Nando Belardi: Supervision und Coaching
Rezensiert von Peter Schröder, 05.06.2019

Nando Belardi: Supervision und Coaching. Grundlagen, Techniken, Perspektiven.
Verlag C.H. Beck
(München) 2018.
5., völlig überarbeitete Auflage.
127 Seiten.
ISBN 978-3-406-72795-5.
9,95 EUR.
Reihe: C.H. Beck Wissen - 2157.
Thema
Vielleicht ist genau das ein guter Einstieg in das Thema: dass sich der Titel eines gut eingeführten Buches mit einem Mal ändert. Im Jahr 2002 ist die erste Auflage unter dem Titel „Supervision. Grundlagen, Techniken, Perspektiven“ in demselben Verlag erschienen, damals in weiten Teilen eine Zusammenfassung der Habilitation Belardis mit dem Titel: Supervision. Von der Praxisberatung zur Organisationsentwicklung. Geschichte und Tendenzen der Supervision der Sozialen Arbeit in Deutschland. (Junfermann Paderborn 1992). Im Jahr 2018 ist die 5. Auflage erschienen, jetzt mit dem o.g. Titel, der also um den Begriff „Coaching“ erweitert wurde.
Wenn man hinzunimmt, dass die (ehemalige) „EAS – European Association für Supervision“ mittlerweise „EASC“ heißt, ihren Namen also um das Format Coaching erweitert hat, und dass auch die altehrwürdige „Deutsche Gesellschaft für Supervision – DGSv“ ihren Namen in „Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching“ geändert hat, dann kann man (etwas boshaft) unterstellen, dass es sich bei Supervision und Coaching um eine Art siamesische Zwillinge handelt, die einander brauchen um überleben zu können. Es könnte spannend sein, dieser (etwas zugespitzten) These nachzugehen. Dann käme man auf jeden Fall in einer Debatte an, die die Beratungscommunity gegenwärtig auf verschiedenen Ebenen führt, und könnte das vorliegende Buch auch als einen sachkundigen Beitrag lesen.
Autor
Nando Belardiwar Professor für Sozialpädagogik an der TU Chemnitz, seit 2006 ist er emeritiert. Er hatte Gastprofessuren an verschiedenen Universitäten in Deutschland, den Niederlanden, Russland, Italien und China inne. Seit 1986 arbeitet er auch als Supervisor DGSv/FPI, seit 1993 auch als Lehrsupervisor für verschiedene Weiterbildungsinstitute. Weiter ist er Psychotherapeut nach dem Heilpraktikergesetz und arbeitet auch als Coach. (Weitere Informationen unter www.nando-belardi.jimdo.com)
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst, ohne Vorwort und Anhang, zehn Kapitel.
Das erste Kapitel ist überschrieben mit „Weshalb die Dienstleistungsgesellschaft Supervision und Coaching benötigt“ und markiert den Strukturwandel von Arbeit in drei Abschnitten: zum einen hat der Bedarf an Kommunikation vor allem in den Dienstleistungsberufen stark zugenommen, was erhöhte Anforderungen an „Sozialkompetenzen“ mit sich bringt. Zum anderen hat die Selbstreflexion der Professionen und der Professionellen einen wichtigeren Stellenwert gewonnen. Der dritte Aspekt ist der der Entgrenzung von Arbeit: die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, die Zahl der Menschen, die in temporären Arbeitsverhältnissen arbeiten, nimmt ebenso zu wie die berufsbedingten Stresserkrankungen.
Das zweite Kapitel beschreibt die Entwicklung von Supervision und beginnt mit einem kurzen Abschnitt zur Unterscheidung von Supervision und Coaching, der sich allerdings zunächst mit der knappen Markierung begnügt, dass Supervision aus der Sozialarbeit und Psychotherapie stammt und klassischerweise den Helfern hilft. Coaching dagegen unterstützt Menschen in Leitungspositionen dabei, ihre Aufgaben, auch die der Personalführung, zu bewältigen. Die folgenden Abschnitte zeichnen die geschichtliche Entwicklung des Formates Supervision bis etwa 1945 nach.
Das dritte Kapitel ergänzt diese Darstellung mit der Entwicklung von Supervision und Coaching nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei auch hier allerdings der Schwerpunkt auf Supervision liegt und Coaching vor allem durch die Ausrichtung auf Leitungsfragen davon unterschieden wird. In dem Maße, wie Supervision mehr in den Profitbereich einzieht, werden die Grenzen zum Coaching unschärfer.
Das vierte Kapitel ist der Frage „Was ist Coaching?“ gewidmet. „Coaching ist Leitungsberatung“ lautet die sehr knappe Definition, die dann in mehreren Aspekten entfaltet wird. Interessant an diesem Kapitel ist u.a., wie deutlich der Autor das Kapitel „Coaching“ auf die DGSv bezieht, deren Mitglied er bereits seit 1993 ist. Der einzige reine Coachingverband, der von Belardi genannt wird, ist die „Deutsche Gesellschaft für Coaching“ (DGfC). Damit wird die Coachinglandschaft allerdings sehr reduziert dargestellt. Wichtig ist allerdings das Thema der „Entgrenzung des Coachingbegriffs“, der jeglichen Professionalisierungsbemühungen im Wege steht und den Begriff „Coaching“ der Beliebigkeit ausliefert.
Das fünfte Kapitel befasst sich mit den „Funktionen von Supervision und Coaching“. Ich nenne einige wenige Stichworte, denen jeweils eigene Abschnitte gewidmet sind: Beratung, Psychotherapie, Monitoring, Personalentwicklung, Assessment Center, Training, Moderation, Counselling, Mentoring, Krisenbewältigung, Mobbingverhinderung etc.
