Ahmet Toprak: Jungen und Gewalt (konfrontative Pädagogik)
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 15.03.2005

Ahmet Toprak: Jungen und Gewalt. Die Anwendung der konfrontativen Pädagogik in der Beratungssituation mit türkischen Jugendlichen.
Centaurus Verlag & Media KG
(Freiburg) 2005.
109 Seiten.
ISBN 978-3-8255-0527-1.
15,90 EUR.
CH: 30,20 sFr.
Reihe: Pädagogik - Band 24.
Die Konfrontative Pädagogik - ein Tätigkeitsfeld nur für Menschen mit Migrationshintergrund?
Der Referent für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz Bayern e.V., Lehrbeauftragter an den Universitäten Eichstätt und Passau, Dipl.-Päd. Dr. Achmet Toprak, hat bereits mit mehreren Veröffentlichungen zur Thematik "Integration von türkischen Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland" auf sich aufmerksam gemacht (vgl. dazu auch die Rezension seines Buches "Wer sein Kind nicht schlägt, hat später das Nachsehen", 2004). Als Band 24 in der Reihe "Pädagogik" des Centaurus-Verlags, legt er nun einen Erfahrungsbericht seiner Arbeit mit türkischen Jugendlichen in Deutschland vor. Sein Fokus richtet sich dabei auf die Frage, ob es spezieller Fähigkeiten und Methoden bedarf, um besonders mit auffälligen und gewaltbereiten Jungen türkischer Herkunft sozialpädagogisch zu arbeiten.
Seine Antwort ist eindeutig: Es bedarf heute, in der Sozialen Arbeit wie in anderen pädagogischen Tätigkeitsfeldern - und das nicht nur in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund - eine berufliche Qualifikation, die als Interkulturelle Kompetenz bezeichnet wird. Auernheimer (vgl. die Rezension) und andere haben den etwas sperrigen Begriff erklärt, um die Tätigkeit, die sich daraus ergibt, handhabbar zu machen. Stefan Gaitanides etwa definiert die "interkulturelle Handlungskompetenz" mit den Anforderungen
- Empathie, als die Bereitschaft und Fähigkeit zu zeigen, sich in das Denken und Handeln von Menschen anderer kultureller Herkunft hineinfühlen zu können;
- Rollendistanz zu üben, als kulturelle und soziale Selbstwahrnehmung einerseits und der Fähigkeit, den Perspektivenwechsel zu vollziehen;
- Ambiguitätstoleranz zu praktizieren und die Unterschiede zur eigenen kulturellen Identität wahrzunehmen und auszuhalten, die sich aus der Konfrontation mit anderskulturellem Denken und Handeln ergeben;
- Kommunikative Kompetenz im Sinne einer Sprach-, Dialog- und Aushandlungsfähigkeit und einer Verständigungsorientierung zu handhaben.
Darauf baut Toprak mit seiner Konzeption der "Konfrontativen Methode in der Beratungssituation" auf. Zwei wesentliche Elemente beinhalten das Handlungskonzept: Konfrontative und provokative Therapie. In mehreren Untersuchungen zu Einstellungen und Verhaltensmotiven von vor allem türkisch-stämmigen Jungen wird immer wieder hervorgehoben, dass die in der deutschen Sozialarbeit vielfach praktizierte Strategie, den verhaltensauffälligen oder gar straffälligen Jugendlichen erst einmal mit Verständnis und Milde zu begegnen, nicht fruchtet: "Mehrfachtäter bzw. Mehrfachauffällige... sehen es als eine Schwäche des Professionellen, wenn er dem Jugendlichen mit Freundlichkeit und Milde begegnet"; erst "Normen aushandeln, Grenzen ziehen, Alltagsstrukturen verbindlich machen, Gesetzesverletzungen konfrontieren, auch gegen die Widerstände des Jugendlichen", mache sozialpädagogische Arbeit mit der Zielgruppe glaubwürdig. In zahlreichen Fall-Beispielen und Erfahrungsberichten stellt der Autor die verschiedenen Indikatoren zur Interkulturellen Kompetenz in der Jugendhilfe dar. Er diskutiert die Situation von türkischen Jungen in ihren Familien. Dabei stellt er nicht nur die gängigen Auffassungen von türkischen Eltern gegenüber der Erziehung von Jungen und Mädchen dar, sondern er nennt auch eine Reihe von Faktoren, die bei den Jungen zu Gewaltbereitschaft und -anwendung führen. Dabei wird das viele PädagogInnen in der schulischen und außerschulischen Erziehung irritierende Problem deutlich, dass Wertvorstellungen von türkischen Eltern in ihrer Migrationssituation nicht selten denen in der Mehrheitsgesellschaft zuwider laufen. Erziehungsziele, wie "Respekt vor Autoritäten", "Ehrenhaftigkeit" und "Zusammengehörigkeit", die in das Erziehungshandeln einfließen, werden in den Konzepten, die Toprak mit dem Etikett "verständnisvolle Pädagogik" belegt, vielfach anders gewichtet. Deshalb tritt er als Konsequenz seiner Erfahrungen mit der Konfrontativen Pädagogik bei Beratungssituationen mit türkischen Jugendlichen dafür ein, die verschiedenen Methoden des "Prinzips der Konfrontation", wie z. B. die Konfrontative Gesprächsführung, interaktionspädagogisches Training und theaterpädagogische Verfahren, auch in anderen pädagogischen und erzieherischen Zusammenhängen zu erproben; in der Familie, im Kindergarten, der Schule und in Berufssituationen. Dem kann nur zugestimmt werden; denn gilt, im pädagogischen und gesellschaftlichen Diskurs, nicht mittlerweile ein "Zauberwort" als ein Schlüsselwert: Konsequenz! Toprak weist allerdings gleichzeitig darauf hin, dass das Konzept der Konfrontativen Pädagogik kein Allheilmittel gegen die wirklichen und vermeintlichen Missstände in der gesellschaftlichen Bildungs- und Erziehungssituation sei; auch seien die vorgestellten Methoden nicht jederzeit und in allen Fällen einzusetzen. Als eine wesentliche Voraussetzung nennt er die Aus- und Fortbildung von in der Sozialarbeit Tätigen, hin zu interkulturell kompetent handelnden Professionellen.
Fazit
So kann die Schrift nicht nur Bestandteil für die sozialpädagogischen Berufe sein, sondern gleichzeitig einen Wegweiser für die theoretische und praktische Reflexion in den Bereichen der Schule und in außerschulischen Kinder- und Jugendeinrichtungen darstellen. Milde zeigen, Nachsicht üben und Grenzen im Erziehungsprozess aufzeigen, sind ja nicht Gegensätze, sondern sie ergänzen sich. Bei verhaltensauffälligen, gewaltbereiten und sonst gefährdeten Kindern und Jugendlichen, ob mit Migrationshintergrund oder aus der Mehrheitsgesellschaft stammend, zeigen die Methoden der pädagogischen Konfrontation Wirkung. Sie bei dem notwendigen interkulturellen Dialog in unserer Gesellschaft zu berücksichtigen, lohnt - auch im Sinne des Plädoyers, "Nachsicht" und "Konfrontation" miteinander zu versöhnen, zugunsten des Menschseins und eines humanen, demokratischen und gerechten Umgangs miteinander.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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