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Christel Manske: Inklusiver Mathematik­unterricht

Rezensiert von Prof. Dr. Manfred Jödecke, 23.11.2018

Cover Christel Manske: Inklusiver Mathematik­unterricht ISBN 978-3-86541-937-8

Christel Manske: Inklusiver Mathematikunterricht. Für Kinder mit Down-Syndrom, Dyskalkulie und Mathefreaks. Lehmanns Media GmbH (Berlin) 2018. 313 Seiten. ISBN 978-3-86541-937-8. D: 24,95 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

Wie Karl Popper formuliert, beginnt alle Wissenschaft mit einem Problem. Das Buch der Sonderpädagogin und Psychologin Frau Dr. Christel Manske geht aus von der Erfahrung vieler Kinder, die in der Schule scheitern. Folgende Sequenz des Scheiterns im Mathematikunterricht kann als exemplarisch angesehen werden:

„In der Schule soll Peter die Aufgabe 3 + 5 = ? lösen. Die Lehrerin sagt: ‚Zähle 3 und 5 zusammen.‘ Sie hilft ihm, an den Fingern abzuzählen. Er versteht nicht was das soll.

Dann legt sie 3 Bonbons und 5 Bonbons hin. Peter zählt nun 1,2,3, und 1,2,3,4,5. Sie sagt: ‚Du musst weiter zählen‘. 4,5,6,7,8. Er versteht nicht, was er tun soll. Dann schüttet sie die acht Bonbons auf den Teller. Nun zählt er: ‚1,2,3,4,5,6,7,8.‘ Er versteht nicht, was das mit 3 + 5 = 8 zu tun hat“ (S. 307)

Mit ihrer didaktisch- methodischen Handreichung möchte die Autorin die Voraussetzungen dafür aufzeigen, dass Mathematik in der „Einheit von Handlung- Symbol und Zeichen“ von den Kindern und allen Beteiligten (Eltern und Lehrer/-innen) auf elementare Weise sinnerfüllt verstanden werden kann. Die entwicklungsbezogene Didaktik des Buches orientiert sich der Rekonstruktion der Mathematik als gesellschaftliche Praxis von Handwerkzeuggebrauch, Warentausch und Geldwirtschaft und deren Synthese mit den inneren Gesetzmäßigkeiten der psychischen Entwicklungsstufen des Kleinkinds (1-3 Jahre), Vorschulkinds (3-7 Jahre) und Schulkinds (7-12 Jahre).

Aufbau

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

Wie ihre Vorfahren in der Jäger- und Sammlergesellschaft üben sich die Kleinkinder (handelnd, mit allen Sinnen) im Sammeln, Hin und Her Tun (Reversion), Sortieren (nach Art, Form, Farbe und Größe), Klassifizieren/Oberbegriffe bilden (Wild- und Haustiere, Obst und Gemüse ) und in der Herstellung von Reihen (Seriation). Kleinste Unterschiede in der Reihung oder Folge von Gegenständen, Bildern und abstrakten Farb- Formkonstellationen werden den Kindern bewusst gemacht und gemeinsam mit ihnen lustvoll „entdeckt“. Wie von selbst werden Zahlen von den Kindern als Menge in alltäglichen Erfahrungen erfasst und im „Unterricht“ spielerisch nachgestaltet (z.B. zwei auf einer Wippe, vier auf dem Karussell und 5 im Auto, vgl. S. 86).

Die Rekonstruktion der Tauschgesellschaft von Ackerbauen und Viehzüchtern hält für die Vorschulkinder neue (geistige) Handlungen bereit. Zu ihnen gehören Übungen (in der Eins- zu- Eins- Korrespondenz) mit den Zeichen für >, = und <, weg (-) Zeichen, und (+) Zeichen und den dazugehörenden Operationen von Vergleichen, Tauschen (mit Token), Symbolisieren (von Anzahlen: 1 als Ball, 2 als Brille, 3 als Ampel, 4 als Schmetterling…) und die Wahrnehmung von Invarianz.

Schulkinder gehen über in die Rekonstruktion der „Geldgesellschaft“. In dieser erfahren die Kinder den Gebrauch der Zahlen und insbesondere der Eins als Maßverhältnis, als Maßeinheit (m, dm, cm) sowie den adäquaten Gebrauch arithmetischer Operationen (+ als und- tun), (- als weg- tun), (x als noch mal- tun), (: als geteilt- tun) und (= als gleich- tun).