„Supervision und Coaching als Prozess“ ist die Überschrift des sechsten Kapitels. Es beginnt mit den Stichworten „Feldkompetenz“ sowie interner und externer Supervision bzw. Coaching. Es folgt die Beschreibung unterschiedlicher Beratungskonzepte, wie sie Ed Schein beschrieben hat, und folgt dann den einzelnen Prozessschritten vom Anlass und Beginn bis zum Abschluss.
„Modalitäten oder Settings von Supervision und Coaching“ sind Gegenstand des siebten Kapitels: Einzelsupervision bzw. –coaching, Gruppenarbeit, Kollegiale Supervision/Coaching, Coaching mit Zweier-/Dreierspitzen, Teamsupervision bis hin zu einem weiteren Vergleich von Supervision und Coaching.
Überlegungen „Zur Wirksamkeit von Supervision und Coaching“ stellt das achte Kapitel an. Sowohl zu Supervision als auch zu Coaching sind mittlerweile Wirksamkeitsstudien erschienen, die sich überwiegend am theoretischen und methodischen Repertoire der Psychotherapieforschung von Klaus Grawe u.a. orientieren. Belardibenennt hier sowohl Evaluationskonzepte als auch Misslingenskriterien für Supervision und Coaching.
Extrem kurz (zwei Seiten) behandelt wird im neunten Kapitel das Thema „Theorien und Methoden von Supervision und Coaching“ – mehr ist allerdings in dem vorliegenden Kurzformat vermutlich auch nicht zu leisten.
Eine „Schlussbemerkung“ beendet als zehntes Kapitel den Band vor einem Anhang, der Lesehinweise, einen Überblick über die Fachverbände und ein Literaturverzeichnis enthält.
Diskussion
Nando Belardi ist Supervisor, und das schon sehr lange: Er teilt immerhin 26 der 30-jährigen Geschichte der DGSv. Man spürt die Verbundenheit mit der Profession und mit dem Verband, nicht zufällig wird der derzeitige Geschäftsführer der DGSv mehrfach zitiert. Das bedeutet aber auch: Der Schwerpunkt der Darstellung liegt eindeutig auf dem Format Supervision, Coaching wird aus eben dieser Perspektive dargestellt. Belardi hat schon in seiner Habilitationsschrift die Geschichte der Supervision ausführlich dargestellt und damit zugleich überzeugend den Kontext dargestellt, der das Beratungsformat Supervision bis heute bestimmt, nämlich den Kontext der Sozialen Arbeit. Genau dieser Zusammenhang findet sich auch in dem hier besprochenen Band.
Warum also, um auf den Anfang zurückzukommen, nun die Erweiterung des Buchtitels um „Coaching“? Möglicherweise erklärt sich auch das, zumindest teilweise, aus der Verbundenheit des Autors mit der DGSv. Der Verband versucht seit langem, seinen Kontext „Soziale Arbeit“ zu erweitern um Felder, die lukrativ erscheinen: „Supervisor/-innen in der Wirtschaft“ markiert einen dieser Wege, auch im Profitbereich Fuß zu fassen, die sichtbare Integration von Coaching einen weiteren. Coaching allerdings hat eine ganz andere Geschichte und ganz andere Kontexte, zu denen auch eine ganz andere Verbandslandschaft gehört. Eine Harmonisierung ist hier zumindest nicht ohne weiteres möglich. Diese Frage wird aber in dem Buch nicht angesprochen – angesichts der „und“-Verbindung im Titel schade.
Es bleibt, was das Buch auch in früheren Auflagen schon wertvoll gemacht hat: dass es umfassend und grundlegend das Format Supervision beschreibt, sowohl seine Geschichte, seine Funktion im Kontext der Sozialen Arbeit, seine Arbeitsweise, seine Settings du schließlich Fragen der Überprüfbarkeit seiner Wirkungen. In all das werden nun Fäden des Coachings eingewoben, allerdings eher locker: Selbst im Kapitel „Was ist Coaching“ heißen Unterabschnitte: „Der Supervisions- und Coachingmarkt“ oder „Supervision und Coaching international“. Als Orientierungshilfe ist Belardis Arbeit nach wie vor ein Klassiker, der m.E. zu den Standardwerken gehört. In der gegenüber anderen Standardwerken zur Supervision (z.B. die Bücher von Astrid Schreyögg) übersichtlichen Kürze ist es hilfreich für Menschen, die sich über das Beratungsangebot „Supervision“ informieren möchten und eine Einladung an z.B. Weiterbildungsteilnehmende, den Literaturhinweisen zu folgen und interessierende Themen zu vertiefen. Wer immer „Text“ und Kontext von Supervision besser verstehen möchte, wird das Buch mit großem Gewinn lesen.
Fazit
Das Buch beschreibt die Geschichte, die Entwicklung und die Funktion des Beratungsformates Supervision in einer Weise, die es als Standardeinführung in das Fach empfiehlt. Deutlich kürzer und weniger vertieft sind die Notizen zum parallelen Beratungsformat Coaching. Als einführendes Werk in das Feld der Beratung ist es der Lektüre uneingeschränkt zu empfehlen, z.B. für Personalverantwortliche, die Supervision für ihre Mitarbeitenden organisieren, für Klienten, die sich über das Beratungsformat informieren möchten, für Weiterbildungsteilnehmende und schließlich auch für Supervisorinnen und Supervisoren selbst, die ihre Kenntnisse über den Hintergrund ihres Beratungsformates vertiefen möchten.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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