Gerhard Bliersbach: Mit Kind und Kegel
Rezensiert von Monika Pietsch, 06.06.2019

Gerhard Bliersbach: Mit Kind und Kegel. Ein Ratgeber für Patchworkfamilien. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2018. 188 Seiten. ISBN 978-3-8379-2512-8. D: 20,50 EUR, A: 20,50 EUR.
Thema
Gerhard Bliersbach beschreibt entlang der Entwicklung einer Patchworkfamilie – von der Begegnung des Paares über den Entschluss, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, und das alltägliche Zusammenleben bis zum Auszug der Kinder – werden typische Situationen beschrieben und Konfliktfelder systematisiert.
Autor
Gerhard Bliersbach ist Dipl. Psychologe, psychologischer Psychotherapeut und Autor, zudem arbeitet er als forensische Gutachter. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Rolle von Kino und Fernsehen im öffentlichen Diskurs sowie neue Familienmodelle.
Entstehungshintergrund
Vier Jahre lang schrieb Bliersbach an diesem Buch, nachdem er sich bereits seit 1999 mit dem Thema befasst.
Aufbau und Inhalt
Im Vorwort beginnt Bliersbach mit dem Unterschied zwischen Patchwork- Familie: Paare, die sich trennen und jeweils eine neue Familie etablieren und der Stief- Familie, die einen irreparablen Verlust eines Elternteils erlebt hat.
Bliersbach macht im Prolog: Vergessen Sie die oder den Stief! Wir sind im Patchwork! darauf aufmerksam, dass schon in der öffentlichen Vorstellung Klarheit über die Familienkonstellation geschaffen werden kann: z.B.: „Das ist die Frau meines Vaters“ anstelle von „das ist meine Stiefmutter“.
Als zentrales Problem der Trennung stellt Bliersbach den Vertrauensverlust in der Familie dar. Die Kinder verlieren ihr familiäres Vorbild. Dieser Vertrauensverlust und der Vorwurf der Schuld werden sich erst langsam beruhigen. Prozesse der Klärung und der Entscheidungen folgen, neues Zutrauen in die Familie und ihre neuen Mitglieder kann langsam entstehen.
I Grundsätzliches
Bliersbach geht dem geschichtlichen und sprachlichen Ursprung des Patchwork nach. Als Fazit nennt er, bezogen auf die leiblichen Kinder der Familie, die beiden neu entstandenen Familien nach der Trennung das „Patchworksystem“. Aus psychoanalytische Sicht bleibt die Kernfamilie als Ideal bestehen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Trotz Trennung bleibt die Elternschaft gegenüber den Kindern und die lebenslange Verantwortung. Hier bietet Bliersbach Definitionen und Erklärungen an, was diese bedeutet: Elternschaft ist die von der eigenen Herkunft geprägten Haltung gegenüber eigenen und fremden Kindern oder Elternschaft ist die Reparatur der eigenen Kindheit oder Elternschaft ist die Weitergabe eigener Entwicklungsfortschritte. Mit der Elternschaft verbindet sich die Erziehung. Bliersbach konstatiert, dass es bei der Erziehung um großzügige Entwicklungsräume für Kinder geht, die kritisch, reflektierend und liebevoll begleitet werden.
Um nun eine zahlenmäßige Erfassung des „Problems“ zu bekommen, könnte man Statistiken bemühen. Die Geburtenrate in Deutschland ist niedrig. Bliersbach stellt fest, dass zufriedene Eltern, die in ihrem Lebensentwurf und den Lebenswünschen die Elternschaft leben wollen, auch den Zeitpunkt der Elternschaft festlegen können und werden. Kommt es nun zur Trennung, so ist diese nicht gegen die Kinder gerichtet (wenn sie auch von den Kindern durch den Vertrauensverlust so empfunden wird). Eine starke und positive Erinnerung darf bleiben, damit die vorherige Konstellation nicht als Fehler bestehen bleibt. Das Fazit ist: In der Zeit der Bindung war es genau richtig, nun hat sich etwas verändert.