Zur „Entdeckung der Eins“ gibt es im Buch folgende (illustrierte) Geschichte: „Rothörnchen und Grauhörnchen brauchen Säcke für ihre Nüsse. Sie kaufen Stoff. Der Verkäufer von Rothörnchen hat lange Arme. Er legt den Stoffballen an seinen Arm. Dann schneidet er ein Stück Stoff ab. Er sagt: ‚Eine Elle kostet eine Pfote Haselnüsse.‘ Grauhörnchens Verkäufer hat kurze Arme. Er legt den Stoffballen an seinen Arm und schneidet ein Stück Stoff ab. Er sagt: ‚Eine Elle Stoff kostet eine Pfote Haselnüsse.‘ Rothörnchens Stoff ist viel länger. Sie gehen zu Weißhörnchen. Lehrer- Weißhörnchen sagt: ‚Ihr braucht ein Maß.‘ Er gibt den Kindern ein Metermaß, das ist ein bisschen kürzer als Rothörnchens Stoff und ein bisschen länger als Grauhörnchens Stück Stoff. Jetzt kaufen alle Eichhörnchen im Wald ihren Stoff für die Säcke mit dem Metermaß. Jeder Sack hat nun die gleiche Größe. Das ist toll“ (S. 160- 164). So „…sind (die Kinder) in der Lage, die jeweilige Stückzahl im Kopf als Symbol zu konstruieren und als Zahl zu denken“ (S. 309).

Und tatsächlich- so fällt es Peter nicht mehr schwer, die Aufgabe: 3+ 5 = 8 zu verstehen:

„Er stellt sich die symbolisierte Menge 3 als Würfelaugen vor. Dann setzt er das + in die innere Handlung und- tun um. Dann stellt er sich die symbolisierte Menge als Würfelaugen vor. Er schließt die Augen und zählt im Kopf. Die Handlung ergibt 8 Würfelaugen. Nun schaut er auf das Zeichen =. Das bedeutet, dass auf der rechten Seite der Gleichung die gleiche Menge ist. Er schreibt 3 + 5 ist 8 = 8“ (S. 310).

Diskussion

Die vorliegende Handreichung zeigt, wie aus den Erkenntnissen der kognitiven Psychologie (Jean Piaget/Bärbel Inhelder) und der tätigkeitsorientierten Theorie der „etappenweisen Ausbildung geistiger Handlungen und Operationen“ (Pjotr Galperin/ Ludmila Obuchowa) ein adäquater Mathematikunterricht in der „Einheit von Handlung- Symbol und Zeichen“ für alle Kinder konstruiert werden kann. Im „didaktischen Feld“ wird mit entwicklungsbezogenen Vorstellungen und Begriffen (Daniil Elkonin) ein Prozess gemeinsam/ geteilten manipulierenden Tuns, Spielens und Lernens „emergiert“ (in der Terminologie von Georg Feuser ausgedrückt: „Lernen am gemeinsamen Gegenstand“), in dem Kinder mit unterschiedlichen geistigen Ausgangsbedingungen gemeinsam/ geteilte- sinnerfüllte Lernerfahrungen machen können.

Zielgruppen

Studierende und Lehrende (heil-) pädagogischer Fachrichtungen und Lehramtsstudiengänge, Interessierte (Grund-), Sonderschullehrerinnen mit inklusiver Orientierung und Eltern

Fazit

Ob Mathe Lehrer/-innen, Eltern und Kinder wirklich „glücklich“ machen kann, wagt der Rezensent nicht mit Sicherheit zu sagen- in jedem Fall trägt die vorliegende (ästhetisch anspruchsvoll gestaltete) Handreichung zu einem tiefergehenden Verständnis grundlegender mathematischer Sachverhalte bei. Mehr noch: Sie lädt ein zum Weiterdenken und Experimentieren.

Literatur

  • Elkonin, D.B. (1965): Zur Psychologie des Vorschulalters. Volk und Wissen (Berlin/DDR)
  • Feuser, Georg (1995): Behinderte Kinder und Jugendliche zwischen Integration und Aussonderung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt/Berlin)
  • Galperin, P.J, Leontjew, A.N. u.a. (1974): Probleme der Lerntheorie. Volk und Wissen (Berlin/DDR)
  • Jantzen, Wolfgang (2004): Die Schule Gal’perins. Tätigkeitstheoretische Beiträge zum Begriffserwerb im Vorschul- und Schulalter. Lehmanns media (Berlin)
  • Manske, Christel (2008): Jenseits von PISA. Lernen als Entdeckungsreise. Eigenverlag (Hamburg)
  • Piaget, Jean (1992): Das Erwachsen der Intelligenz beim Kinde. Klett- Cotta (München)
  • Popper, Karl (1975): Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Theodor W. Adorno et al: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (S. 103- 123). Luchterhand (Darmstadt/Neuwied).

Rezension von
Prof. Dr. Manfred Jödecke
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Es gibt 32 Rezensionen von Manfred Jödecke.

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Zitiervorschlag
Manfred Jödecke. Rezension vom 23.11.2018 zu: Christel Manske: Inklusiver Mathematikunterricht. Für Kinder mit Down-Syndrom, Dyskalkulie und Mathefreaks. Lehmanns Media GmbH (Berlin) 2018. ISBN 978-3-86541-937-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25150.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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