Gero Schwager: Musiktherapie bei Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen
Rezensiert von Dipl.-Päd. Petra Steinborn, 28.12.2018

Gero Schwager: Kann Musiktherapie die sozialen Fähigkeiten von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen verbessern? Eine Auswertung aktueller Studien.
Büchner-Verlag eG
(Marburg) 2018.
114 Seiten.
ISBN 978-3-96317-115-4.
D: 15,00 EUR,
A: 15,00 EUR.
Reihe: Schlaglichter - [Band 1].
Thema
Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine sog. tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich vor allem durch Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation auszeichnet. Symptome lassen sich z.B. durch gezielte Therapie reduzieren. Die Musiktherapie hat bei Kleinkindern schon erste positive Effekte verzeichnet, in diesem Band wird der Fokus auf schulpflichtige Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren gelegt. Der Autor Gero Schwager erläutert im ersten Teil die wissenschaftlich relevanten Hintergrundinformationen und wertet im zweiten Teil aktuelle Studien aus, um auf dieser Grundlage eine Implementierung von Musiktherapie in den Förderschulalltag zu diskutieren.
Autor
Gero Schwager studierte Jazzgitarre an der Folkwang Universität der Künste Essen sowie Sonderpädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Entstehungshintergrund
Dies ist der erste Band der Reihe „Schlaglichter“ des Büchner Verlags Marburg.
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist im Din A5 Softcoverformat erschienen und hat einen Umfang von 114 Seiten, die sich in 10 Kapitel gliedern. Im Fließtext findet man 12 Abbildungen, 9 Tabellen und 7 Textboxen. Sie sind durchnummeriert, ein Verzeichnis findet man zu Beginn des Buches.
- Einleitung
- Autismus
- Soziale Kompetenzen
- Musiktherapie
- Fragestellung
- Methode
- Ergebnis
- Diskussion
- Ausblick
- Literaturverzeichnis und Anhang
Das erste Kapitel Einleitung gibt einen Überblick über das in diesem Büchlein behandelte Thema. Im Mittelpunkt steht die Auswertung aktueller Studien, die sich in den Jahren zwischen 1985 – 2005 versechsfacht haben.
Autismus ist Gegenstand des zweiten Kapitels, zu Beginn wird ein kurzer geschichtlicher Abriss gegeben. Autismus ist nicht heilbar, kann aber stark variieren. Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten können durch therapeutische Interventionen bedeutend gebessert werden. Eine große Heterogenität in Intensität und Gewichtung liegt im kognitiven Funktionsniveau. Die Tabelle 1 beschreibt das ICD 10 (der WHO) und gibt einen guten Überblick über die Codes und Bezeichnungen sowie der jeweiligen Synonyme. Im Anhang findet man dann noch ergänzend das DSM V, ein Klassifikationssystem aus den USA. Diese Systeme zeigen sehr gut auf, dass es kein einheitliches und verbindliches Störungsbild gibt. Sehr interessant ist die zweite Tabelle (S. 25), in der die Komorbiditäten sowie deren geschätzte Häufigkeit aufgelistet sind. Die Angaben gehen zurück auf das Jahr 2009.
Das Thema Autismus erfährt mittlerweile einen sehr hohen Bekanntheitsgrad und durch die Epidemiologie, also der Disziplin der Verbreitung und Betrachtung von Ursachen und Folgen von gesundheitsbezogenen Zuständen und Ereignissen kann dieses Ergebnis belegt werden. Als einfache Ursache wird eine genauere Diagnostik genannt, es gibt zudem Forscher, die z.B. das höhere Alter der Eltern als Ursache benennen. Das Kapitel schließt mit dem biopsychosoziale Modell, dieses Modell, das auch als „Krankheitsmodell“ bezeichnet wird, macht die Beziehung zwischen Körper und Geist zum Gegenstand der Betrachtung.
Von den sozialen Kompetenzen handelt das dritte Kapitel. Neben der Definition und der Begriffsklärung werden soziale Kompetenzen im Kontext des Autismus Spektrum thematisiert. Das Konzept der sozialen Kompetenzen ist komplex und multidimensional, da es sich aus mehreren Teilfertigkeiten zusammensetzt, die benötigt werden, um ein zufriedenstellendes Zusammenleben zu gestalten. Diese Teilfertigkeiten wiederum orientieren sich an der jeweiligen Situation und sind zudem beeinflusst von dem Entwicklungsalter und den jeweiligen Akteuren. Entwicklungsaufgaben sind nicht losgelöst vom zeitlichen und gesellschaftlichen Kontext. Viele therapeutische Interventionen nehmen grundlegende soziale Kompetenzen in den Fokus, die in den ersten 1,5-2 Lebensjahren erworben werden. Schwager nennt folgende:
- verbale und nonverbale Kommunikation,
- Imitation und
- die sog. geteilte Aufmerksamkeit (S. 40–42 im Buch).