Hinsichtlich der Statistik, zeigt sich, dass Erhebungen dazu schwierig sind. Es ist unklar um welche Anzahl von Kindern und Patchworkfamilien und -systemen es sich in Deutschland handelt. Bsp.: eine Familie trennt sich, die Mutter geht mit den eigenen zwei Kindern wieder eine Beziehung zu einem Mann ohne Kinder ein; sie bekommen ein Kind. Die größeren Kindern halten sich regelmäßig beim alleinstehenden Vater auf. Nun die Frage: Handelt es sich um eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft mit drei Kindern und einen Einpersonenhaushalt oder um eine heterosexuelle Lebensgemeinschaft mit einem Kind und einem alleinerziehenden Vater mit zwei Kindern? Neben der statistischen Erfassung ist auch die finanzielle Situation schwierig und schwierig zu erfassen.
II Die Entwicklung einer Patchworkfamilie
Eine tatsächliche Trennung beginnt damit, dass die Eltern den Kindern gegenüber von ihr sprechen. Damit wird nun für die Kinder eine Katastrophe losgetreten. Sie verlieren ihr Sicherheitsgefühl. Die Aufgaben der Eltern sieht Bliersbach darin, dass die Eltern im Sinne der Kinder Entscheidungen vorschlagen, z.B. dass der Lebensmittelpunkt möglichst erhalten bleibt. Dabei legen die Eltern idealerweise die Regeln fest. Den Kindern sollte ein möglichst stabiles System geboten werden und kein ständiger Wechsel. Nötig sind dazu kooperierende Eltern, die den Kindern den nötigen Freiraum auch hinsichtlich der Besuche der Elternteile lassen. Die Besuchsregelung und der Unterhalt werden idealerweise unter den Eltern geregelt. Andernfalls übernimmt ein Gericht. Hier wird die Katastrophe für die Kinder allerdings weitergeführt. Das Gericht beschließt in der Regel hinsichtlich des Wohnortes entweder das Residenzmodell (das Kind wohnt bei einem Elternteil und besucht das andere regelmäßig und/oder nach Absprache) oder das Modell der Doppelresidenz (das Kind wohnt zu gleichen Teilen abwechselnd bei jedem Elternteil). Das zweite Modell beinhaltet viel Anpassung des Kindes an die jeweilige Lebenssituation des Elternteils, ein ständiges Umgewöhnen an neue Familiensituationen.
Gleichzeitig entstehen neue offene Fragen: Wo und wie richtet man sich als Patchwork mit den Kindern ein. Kann das Kind in seinem angestammten Zuhause bleiben? Wie wird der/die neue PartnerIn integriert? Bis hin zu: Wo sitzt er/sie am Tisch? Eine weitere, oftmals problematische, Situation ist das elterliche Schlafzimmer in der Patchworkfamilie und der Zugang der Kinder dorthin. Nach und nach wird auch für die Kinder die neue Situation zur Realität: die Ehebeziehung hat sich gelöst und die Patchworkbeziehung ist die neue Lebenstatsache.
Gesetzlich sind auch getrennt lebende Elternteile für die Kinder sorgeberechtigt/- pflichtig. Die Patchwork- PartnerIn haben kein formelles Sorgerecht. Sie können als solidarisches Elternteil Anteile der Erziehung übernehmen und so zum relativierten Elternteil werden.
Bliersbach macht sechs Vorschläge zur Arbeitsteilung von Innen- und Außenpolitik der Patchworkfamilie: z.B.
- Familienkultur: das Präfix Stief- wird von niemandem benutzt; der hinzugekommene Patchwork- Partner wird sich als zurückhaltendes, vorsichtiges, behutsames Vorbild einfügen und mit Vornamen angesprochen.
- Disziplinierung der Kinder bleibt dem Elternteil überlassen.
- Bei heftigen Konflikten wird das abwesende Elternteil dazu gebeten.
