung hat viele Schnittflächen zum Bildungsmanagement einer Organisation. Im sog. „Bildungsinstitutionalkonzept“ (S. 111) konzentrieren sich Inhalte und Handlungsweisen einer Bildungsorganisation, die sich in sog. „Handlungswaben“ (S. 113) Ausdruck verleihen und ein paralleles Arbeiten ermöglichen. Der abschließende Absatz gilt dem Weiterbildungsmanagement in Unternehmen.
9. Zielgruppenorientierung in der Programmplanung (Aiga von Hippel). Nach Klärung der Begriffe Adressat/innen, Zielgruppen und Teilnehmer/innen rekurriert die Verfasserin auf die „milieuorientierte Bildungsarbeit“ (S. 125) und verweist auf die zugrundeliegenden Studien. Im Anschluss daran präsentiert sie die Zielgruppenorientierung in pädagogischen Modellen mittels eines Marketingablaufmodells und stellt die sog. Produktklinik als Instrument einer „zielgruppenorientierten partizipativen Programmplanung“ (S. 130) vor.
10. Finanzierung von Programmen und Angeboten (Bernd Käpplinger). Die sog. „Quasi-Markt“-Situation von Erwachsenen- und Weiterbildung erfordert ein besonderes Geschick bei der Gewinnung und im Umgang mit Ressourcen, die zu den Kernkompetenzen von in diesem Feld tätigen Personen gehört. Das Kapitel stellt die Finanzierungsquellen dar, gibt Einblick in die Zusammensetzung der Budgets von Anbietern, diskutiert die Probleme und verweist auf die häufig vorhandene Mischfinanzierung.
11. Programmplanung und -forschung international und vergleichend (Bernd Käpplinger)
Käpplinger leitet den Abschnitt mit der Theorie der Programmplanung der US-Amerikaner Cervero und Wilson aus dem Jahr 1994 ein und fokussiert damit ein demokratisches Modell, das die Verfasser 2005 überarbeitet und als „Planungstisch“ metaphorisch beschrieben haben. Der Kanadier Sork ergänzt diese sozial-interaktive Domäne 2000 um die der technischen und der ethischen Domäne. Er geht davon aus, dass sich Programmhandelnde zwischen diesen Ebenen hin und her bewegen. Schließlich stellt der Verfasser das „interaktive Programmplanungsmodell“ (S. 150) der US-Amerikanerinnen Caffarella und Daffron aus dem Jahr 2013 vor, welches eine gewisse Nähe zum Konzept der Wissensinseln (siehe 3.) von Gieseke aufweist. Ein Verweis auf den „Mehrwert“ (S. 152) verschiedener theoretischer Ansätze komplettiert den Abschnitt.
Diskussion
Den Autor*innen ist es gelungen, den Prozess der Programm- und Angebotsentwicklung als bedeutsamen mesodidaktischen Grundpfeiler erwachsenen- und weiterbildnerischer Handlungskompetenz heraus zu stellen und dieses Handeln nicht auf ein mechanistisches Modell von linear aufeinander folgenden Schritten zu reduzieren. Vielmehr wird ersichtlich, dass Programm- und Angebotsentwicklung ein iterativer Prozess in Abstimmung mit vielen innerinstitutionell Beteiligten, aber auch Akteuren außerhalb der Einrichtung bedeutet, der Aushandlungs- und Deutungsprozesse beinhaltet, der gleichzeitiges Agieren auf verschiedenen Ebenen integrieren können muss, der nicht bis ins letzte Detail steuer- und kontrollierbar ist, der in Leitungshandeln eingebunden ist und viele Schnittstellen zu anderen internen und externen Bereichen aufweist.
Die Intention der Autor*innen, die Programm- und Angebotsentwicklung in institutionelle Gesamtkonzepte einzubetten und sie auch lernkulturell zu fassen, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Lehrbuch und schlägt sich in der Auswahl der zu definierenden Begriffe nieder (z.B. Rhizom, Institutionalkonzept, Handlungswaben, Wissensinseln), die insbesondere auch den Ansatz der Autor*innen prägen.
Positiv zu erwähnen ist, dass das Lehrbuch in den Anfangskapiteln begriffliche Grundlagen schafft, theoretische Modelle vorstellt, jeweils vorhandene Studien heranzieht und bei der Auswahl von Beispielen so vorgeht, dass das plurale Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung in Ansätzen tangiert wird und die nationale Debatte auch vor dem Hintergrund der Herangehensweise im amerikanisch-kanadischen Raum betrachtet. Insbesondere die Darstellung der Erkenntnisoptionen von Programmforschung ist für angehende Bildungswissenschaftler und solche, die in Grenzgebieten tätig sind, hilfreich.
Fazit
Das Lehrbuch greift den ausgesprochen zentralen Bereich der Programm- und Angebotsentwicklung auf, präsentiert die Einzelthemen sehr verständlich und bietet viele Optionen einer vertiefenden theoretischen Auseinandersetzung, aber auch Hinweise auf Einzelstudien zum Nachlesen. Es bietet eine sehr gute Strukturierung des Inhalts, sodass Kapitel singulär verwendet werden können oder das Buch als Ganzes. Lehrenden ist der Band eine große didaktische Unterstützung und reduziert Recherchearbeit. Den Lehrbuchcharakter könnte das Vorgehen von Käpplinger und Robak noch profilieren, die das Eingangsbeispiel am Ende von Kapitel 5 erneut aufgreifen und einen kurzen Lösungsansatz skizzieren. Die Publikation eignet sich für das Konzept des just-in-time-teachings insofern eine vorbereitende Lektüre Studierende auf einen gemeinsamen Wissensstand bringt, die Fragen in der Präsenz erörtert werden und weitere Nacharbeiten in Form der Fragen den Workload sichern.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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