Stefan Poppelreuter, Katja Mierke: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt 4.0
Rezensiert von RA Joachim Schwede, 28.01.2019

Stefan Poppelreuter, Katja Mierke: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt 4.0. Entstehung - Vorbeugung - Maßnahmen. Erich Schmidt Verlag (Berlin) 2018. 257 Seiten. ISBN 978-3-503-18137-7. 39,90 EUR.
Thema
Arbeit 4.0 war ein Begriff, der die arbeitsrechtliche Diskussion im Jahr 2018 bestimmt hat. Der Begriff Arbeit 4.0 schließt an die Diskussion über die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) an, legt dabei aber den Schwerpunkt auf Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse nicht nur im industriellen Sektor, sondern in der gesamten Arbeitswelt (nach Wikipedia). Die Gesellschaft stehe nach dieser Definition vor der Herausforderung, dass technologischer Fortschritt nicht ausgebremst werden dürfe und könne, selbiger aber auch nicht dazu führen soll, dass Schutzstandards und Wesentlichkeiten der Arbeitswelt keine Berücksichtigung finden würden. Zusammenfassend könne der Begriff damit beschrieben werden, dass die zum Teil heute schon gelebten Arbeitsweisen, vor allem aber die Arbeitsweisen in den nächsten Jahren sich an die Herausforderungen und Möglichkeiten der digitalen Welt anpassen. In diesem Zusammenhang umspanne Arbeit 4.0 den Veränderungsprozess der Arbeitswelt im digitalen Zeitalter.
Die Definition bleibt nebulös und sucht man dahinter nach konkreten Beispielen, so bleiben diese begrenzt. Nichtsdestotrotz herrscht Einigkeit, dass Arbeit 4.0 das Problem psychischer Belastungen am Arbeitsplatz nicht unerheblich – negativ – beeinflussen wird. Allerdings weisen die Autoren nicht zu Unrecht darauf hin, dass bereits im Vorwort der ersten Auflage des Vorläuferwerkes im Jahr 2000 der Autor Karl Wenchel angemerkt habe, dass psychische Belastungen nicht alleine als Erscheinungen der heutigen Zeit verstanden werden könnten. Diese gab es schon immer, nur hat sich sicher der Umgang mit ihnen verändert. Dass die Berufsgenossenschaft bis heute vehement eine Anerkennung als Berufskrankheit verweigern, bleibt unverständlich. Ihre Bereitschaft aber, in Präventionsprozessen diese einzudämmen, macht deutlich, dass psychische Belastungen ernst genommen werden (müssen), wie wohl insgesamt der Umgang mit dem Faktor „psychische Erkrankungen“ heute in der Gesellschaft ein anderer ist.
Autor und Autorin
- Dr. Stefan Poppelreuter, Diplom-Psychologe, Personal- und Managementberater beim TÜV Rheinland mit den Schwerpunkten Personal- und Organisationsentwicklung, Arbeit & Gesundheit sowie Befragungen.
- Prof. Dr. Katja Mierke, Diplom-Psychologin, Professorin an der Hochschule Fresenius, systemische Beraterin und Trainerin für das Institut IMAP.
Aufbau
Das Buch ist quasi die Neuauflage eines Klassikers, der bis zu seiner 4. Auflage unter dem Titel „Psychische Belastungen am Arbeitsplatz“ bekannt war. Ausgehend von den Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 setzen die Autoren im vorliegend besprochenen Nachfolger auf das Bewährte und verarbeiten gleichzeitig die Erkenntnisse des „Neuen“.
Nach einer Einführung in das Thema (mit einem lesenswerten Abriss zur Geschichte des Arbeitsschutzes seit der Antike) werden ausführlich Belastungsfaktoren und Formen psychischer Belastungen (Arbeitsmittel, Arbeitsumgebung, Arbeitsvolumen, Arbeitsinhalte und -organisation) sowie die sich daraus ergebenden Folgen beschrieben. Daran schließen sich ganzheitliche Ansätze für Prävention und Intervention an. Ein knapper Ausblick schließt das Werk ab.
Das Buch ist reich mit sog. „Infoboxen“ versehen, in denen sich u.a. Zitate aus Befragungen und Checklisten finden. Ein zehnseitiges Praxisbeispiel für eine Gefährdungsbeurteilung ist ein hervorragendes Arbeitsmittel, um eigene Ansätze verfolgen zu können.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Ausgewählte Inhalte
Sehr interessant ist z.B. das Kapitel 2.5. Hier werden sog. "interpersonale Konflikte" als Ursache psychischer Belastungen vorgestellt. Hinter dem Begriff verbergen sich bspw. Mobbing, sexuelle Belästigung aber auch schlichte zwischenmenschliche Konflikte, die das Ausmaß vorgenannter Extremsituationen (noch) nicht erreichen. Die AutorInnen zeigen auf, wie es zu solchen Situationen kommt, wie man sie möglicherweise in den Ansätzen bereits verhindert und wie man in der Praxis damit umgeht, sie in den Griff zu bekommen. Die AutorInnen bieten keine Patentrezepte, aber lesenswerte Ideen, die helfen können, im betrieblichen Alltag besser gewappnet zu sein.
Mit Arbeit 4.0 werden auch andere Arbeitsplatzkonzepte diskutiert, wie z.B. sog. "Desk-Sharing", Großraumbüros, Tele-Working u.ä. Das alles ist nicht wirklich neu, wird aber durch den Hype um die Arbeit 4.0 mit neuem Leben erfüllt. Im Kapitel 2.1.2 kann der Leser beispielsweise lernen, was es damit auf sich hat und wo die Probleme psychischer Art bei Arbeitnehemrn entstehen können.
Diskussion
Wie insgesamt nach wie vor ein Tabu gebrochen wird, wenn Menschen sich als psychisch überbelastet „outen“, stehen die Akteure in der betrieblichen Praxis unsicher vor den Herausforderungen, die sich ergeben, wenn psychische Belastungen als gesundheitliche Bedrohung der Arbeitnehmer akzeptiert werden. Ist möglicherweise zwar erkannt, wo Risikofaktoren lauern, ist noch lange nicht geklärt, wie man sie sicher herausarbeitet und vor allem, wie man sie bekämpft. Das hat auch damit zu tun, dass es für Arbeitnehmer noch lange nicht selbstverständlich ist, erst einmal für sich selbst eine psychische Labilität zu akzeptieren und diese ggfs. auch zu kommunizieren. Arbeitgeber und ihre Beauftragten agieren dementsprechend nicht, nicht richtig oder nicht ausreichend. Die Diskussion um die Arbeit 4.0 kann einen Beitrag dazu liefern, etwas selbstverständlicher mit dem Thema umzugehen. Der nächste Schritt muss dann jedoch sein, in der betrieblichen Praxis konkrete Schritte vorzubereiten und umzusetzen. Dabei ist dieses Buch ein wertvoller und unverzichtbarer Helfer.
Fazit
Das Buch ist unbedingt zu empfehlen. Betriebliche Akteure, aber auch Berater, seien es Juristen oder Berater anderer „Zünfte“, Mitarbeiter der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen kommen an diesem Buch nicht vorbei. Zu loben ist vor allem der hohe Praxisnutzen, der immer wieder hervorsticht, wenn man sich mit dem schwierigen Thema auseinandersetzt.
Rezension von
RA Joachim Schwede
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