Unter dem Titel: Wie fängt man den Patchworkalltag an? schlägt Bliersbach ein Ritualprojekt vor: z.B. wird ein besonderes Abendessen regelmäßig mit einer Selbstpräsentation begonnen: das Elternteil beschreibt, wie die Aufgaben zwischen sich und der/dem PatchworkpartnerIn verteilt sind. Dabei wird sich vorher auf verschiedene Regeln verständigt:
- alle sind möglichst dabei
- wer anwesend ist, hält das gemeinsame Abendessen aus, auch wenn es schwer fällt
- Aufrichtigkeit und Wahrheit zählen
- jeder wird gehört
- Gefühle sind wahr und werden nicht bestritten
- Kränkungen werden besprochen.
Weitere Themen aus dem Patchworkalltag: Umgang des Patchworkpaares miteinander, Macht und Ohnmacht der Erwachsenen, kritische Bemerkungen der Kinder und wie damit umgegangen werden kann, Eigentum und Abgrenzung, Einmischen oder miteinander sprechen, familiäre Feste wie Weihnachten und Geburtstag.
III Ausblick
In 15 kurzen Abschnitte fasst Bliersbach die Aspekte des Patchwork und des Buches zusammen. Unter dem Titel: Was bleibt! stellt er zwei Beispiele vor, wie sich das Leben als Patchwork weiter entwickelte. In dem einen Fall positiv, weil ein guter Erwachsenenkontakt zwischen dem Patchwork- Partner und dem ehemaligen Kind geblieben ist, im anderen Fall ist der Kontakt zwischen Mutter und den leiblichen Kindern nach der Trennung abgebrochen und nicht wieder überbrückt worden.
Zum Abschluss des Buches stehen die Abschnitte: Die Patchworkfamilie und das Erbrecht und Hilfen für Patchworkfamilien. Hier werden Kontaktadressen weiter geben. Es folgen empfohlene Literatur und das Literaturverzeichnis.
Diskussion und Fazit
Bliersbach gibt für das Buch keine Lese-Empfehlung; es kann an jeder beliebigen Stelle begonnen werden. Er empfiehlt ein geduldiges Einlesen in eine komplizierte Materie. Tatsächlich sind manche Sachverhalte kompliziert und manche Ausdrucksweisen auch. Möglicherweise ist das der Kürze des Buches geschuldet, in dem vieles verdichtet werden muss.
Das Buch bietet eine gute Übersicht über das Patchwork- System mit allen Facetten, Problemen und einem zeitlichen Ablauf. Viele Fragen werden aufgeworfen und auch beantwortet. So werden konkrete Hilfen angeboten und an Beispielen deutlich gemacht. Im Wesentlichen wird von Bliersbach die Kommunikation untereinander und auch der Wille dazu gefordert. Absprachen, über die Trennung hinaus, zum Wohle der Kinder zu treffen, ist sein Credo. Die Elternschaft muss mit ihrer ganzer Verantwortung weitergeführt und immer wieder ausgehandelt werden. Die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen und ihre Wünsche und Nöte als zentrales Thema zu sehen, das ist seine Forderung.
Was dabei ein wenig kurz kommt ist der Schmerz der Erwachsenen und deren Unvermögen aus vielerlei Gründen nicht miteinander zu sprechen, sondern stattdesssen einen Machtkampf gegeneinander zu führen. Ebenso die Eltern, die gar nicht gelernt haben zu kommunizieren oder die nicht in der Lage sind, sprachlich oder /und intellektuell, dieses Miteinander so differenziert zu betrachten, sich in Stresssituationen zurück zu halten und geduldig auf eine Klärung zu vertrauen. Es wird schließlich nicht klar, an wen sich das Buch richtet: an Professionelle, die dann wahrscheinlich auch mit englischsprachigen Literaturhinweisen zurechtkommen oder betroffene Laien, die sich von den Hilfeadressen profitieren.
Rezension von
Monika Pietsch
Training und Konstruktives Lernen
selbständige Trainerin und Beraterin, Schwerpunkt: Team- und Führungskompetenzen mit den Methoden des konstruktiven Lernens
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