Das vierte Kapitel Musiktherapie beginnt mit einem historischen Abriss von der Antike bis heute sowie der Definition von Musiktherapie, die sich über eine halbe Buchseite erstreckt. Daneben werden in Tabellenform verschiedene Ansätze und Typen von Musiktherapie (leider in Englisch – Tabelle 4) vorgestellt, in dem die Herangehensweise und die Funktion der Musiktherapie aufgelistet werden. Zitiert werden zwei Autoren, die fünf Typen von Musiktherapie unterscheiden: die rezeptive Musiktherapie, die kompositorisch kreative Musiktherapie, die improvisatorisch kreative Musiktherapie, die rekreative sowie die aktive Musiktherapie. Anschließend werden 19 Indikationen und Kontraindikationen benannt. Bis heute ist das „Wie“ und das „Warum“ der Wirkung von Musiktherapie noch nicht abschließend geklärt, wichtig ist dem Autor das „dass“. Als Erklärungsmodell stellt er die sog. „Interventionstheorie“ vor. Das Kapitel endet mit dem der Betrachtung von Musiktherapie und Autismus Spektrum. Die Musik hat Eigenschaften, die der Zielgruppe sehr entgegen kommt wie die Struktur und der geordnete Aufbau aus den wiederholenden Mustern, die dadurch Vorhersehbarkeit, Halt und Orientierung geben.
Genau in der Mitte des Buches, in Kapitel fünf wird die Fragestellung spezifiziert: „Wie wirken sich musiktherapeutische Interventionen auf die sozialen Kompetenzen von 6–18 jährigen Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störungen aus?“ (S: 59). Zur Beantwortung der Frage wählte Schwager im sechsten Kapitel die Methode des systematischen Review aus dem „web of scienses“. Die Literaturrecherche wird im August und September 2016 durchgeführt. Von 106 Treffern in einer Datenbank wurden 42 Veröffentlichungen nach definierten Ein- und Ausschlusskriterien beleuchtet. Der Autor stellt seine Auswertungsstrategie eingehend dar.
Anschließend wird im siebten Kapitel das Ergebnis vorgestellt, bei dem vier Studien aus den Jahren 1994 - 2014 herangezogen wurden. Diese wurden anschaulich -wiederum in Tabellenform- aufbereitet und anschließend diskutiert. Es hat sich gezeigt, dass es wenige empirisch abgesicherte Informationen gibt. Eine sehr vielversprechende Studie aus dem Jahr 2016 hat noch keine abschließenden Ergebnisse zum Abschluss des Buches erbracht.
Das Buch endet mit einem Ausblick, dem Literaturverzeichnis und einem Anhang.
Diskussion
Als Musiker und Sonderpädagoge besitzt der Autor fundierten Fachverstand, um die aktuelle Studienlage zu beleuchten und im Anschluss fachlich zu diskutieren. Die Veröffentlichung von Publikationen in Hinblick auf Autismus zwischen 1985- 2005 versechsfacht. Ziel des Autors ist, die Anerkennung der Musiktherapie als anerkannte Therapie durch die Krankenkassen zu unterstützen (S. 13), damit sie vielen Kindern zugutekommen kann, indem sie in den Förderalltag implementiert wird.
Die Musik hat Eigenschaften, die der Zielgruppe der Menschen, die unter den Bedingungen von Autismus leben, sehr entgegen kommen wie die Struktur und der geordnete Aufbau aus den wiederholenden Mustern, die dadurch Vorhersehbarkeit, Halt und Orientierung geben. Das kann ich bestätigen. In der Arbeit mit Menschen, die sog. herausforderndes Verhalten zeigen ist Musiktherapie (leider nur auf Spendenbasis finanziert) ein zentrales Element. Neben den o.g. Effekten kann sie noch viel mehr. Viele dieser Menschen erleben häufig, dass sie abgewertet werden, wenn sie Rückmeldung bekommen, denn dies bezieht sich oft auf das unerwünschte Verhalten, statt auf Ressourcen und Fähigkeiten, mit der Folge, dass sie sich selber als wertlos und nicht selbstwirksam erleben. Ziel meiner Arbeit als Leitung und Anleitung ist, diese Menschen zu stärken, ihnen Selbstvertrauen zu geben und ihnen einen Rahmen zu schaffen, in dem sie ihre eigene Wirkmächtigkeit erleben können. Komplementär zum gezielten pädagogischen Arbeiten bildet die Musiktherapie eine gute Ergänzung. Gemeinsames Musizieren ist Begegnung auf Augenhöhe, im Prozess kann etwas neues „Drittes“ geschaffen werden, ein Erlebnis, dass über die Therapiestunde hinaus wirksam ist. Bisher wird Musiktherapie nicht durch die Krankenkassen finanziert, es ist sehr zu wünschen, dass sich dieser Missstand ändert!
Fazit
Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine sog. tiefgreifende Entwicklungsstörung, die sich vor allem durch Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation auszeichnet. Symptome lassen sich z.B. durch gezielte Therapie reduzieren. Die Musiktherapie hat bei Kleinkindern schon erste positive Effekte verzeichnet, in diesem Band wird der Fokus auf schulpflichtige Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren gelegt. Der Autor Gero Schwager erläutert im ersten Teil die wissenschaftlich relevanten Hintergrundinformationen und wertet im zweiten Teil aktuelle Studien aus, um auf dieser Grundlage eine Implementierung von Musiktherapie in den Förderschulalltag zu diskutieren.
Rezension von
Dipl.-Päd. Petra Steinborn
Tätig im Personal- und Qualitätsmanagement in einer großen Ev. Stiftung in Hamburg-Horn. Freiberuflich in eigener Praxis (Heilpraktikerin für Psychotherapie). Leitung von ABC Autismus (Akademie-Beratung-Coaching), Schwerpunkte: Autismus, TEACCH, herausforderndes Verhalten, Strategien der Deeskalation (systemisch), erworbene Hirnschädigungen
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